Ich bekenne mich zu starken Ländern, zu bayerischer Eigenstaatlichkeit, zu Subsidiarität und regionaler Identität. Bei allem Respekt für ihre Arbeit, Herr Ministerpräsident, was den Föderalismus betrifft, brauchen wir Sozialdemokraten von Ihnen keine Belehrungen.
(Lebhafter Beifall bei der SPD – Johanna Werner- Muggendorfer (SPD): Dazu braucht man weiter nichts zu sagen!)
Wir haben die Geschicke des Freistaates Bayern bereits in einer Zeit gestaltet, als es Ihre Partei überhaupt noch nicht gab. Das ist die historische Wahrheit.
Ich meine, wir müssen für den Föderalismus werben. Er ist eine deutsche Besonderheit in Europa. Das, was wir haben, würde in zentralistischen Ländern vielleicht sogar als Separatismus abqualifi ziert. In Italien kommt man nicht voran mit der Stärkung der Regionen. In Frankreich ist das höchst umstritten. Die Basken müssen darum kämpfen, die baskische Sprache an ihrer Universität lehren zu dürfen, oder die Korsen darum, in Korsika ihre Sprache lernen zu dürfen. Auch in Großbritannien ist das alles umstritten. Wir haben hier in Deutschland einen enormen Vorteil, meine ich.
Die Frage, ob wir EU-tauglich sind, wird gestellt. Die Frage, ob es Sinn macht, dass 16 deutsche Länder in Brüssel mit unterschiedlicher Stimme sprechen, wird gestellt. Der Begriff des Flickenteppichs und der Kleinstaaterei kommt immer häufi ger und nach meinem Geschmack viel zu oft. Mein Gefühl ist: Wir brauchen die offensive Verteidigung und eine neue Begründung für den Föderalismus.
Deshalb sollten wir uns hier auch einige Argumente einfallen lassen. Es gab zwei Epochen in der deutschen Geschichte, in denen wir keine föderalen Strukturen hatten. Das war die Zeit des Nationalsozialismus, und das war die Zeit der DDR. Das waren politisch gesehen exakt die beiden demokratiedunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.
Als Refl ex auf diese historische Erfahrung Deutschlands haben wir alle miteinander den Föderalismus gestärkt. Ich denke, gelegentlich hilft der Hinweis auf diese Geschichte. Er ist wichtig, aber er reicht heute nicht mehr aus. Der Zweite Weltkrieg ist 60 Jahre vorbei und die Deutsche Einheit haben wir seit 16 Jahren. Es reicht nicht mehr. Deshalb muss man auf mehr verweisen. Deshalb muss man darauf verweisen, dass Länder und Regionen in Europa vielfach die Quelle der Stiftung eigener Identität sind, und deshalb muss man auch Zweifel haben, ob der Nationalstaat heute wirklich die Lösung all unserer Probleme darstellt. Ich glaube nicht, dass die Dinge besser werden, wenn sie bundeseinheitlich geregelt werden.
Ich frage sogar: Wenn schon immer bundeseinheitliche Regelungen gefordert werden, warum dann nicht bitte gleich viel besser europäische?
Ist es nicht so, dass einerseits die Rolle des Nationalstaates in ihrer Bedeutung eher abnimmt und die Europas und der Regionen auf der anderen Seite zunimmt?
Vielleicht können wir uns an dieser Stelle treffen. In meinem Büro jedenfalls hängen zwei Fahnen: die bayerische und die europäische.
Ich fi nde, gerade Deutschland beweist die Vorzüge eines föderalen Staates. Deutschland ist nicht Frankreich und Berlin ist nicht Paris. Weil das so ist, haben wir in
Deutschland viele kulturelle Zentren, die Frankreich so nicht hat. Die Kulturvielfalt Münchens, Hamburgs, Stuttgarts, Düsseldorfs und vielleicht sogar Hannovers ist bedeutender als die in einem zentralistischen Land.
Auch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die häufi g beschworen wird, kann man nicht unbedingt in einem zentralistischen Land besser herstellen als in einem föderalen. Ist denn die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Frankreich mehr gegeben als in Deutschland?
Aber ich fi nde, wir sollten dafür werben, weil das in der Öffentlichkeit häufi g nicht mehr gesehen wird.
Die Polizei ist Ländersache. Wäre heute die Frage zu entscheiden, ob die Polizei in Bundeshand kommen oder in Länderhand bleiben sollte, bin ich mir nicht sicher, wie diese Entscheidung ausgehen würde. Ich weiß nämlich genau, dass viele sagen würden: Weil das Verbrechen international organisiert ist und weil wir internationalen Terrorismus haben, muss auch die Polizei bundeseinheitlich sein.
Es kann doch nicht sein, dass in Deutschland die Polizeizuständigkeit an den Grenzen der Länder endet, während der Verbrecher die Grenze des Landes überschreitet. Ich fürchte, wenn wir das heute neu verteilen und darüber diskutieren müssten, könnte das das Ergebnis sein. Deswegen sage ich: Es ist gut – das funktioniert –, dass wir bei der Polizei Länderzuständigkeit haben. Die bayerische Polizei ist gut. Sie wäre noch viel besser, wenn sie Herr Beckstein mit dem ausrüsten könnte, was die Polizei eigentlich bräuchte.
Dann wäre das noch viel besser. Ob die Verbrecherjagd in Bayern funktioniert oder nicht, hängt nicht von den föderalen Strukturen ab. Das Problem der bayerischen Polizei ist, dass sie mit Fahrzeugen fahren muss, die 600 000 Kilometer auf dem Tacho haben.
Föderalismus funktioniert also. Das Beispiel Polizei beweist dies. Er funktioniert aber nur, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind.
Damit kommen wir zum Kern der Diskussion um die Föderalismusreform. Föderalismus funktioniert dann, wenn erstens die Kooperation zwischen den Ländern organisiert ist und wenn es zweitens ein Mindestmaß an Harmonisierung gibt. Warum ist denn der Föderalismus heute zum Teil so in Misskredit geraten? – Weil der Amtsschimmel zu viel wiehert. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Erst neulich hatte der Petitionsausschuss in diesem Hause den Fall einer Polizeibeamtin zu behandeln. Die junge Frau ist in Bayern geboren und aufgewachsen. Sie hat sich dann dafür entschieden, in Nordrhein-Westfalen in den Polizeidienst einzutreten. Dort arbeitet sie seit zehn Jahren als Polizeibeamtin. Sie möchte jetzt aus privaten Gründen zurück in ihre bayerische Heimat versetzt werden. Wissen Sie, warum man ihr diese Versetzung verweigert? Der Petitionsausschuss hat sich mit diesem Fall befasst. Diese Dame ist 1,58 Meter groß. Das erfüllt in Nordrhein-Westfalen die Norm bei der Polizei. In Bayern muss sie aber 1,60 Meter groß sein. Deswegen kann sie nicht in ihre Heimat nach Bayern versetzt werden. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, spielen Sie sich hier nicht zum alleinigen Gralshüter des Föderalismus auf, sondern stellen Sie endlich solchen Unfug ab. Das ist doch nicht zu verstehen.
Ich weiß schon, dass die Bayern immer die Größten sind. Auf diese zwei Zentimeter kommt es aber nun wirklich nicht an, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Weil es solche Dinge in Deutschland gibt, tut sich der Föderalismus schwerer, als er sich tun müsste. Ich bin dieser Meinung. Das höre ich doch jeden Tag von ganz normal denkenden Menschen. Deswegen noch einmal in aller Kürze: Warum brauchen wir diese Reform tatsächlich? Tun Sie nicht so, als wollten wir diese Reform torpedieren, weil wir die Diskussion über offene Sachfragen einfordern.