Protokoll der Sitzung vom 18.07.2006

denn dieser Bildungsbericht hat die Studie der GRÜNEN, die wir schon vor zwei Jahren vorgestellt haben, eigentlich bestätigt. Das Resümee aus diesem Bildungsbericht und aus unserer Studie lautet: Der Bildungserfolg in Bayern ist eben nicht davon abhängig, was ein Schüler kann und was er im Köpfchen hat, sondern vom Geldbeutel und von der Bildung der Eltern, vom Wohnort und von der Tatsache, ob seine Eltern eingewandert sind oder nicht.

In Bayern gilt nach wie vor der Satz: „Zeig mir das Bankkonto deiner Eltern, sag mir, wo deine Eltern wohnen, dann sage ich dir deine Chancen voraus.

(Unruhe bei der CSU)

Wenn mindestens ein Elternteil nicht hier geboren ist, dann geht es dir noch schlechter als den anderen.“ – Das ist das Resümee des bayerischen Bildungsberichts.

Die eigentliche Tragödie an der Geschichte – und die setzen Sie gerade fort – liegt darin, dass Sie das hätten wissen können und wissen müssen, zuletzt vielleicht mithilfe unserer Studie. Sie verschließen immer wieder die Augen vor den Löchern an Bayerns Schulen in puncto Gerechtigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aus meiner Sicht sind Sie da sehr resistent, obwohl die Erkenntnisse eine andere Sprache sprechen und den Skandal dieser Geschichte deutlich machen. Wenn Sie alles nur wieder schönreden, dann könnten wir den Bildungsbericht zu den Akten legen. Aber das möchte ich nicht.

Der Bildungsbericht bestätigt die Ergebnisse, zu denen die GRÜNEN gekommen sind. Wenn Sie schon vor zwei Jahren auf uns gehört hätten, wären wir in puncto Gerechtigkeit jetzt schon sehr viel weiter. Dass wir dies nicht sind, haben Sie zu verantworten. Mir tut das persönlich Leid.

Über den Bericht möchte ich diese Überschrift setzen: Gerechtigkeit ist ein Gebiet, zu dem bayerische Kinder keinen Zugang haben.

Herr Waschler, Sie haben immer wieder gesagt, das System sei durchlässig. Ich halte Ihnen aber nun – ich habe das im Ausschuss schon einmal überschlagsmäßig festgestellt – die Wanderungsbewegungen nach oben vor. Sie können nämlich auf Seite 111 zusammenzählen, wie viele Schüler an die nächsthöhere Schulart wechseln. Es sind 1,42 %. Deshalb können Sie mitnichten davon sprechen, dieses System sei durchlässig.

Wenn Sie die Durchlässigkeit immer wieder betonen, räumen Sie eigentlich ein, dass die Selektion nach der vierten Klasse existiert, dass es bei dieser Selektion Fehler gibt und der gesamte Wirrwarr an Schullaufbahnen – ich habe neun gezählt –, der nach der vierten Klasse kommt, eigentlich nur dem Bestreben dient, den Selektionsfehler auszumerzen. Diese Verhaltensweise nenne ich schizophren.

Wir brauchen keine verschlungenen Pfade, die Durchlässigkeit vorgaukeln. Wir brauchen – da nenne auch ich eine Quelle aus der „Zeit“, Herr Kollege Waschler, nämlich den ehemaligen Ministerpräsidenten von BadenWürttemberg Lothar Späth – eine längere gemeinsame Schulzeit, die den Schülern Zeit gibt, sich zu entwickeln und ihre Talente zu entfalten; denn es gibt nur selten den Einheitsschüler, von dem Sie ausgehen, bei dem man schon dann, wenn er zehn Jahre alt ist, vorhersagen kann, ob er später einmal in der Lage sein wird zu studieren oder nicht.

Für die Kolleginnen und Kollegen, die am Donnerstag nicht im Bildungsausschuss gewesen sind – zum Beispiel Herr Kollege Herrmann –, habe ich ein paar Zahlen mitge

bracht, mit denen ich deutlich machen will, was in diesem System nicht stimmt.

Die Übertrittsquote ans Gymnasium beträgt in kreisfreien Städten 42,2 %, in den Landkreisen 32,9 %. Hier klafft also eine sehr große Lücke. Im Bericht heißt es dazu – ich zitiere –:

Das Übertrittsverhalten wird unter anderem auch durch die wirtschaftliche Lage einer Region beeinfl usst. Es besteht ein mittelstarker Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und den Übertrittsquoten an Hauptschule und Realschule.

Man muss einmal einen Zeitreihenvergleich zwischen 1989/90 und 2002/03 machen. Da ist nämlich noch ein anderer wichtiger Umstand bemerkenswert. In Bayern tut sich nichts zum Zwecke der Schließung der Gerechtigkeitslücken. Die Cluster mit hohen Übertrittsquoten sind stark geblieben, während die schwachen Cluster schwach geblieben sind. Es gibt wenig Dynamik aufseiten derer, die früher eine schlechte Übertrittsquote hatten. Die Ursache dafür, Herr Waschler, ist Ihr Schönreden. Es verhindert nämlich, dass sich die schlechten Cluster zum Guten entwickeln können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie die Probleme des bayerischen Bildungssystems weiterhin schönreden, dann gestehen Sie ein, dass Sie dem ländlichen Raum die Chancen nehmen wollen. Der ländliche Raum ist doch benachteiligt. Sie sprechen zwar davon, den ländlichen Raum stärken zu wollen, aber das ist dann nur eine hohle Sprechblase.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Waschler, Sie haben eben der Hauptschule gratuliert. Im Schuljahr 2003/04 beendeten 9,7 % der Schüler die Hauptschule ohne Abschluss. Das geht aus dem bayerischen Bildungsbericht hervor. Dazu kann man nicht gratulieren, sondern nur sein herzliches Beileid aussprechen. Wenn Sie vor dieser Zahl nach wie vor die Augen verschließen, dann wird sie sich auch nicht ändern.

Ich treffe eine letzte Feststellung. Ausländische Schüler sind stark benachteiligt. An der Realschule sind sie überrepräsentiert, am Gymnasium unterrepräsentiert. Während von der Gruppe deutscher Jugendlicher 20 % eines Altersjahrgangs das Abitur ablegen, sind es bei den ausländischen Kindern nur 6,6 %.

Zu den Testleistungen zitiere ich wieder aus dem Bildungsbericht:

Die Unterschiede sind nicht nur statistisch signifi kant, sondern auch so groß, dass sie inhaltlich bedeutsam sind.

Da können Sie mir nicht erzählen, alles sei in Butter.

Ähnliches gilt für die Testleistungen der Kinder, wenn man sie in Gruppen nach dem Beruf der Eltern einteilt. Im Bildungsbericht steht, diese Effekte seien für alle Tests statistisch signifi kant und bedeutsam. Das heißt: reiche Eltern, gute Leistungen. Ich halte es allerdings schon ein bisschen für problematisch, wenn Sie die ganze Schuld an Benachteiligungen auf den familiären Hintergrund schieben. Wenn wir wissen, wie die Tatsachen sind, dann ist der Staat dazu aufgefordert, die Gerechtigkeitslücke zu schließen, damit den betroffenen Kindern geholfen wird.

Die GRÜNEN haben schon sehr häufi g Aktionspläne vorgelegt, wie man ein gerechteres Schulsystem herstellen kann. Aber Sie haben die Pläne immer wieder abgelehnt. Für einen weiteren Bildungsbericht lässt sich nichts Gutes erahnen, wenn Sie vor den Tatsachen weiterhin die Augen verschließen.

Ich will Ihnen trotzdem die längere gemeinsame Schulzeit ans Herz legen. Wir können von unseren skandinavischen Nachbarn lernen. Wir sollten ein System etablieren, das zwei Bedingungen erfüllt. Bayern erfüllt beide nicht. Wir GRÜNEN wollen erstens ein leistungsorientiertes System. Zweitens wollen wir ein sozial gerechtes System. Dazu brauchen wir mehr Ganztagsschulen. Der Bildungsbericht hat dafür die Zahl von 5 % genannt. Das ist zu wenig. Ungerecht ist es auch, wenn der größte Teil des Geldes für Ganztagsschulen an Gymnasien fl ießt. Damit wird die Ungerechtigkeit verstärkt.

Wir brauchen mehr Schulsozialarbeit und mehr Lehrer, um in kleineren Klassen individuell fördern zu können. Dazu brauchen wir im neuen Haushalt mit Sicherheit mehr Geld. Die Kinder, die etwas im Köpfchen haben, auf dem Land wohnen und vielleicht nicht so reiche Eltern haben, haben genau diese Investitionen verdient. Für diese stehe ich hier und kämpfe weiter. Ich hoffe, dass Ihre Resistenz bezüglich der Erkenntnisse aus einem Bericht Ihres eigenen Ministeriums eines Tages zusammenbricht. Auf diesen Tag freue ich mich sehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Pranghofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Waschler, so ganz trauen Sie Ihrer eigenen Bildungspolitik wohl nicht, sonst hätten Sie hier eigentlich aus Ihrem Bildungsbericht zitieren können.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Sie haben lediglich aus andern Studien zitiert, und ich denke, da haben Sie nur das herausgelesen, was Sie lesen wollten.

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Warten Sie nur ab, Frau Kollegin!)

Sie sollten den Bildungsbericht durchaus studieren; denn in diesem Bericht ist klar und deutlich zu erkennen, dass sich an der Schiefl age, vor allen Dingen an der sozialen Schiefl age, nichts geändert hat. Das Einkommen, der Wohnort, die Herkunft und das Geschlecht spielen eine Rolle, in diesem Fall sind es die Jungs, auch das Geschlecht hat also sozusagen immer noch Einfl uss auf den Bildungserfolg.

Wenn Sie den Bildungsbericht lesen, werden Sie feststellen, dass wir eine durchaus gefährliche Entwicklung bei den Übertrittsquoten haben. Ich weise Sie noch einmal darauf hin – ich habe das bereits im Bildungsausschuss getan –, dass vor allen Dingen in den kreisfreien Städten die Übertritte an das Gymnasium und an die Realschulen zurückgehen. Gegenüber den Landkreisen haben wir in den Städten zwar immer noch eine relativ hohe Übertrittsquote, aber wenn wir den längerfristigen Vergleich im Bildungsbericht ansehen, entdecken wir einen Rückgang der Übertrittsquoten in den Städten an die Gymnasien sowie einen Anstieg in der Hauptschule. Diese Dinge müssten uns bewegen, einmal darüber nachzudenken, was wir konkret dagegen tun können.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass die Talente besser gefördert werden, und wir messen das durchaus auch an den Übertrittsquoten. Da werfen Sie uns stets vor, dass wir den Übertrittserfolg der Schüler immer nur an diesen Quoten messen würden und damit sozusagen den Hauptschüler schlecht redeten.

Abgesehen davon, dass nicht wir es waren, die die Hauptschule zur Restschule degradiert haben, sondern Sie mit Ihrer R-6-Entscheidung,

(Beifall bei der SPD)

möchte ich doch festhalten, dass es sich nicht um ein persönliches Messergebnis handelt, wenn wir von der Übertrittsquote reden; denn wir messen nicht, ob es sozusagen der Grundschüler persönlich an das Gymnasium, an die Realschule oder die Hauptschule schafft, sondern für uns ist die Übertrittsquote vielmehr die Messlatte der Leistungsfähigkeit einer Schule. Genau diese Messlatte legen wir an und sagen: Das Ergebnis, das wir in Bayern mit den Übertritten an das Gymnasium oder an die Realschule erreichen, reicht uns nicht aus. Da gibt es zu viele Talente der Kinder an den Schulen, die wir nicht ausreichend fördern.

(Eduard Nöth (CSU): Was ist denn das für eine Messlatte?)

Herr Nöth, das ist unsere Messlatte; wir wollen die Leistungsfähigkeit des Schulsystems als solches bemessen.

Ein weiterer Punkt, den ich auch noch ansprechen möchte, ist die Durchlässigkeit im Schulsystem. Das ist doch Ihr Hauptargument für die Beibehaltung des jetzigen Schulsystems. Ihr neues Schlagwort lautet: „Kein Abschluss ohne Anschluss.“ Dieses Schlagwort benutzen Sie zurzeit sehr gern, und dazu kann man nur sagen:

bravo! Was macht denn dann der Hauptschüler, der keinen Ausbildungsplatz bekommt? Was macht denn der M-Klassen-Schüler, der an die Fachoberschule will? – Sie können doch dem M-Klassen-Schüler nichts von Durchlässigkeit erzählen, wenn Sie gleichzeitig an den Fachoberschulen die Türen durch den Aufnahmestopp und eine Verschärfung der Noten zuschließen und dadurch, dass Sie ihn einfach nicht genug fördern, wenn er überhaupt an die Fachoberschule gelangt.

(Beifall bei der SPD)

Bei dieser von Ihnen so propagierten „Durchlässigkeit“ müssen Sie sich schon fragen lassen, wie Sie die Platzkapazität für diese Schüler schaffen wollen. Ich denke, das alles ist ein Zeichen dafür, dass es diese Durchlässigkeit in Wirklichkeit nicht gibt. Es ist sozusagen theoretisch alles möglich, aber in der Praxis scheitern die jungen Menschen an der Hürde des Nichtangebots der Schulen.

Das ist auch nicht so zu werten, als ob es sich hier um einen erfüllten Bildungsanspruch handelte. Einem Gymnasiasten gewähren wir sozusagen bis zum Abitur, dass er beschult wird und seine Hochschulreife erreicht. Der Hauptschüler hat keinen derartigen Anspruch. Das Bildungsinteresse für die Fachoberschule und die Berufsoberschule ist sehr groß, aber Sie verschaffen den Grundschülern und Grundschülerinnen die Möglichkeit des Übergangs nicht.

(Beifall bei der SPD)

Das ist in unseren Augen keine bildungsgerechte Lösung; die von Ihnen propagierte Durchlässigkeit ist eine vorgegaukelte Durchlässigkeit. Sie ist keine Lösung für die Schülerinnen und Schüler.