Protokoll der Sitzung vom 06.07.2006

Das LEP krankt daran, dass eine große Zukunftsaufgabe und Zukunftsherausforderung viel zu wenig beachtet wird, nämlich der demographische Wandel. Der demographische Wandel hat zwei Bestandteile. Ein Bestandteil ist der Rückgang der Bevölkerungszahl nach unten, das heißt ein Schrumpfen der Bevölkerung. Der zweite Bestandteil ist das Altern der Bevölkerung; der Anteil der älteren Mitbürger und Mitbürgerinnen wird in Zukunft deutlich größer. Sie haben im Ausschuss gesagt, wir stünden in Bayern noch relativ gut da; die Prognosen gingen bis zum Jahr 2020 in einigen Regionen sogar noch von einem kleinen Zuwachs aus, in Randbereichen von einer Schrumpfung. Das mag in Teilen so stimmen, wenn diese Prognosen richtig sind. Das heißt aber nicht, dass man sich dieser Zukunftsaufgabe nicht stellen müsste. Die Bevölkerung wird nämlich nicht nur in ein paar unbedeutenden Randbereichen schrumpfen, sondern auch in einigen größeren Bereichen, zum Beispiel in Ostbayern, Nordostbayern, in Oberfranken und im Hofer Raum, wo zum Teil die Bevölkerung jetzt schon schrumpft. Dort wird bis zum Jahr 2020 eine Schrumpfung von deutlich über 10 % vorhergesagt.

Das muss man angehen. Das Thema muss im LEP abgehandelt werden als Weichenstellung für die Zukunft. Das ist aus unserer Sicht nicht ausreichend geschehen. Hier geht es auch um Dinge wie den Erhalt der Infrastruktur in der Fläche.

(Reinhold Bocklet (CSU): Sie wollen doch die Infrastruktur zurückbauen!)

Nein. Wo denn? Nennen Sie mir doch einen Antrag, der darauf gerichtet ist, etwas zurückzubauen. Geben Sie „Butter bei die Fische“, Herr Bocklet. Ich fordere keinen einzigen Rückbau. Das werden Sie mir nicht belegen können, Herr Kollege Bocklet.

Der eine Punkt ist also die Schrumpfung der Bevölkerung in einigen Räumen und die Verstärkung der Disparitäten; denn in den Ballungsräumen gibt es immer noch Zuwächse. Die Lebensverhältnisse in den Ballungsräumen und auf dem fl achen Land werden sich in Zukunft

noch deutlicher unterscheiden als bisher. Da fehlen die Antworten. Dass Sie in das Landesentwicklungsprogramm schreiben, dass Sie das irgendwie beheben und gleichwertige Lebensbedingungen schaffen wollen, reicht nicht. Das haben Sie in der Vergangenheit nicht geschafft, und das schaffen Sie mit diesem Entwurf auch nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der zweite Punkt betreffend die demographische Entwicklung betrifft auch die Ballungsräume. Die Bevölkerung altert trotz eines gewissen Zuwachses. Auch darauf muss man reagieren. Es gibt Gutachten, die klar und deutlich sagen, dass wir in der Region München – Planungsregion 14 – ein überdurchschnittliches Anwachsen der Zahl der über 75-jährigen, also der sehr alten Bevölkerung, haben, die gemäß einer Vielzahl von Untersuchungen beispielsweise in dem Bereich, in dem ich tätig bin, nämlich dem Verkehr, ein ganz anderes Verhalten an den Tag legen als jüngere Menschen. Diese Alterungsprozesse gibt es auch auf dem fl achen Land. Es gibt Gutachten, die klar und deutlich aussagen, auf dem fl achen Land wird bis 2020 aufgrund der erwarteten Änderungen der öffentliche Personennahverkehr zusammenbrechen.

(Engelbert Kupka (CSU): Inlineskater!)

Nein, Herr Kollege, mit Sicherheit nicht. Auf die Gutachten, die in der Zeitschrift „Internationales Verkehrswesen“ – das ist wirklich eine anerkannte Zeitschrift – veröffentlicht sind, muss man eingehen. Da fehlen die Antworten in Ihrem Landesentwicklungsprogramm. Das werden wir immer wieder kritisieren und vorbringen; das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zu einer weiteren wichtigen Aufgabe für die Zukunft, von der ich sagen muss, hier haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht: Es fi nden sich viel zu wenige Antworten auf Fragen des Klimaschutzes, der Klimaveränderung und deren Auswirkungen. Das, was Sie im LEP stehen haben, ist völlig ungenügend; anders kann ich es nicht sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wer gestern in der gemeinsamen Sitzung von Umwelt-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsausschuss war, wo Herr Dr. Schnappauf die Interpellation der GRÜNEN zum Thema des Alpenraums behandelt hat und dabei sehr umfangreich und überraschend deutlich auf die Klimaveränderungen eingegangen ist, weiß, was Sache ist.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Ja, bärig!)

Ja, er hat uns gestern einmal keinen Bären aufgebunden. Er hat klar gesagt, kein ernst zu nehmender Wissenschaftler diskutiert mehr, ob es Klimaveränderungen gibt oder nicht. Das ist mittlerweile Fakt.

(Zuruf des Abgeordneten Reinhold Bocklet (CSU))

Herr Kollege Bocklet, ich gehöre dem Hause seit 1986 an. Ich kann mich noch an viele Debatten erinnern, in denen das von Ihrer Seite abgestritten worden ist und in denen unsere Vorschläge von Ihrer Partei abgelehnt worden sind. Sie hören das heute nicht mehr gern, aber das ist Fakt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Klimaveränderungen werden kommen. Neueste Forschungen zeigen auch, die Klimaveränderungen werden stärker ausfallen, als in der Vergangenheit vorhergesagt. Möglicherweise werden sie sogar stärker ausfallen, als selbst wir GRÜNE uns das haben vorstellen können. Darauf müssen wir uns einstellen. Herr Dr. Schnappauf hat gestern gesagt, nach Gutachten nehmen die Niederschläge im Alpenraum um ein Drittel zu. Das ist enorm. Diese Niederschläge verteilen sich nicht gleichmäßig über das Jahr, sondern konzentrieren sich auf bestimmte Jahreszeiten, in denen es ohnehin kräftig regnet und die Hochwassergefahr groß ist.

Was sind Ihre Antworten im LEP darauf? – Mehr Autobahnen und mehr Schneekanonen. Recht viel mehr Antworten fi nde ich in dem Entwurf des Landesentwicklungsprogramms nicht. Ich möchte einen Punkt aufgreifen und zitiere aus dem LEP, damit Sie sehen, dass ich nicht einfach überspitzte Formulierungen gebrauche. Auf Seite 25 des Entwurfs vom 14.02.2006 steht unter 3.3.1 zum Hochwasserschutz: „Die Erhaltung und Verbesserung der Rückhalte- und Speicherfähigkeit der Landschaft ist anzustreben.“ – Das ist nur ein Grundsatz, kein Ziel. Weiter: „Es ist von besonderer Bedeutung, Überschwemmungsgebiete von konkurrierenden Nutzungen, insbesondere von Bebauung, freizuhalten.“ – Kein Ziel, nur ein Grundsatz. – Die Verbindlichkeit ist nicht übermäßig klar festgelegt. Hier geht es aber um den Schutz von Eigentum auch der zukünftigen Generationen. Selbst wenn Sie die Ökologie völlig außer Acht lassen, müssen Sie den Schutz von Gebäuden sicherstellen.

Dann steht hier: „Es ist anzustreben, in natürlichen Rückhalteräumen die Bodennutzung auf die wasserwirtschaftlichen Anforderungen abzustimmen.“ – Auch das ist nur ein Grundsatz. Die von mir zitierten eminent wichtigen Punkte für den Hochwasserschutz hätten Sie als Ziele formulieren müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Grundsatz wird der Bedeutung und der Bedrohung, die die Klimaveränderung für uns mit sich bringt, nicht gerecht. Deshalb bleibe ich bei meiner Beurteilung: Sie haben den wesentlichen Punkt des Klimaschutzes und der Klimaveränderung nicht in dem Maß abgearbeitet, wie dies bei einer Änderung des Landesentwicklungsprogramms hätte sein müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das waren die zwei großen und wesentlichen Punkte unserer Kritik. Wie gesagt, wir haben 30 Änderungsanträge zu allen möglichen Punkten eingebracht, auf die ich in meiner Grundsatzrede nicht in aller Ausführlichkeit ein

gehen möchte. Wir werden uns dazu aber noch einige Male kurz melden. Wir haben Anträge zur Landwirtschaft, zum Verkehr, zum Transrapid und zum regionalen Luftverkehr eingebracht, aber auch zu sozialen Bereichen, zur Gerichtsversorgung und zum Erhalt der Infrastruktur in unserem Land. Wir haben uns bemüht, die Landesentwicklung in allen Bereichen voranzubringen.

Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen – vielleicht kann sich die CSU hier im Plenum bewegen –, nämlich auf die Landwirtschaft, und hier speziell auf das Leitbild der gentechnikfreien Landwirtschaft, welches wir mit unseren Anträgen im LEP verankert haben möchten.

(Sepp Ranner (CSU): Das ist nicht EU-konform!)

Abwarten. Ich bin bei meiner Einführungsrede am 7. März schon kurz darauf eingegangen und habe gesagt, wir wollen das Leitbild der gentechnikfreien Landwirtschaft. Bayern hat die Chance, zum Feinkostladen Europas zu werden; mit Gentechnik ist dies nicht möglich. Zwischenruf des Abgeordneten Thomas Kreuzer: „Das ist Betrug an der Menschheit!“

(Lachen bei den GRÜNEN)

Hören Sie sich dazu die Äußerungen der CSU in den letzten Wochen an. Früher war die grüne Gentechnik für Sie das A und O. – Ich muss kurz in meinen Zitaten suchen. Jetzt heißt es: „Derzeit sehe ich keinen Nutzen der grünen Gentechnik; die meisten Verbraucher wollen sie nicht; bei den Landwirten ist sie auch sehr umstritten.“

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Hört, hört!)

Herr Marcel Huber, Sprecher für grüne Gentechnik der CSU-Landtagsfraktion in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 29.06.2006. Eine erfreuliche Bewegung zumindest bei diesem Kollegen, wenn man sich überlegt, dass Herr Kreuzer noch am 7. März den Zwischenruf getan hat: „Das ist Betrug an der Menschheit!“ Vielleicht bewegen Sie sich einmal bei diesem Leitbild. Sie würden der Bevölkerung und insbesondere den Landwirten, die dieses Zeug ablehnen, sehr entgegenkommen, wenn Sie unserem Antrag folgen würden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben noch etliche Anträge zur Energiewirtschaft, zur Atompolitik und zum Themenkreis „Weg vom Öl“ gestellt. Vielleicht können Sie sich hier unseren Anträgen anschließen. Ganz aktuell: Wir hatten gestern einen Ölpreis von 75,40 Dollar pro Fass Öl, ein neues Hoch. Die Anstrengungen der Energiepolitik, weg vom Öl zu kommen – aus unserer Sicht auch weg von der Atomkraft –, müssen nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen verstärkt fortgeführt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch hier sollten Sie unseren Vorschlägen folgen. Wir haben das Thema schon in den Achtzigerjahren, in der 11. Legislaturperiode, immer wieder aufgegriffen und von der Endlichkeit der Ressourcen gesprochen. Manche von Ihnen haben uns gelegentlich auch verlacht. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem sich die Endlichkeit der Ressourcen abzeichnet und in eklatant gestiegenen Preisen niederschlägt, die letztendlich auch den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Trotz der Resolution und des Änderungsantrags der CSU ist das Landesentwicklungsprogramm aus meiner Sicht noch nicht verabschiedungsreif. Der Antrag, das LEP zurückzuziehen, steht noch zur Abstimmung. Wenn Sie dem nicht folgen, sehen wir uns leider gezwungen, den Entwurf des LEP abzulehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Rotter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es überrascht mich keineswegs, dass die Opposition das Verfahren und auch den Inhalt des vorgelegten Entwurfs heftig kritisiert. Stellen Sie Ihre Kritik doch nicht derart übertrieben dar; Sie werden dadurch auch nicht glaubwürdiger. Tun Sie doch nicht so, als ob bei jeder Fortschreibung ein völlig neues Landesentwicklungsprogramm geschaffen würde. Fortschreibung heißt Weiterentwicklung, Aktualisierung und hier ganz besonders Straffung, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das wird mit diesem Entwurf auch gemacht.

Der Maßstab dieser Straffung ist der Verzicht auf Doppelregelungen, der Verzicht auf überfachliche Ziele, deren Äquivalent wir in den Fachzielen fi nden, der Verzicht auf gebietsbezogene Ziele, die eine Mehrfachabsicherung bedeuten, der Verzicht auf nicht raumbedeutsame Ziele, der Verzicht auf das Ziel Gerichtsbarkeit, öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie der Verzicht auf Ziele, die nicht landesweit relevant sind.

Frau Kollegin Dr. Kronawitter, Sie haben darauf hingewiesen, dass ein Vorrang für den entwicklungsbedürftigen ländlichen Raum geboten sei. Sie haben ein paar Beispiele dafür gebracht, dass die Entwicklung des ländlichen Raums im Landesentwicklungsprogramm nicht so zu Ausdruck komme. Beim ÖPNV haben Sie diesen Hinweis wieder relativiert und daran erinnert, dass wir – übrigens nicht nur bei diesem Punkt – in der insgesamt 18stündigen Ausschussdebatte durchaus in vielen Punkten Einvernehmen erzielen konnten. Das geht jetzt bei Ihrer pauschalen Fundamentalkritik völlig unter. Fast allen Punkten in unserem Antrag mit den 32 Spiegelstrichen – ich weiß nicht, wie viele es genau sind, aber einer von der Opposition hat es gesagt – haben Sie doch zugestimmt. Wir waren doch nicht in jedem Punkt so weit auseinander. Das möchte ich hier ganz deutlich sagen.

Nun zu Ihren Beispielen. Bei den Kindergärten haben wir eine Kleinkindergartenregelung für eingruppige Kinder

gärten mit aufgenommen. Ich hätte mir gewünscht, dass dies auch für zweigruppige Kindergärten möglich gewesen wäre. Das ging aber aus fi nanziellen Gründen nicht, obwohl die Mittel, die dafür zur Verfügung stehen, sogar um 313 Millionen Euro aufgestockt worden sind. Sie bemängeln, dass Teilhauptschulen geschlossen und aufgelöst werden müssen, weshalb die Schule vor Ort nicht mehr gegeben sei. Ich glaube, es besteht immer noch die Forderung der SPD, Regionalschulen einzurichten. Dann aber müssten die Schüler noch sehr viel weiter fahren, als wenn wir uns künftig auf Vollhauptschulstandorte beschränken müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte im Wesentlichen auf den Verkehr und dabei auf einige Veränderungen eingehen, die gegenüber dem vorgelegten Entwurf vorgenommen worden sind. Wir wollten mit diesen Veränderungen ganz bewusst Missverständnissen oder Missdeutungen vorbeugen, dass Projekte, die nicht mehr enthalten sind, nun nicht mehr als bedeutsam angesehen werden. Auch wollten wir natürlich, dass neue Formulierungen nicht als Abschwächung gegenüber dem Wortlaut des Landesentwicklungsprogramms 2003 angesehen werden können. Aus diesem Grunde haben wir im Rahmen der Beratungen teilweise präzisere Formulierungen gefunden.

Zudem haben wir in unserer Resolution auf Drucksache 15/5486, die dem LEP beigefügt wird, die Staatsregierung aufgefordert, bei künftigen Teilfortschreibungen zu entscheiden, welche der dort aufgeführten Projekte beim Straßen- oder Schienenstreckenbau als neue Ziele in das Landesentwicklungsprogramm aufzunehmen sind. Beim Kapitel über den ÖPNV haben wir eine neue Ziffer 1.2.6 als Ziel angefügt, die im Übrigen wortgleich mit dem bisherigen LEP von 2003 ist. Dort heißt es nunmehr:

Der Eisenbahn- und sonstige Schienenverkehr soll als Grundangebot des ÖPNV ausgestaltet und das übrige Angebot darauf ausgerichtet werden. In den verkehrsfern gelegenen Räumen des Staatsgebietes soll der Eisenbahnverkehr Anschluss an die verkehrlichen Hauptachsen ermöglichen. In den großen Verdichtungsräumen soll das verkehrliche Grundangebot durch schienengebundene Nahverkehrsmittel gebildet werden.