Protokoll der Sitzung vom 19.07.2006

(Beifall bei der SPD)

Die Politik darf die engagierten jungen Leute nicht alleine lassen. Die derzeitige Politik geht aber oftmals eher in die entgegengesetzte Richtung. So werden wir unsere Gesellschaft in ein paar Jahren nicht mehr erkennen.

Die Experten in der Enquetekommission haben auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich durch das G 8 schon jetzt abzeichnet, dass die Belastung der Schülerinnen und Schüler sich verschärft. Dies wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zulasten ehrenamtlich gesellschaftlichen Engagements führen. Deswegen fordere ich die Staatsregierung schon heute auf, diese Folgen des G 8 objektiv wissenschaftlich untersuchen zu lassen, wenn sie ihre Politik schon nicht verändern will. Leider können wir von der Enquetekommission diesen Arbeitsauftrag nicht leisten.

Als zentrale Probleme der bayerischen Bildungspolitik wurden von verschiedenen Seiten in der Enquete der frühe Zeitpunkt der Selektion und infolgedessen die Problemverdichtung in den Haupt- und Förderschulen diskutiert.

In der nächsten Sitzung steht ein weiteres Problemfeld an, nämlich die für eine wachsende Zahl junger Menschen extrem schwierige Situation beim Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf bzw. die Berufslosigkeit und die ebenfalls wachsende Zahl gesellschaftlich und berufl ich nicht integrierter junger Menschen. Das ist nach der Ansicht der gehörten Experten und wahrscheinlich auch derer, die wir noch hören werden – das ist jetzt allerdings gemutmaßt –, ein erheblicher sozialer Sprengstoff.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Wir sehen in der Arbeit der Enquetekommission ganz klar, dass hier die größte Herausforderung unserer Zeit liegt, eine Herausforderung, die nur angenommen werden kann, wenn es endlich ein Top-Thema auf der politischen Agenda wird. Die praxiserprobten Maßnahmen sind bekannt. Wo immer wir mit der Enquete vor Ort Gespräche geführt haben, war klar, was zu tun ist und was erfolgreich ist. Und es ist auch klar, wie die Landespolitik hier gefordert ist. Es geht eben nicht um Biotope für die Haselmaus, sondern um die Lebenswelt und die Zukunftschancen einer ganzen Generation von Bayern.

(Beifall bei der SPD – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Aber nicht das eine gegen das andere ausspielen! – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Jetzt hat er richtig reingehauen!)

Entschuldigung, ich wollte der Haselmaus nicht zu nahe treten.

(Erneute Zurufe und Heiterkeit)

Ich denke, die Enquetekommission kann Ihnen zwar nicht für die Haselmaus, aber für die Jugendlichen ein Gesamtkonzept bieten.

Wenn uns die Mehrheitsfraktion eine ausreichende Finanzierung zusagt, kann Ihnen die Enquetekommission das Konzept sogar selbst schreiben. Sie könnten sogar Geld sparen; denn wir haben in der Enquetekommission feststellen können, dass in den Ministerien auch gute Fachleute sitzen, die dieses Konzept selbst schreiben könnten, es teilweise sogar schon im Kopf haben. Vielleicht dürfen Sie das noch nicht, weil die Realisierung schon mit Geld verbunden wäre. Es geht schlicht und einfach um die Unterstützung der Kooperation von Jugendhilfe und Jugendarbeit mit Schule, um Schulsozialarbeit und Schulpsychologen, um den Ausbau der Ganztagsschulangebote und um die außerschulische Jugendbildung.

Lassen Sie mich zuletzt noch anmerken – Bernd hat das auch schon getan –, dass wir in diesem Zusammenhang noch einen Blick auf das Thema „Geschlechterrollen“ werfen müssen. In Schule und Bildung geht es immer auch um die Frage der Koedukation: Was hat sie gebracht? Wie geht die Schule damit um? Wie sind die Geschlechterrollen von Mädchen und Jungen in der Schule? Bernd hat gesagt, wir hätten uns beim Kapitel Bildung bereits damit beschäftigt. Der Fokus war aber auf Zahlen und Daten gerichtet. Er hat die Zahlen genannt, die zeigen, wie enorm die Mädchen aufgeholt haben. Sie stellen die Mehrheit der Abiturienten und haben auch noch einen besseren Notendurchschnitt. Wir müssen aber auch untersuchen, wie sich die Geschlechterrollen in der gesamten Gesellschaft verändert haben. Haben die Frauen deswegen mehr Führungspositionen? Ist der Anteil der Professorinnen gestiegen, und wie sieht es mit den Gehältern aus? Das wird in Zukunft eine spannende politische Diskussion werden.

Ich möchte auch noch in die Kerbe der Jungen-Benachteiligung hauen. Das ist uns auch aufgefallen. Nachdem wir uns mit dem Thema der Geschlechterrollen und des Verhältnisses der Geschlechter auseinander gesetzt

haben, wird es spannend sein zu sehen, wie es tatsächlich um die Benachteiligung von Jungen steht und welche Konzepte wir in schulischer und außerschulischer Bildung dagegen anbieten können und wollen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Was heißt Jungen-Benachteiligung? Alle drei Redner sind männlich!)

Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass die Enquetekommission eine Vielzahl von Themen abdeckt, die uns herausfordern. Wir werden in den nächsten zwölf Monaten – von einem solchen Zeitraum gehe ich aus – noch eine Reihe anderer Themen vertiefen, die ebenso Handlungsoptionen für die Politik eröffnen. Als nächste Themen stehen an Jugend, Ausbildung und Beruf, Jugendkultur, Medien, Gesundheit, Jugendschutz, Jugendliche mit Migrationshintergrund und vor allem die Geschlechterrollen. Das alles ist zu bewältigen.

Anschließend muss auch etwas politisch umgesetzt werden. Das geht nur, wenn sich darauf alle Kräfte konzentrieren. Die politischen Kräfte in Bayern müssen sich endlich auf die Zukunftsperspektive der jungen Leute konzentrieren, und zwar nicht irgendwie, sondern mit einer klaren Zielsetzung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns Bayern zum kinder- und jugendfreundlichsten Land in Europa machen!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Mütze.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Von wegen Benachteiligung der Buben – lauter männliche Redner!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Förster, die Aussage zur Haselmaus war ein Eigentor; Sie wissen es. Die Grundlage allen Lebens, auch des jungen Lebens, ist eine intakte Natur. Die Haselmaus war vielleicht nur ein Beispiel für intakte Natur. Sie ist aber genauso wichtig wie Sie und ich.

(Joachim Herrmann (CSU): Na, na!)

Deswegen war das vielleicht nicht so angebracht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine beiden Kollegen haben schon viel über Form und Inhalt der Enquete-Kommission „Jungsein in Bayern“ gesagt. In der verbleibenden Zeit möchte ich das um die GRÜNE Sicht der Dinge ergänzen. Schließlich haben wir damals den Fragenkatalog gemeinsam erarbeitet. Jede Fraktion hatte ihre eigene Sichtweise auf dieses Thema. Rückblickend gesehen war das auch richtig; denn so wurde das Thema vollständig abgedeckt. Unser Katalog wurde ausführlich.

Das führt zu meiner ersten Feststellung: Wir sind noch lange nicht fertig. Die postulierten eineinhalb Jahre der Bearbeitung waren doch etwas zu kurz gegriffen. Ich halte das allerdings nicht für einen Fehler der Kommission. Es hat sich einfach gezeigt, dass die Themen so komplex sind, dass noch so viele Themen auf uns zukommen, die bearbeitet werden müssen, dass wir in der vorgesehenen Zeit nicht fertig werden. Wenn wir das Thema ernst nehmen, ist einfach mehr Bearbeitungszeit nötig. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Legislaturperiode damit fertig werden können, sodass wir in der nächsten Legislaturperiode an die Realisierung der Ergebnisse gehen können.

Wenn wir die Jugend betrachten, ist das ein Blick auf uns selbst. Die Wissenschaft sieht die Jugend als politischen Seismographen unserer Gesellschaft, ob es jetzt um Wahlmüdigkeit oder Wertevorstellungen geht. Die Ergebnisse unserer Untersuchung weisen also auf konkrete Probleme hin, die es zu lösen gilt.

Was sehen wir also? – Jungsein in Bayern ist keine einheitliche Lebenslage. Es gibt nicht die Jugend in Bayern. Das ist einer der zentralen Punkte. Kindheit und Jugend sind zunehmend zu eigenständigen Lebensphasen geworden, die vielen Prozessen unterworfen sind, ob es sich nun um Globalisierung, weltweite Kommunikation, Mobilität, Migration oder die Vielfalt der Lebensumstände, Weltbilder und Lebensstile handelt. Die Jugendenquete hat nun das Anliegen, die Lebenssituation, die Wünsche und die Realitäten des Aufwachsens der Kinder und der Jugendlichen in Bayern zu beleuchten, um dann gezielt politisch handeln zu können.

Was sind die Ergebnisse dieses Ausleuchtens? – Die Jugend hat ihre eigenen Wertvorstellungen, und – oh Wunder! – sie unterscheiden sich wenig von denen der Erwachsenen. Unter dem Eindruck der sich schnell ändernden Gesellschaft sind Werte wie Sicherheit, Ordnung und Gemeinschaft wieder wichtig geworden. Ein Halt wird gesucht, ein fester Punkt, von dem aus man Entwicklungen begegnen kann. Zudem zeigt sich eine Zunahme sozialer Werte. Das widerspricht ganz deutlich dem Bild einer verantwortungslosen Jugend, wie es oft in den Medien gezeichnet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir haben es nicht mit einer egoistischen Jugend zu tun; auch das ist hier heute festzustellen. Die Jugendlichen sind sehr wohl leistungsbereit und blicken zum überwiegenden Teil mit kritischem Optimismus in die Zukunft. Die in den letzten Jahren stetig wachsenden Freiräume junger Menschen und ihre Chancen, über die eigene Lebensgestaltung frei zu entscheiden, trugen dazu bei, dass Phänomene wie die Verlängerung der Bildungszeit und der Verbleib in der elterlichen Wohnung zunehmen. Außerdem wird eine zunehmende Orientierung an den Normen und Verhaltensweisen von Gleichaltrigen – meine beiden Vorredner haben die Peer-Group angesprochen – immer wichtiger. Es fällt auf, dass die Wertevorstellungen sehr stark vom Bildungsstand abhängig sind, weit mehr als von der regionalen Herkunft oder vom Migrationshintergrund.

Worüber wir nicht gesprochen haben, ist das Eingehen auf die Ängste von Jugendlichen, zum Beispiel vor Arbeitslosigkeit. Wie beeinfl ussen solche Ängste Jugendliche bei ihren Einstellungen? Welche Folgen hat das für ihre persönliche Entwicklung? Neigen sie deswegen zu Radikalisierung? – Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wenn sich mein zwölfjähriger Sohn Gedanken über eine Lehrstelle und sein persönliches Fortkommen macht – mit zwölf! –, dann läuft meiner Meinung nach etwas falsch in diesem Land.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nach meiner Erinnerung habe ich in meiner Jugendzeit nach Fröschen gesucht.

(Zurufe von den GRÜNEN: Nach Haselmäusen!)

In der Schule habe ich mein Möglichstes getan. Ich will mich da nicht loben; so toll war das nicht. Ganz sicher habe ich nicht daran gedacht, ob ich irgendwann einmal einen Ausbildungsplatz bekommen werde. Mit zwölf war das damals einfach kein Thema.

(Zustimmung des Abgeordneten Franz Maget (SPD))

Das Beispiel meines Sohnes zeigt mir, dass das heute bei unseren Kindern und Jugendlichen ganz anders ist.

(Zuruf des Abgeordneten Franz Maget (SPD))

Die anderen haben mich nicht genommen, Herr Maget. – Unsere Kinder haben sehr wohl schon früher Angst vor der Zukunft; denn die Jugend sieht sich heute mit ganz anderen Anforderungen als in der Vergangenheit konfrontiert. Jugendpolitik, also das, was am Ende der Arbeit der Enquetekommission herauskommen soll, hat diese Unterschiedlichkeit zu beachten.

Kolleginnen und Kollegen, alle Jugendlichen müssen bessere Chancen für einen gerechten Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Dies erfordert – das konnten wir in der Enquetekommission häufi ger feststellen – deutlich bessere Rahmenbedingungen in der Bildung und, wie wir beim nächsten Punkt wahrscheinlich auch feststellen werden, im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Es wäre ein Armutszeugnis für Gesellschaft und Politik, wenn sie die Jugend vor Chancen- und Perspektivlosigkeit stellt. Die Enquetekommission hat daher nach meiner Meinung den klaren Auftrag zu zeigen, unter welchen Rahmenbedingungen Jugendliche Benachteiligung erfahren. Kein Kind, kein Jugendlicher darf uns verloren gehen, alle Potenziale müssen genutzt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen zumindest versuchen, das für alle Jugendlichen zu ermöglichen. Leider ist bei unseren bisherigen Untersuchungen nur zu deutlich erkennbar, dass gerade Jugendliche aus bildungsfernen Schichten, Jugendliche mit Migrationshintergrund und auch junge Frauen ver

stärkt benachteiligt werden. Warum gibt es so viele Migranten und Migrantinnen ohne Schulabschluss? Warum ist ihr Anteil in der Jugendarbeit so gering? Warum sind junge Frauen immer noch benachteiligt, obwohl ihre Abschlüsse und Leistungen eine andere Sprache sprechen? – Auf diese Fragen haben wir bisher noch keine Antworten erhalten.

Der erste Kritikpunkt an der Enquetekommission ist deshalb auch, dass die in der Präambel der Enquetekommission festgestellten Querschnittsthemen in der Bearbeitung etwas untergehen. Wir müssen genauer hinsehen, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht. Wir müssen genauer hinsehen, wenn es um junge Migrantinnen und Migranten geht. Eine Unterteilung in städtische und ländliche Lebenswelten in Bayern reicht eben nicht aus.

(Bernd Sibler (CSU): Diese Themen kommen aber noch!)

Sicher. Ich sage auch gleich noch etwas dazu, Herr Kollege Sibler.

Was auch fehlt, ist der Umgang mit dem demographischen Wandel. Herr Kollege Sibler ist zwar vorhin darauf eingegangen, aber in der Enquetekommission war uns noch nicht klar, wie wir darauf reagieren, dass bei uns die Zahl der Schülerinnen und Schüler langfristig um fast 20 % zurückgeht. Hier sollte auch die Enquetekommission perspektivisch arbeiten und Reaktionsmöglichkeiten aufzeigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einige Punkte, die wir bis jetzt behandelt haben, besonders beleuchten. Hier ist zum einen die Partizipation junger Menschen zu nennen. Viele sind bereit, sich zu engagieren. Auch für mich war es verblüffend, zu sehen, dass die Bereitschaft zum Engagement kaum weniger geworden ist. Allerdings richtet sich die Bereitschaft weniger auf die Organisationen und Handlungsformen, die wir kennen, sondern eher auf Bereiche, die institutionell wenig verfestigt sind und deshalb stärker von den Jugendlichen selbst mitbestimmt werden können.

Das Engagement junger Menschen in traditionellen Organisationen und Vereinen ist auch stark geschlechtsspezifi sch geprägt. Wenn Sie die Sportvereine, die bei diesen Organisationen die Mehrheit bilden, kennen, dann wissen Sie, wovon ich spreche. Gerade in den Sportvereinen ist das männliche Engagement größer als das weibliche. Hier haben wir es versäumt, genauer hinzusehen, warum das so ist. Auch nicht hinterfragt wurde bisher der Fakt, dass gerade junge Frauen viel Sympathie für die neuen sozialen Bewegungen hegen. Auch hier ist wiederum das Bildungsniveau entscheidend für politisches Interesse und Kompetenz sowie für das Ausmaß des Engagements. Einfach gesagt: Gymnasiast engagiert sich häufi ger als Hauptschüler.