Protokoll der Sitzung vom 19.07.2006

Selbst die „Süddeutsche Zeitung“, der übertriebenen Nähe zur CSU wirklich unverdächtig, schrieb gestern – ich zitiere: „Grüne und Sozialdemokratie halten es“ – ich ergänze: inzwischen – „nicht mehr für einen Ausbund an Nationalismus, von Zuwanderern Deutschkenntnisse zu verlangen.“ – Herzlichen Glückwunsch! Wir freuen uns, wenn Sie gescheiter werden. Aber wir würden uns auch freuen, wenn es das nächste Mal ein bisschen schneller ginge.

(Beifall bei der CSU – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Das wünschen wir Ihnen schon lange! – Weitere Zurufe von der SPD)

Denn Ihre ideologische Verbohrtheit tragen Sie auf dem Rücken der Migrantenkinder aus,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist die Höhe! – Weitere Zurufe von der SPD)

und Sie bringen sie damit um ihre Chancen. Dieses Verhalten war über Jahre und Jahrzehnte hinweg integrationsfeindlich.

Ich komme zum Vorwurf von Frau Kollegin Tolle in der Ersten Lesung, die Integration sei uns kein Anliegen, sonst hätte die Bundesregierung die Mittel nicht um 60 Millionen Euro gekürzt.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfaffmann?

Nein, die erlaube ich nicht.

Was diesen Vorwurf betrifft, habe ich mir gedacht: Hoppla, das kann ja nicht sein, man kann nicht für Integration sein und gleichzeitig die Mittel kürzen. Ich habe mich informiert, und dies hätten auch Sie tun sollen: Der Haushaltsansatz 2005 für die Integrationskurse war 208 Millionen Euro, der Haushaltsansatz 2006 beträgt tatsächlich ca. 60 Millionen Euro weniger. Was Sie aber nicht gesagt haben, ist: Die Summe für 2005 war geschätzt. Tatsächlich abgerufen wurden 2005 58,5 Millionen Euro. Deswegen hat es aus Gründen der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit eine Anpassung gegeben. Und sollten tatsächlich mehr Mittel benötigt werden, gibt es eine verbindliche Zusage des Bundesinnenministers, dass diese Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Frau Kollegin, insofern muss ich Ihnen sagen: Man kann mit der Wahrheit auch etwas Falsches aussagen – ich hoffe nicht, wider besseres Wissen, sondern hoffentlich nur aus Unkenntnis.

Darüber hinaus wird eine Mitteilungspfl icht der Schulen gegenüber den Ausländerbehörden eingeführt. Ziel ist es, gegenüber den Erziehungsberechtigen integrationsfördernde Maßnahmen zu ermöglichen. Wir müssen die Pfl ichten bei den Eltern stärker als bisher einfordern. Unser Grundsatz heißt hier: Fördern und Fordern, und zum Fordern gehört auch, dass wir uns darum kümmern, dass die Forderungen auch eingehalten werden.

Zum Thema Ordnungsmaßnahmen: Unser Ziel ist die Stärkung von Erziehung und Disziplin an den Schulen sowie die Sicherstellung, dass die lernwilligen Schülerinnen und Schüler vor nachhaltiger Unterrichtsstörung und insbesondere vor Gewalttätern geschützt werden. Wenn Gewalttäter und Störer die Grenzen überschreiten, hilft hier kein Herumgeeiere, sondern nur, dass man es klar anspricht und dass es klare Konsequenzen hat. Dazu brauche ich nicht irgendwelche Vorwürfe, dies sei nur Ordnungspolitik;

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

denn Bildung ist keine Ordnungspolitik, auch für uns nicht. Bildung und Erziehung haben aber selbstverständlich auch etwas mit Ordnung und dem Einhalten von Grenzen zu tun.

Wir freuen uns, wenn das in den Familien gelernt wird. Aber wichtig ist, dies auch in der Schule zu lernen und zu erfahren. Das ist nicht zum Nachteil der Kinder, sondern es liegt in ihrem Interesse, Grenzen zu erfahren und einzuhalten, und zwar bevor es zu spät ist. Das ist Hilfe. Es bringt nichts, einfach wegzuschauen.

Dies ist in ein Gesamtkonzept eingebettet. Es ist erstaunlich, dass man so etwas immer wieder extra betonen muss. Selbstverständlich gibt es – wir haben oft genug im Ausschuss, aber auch im Plenum darüber debattiert – ein Gesamtkonzept aus präventiven und pädagogischen Maßnahmen und Ordnungsmaßnahmen. Ein Ausbau der pädagogischen Maßnahmen und der Schulsozialarbeit ist ja bereits beschlossen. Das Programm haben Sie genannt. Wir wollen, dass das Programm zügig umgesetzt wird.

Aber wir brauchen auch eine Ergänzung der Ordnungsmaßnahmen, die am Schluss stehen. Ich möchte es betonen: Schulausschluss und Verkürzung der Schulpfl icht stehen nicht am Anfang, sondern am Ende, wenn alle Förder- und Ordnungsmaßnahmen nicht gegriffen haben, als Ultima Ratio. Sie fi nden auch nur dann statt, wenn die Träger der örtlichen Jugendarbeit zustimmen. Insofern kann ich die Kritik der kommunalen Spitzenverbände nur bedingt verstehen. Sie haben es in der Hand, das Einvernehmen zu verweigern.

Es handelt sich um Einzelfälle. Diese Einzelfälle haben an der Schule nichts verloren. Ich fi nde es seltsam, wenn man nebulös fordert: Wir brauchen ein pädagogisches Konzept. Schauen wir uns an, wie es in der Praxis läuft.

Mit den Gewalttätern, also mit den Einzelfällen, die wir meinen, hat sich zunächst die gesamte Klasse beschäftigt, haben sich der Klassenlehrer, der Elternbeirat, Schulleiter, Lehrerkollegium, Jugendhilfe und die Jugendbeamten der Polizei beschäftigt. Ein runder Tisch jagt den anderen. Dann kommt der schlaue Ratschlag an diejenigen, die sich Wochen und Monate damit beschäftigen: Freunde, versucht es doch einmal mit Pädagogik!

So darf es nicht sein. Effektives Handeln muss möglich sein. Es wird auch möglich sein.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Woran Sie denken, ist kein effektives Handeln!)

Sie verharmlosen diese Extremfälle. Sie ignorieren die monatelangen pädagogischen Bemühungen der Lehrkräfte. Sie streiten ab, dass die Ordnungsmaßnahmen pädagogische Wirkung haben. Das Schlimmste ist: Sie missachten die Rechte der Mitschüler auf körperliche Integrität. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Im Übrigen haben auch die Schüler, die Eltern und die Lehrer dafür kein Verständnis. Deswegen ist diese Maßnahme richtig, sinnvoll und notwendig.

Ich komme zum Handynutzungsverbot. In dem Anliegen, dass wir an Schulen weder Gewaltvideos noch pornographische Videos haben wollen und dass sie nicht mit Handys übertragen werden sollen, sind wir uns einig. Aber nur zu sagen, dass man es nicht will, ohne dann

auch etwas zu tun, ist ein bisschen wenig. Wir wollen es tatsächlich nicht. Deswegen gibt es ein Handynutzungsverbot. Im Übrigen hilft dieses auch, die Schule als Ort des Lernens und des Miteinanderredens zu stärken.

Mit Interesse habe ich gelesen, dass die GRÜNEN eine Informationsveranstaltung gemacht haben, bei der genau dies herausgekommen ist. Ich lese Ihnen einmal vor, was Sie da veranstaltet haben und was dabei herausgekommen ist. Da sagte zum Beispiel ein Hauptschullehrer: „An Schulen, in denen ein striktes Handyverbot herrsche, spielten und redeten die Kinder wieder miteinander“, sagte der Hauptschullehrer Schütz. – Ich bedanke mich bei den GRÜNEN, dass sie diese Erkenntnis auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Wir würden aber wünschen, dass Sie dann auch den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zustimmen.

Dann zu dem Argument mit der Kontrolle. Ich gehe davon aus, dass sich, wenn das Handynutzungsverbot besteht, der Großteil der Schüler freiwillig daran halten wird. Dann braucht man keinen bürokratischen Popanz aufzubauen und eine Handypolizei zu fordern. Wenn ein Lehrer einen Schüler sieht, der ein Handy benutzt, dann wird er auf ihn zugehen und ihn darauf hinweisen, dass das nicht zulässig ist. Das wird ausreichen.

Ein besonderes Anliegen ist mir auch das Thema „Schülerzeitungen“. Es handelt sich um ein Thema, zu dem wir einen übereinstimmenden Beschluss fassen werden. Bezüglich Schülerzeitungen wird es in Zukunft so sein, dass die Schüler ein Wahlrecht haben, ob sie die Zeitung als eine Einrichtung der Schule oder unter dem Landespresserecht herausgeben. Damit stärken wir die Rechte der Schüler und des Schulforums. Wir verbessern damit die Möglichkeiten, den Umgang mit Meinungs- und Pressefreiheit zu erlernen. Die Schülerzeitungen sind ein großer und wichtiger Schritt zu diesem Ziel.

Insgesamt muss man sagen: Der Gesetzentwurf ist gut, hat eine klare Richtung und klare Regelungen. Deswegen werden wir zustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Herr Eisenreich, Sie haben ganz gut Ihre Pädagogik dokumentiert, wie ich sie bei der Änderung dieses Gesetzes beschrieben habe. Das ist nämlich die Hau-drauf-Pädagogik. Diese haben Sie hier sehr eindrucksvoll demonstriert. „Hau drauf“ ist Ihre Antwort, wenn es um das Handyverbot an Schulen geht.

Sie haben eben zitiert, was auf unserer Veranstaltung gesagt worden ist. Das widerspricht aber doch nicht der Auffassung, die wir haben, dass man es den Schulen selbst überlassen sollte, wie sie mit der Handybenutzung umgehen. Ich brauche dazu keinen Kultusminister, der etwas anweist. Es ist nämlich so: Wenn die Schulen ihre Probleme selber regeln, dann kann man dort auch dar

über diskutieren und sich mit den Gefahren und Chancen auseinander setzen.

Wenn Sie zentrale Regelungen haben wollen, dann frage ich Sie, warum Sie für den anstehenden Papstbesuch zum Beispiel den Lehrern selbst die Entscheidung überlassen haben, ob sie Kinder, für die es an dem betreffenden Tag keine Betreuungsmöglichkeit gibt, betreuen wollen oder nicht. Da haben Sie sich plötzlich aus der Verantwortung herausgezogen.

Bei den Handys wollen Sie alles zentralistisch regeln. Herr Minister, ich bitte doch um eine klare Linie.

Die grüne Linie ist klar: Schulen sind selbstständig. Selbstständige Schulen entscheiden über ihre Angelegenheiten selbstständig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu braucht man keinen kultusministeriellen Erlass. Wenn Sie kultusministerielle Erlasse machen, dann bitte auch beim Papstbesuch.

„Hau drauf“ ist Ihre Antwort auch dann, wenn es darum geht, die Deutschkenntnisse von Migrantenkindern zu verbessern, die, wie man anhand des Bildungsberichts feststellen konnte, die größten Verlierer in diesem System sind.

Mir geht es auch um die Botschaft, die Sie bei der Verkündung dieses Gesetzes verbreitet haben. Genau gesagt, waren nicht Sie es, sondern der Ministerpräsident. Seine Botschaft war: Wer kein Deutsch kann, muss in die Förderschule gehen. Ich halte es nicht für eine gelungene Kommunikation, wenn Sie sich so jetzt auf den Weg zu mehr Integration machen, Herr Kollege Eisenreich. Damit tun Sie den Kindern Unrecht. Auch den Förderschulen tun Sie Unrecht. Denn diese haben einen anderen Auftrag, als Deutschunterricht zu geben.

Der Ministerpräsident hat letzten Endes den Gesetzentwurf nicht gelesen. Denn so, wie er es sagte, ist es nicht. Aber er hat es so gesagt.

Wie ich meine, geht es Ihnen gar nicht um Integration. Herr Eisenreich, jetzt sprechen wir über die, die jahrelang verhindert haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Das waren nämlich Sie. Wenn Sie einem Zuwanderungsgesetz früher zugestimmt hätten, müssten wir jetzt nicht so massiv über Integration reden; denn dann hätten wir die anzustrebende Lösung schon längst. Sie haben die Integration immer wieder verhindert. Die GRÜNEN sind es nicht gewesen.

„Hau drauf“ ist Ihre Antwort auch bezüglich der so genannten Schulstörer. Darauf komme ich nachher noch einmal im Detail. Sie wollen die Schulstörer hinausschmeißen und sich dadurch des Problems entledigen, das Sie hätten vermeiden können, wenn Sie ein Gewaltpräventionskonzept für die bayerischen Schulen als roten Faden hätten.

„Hau drauf“ ist Ihre Devise auch bei der Kategorisierung des Sozial- und Arbeitsverhaltens in den Grundschulzeugnissen. Ich bin froh, dass Herr Minister Sinner da ist. Er hat in unserem Wahlkreis den Lehrern erzählt, dieser Plan werde noch überprüft. Es ist allerdings mitnichten so, dass er schon überprüft worden ist. Vielmehr schreibt man solches ins Gesetz.

Ihre Hau-drauf-Pädagogik ist eine anachronistische Antwort auf die Herausforderungen in der Bildungspolitik im 21. Jahrhundert, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber Ihrem Ministerpräsidenten ging es gar nicht um die Kinder, sondern er wollte einzig und allein sein ramponiertes Image nach seiner Flucht aus Berlin wieder aufbessern und die Lufthoheit über den Stammtischen zurückgewinnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Moderne Bildung setzt nicht auf Hau-drauf, sondern auf Prävention und Dialog. Ihre Methoden, Herr Kollege Eisenreich, sind für die heutige Zeit einfach nicht mehr geeignet. Ihre Ordnungsrahmen produzieren Menschen, die nur noch auf Druck reagieren und nicht mehr selbst denken. Solche Menschen befi nden sich anscheinend auf der rechten Seite dieses Parlaments.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber solche Menschen sind den Herausforderungen einer globalisierten Welt nicht mehr gewachsen.