Protokoll der Sitzung vom 28.09.2006

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Unfallhergang und die Unfallursache müssen jetzt gründlich untersucht werden. Die immer wiederkehrenden Behauptungen der Transrapid-Protagonisten, bei der Magnetschwebebahn-Technik handle es sich um ein wesentlich sichereres Verkehrssystem als beim RadSchiene-System und die Unfallgefahren gingen gegen null, sind so wohl nicht haltbar. Die bisherige Sicherheits-, Unfall- und Opferbilanz des Transrapids ist mit diesen beiden Unglücksfällen erschreckend. Ich beziehe mich dabei auf die Zugkilometer. Die Verkehrsleistung auf der Teststrecke in Lathen seit dem Jahr 1984 und auf der Strecke in Shanghai mit Betriebsbeginn 2004 entsprechen der Verkehrsleistung der Münchner S- und U-Bahnen in wenigen Wochen. Auf der Transrapid-Strecke im Emsland sind in gut 20 Jahren weniger Fahrgäste befördert worden,

als die Münchner S-Bahn aktuell an einem einzigen Werktag befördert.

Zwar ist das Fahrzeug der Magnetschwebebahn durch die Spurführung und das Umgreifen des Fahrweges weitgehend entgleisungssicher. Auch frontale Zusammenstöße sind wegen des richtungsabhängig gesteuerten Magnetfeldes und Auffahrunfälle von einer Magnetschwebebahn auf die andere wegen der speziellen Stromversorgungstechnik wohl nicht möglich. Nie auszuschließen sind dagegen Brände, wobei die Ursachen dafür ganz unterschiedlich sein können. Ferner sind auch Aufprallvorgänge auf Fremdkörper, zum Beispiel größere Steine, schwere Äste oder von Brücken herabfallende Gegenstände, nicht auszuschließen. Der Unfall in Lathen hat zudem gezeigt, dass der Wagenkasten – also die eigentliche Fahrgastzelle – wegen der aus dem Flugzeugbau üblichen Leichtbauweise äußerst empfindlich gegenüber Fremdkörpern ist.

Meine Damen und Herren, die beiden Unfälle sind Anlass, die Sicherheitstechnik und die Sicherheits- und Notfallkonzepte für das bayerische Transrapid-Projekt genau zu untersuchen und zu hinterfragen. Das Festhalten am Zeitplan darf nicht wichtiger sein als die nötigen Sicherheitsüberlegungen und -vorkehrungen. Die Evakuierungs- und Rettungsarbeiten erwiesen sich auf den aufgeständerten Fahrwegen sowohl in Shanghai wie auch in Lathen als äußerst schwierig. Sie wissen, dass die geplante Münchner Strecke auf gut acht Kilometern in Tunnelbauwerken verlaufen soll. Der längste Tunnel vom Hauptbahnhof bis zur Borstei wird 4,9 Kilometer umfassen. Daneben wird es in Feldmoching einen Tunnel mit einer Länge von 2,5 Kilometern und am Flughafen einen Tunnel mit 1,8 Kilometern geben. Dadurch werden eventuell notwendige Rettungsarbeiten nicht erleichtert.

Zu den genannten Brand- und Aufprallgefahren kommt bei dem Münchner Projekt ein weiteres Sicherheitsrisiko hinzu, nämlich das scharfe Abbremsen. Der Münchner Transrapid soll ein Nahverkehrsmittel sein. Deshalb war bisher von einer Anschnallpflicht keine Rede. Dafür war aber von Stehplätzen die Rede. Stellen Sie sich einmal vor, was in diesem Zug passiert, wenn er ganz scharf abgebremst werden muss. Auch halten wir es nicht für gangbar, dass die Gepäckstücke in einem Nahverkehrsmittel wie in einem Flugzeug gesichert werden.

Ein weiterer Punkt muss auch klar sein: Resultieren aus den Ergebnissen der Untersuchungen zu den Unglücksfällen in Lathen und in Shanghai müssen wesentliche Veränderungen beim Fahrzeug, vor allem aber beim Fahrweg und beim Begleitweg des Münchner Transrapid-Projekts, dann müssen auf jeden Fall neue Planungs- und Genehmigungsverfahren durchgeführt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gestatten Sie mir noch zwei Bemerkungen zu den Reizbegriffen „Zeitplan“ und „durchhauen“. Wir erinnern uns noch sehr gut an die erste Auseinandersetzung zu diesem Thema – damals noch im alten Plenarsaal –, als die Staatsregierung den kommerziellen Betrieb des Transrapids spätestens bis zur Fußball-WM 2006 verkündet hat. Die

Inbetriebnahme wird hingegen auch nicht im Jahr der nächsten Fußball-WM 2010 in Südafrika möglich sein. Wenn die Vernunft siegt, wird sie auch nicht in weiterer Zukunft erfolgen.

Erinnert sei an gravierende Schieflagen, Mängel und Fehler, die auf zuviel „Durchhauen“ und zu wenig „Nachdenken“, zum Beispiel im Hinblick auf die Finanzierung und die Organisation, zurückzuführen sind. Beispielsweise hat die gemeinsame Vorbereitungsgesellschaft zwischen dem Freistaat Bayern und der Bahn-AG – die erst im Herbst 2005 aufgelöst worden ist – das Projekt aufgrund von einschlägigen Vorschriften des europäischen Vergabe-, Wettbewerbs- und Beihilferechts in große Notlage gebracht. Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, hier hätten Sie früher und gründlicher herangehen und etwas besser überlegen müssen, statt immer durchhauen zu wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich wiederhole: Wir haben neben der Sicherheitsfrage hinreichend Argumente vorgetragen, wohlgemerkt begründete Argumente, weshalb wir den Transrapid zum Münchner Flughafen ablehnen. Meine Damen und Herren von der CSU, wenn Sie diesen Argumenten nicht oder noch nicht folgen wollen oder aus Parteiräson nicht folgen können, glauben wir, dass Sie sich doch unserer Forderung nach einem Stopp des bayerischen Transrapid-Projekts anschließen könnten. Meine Damen und Herren, Herr Kollege Pschierer, interpretieren Sie den Begriff „Stopp“ als Moratorium für sich und schließen Sie sich bitte unserer Forderung an.

(Lang anhaltender Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zur allgemeinen zeitlichen Orientierung möchte ich feststellen, dass sich die Fraktionen auf je dreimal zehn Minuten abgestimmt haben. So ist es im Ältestenrat vereinbart worden. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Maget.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich von dieser Stelle aus meinem Fraktionskollegen Peter Hufe zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren. Alles Gute, Peter!

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dass es wegen des unmittelbaren Zusammenhangs dieser Sitzung mit dem tragischen Unglück im Emsland und der gestrigen Trauerfeier keinen Sinn macht, heute eine ausufernde politische Debatte zu führen. Trotzdem muss man natürlich zur Sache sprechen. Das ist auch angemessen, obwohl die Trauer über die Opfer eines solch tragischen Unglücks heute natürlich für uns alle im Vordergrund steht.

Was ist im Augenblick zur Sache festzuhalten? Der bayerische Wirtschaftsminister, Herr Huber, hat am Montag aus dem Unglücksfall zwei Schlussfolgerungen gezogen. Er hat gesagt, dass man die Sicherheitsfragen natürlich noch einmal erörtern und die Sicherheitskonzepte noch

einmal prüfen muss. Er hat dabei auch in den Raum gestellt, dass das naturgemäß zu einer Verteuerung des Projekts führen kann oder führen wird. Als zweite Schlussfolgerung aus dem Unglück hat er gezogen, dass ein Unfall wie im Emsland in München praktisch ausgeschlossen sei.

(Henning Kaul (CSU): Stimmt! Da hat er recht!)

Was ist zu diesen Argumenten zu sagen?

Erstens. Die Transrapidtechnologie ist alt. Sie steht seit mindestens 30 Jahren im politischen Raum und sie ist angeblich seit 30 Jahren anwendungsfähig. Sie hat es aber 30 Jahre lang nicht geschafft, wirklich in den Regelbetrieb zu gehen. Das ist der Unterschied zu anderen Technologien, mit denen der Transrapid oft verglichen wird. Was wird uns da alles genannt? Der MP3-Player, das Fax-Gerät, die alle industriepolitische Versäumnisse Deutschlands seien, weil diese deutschen Erfindungen anderswo umgesetzt wurden und wirtschaftlich erfolgreich waren. Genau dieser Vergleich ist aber falsch, denn genau das hat der Transrapid in den letzten 30 Jahren nicht geschafft. Deswegen meine ich im Gegenteil sogar, dass der Transrapid im Augenblick eher die größte Belastung für das Image der deutschen Industrie ist und dass er keine große Zukunftschance hat. Es ist eine Technologie, die seit 30 Jahren nur Subventionen kostet und keinen Ertrag gebracht hat. Das ist industriepolitisch festzustellen.

Zweitens. In der Vergangenheit war es unser Hauptargument – und das bleibt es auch in der Gegenwart –, dass es niemanden gibt, der in der Lage wäre, das Münchner Projekt tatsächlich zu finanzieren. Es gibt niemanden. Ich frage in diesem Hause seit über einem Jahr nach der Finanzierung, und ich bekomme seit über einem Jahr keine Antwort. Allgemein stellen wir fest, dass die Finanzierungslücke weit über eine Milliarde Euro beträgt und immer mehr steigt und dass niemand bereit ist, das Projekt zu finanzieren. Ich halte es für unverantwortlich, Millionenbeträge immer wieder und immer weiter in ein Projekt zu stecken, von dem man nicht weiß, wer es am Ende finanzieren soll. Das ist dem Steuerzahler gegenüber unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD)

Skeptisch muss uns natürlich auch stimmen, dass von der Industrie selbst keinerlei finanzieller Beitrag angeboten wird. Das muss uns natürlich nachdenklich stimmen. Wenn es zutrifft, dass der Transrapid der große Exportschlager wird, müssten wir doch zumindest erwarten können, dass es dann auch einen Finanzierungsbeitrag der Industrie gibt. Den gibt es aber nicht. Die Industrie lebt seit 30 Jahren wunderbar davon, dass die Transrapidtechnologie Jahr für Jahr vom Staat subventioniert wird und nicht in den Regelbetrieb gehen muss, um ihre Tüchtigkeit zu beweisen.

(Beifall bei der SPD)

Finanzpolitisch ist das, was mit dem Transrapid geschieht, unseriös. Mittlerweile wird es nur mehr zögerlich bestritten,

dass das Münchner Projekt nicht finanzierbar ist. Damit wird es aber zu einem Wolkenkuckucksheim.

Ein drittes Argument gegen das Projekt ist die geringe Akzeptanz in der Region, wo der Transrapid fahren soll. Woher kommt diese geringe Akzeptanz? Sie beruht auf unterschiedlichen städtebaulichen und städteplanerischen Aspekten. Sie beruht vor allem aber auch auf dem geringen verkehrspolitischen Nutzen, der vom Transrapid erwartet wird. Die S-Bahn ist das Verkehrssystem, das diese Region wirklich dringend braucht und das die Menschen in dieser Region auch wirklich nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Jeder Euro, der in die Ertüchtigung und Verbesserung des S-Bahn-Systems gesteckt wird, welches täglich von 700 000 Menschen benutzt wird, wird im Interesse der Masse der Menschen in der Region München verwendet. Jeder Euro, der diesem Zweck weggenommen und für den Transrapid fehlverwendet wird, ist hinausgeschmissenes Geld. Das stößt auf zunehmenden Widerspruch der Bevölkerung in der Region München. Und das mit Recht!

(Beifall bei der SPD)

Auch das ist für mich ein Argument, Abstand zu nehmen von der Realisierung dieses Projekts, Herr Huber.

Ein viertes Argument ist in der Tat in dieser Dimension neu hinzugekommen. Es ist die Sicherheitsfrage. Man muss sich doch einmal vor Augen führen, dass es für den Transrapid auf der ganzen Welt nur zwei Strecken gibt, die in Betrieb sind. Auf beiden Strecken passieren innerhalb kürzester Zeit schwere Unglücksfälle. In China war es ein Brandfall, bei dem sich herausgestellt hat, dass der Brand außerordentlich schwierig zu löschen war. Im Emsland war es dieses tragische Unglück mit 23 Todesfällen. Das kann man nicht mit einem ICE-Unglück vergleichen, weil jeden Tag hunderte von ICEs fahren und nichts passiert. Beim Transrapid gibt es aber nur zwei Strecken, und auf beiden Strecken passieren schwere Unglücksfälle. Das macht schon nachdenklich.

(Henning Kaul (CSU): Und was war mit Eschede? – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das hat er doch gerade gesagt! – Henning Kaul (CSU): Das hat er eben nicht gesagt!)

Herr Kaul, das muss doch sogar Sie nachdenklich machen, wieso so etwas möglich ist.

Viel wichtiger ist aber die Frage, wie wir solche Unglücksfälle beheben, wenn sie sich in München ereignen. Dabei muss man einen Blick auf die Trassenführung in München werfen. Es stimmt nun einmal, dass diese Trasse fast vier Kilometer lang im Tunnel geführt wird. Es gibt keinerlei Erfahrungen mit einem Transrapid im Tunnel. Jeder kann sich vorstellen, was in einem Tunnelbauwerk dieser Größenordnung, das an seiner tiefsten Stelle 43 Meter tief ist – das entspricht einem Gebäude mit 15 Stockwerken –, die Bergung von Opfern in einer solchen Situation bedeutet. Die Stadt München hat bereits im Mai, weit vor dem Unglücksfall im Emsland, diese Sicherheitsprobleme,

die sich ergeben, erörtert. Wie ist der Zugang zum Tunnel? Wie ist der Zugang zu den aufgeständerten Streckenteilen? Was passiert an den Querungen mit dem Straßenverkehr? Wie ist es eigentlich bei einem Brandfall im Tunnel? Die Stadt München hat dazu einen Fragenkatalog vorgelegt und schon vor Wochen festgestellt, dass diese Sicherheitsfragen nicht geklärt sind. Sie sind ungelöst. Jeder der jetzt ein Sicherheitskonzept vorlegen will, das tragfähig ist, muss gleichzeitig dazu sagen, dass dieses die Kosten noch einmal enorm steigern wird.

Übrigens ist das ein besonders schwieriges Argument, und mit diesem schwierigen Argument will ich abschließen. Das macht die Menschen nämlich zu Recht stutzig. Wenn jemand sagt, ein Unglücksfall wie im Emsland könnte jederzeit technisch verhindert werden und ein solches Unglück werde in München auch nicht stattfinden, weil es jederzeit technisch verhindert werden kann, muss der sich fragen lassen, was sich ein Angehöriger eines Todesopfers auf dieser Versuchsstrecke denken wird. Stimmt es, dass man nicht alle technischen Möglichkeiten eingesetzt hat, um den Tod von 23 Menschen zu verhindern? Stimmt das?

Würden Sie für so etwas Verantwortung übernehmen?

(Henning Kaul (CSU): Sie vergleichen zwei völlig verschiedene Dinge!)

Ich halte das schon für eine ernsthafte Frage, über die man einmal nachdenken muss: Ist denn sichergestellt, dass man eine solche Streckenführung in der Tat absolut unfallsicher machen kann? – Natürlich ist es das nicht.

Das Argument, man schaffe zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen, aber das mache es dann etwas teuerer, halte ich für das allerschlechteste. Dieses Argument bedeutet, dass man die Strecke ohne den Unglücksfall im Emsland vielleicht mit einem schlechteren Sicherheitskonzept betrieben hätte. Heißt es das? – Auch das finde ich unverantwortlich.

Zu den finanzpolitischen Erwägungen, die für uns bisher im Mittelpunkt gestanden sind, gesellen sich jetzt Sicherheitsprobleme. Deswegen meine ich, dass man aus industriepolitischer, finanzpolitischer und verkehrspolitischer Vernunft von diesem Projekt ganz weggehen sollte, auch wenn es schwerfällt, weil man es fälschlicherweise zum Prestigeprojekt und zum Symbol an sich erklärt hat. Alle Vernunftgründe sprechen aber dafür, dass man jetzt sagt: Das ist nicht realisierbar, es war nicht vernünftig, wir geben dieses Projekt auf, sparen künftig Steuergelder an dieser Stelle ein und machen damit etwas Vernünftiges.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Pschierer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir waren wohl alle schockiert, als wir aus den Nachrichten von dieser Tragödie erfahren mussten. Wir verneigen uns in tiefer Trauer vor den Ange

hörigen der Opfer. Wir trauern, wie viele Menschen in diesem Land, um die 23 Getöteten. Ich darf an einen Satz erinnern, den der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff gestern bei der Trauerfeier gesagt hat. Er hat die Frage gestellt, was wir den Opfern schuldig seien. Er hat wohl so formuliert: Trauer und Respekt sind wir den Toten schuldig, Trost den Angehörigen. – Herr Kollege Dr. Runge, was wir den Opfern und den Angehörigen nicht schuldig sind, ist diese Aktuelle Stunde im Bayerischen Landtag.

(Beifall bei der CSU)

Das Hohe Haus hat sich mit dieser Thematik in mehreren Aktuellen Stunden, mit Dringlichkeitsanträgen, Schriftlichen und Mündlichen Anfragen beschäftigt.