Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Pfusch ist das, keine Sanierung!)

Herr Kollege, Sie tun sich hier als Großschreier hervor.

(Beifall bei der CSU)

Sie können doch noch mal heraufkommen, wenn Sie noch etwas zu sagen haben.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Leider nicht, das sollten Sie wissen!)

Sie haben offenbar nur etwas zu schreien, statt etwas zu sagen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Leider geht das nicht mehr, Herr Minister!)

Ich wiederhole: Es handelt sich um einen Sanierungsvorgang. Die rot-grüne Regierung, an der die GRÜNEN über fünf Jahre beteiligt waren, hat mit einer großzügigen, nonchalanten Geste den Stabilitätspakt von Maastricht nicht eingehalten.

(Dr. Martin Runge (GRÜNE): Sie haben die ganze Sache doch im Bundesrat torpediert!)

Sie haben mit nonchalanter Geste die Tatsache hinweggewischt, dass Artikel 115 des Grundgesetzes einzuhalten ist.

Meine Damen und Herren, das ist gespenstisch, das ist doppelbödig und es ist von der Zielrichtung her falsch. Es gibt zur Mehrwertsteuererhöhung keine Alternative im Bund und auch nicht in den Ländern.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Es gibt immer Alternativen!)

Und ich füge hinzu: Es gibt auch für den Freistaat Bayern keine Alternative.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Natürlich!)

Wenn Sie sie haben, reichen Sie doch entsprechende Anträge ein und sagen, was Sie kürzen wollen und wo Sie einsparen wollen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das haben wir doch immer gemacht!)

Sie sollten aber lieber die Mehrwertsteuer unterstützen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Sie hören ja nicht einmal richtig zu!)

Jetzt höre und lese ich, dass die Kommunen klagen, dass sie durch die Mehrwertsteuer in ungeheurer Weise belastet würden.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das sind sie schon lange!)

Die Klage höre ich besonders laut aus der Landeshauptstadt München. Die Landeshauptstadt München ist offenbar diejenige Kommune, die fi nanziell am meisten zu knabbern hat. Aber das Gegenteil ist der Fall. Sie ist die reichste Kommune in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hatte allein im letzten Jahr einen Zuwachs von - mehr als - 14 % bei der Gewerbesteuer.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Thomas Beyer (SPD))

Das ist eine Gesamtsumme von 1,362 Milliarden Euro. Das ist eine Rekordhöhe; so etwas gab es noch nie. Oben drauf packte die Stadt dann peinlicherweise noch die Einführung einer Zweitwohnungssteuer für Polizisten und Studenten.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Oh, oh! – Lachen bei der SPD)

Darüber hinaus übersieht die Landeshauptstadt München, dass sie mittelfristig an dem Steuerpaket, das wir gegenwärtig beschlossen haben, auch partizipieren wird. Das lässt sich nachrechnen. Insgesamt ist von diesen „Großrechnern“, etwa der Landeshauptstadt München, überhaupt nicht in Rechnung gestellt worden, dass es einen komplexen Zusammenhang bei der Mehrwertsteuererhöhung gibt: Es gibt auf der einen Seite sicherlich Belastungen für eine Stadt, weil die Kosten für Aufgaben, die eine Stadt zu erledigen hat, steigen werden, und in diesem ersten Durchgang sind die bayerischen Gemeinden sicherlich mit einem Minus bei der Gesamtrechnung, die ich hier in der Hand habe, zu versehen. Aber auf der anderen Seite müssen sie mitberechnen, dass es einen allgemeinen Steuerverbund für die Gemeinden gibt. Dieser allgemeine Steuerverbund besagt, dass die Kommunen insgesamt 11,6 % aus dem Gesamtsteuertopf erhalten werden. Wir werfen die ganzen Steuern also zusammen und daraus bekommen die Kommunen diese 11,6 %. Wenn ich das und die Auswirkungen beim Familienleistungsausgleich hinzurechne – das haben diese klugen Leute, die da öffentlich rechnen, nicht beachtet –, ergibt sich auch für die bayerischen Kommunen unter dem Strich ein Plus von 27 Millionen im Jahr 2007, ansteigend auf 54 Millionen im Jahr 2008 und dann auf fast 100 Millionen Euro im Jahr 2009. Dies gehört zur Wahrheit, wenn man schon so kühn ist, öffentlich zu rechnen.

(Beifall des Abgeordneten Manfred Ach (CSU))

Ich möchte also die GRÜNEN und die Kommunen auffordern, auf den Boden der Realität zurückzukehren. Wenn man die Staatshaushalte, die Haushalte der Länder ebenso wie die der Kommunen und den Haushalt des Bundes sanieren und auf solide Füße stellen will, kommt man um massive Einsparungen nicht herum. Das haben wir in diesem Hohen Hause praktiziert und durchgesetzt. Aber man kommt trotzdem um diese Mehrwertsteuererhöhung nicht herum, obwohl man einspart. Das ist die bittere Wahrheit. Bitter ist diese Wahrheit deshalb, weil die Mehrwertsteuer auch dämpfende Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird. Das hat Herr Dupper ganz richtig gesagt. Das ist nicht zu bezweifeln. Das hat auch der Bundesfi nanzminister sowohl im Bundestag wie auch am vergangenen Freitag im Bundesrat gesagt. Ich kann ihn in dieser Politik nur nachdrücklich unterstützen. Ich glaube

auch, dass ihn alle Sozialdemokraten und Unionspolitiker in dieser Frage unterstützen, solange wir keine Alternativen haben. Und wir haben, wie gesagt, keine Alternativen. Deshalb begrüße ich, dass am letzten Freitag auch der Bundesrat dieser Mehrwertsteuererhöhung seinen Segen gegeben hat.

Das ist die einzige Alternative. Wir brauchen die Konsolidierung der Haushalte, und wenn die Konsolidierung nur über diese Mehrwertsteuererhöhung geht, sollten wir das akzeptieren. Das sollte insbesondere eine Gruppierung akzeptieren, die ihrerseits Verantwortung trägt für das Schleifenlassen der Haushalte in den letzten sechs Jahren. Diese Zeit ist zu Ende, auch durch die Maßnahme der Mehrwertsteuererhöhung.

(Beifall bei der CSU)

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, zweier ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 1. Juni verstarb Herr Josef Blöchl im Alter von 67 Jahren. Er war von 1990 bis 2003 Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat den Stimmkreis Freyung-Grafenau für die Fraktion der CSU.

Josef Blöchl war von Beruf Landwirt, und er brachte reiche kommunalpolitische Erfahrungen in seine Parlamentsarbeit mit ein. Seiner Herkunft entsprechend engagierte er sich vor allem in den Ausschüssen für innerdeutsche Entwicklung und Grenzlandfragen, für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen sowie im Landwirtschafts- und im Wirtschafts- und Verkehrsausschuss. Josef Blöchl war eng mit seiner niederbayerischen Heimat verbunden, für die er sich unermüdlich einsetzte.

Am 7. Juni verstarb Herr Hermann Knipfer mit 71 Jahren. Er gehörte dem Landtag von 1970 bis 1986 an und vertrat den Stimmkreis Augsburg-Stadt-Ost für die Fraktion der CSU. Hermann Knipfers politische Schwerpunkte lagen besonders in den Ausschüssen für Fragen des öffentlichen Dienstes und für Staatshaushalt und Finanzfragen. Daneben engagierte er sich auch in zahlreichen Gremien außerhalb des Parlaments.

Der Bayerische Landtag wird den beiden Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren.

Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Gesetzentwurf der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes (Drs. 15/4769) – Zweite Lesung –

Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von 20 Minuten je Fraktion vereinbart. Erste Rednerin: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Wir nehmen Gerichtsurteile sehr ernst, und zwar nicht nur diejenigen, die uns politisch in den Kram passen. Diese Vorliebe überlasse ich gerne der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach dem Urteil zur Schleierfahndung halten wir deshalb eine Klarstellung in den bestehenden Polizeivorschriften für dringend geboten.

Zum sechsten Mal in Folge, nicht zuletzt mit dem Urteil zur Rasterfahndung, müssen sich die konservativen Innenpolitikerinnen und -politiker in der Bundesrepublik, natürlich auch in Bayern und mit Ihnen Herr Innenminister Beckstein belehren lassen, dass Ihre Politik die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit nicht gewährleistet. Eine Reihe höchstrichterlicher Urteile seit 2004, die ich Ihnen in Erinnerung rufen möchte – denn ich habe den Eindruck, sie geraten allzu schnell in Vergessenheit –, haben direkt oder indirekt Auswirkungen auf die Polizeigesetze der Länder. Konsequenzen aufseiten der Staatsregierung konnte ich bisher aber nicht erkennen. Sie wurden kaum oder nicht gezogen.

Der Auftrag der Bundesverfassungsrichter, für Ausgewogenheit – das war in den Urteilen so festgeschrieben – zwischen Sicherheit und Freiheit zu sorgen, wird weitgehend negiert oder gar ganz ignoriert. So hätte zum Beispiel spätestens nach der Entscheidung vom 27. Juli 2005 auf Bundesebene eine Änderung im Zollfahndungsdienstgesetz hinsichtlich der dort enthaltenen Überwachungsinstrumente erfolgen müssen. Bis heute ist nichts geschehen. Meines Wissens wurde dieses Gesetz auch unverändert verlängert.

Betrachten wir das Verfassungsgerichtsurteil zum Lauschangriff. In diesem Urteil wurden Grundsätze formuliert, die selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Ländergesetzgebung im präventiven Bereich haben, etwa bei der Wohnraum- und Telekommunikationsüberwachung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Umsetzung in Bayern erfolgt zögerlich bis gar nicht.

Im GPS-Urteil zum satellitengestützten Ortungssystem verlangt das Bundesverfassungsgericht von Strafgesetzgeber und Ermittlungsbehörden sichernde Maßnahmen gegenüber informationstechnischen Entwicklungen. Hierzu kenne ich nicht eine einzige Initiative der Staatsregierung. Die bestehenden Vorschriften zur Erhebung, Speicherung und Löschung von Daten sind lückenhaft, wie etwa bei der präventiven Telekommunikationsüberwachung – TKÜ –: Bei einer Regelung ist sogar noch davon auszugehen, dass sie hinsichtlich des Schutzes von Bürgerinnen und Bürgern schädlich sein wird. Viele Datenschutzregelungen greifen erst, wenn polizeiliche Maßnahmen erfolgt sind. Von einer Schrankensetzung ist hier keine Spur.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bereits im Februar dieses Jahres erfolgte die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichts zur Schleierfahndung, auf die ich gleich noch näher eingehen werde. Zuletzt gab es jetzt endlich ein von uns sehr begrüßtes Urteil zur Rasterfahndung mit Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Polizeigesetze durch die Länder bis hin zum Kennzeichen-Scanning. Ein Gesetzentwurf hierzu wurde von unserer Fraktion eingereicht. Ich frage mich, wie die Staatsregierung, deren Vertreter heute bei dieser wichtigen Debatte fehlen, mit diesem Urteil weiter zu verfahren gedenkt.