Protokoll der Sitzung vom 30.03.2006

(Beifall bei der CSU – Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Da bin ich aber gespannt!)

Natürlich sind nur Ordnungsmaßnahmen keine Antwort auf dieses Thema, vor allem sind sie keine alleinige Antwort darauf. Niemand hat das ja behauptet. Alles das, was Sie nachlesen können und was Sie aus den Debatten wissen, müsste Sie dazu veranlassen, zu sagen, dass die Ordnungsmaßnahmen auch nicht die einzigen Maßnahmen in Bayern sind. Wir haben ein umfassendes Bündel von Maßnahmen, die aber, wie wir feststellen müssen, nicht die Garantie dafür geben, dass Gewalt nicht entstehen kann.

Ich nehme nur den letzten Fall, der sich in Augsburg ereignet hat, als ein Beispiel: An der dortigen Schule wird vorbildlich Präventionsarbeit geleistet, dort setzen sich die Lehrkräfte mit riesigem Engagement dafür ein, dass Werteerziehung erfolgt, dort fi ndet eine große Zusammenarbeit mit allen Beteiligten statt. Ich greife nur ein paar Maßnahmen heraus, die an dieser Hauptschule durchgeführt werden: Es gibt an dieser Schule das PiT-Programm, das in Zusammenarbeit zwischen Polizei und Schule mit Unterstützung von Drogenberatern und Erziehungshilfe durchgeführt wird. Wir haben an dieser Schule ein exzellentes Streitschlichterprogramm. Wir haben an dieser Schule ein spezielles Programm, welches sich geschlechterdifferenziert mit Fragen auseinandersetzt, welche Maßnahmen, Hilfen und Modelle Buben und Knaben im Umgang der Geschlechter miteinander und im Umgang mit Gewalt brauchen. Das ist nur eine teilweise Aufzählung einer Fülle von Maßnahmen. Trotzdem passierte an dieser Schule ein Vorfall, der für uns kaum vorstellbar ist: Ein Mädchen und ein Bub versuchen, einen anderen sexuell zu missbrauchen, und die ganze Klasse schaut zu. Man steht auch mit einem Stück Ohnmacht vor solchen Ereignissen, weil man zugestehen muss, dass wir politisch nicht alles lösen können, selbst wenn wir mit bestem Wissen und Gewissen handeln. Wir stehen vor gesellschaftlichen Herausforderungen und vor einer gesellschaftlichen Entwicklung, die uns nicht nur hellhörig machen muss, sondern die von uns auch Konsequenzen fordert.

Als eine Konsequenz müssen wir die Eltern darüber informieren, was in diesen Medien alles passieren kann, aber auch darüber, welche strafrechtlichen Folgen damit verbunden sind. Wir müssen die Lehrkräfte darüber informieren, wie sie damit umgehen können. Wir müssen aber auch die Schülerinnen und die Schüler darüber informieren, was es bedeutet, wenn sie pornographische Inhalte weiterverbreiten. Sie sind mitten im Strafrecht, sie werden auch strafrechtlich verfolgt. Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass wir bei der Verbreitung pornographischer und sadistischer Inhalte, bei der Verbreitung von Köpfungsszenen, Kastrationsszenen oder Vergewaltigungsszenen nicht sagen können: Wegen zwei oder drei Videos machen wir so einen Aufstand. Meine

sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir so diskutieren und dabei versuchen, die Schuld dem anderen nur deswegen unterzujubeln, um einen kurzfristigen parteipolitisch taktischen Erfolg zu haben, sage ich: Gute Nacht, Politik.

(Beifall bei der CSU)

Neben der Information ist Prävention wichtig. Man kann immer darüber diskutieren, dass noch mehr notwendig ist. Das ist keine Frage. Sie werden nie ein Politikfeld fi nden, bei dem Sie nicht noch mehr machen können.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Man muss aber auch das Richtige machen!)

Sich alleine auf diese Ebene zu beschränken, ist aber zu wenig. Lassen Sie uns darüber sprechen, was wir alles tun können. In großer Zusammenarbeit mit vielen ehrenamtlichen Kräften und mit Unternehmen, die uns unterstützen, haben wir zur Gewaltprävention 25 verschiedene Programme wie „Faustlos“, „Nicht mit mir“ und „Lions-Quest“ aufgelegt, die Gott sei Dank von verschiedenen Initiativen unterstützt werden. Es gibt ein ganzes Bündel von Aktionen dazu. Dazu haben wir Vernetzungen hergestellt und geben auch Informationen über das ISB heraus, damit die Schulen wissen, welche Möglichkeiten es gibt und wo sie Unterstützung bekommen können. Wir haben die Medienpädagogik neu in die Lehrerausbildung aufgenommen. Wir haben in Dillingen spezielle Fortbildungskurse, um die Lehrkräfte in diesen Fragen fortzubilden. Es geht uns doch selbst so: Wer nicht ständig am Ball ist, ist mit dieser Entwicklung zum Teil überfordert.

Herr Staatsminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaffmann?

Nein, ich will hier ein Gesamtkonzept darstellen und bitte darum, das auch darstellen zu dürfen.

Ein zweites Thema: Wir haben Medienberater und Medienberatungsstellen. Wir arbeiten mit der Jugendhilfe, mit der Polizei, mit Verbänden und mit den Kirchen zusammen. Wir haben Ganztagsangebote in Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Kräften; darauf lege ich besonders großen Wert. Wir haben gestern mit Rettungsdienstverbänden eine Kooperation beschlossen, um ein attraktives Nachmittagsangebot zu schaffen, welches auch Kollege Hufe angesprochen hat, damit junge Menschen mehr Angebote und Alternativen haben als das Internet und den Zugriff auf irgendwelche Darstellungen.

Ein drittes Thema ist die Werteerziehung. Die vor Jahren erfolgten Diskussionen, dass man Sekundärtugenden oder Religionsunterricht nicht brauche, sind verkehrt. Das wissen wir und müssen die Erziehung genauso unterstützen wie das Lehren von Wissen und Können. Am gefährlichsten wäre es, wenn das eine gegen das andere ausgespielt würde. Wir brauchen beide Bildungsbereiche, so wie es in der Bayerischen Verfassung steht: Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.

Wir brauchen aber auch Ordnungsmaßnahmen. Es ist zu Recht angesprochen worden, dass Ordnungsmaßnahmen wichtig sind. Ordnungsmaßnahmen allein werden natürlich nicht das Problem lösen. Wenn ich aber auf Ordnungsmaßnahmen verzichte, gebe ich auch ein bestimmtes Signal für das Rechtsbewusstsein. Also muss es auch Ordnungsmaßnahmen geben. Ich gehe jetzt in dieser Frage nicht in die Tiefe. Dafür haben wir bei der Aussprache über das Gesetz genügend Zeit. Wenn wir an den Schulen junge Menschen haben, die für die Lehrkräfte und auch für die Mitschüler eine Gefahr darstellen, die schon viele Probleme gemacht haben und auch viel Unterstützung bekommen haben, müssen wir auch die Frage stellen, ob wir im Einvernehmen mit der Jugendhilfe die Schulpfl icht beenden,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das geht nicht!)

wenn wir zu dem Schluss kommen, dass sie in der Klasse nicht mehr tragbar sind. Ich will natürlich nicht, dass sie von der Schule wegkommen und dann auf der Straße stehen.

Es muss eine Anschlussprävention – fast hätte ich gesagt „Anschlussbehandlung“, und in diesem Fall würde das wohl stimmen – gegeben sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir dürfen nicht glauben, dass wir mit diesen politischen oder schulpolitischen Maßnahmen dem Problem Herr werden, wenn die Gesellschaft in dieser Frage keinen anderen Weg geht und nicht dafür sorgt, dass Gewaltdarstellungen nicht nur verpönt, sondern auch verboten sind. Die Frage muss gestattet sein, ob es erlaubt sein muss, Killervideos herzustellen, oder ob man das verbieten kann. Muss es erlaubt sein, dass immer und überall Gewaltdarstellungen vorhanden sind? Das ist keine schulpolitische und auch nicht nur eine politische Frage, sondern das muss eine gesellschaftliche Diskussion und Aufgabe sein.

Damit müssen wir uns auseinander setzen und die Verantwortung des Elternhauses einfordern. Eltern müssen wissen, wie sich ihre Kinder benehmen; sie müssen eine Rückmeldung bekommen. Sie müssen Gespräche mit der Schule führen. Ein Großteil der Lehrkräfte sagt, dass in ihre Elternsprechstunde nur jene Eltern kommen, die das Gespräch eigentlich gar nicht bräuchten, und dass diejenigen, die ein Gespräch bräuchten, nicht kommen. Wir müssen auch hier noch stärker auf die Eltern zugehen, auch bei der Familienbildung und bei der Jugendsozialarbeit an Schulen. Das muss ein Bündel von Maßnahmen sein. Arbeiten wir gemeinsam, damit wir hier nach vorne kommen – unsere Kinder müssen uns das wert sein –, und nutzen wir nicht jede Gelegenheit, parteipolitisch Honig zu saugen!

(Beifall bei der CSU)

Zu einer Zwischenbemerkung hat sich Kollege Pfaffmann gemeldet, bitte.

Wir sind natürlich zu einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit zur Verhinderung

von Gewalt an Schulen bereit. Ich stelle aber fest, dass Sie nichts, aber auch gar nichts dazu gesagt haben, wie Sie das Bündel von Maßnahmen – Schulsozialarbeit, Zusammenarbeit mit der Polizei etc. – konkret fi nanzieren wollen. Mit rhetorischen Äußerungen hier ist es nicht getan.

Herr Staatsminister, wollen Sie darauf antworten? – Das ist nicht der Fall.

(Beifall bei der CSU)

Dann darf ich Frau Kollegin Tolle bitten, nachdem mir jetzt auch die Wortmeldung vorliegt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pfaffmann, der Minister hat Ihnen sicherlich deshalb nicht geantwortet, weil er überhaupt keine Antwort hat.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN – Wider- spruch bei der CSU)

Ich wollte noch auf die Äußerungen des Kollegen Rüth eingehen, der gesagt hat, die Familie sei der Ort der Rettung. Herr Kollege Rüth, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir in erster Linie über Kinder reden, die jene schönen Zustände, die Sie sich wünschen – ich mir im Übrigen auch – zu Hause gar nicht vorfi nden. Wir brauchen eine Antwort für diese Kinder. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In Germering gibt es einen offenen Kinderhort, in den Kinder kommen, die zu Hause noch nicht einmal etwas zu essen bekommen. Wenn sich die Politik damit aus der Verantwortung stiehlt, dass sie sagt, die Kinder sollten in die Familie und die Eltern seien schuld, die hätten die Verantwortung, dann sage ich: Gute Nacht, Politik. Wir brauchen eine Antwort. Es ist kein politischer Populismus, wenn meine Fraktion einen Antrag vorlegt, der klarmacht, wie wir uns Gewaltprävention vorstellen. Das ist guter Brauch und unser gutes Recht, und das zeigt, dass unsere Arbeit hochprofessionell ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun hat sich Frau Staatsministerin Stewens zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen hatte ich eine Pressekonferenz mit Philipp Lahm und Danone, die den Nations Cup für die Jugend veranstalten. Wissen Sie, warum die bayerische Familienministerin bei dieser Pressekonferenz war? – Weil das eine Aktion war für die Stiftung „Bündnis für Kinder – gegen Gewalt“.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD))

Sie sagen, dass Sie das in Ihrem Antrag fordern. Das gibt es seit 2001 in Bayern und deutschlandweit. Wir fördern damit 2000 Projekte des Programms „Faustlos“ in Kindergärten und Schulen. Das haben Sie offensichtlich

noch gar nicht wahrgenommen. Das fi nde ich erschreckend.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Das ist ein Bündnis, an dem alle relevanten gesellschaftlichen Partner beteiligt sind; hier haben wir natürlich eine Public-Private-Partnership; da sind die Wirtschaft, Künstler und Fußballer dabei. Die alle setzen sich für das „Bündnis für Kinder – gegen Gewalt“ ein.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Wo ist der Erfolg?)

Als ich in Ihrem Antrag gelesen habe, dass Sie so etwas fordern, fand ich das erschreckend.

(Wortmeldung des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Jetzt fragen Sie nach dem Erfolg. – Herr Kollege Wahnschaffe, Sie dürfen eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie wollen.

Vielen Dank, Frau Ministerin, dass Sie mir die Arbeit erleichtern. Herr Kollege Wahnschaffe, bitte.

Ich wollte nicht nach Lion Feuchtwanger fragen, der ein Buch mit dem gleichen Titel geschrieben hat, sondern ich wollte fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind, dass wir die Diskussion, die wir heute vor einem sehr ernsten Hintergrund führen, nicht zu führen bräuchten, wenn all die Programme, die Sie und Herr Minister Schneider so vollmundig genannt haben, wirklich so erfolgreich wären. Vielleicht können Sie etwas darüber sagen, wie erfolgreich diese Programme sind und ob sie bisher schon evaluiert worden sind.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, Wahnschaffe, das Programm „Faustlos“ wurde von Professor Czierpka aus Heidelberg evaluiert, ist international renommiert und wird weltweit eingesetzt; das ist eine echte Präventionsmethode. Die Gewaltbereitschaft in Schulen und Kindergärten sinkt dramatisch ab.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Ja, dramatisch?)

Herr Kollege Wahnschaffe, wir werden auch durch viele gute Präventionsprojekte, auch durch 180 Erziehungs- und Familienberatungsstellen – davon gibt es ein Netz in Bayern, das wir fi nanzieren – leider Gottes die Gewalt gegen Kinder nicht abschaffen können. Wir werden sie aber minimieren können.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Und müssen!)

Und müssen, deswegen tun wir in der Prävention so viel, Herr Kollege Wahnschaffe. Man kann aber nicht einfach den Schalter umlegen, und dann ist die Welt wieder

gut. Das ist ein langer und mühsamer Weg, auf den wir uns gemeinsam begeben. Diesen Weg gehen wir in Bayern mit ausgesprochenen gutem Erfolg.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Sie haben doch immer die Welt schön geredet!)