Protokoll der Sitzung vom 28.09.2006

(Allgemeiner lebhafter Beifall)

Es besteht ein vielfältiger parlamentarischer Kontakt: Mehrere Ausschüsse unseres Parlaments waren inzwischen in Québec, Abgeordnete der dortigen Nationalversammlung waren bei uns. Daraus haben sich viele fruchtbare Impulse entwickelt. Wir haben jetzt in intensiven Arbeitssitzungen verschiedene Themen beraten. Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt und eine gute Heimreise und hoffen auf ein Wiedersehen!

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 a auf:

Antrag der Staatsregierung Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen (Drs. 15/6232) – Erste Lesung –

Zur Begründung erteile ich Herrn Staatsminister Dr. Goppel das Wort.

Herr Präsident, Hohes Haus! Mit dem Abschluss des neuen Staatsvertrages haben die Länder das Zulassungsrecht für die ZVS-einbezogenen Studiengänge neu geregelt. Wesentlich ist dabei die Regelung der Hauptquoten für das ZVS-Verfahren. Diese sehen künftig wie folgt aus: Die Abiturbestenquote beträgt 20 %. Sie soll den herausragenden Schulabsolventinnen und -absolventen ermöglichen, an der Hochschule ihrer Wahl zu studieren. In der Wartezeitquote werden nur noch 20 %, statt bisher einem Viertel, der Studienplätze vergeben. Die Hochschulauswahlquote wird dagegen von 24 % auf 60 % erhöht. Sie ermöglicht es den Hochschulen, in Zukunft für sich die qualifiziertesten Bewerber zu gewinnen.

Der Staatsvertrag nennt als Regelbeispiele fünf mögliche Auswahlkriterien für die Hochschulen: die Abiturdurchschnittsnoten, die Auswahlgespräche, die gewichteten Einzelnoten, Testergebnisse und die beruflichen Qualifikationen. Auch eine Verbindung der genannten Kriterien ist möglich. Dabei muss die Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung einen maßgeblichen Einfluss auf die Auswahlentscheidung der Hochschule haben. Die anzuwendenden Kriterien bestimmt letztlich das Landesrecht, wobei weitere Kriterien vorgesehen werden können.

Mit den genannten Regelungen im Staatsvertrag werden die zulassungsrechtlichen Regelungen der Hochschulrahmenrechtsnovelle vom September 2004 in das Zulassungsrecht der Länder transformiert. Auf die entsprechenden bundesrechtlichen Bestimmungen, das sind die Paragraphen 29 bis 35 des Hochschulrahmengesetzes, könnte mit Inkrafttreten des Staatsvertrages künftig verzichtet werden. Der neue Staatsvertrag enthält neue wichtige Änderungen gegenüber dem bisherigen Vertrag. In Zukunft fällt die Regelung weg, die eine Anwendung der für das ZVS-Verfahren geregelten Grundsätze des Kapazitätsrechts auch auf örtliche Zulassungsverfahren vorzusehen hat. Damit wird eine grundlegende Weiterentwicklung des Kapazitätsrechts in den Ländern möglich.

Die Ratifikation des Ihnen vorliegenden Staatsvertrages ist ein wichtiger erster Schritt. Der entscheidende Schritt, der noch folgen wird, wird eine umfassende Reform des Hochschulzulassungsrechtes in Bayern sein, und zwar insbesondere für die örtlichen Zulassungsverfahren. Wir beabsichtigen, noch in diesem Jahr dem Bayerischen Landtag den Entwurf eines Bayerischen Hochschulzulassungsgesetzes vorzulegen. Damit komplettieren wir unsere Reform des Hochschulrechtes. Dabei wird es das Ziel sein, die neuen Gestaltungsspielräume auszuschöpfen. Ohne der Diskussion vorgreifen zu wollen, nenne ich als wichtige Handlungsfelder die Entwicklung neuer Kapazitätsermittlungsgrundsätze und die deutliche Erhöhung der Hochschulauswahlquote in den örtlichen Zulassungsverfahren von derzeit 50 %. Dabei werden wir entsprechend dem Landtagsbeschluss vom 18. Mai dieses Jahres prüfen, ob die Hochschulen in größerem Umfang als bisher weitere Kriterien in ihre Auswahlentscheidungen einbeziehen sollen. Neben der Durchschnittsquote der Hochschulzugangsberechtigung, die in jedem Fall zumindest gleichrangig zu berücksichtigen ist, könnten das folgende Kriterien sein: gewichtete Einzel

noten, fachspezifischen Studierfähigkeitstests, Auswahlgespräche oder berufliche Vorkenntnisse.

Unter diesen Umständen bitte ich das Hohe Haus um Zustimmung zum neuen Staatsvertrag, um den Weg zur Reform des Hochschulzulassungsrechtes in Bayern freizumachen und mir die Gelegenheit einzuräumen, zusammen mit den 37 Hochschulen in Bayern, also den Fachhochschulen und den Universitäten, dafür zu sorgen, dass in den nächsten Jahren eine sehr viel differenziertere Aufnahme von Studentinnen und Studenten an unseren Hochschulen auch nach den Qualitätskriterien vorgenommen werden kann. Es muss uns gelingen, eine Verlängerung der Studienzeit – die pro Person auf ein bis zwei Semester berechnet wird, und die nur darauf zurückzuführen ist, dass man beim Einstieg nicht genug differenziert – abzubauen und gegen Null zu führen. Mit Ihrer Hilfe werden wir in dieser Bemühung sicher rasch vorankommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Rupp.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister! Ich fand Ihren Vortrag äußerst interessant, weil sich daraus für uns ganz andere Fragen bei der Bewertung des Staatsvertrages aufwerfen als dies allein aufgrund der Papierform der Fall wäre. Sie haben in Ihrer Rede dargelegt, dass künftig neue Kapazitätsermittlungsgrundsätze gelten sollen. Dafür soll sogar ein eigenes Gesetz vorgelegt werden. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Wenn man sich den Staatsvertrag ansieht, dann wird darin klar hervorgehoben, welches die Kriterien zur Ermittlung der Kapazitätsermittlung sind, nämlich die räumlichen und sächlichen Gegebenheiten, die Anfängerzahl der Studierenden, das wissenschaftliche und das nichtwissenschaftliche Personal und das Verbleibeverhalten der Studierenden.

Im Übrigen ist dies ein Punkt, bei dem sich Bayern regelmäßig hervortut. Das Verbleibeverhalten der Studierenden steht für die Abbrecherquoten, und dabei steht Bayern sehr schlecht da. Solange es keine vernünftige Betreuung der Studierenden an den Hochschulen gibt, werden uns deshalb Auswahltests nichts nützen. Beratung ist eine Forderung, die nach meiner Auffassung dringend einzulösen wäre. Es bringt deshalb nichts, neue Kapazitätsermittlungsgrundsätze zu erheben, die möglicherweise dazu führen – und ich denke, dies ist Ihr Vorhaben –, dass die Kapazitäten an bayerischen Hochschulen höher sind, was aber nicht bedeutet, dass es hier mehr Studienplätze gibt. Wir wissen genau, durch die Zahl der Studierenden, die bis zum Jahr 2011 auf uns zukommt, werden wir allergrößte Probleme haben.

Nur die Grundsätze zu ändern, wird nichts daran ändern, dass wir absolut überlastete Hochschulen haben werden. Sie werden in Ihrem Amt nicht an den Grundsätzen gemessen werden, sondern inwieweit Sie sich im Kabinett durchsetzen können, wenn es um die Finanzen für die Hochschulen geht. Inwieweit Sie das können, werden wir im Laufe der nächsten Wochen sehen. Ich habe jedenfalls

größte Befürchtungen und sehe größte Probleme auf uns zukommen.

(Beifall bei der SPD)

Des Weiteren zur Hochschulauswahlquote. Der Staatsvertrag wird von uns in diesem Punkt tatsächlich sehr skeptisch gesehen. Sie machen damit Schritte in Richtung Abwertung des Abiturs. Sie sind der Ansicht, die Studierfähigkeit muss viel stärker getestet werden. – Um Gottes willen! Wenn das Abitur kein Beweis für die Studierfähigkeit ist, dann muss ich Sie und Ihren Kollegen Schneider fragen, was eigentlich an den Gymnasien geschieht. Was ist da los?

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß von den Auswahlverfahren und ich sehe sie auch äußerst skeptisch. Teilweise wird nur Rechtschreibung abgeprüft. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Wenn man anfängt zu studieren, wird Rechtschreibung abgeprüft! – Ich muss Sie und Ihre Kollegen deshalb auffordern: Sorgen Sie dafür, dass unsere Abiturienten, aber auch diejenigen, die einen Realschulabschluss haben und einen Hauptschulabschluss, endlich besser Rechtschreiben lernen. Sorgen Sie dafür, anstatt die Hochschulen zu veranlassen, Rechtschreibung abzutesten. Ich bitte Sie auch, angesichts der Tests und der Auswahlverfahren, die wir im Moment vorliegen haben, diese zu evaluieren und zu prüfen, was sie überhaupt bringen. Wird dabei tatsächlich das getestet, was geprüft werden soll? Sind es nicht vielmehr fachfremde Angelegenheiten und Tests, die das, was im ersten und zweiten Semester studiert werden soll, abprüfen? Auch von solchen Tests wissen wir.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Wir haben deshalb gegenüber der Auswahlquote von 60 % große Skepsis. Wir hätten gerne, dass der absolute Schwerpunkt für den Einstieg an die Hochschule das Abitur bleibt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Herr Kollege Spaenle, regen Sie sich doch nicht so auf. Ich sage Ihnen, Sie waren gestern zu lange auf der Wiesn.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ludwig Spaenle (CSU))

Wir wollen, dass das bayerische Abitur der Hochschulzugang ist.

Über begleitende Möglichkeiten kann man mit uns reden; allerdings nicht in dem Sinne, dass diese dem Abitur gleich gewichtet werden. Das ist das, was Sie im Moment machen. Ich denke, diese Auswahlverfahren sind nicht

hilfreich. Sorgen Sie dafür, dass unsere Schulausbildung besser wird.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Prof. Dr. Stockinger.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Seitens der CSU-Fraktion begrüße ich ausdrücklich diesen Staatsvertrag. Es ist an der Zeit, den Hochschulen mehr Möglichkeiten zu geben, sich die Studierenden auszusuchen, die für die jeweilige Fachrichtung, die sie studieren möchten, tatsächlich geeignet sind. Es ist auch an der Zeit, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich die Hochschule auszusuchen, die ihrer Meinung nach ihnen das beste Rüstzeug mit auf den Lebensweg gibt.

Genau da setzt dieser neue Staatsvertrag an. Wir hatten bereits in der Vergangenheit in Bayern die Möglichkeit, dass sich die Hochschulen 24 % ihrer Studierenden selbst aussuchen konnten. Dies haben einige unserer Hochschulen in einer nicht zu verantwortenden Weise missachtet. Mir sind Fälle bekannt, wonach renommierte bayerische Hochschulen die Auswahl des Hochschulanteils der ZVS überlassen haben, was dazu geführt hat, dass das Instrument zur Auswahl qualifizierter Studierender absolut nicht gegriffen hat.

Das hat, Frau Kollegin Rupp, nichts mit einer Abwertung des Abiturs zu tun, denn ohne Abitur kann Mann oder Frau nicht studieren. Das bedeutet, es bleibt selbstverständlich beim Abitur als absolute Hochschulzugangsvoraussetzung. Darüber hinaus sollen aber die Hochschulen künftig in die Lage versetzt werden, in ihren jeweiligen Sachbereichen die Studierenden zu finden, die dafür geeignet sind. Diese Eignung können wir nicht ausschließlich an einer Note festmachen. Das Abitur bestätigt die Studierfähigkeit, das Abitur bestätigt aber nicht Eignung und Befähigung für einen bestimmten Studiengang, für eine bestimmte Fachrichtung oder für eine bestimmte Fakultät.

Diese Befähigung zu ermitteln hat mehrere Vorteile. Der erste Vorteil liegt darin, dass die Studierenden, die vielleicht nicht mit der Abiturnote antreten, die ihnen in einem beschränkten Fach den Zugang ermöglichte, trotzdem eine Chance haben, wenn sie ihre Eignung nachweisen. Ich appelliere an alle unsere bayerischen Hochschulen, diese Eignungsnachweise so auszugestalten, dass sie sich intensiv mit den Bewerberinnen und Bewerbern um einen Studienplatz beschäftigen. Es hat keinen Sinn, ein solches Verfahren nur schriftlich oder in einer ähnlichen Art und Weise durchzuführen. Wir haben in Bayern Beispiele, wie Fakultäten diese Arbeit zu einem Hauptanliegen ihres akademischen Schaffens machen. Natürlich schaffen wir damit eine Belastung für die Professorinnen und Professoren unserer Hochschulen, weil diese mehr Zeit aufwenden müssen. Aber dieser Mehraufwand an Zeit verspricht ein Mehr an Qualität in jeder Hinsicht. Das ist letztlich der Profit, den nicht nur die Studierenden, sondern auch die an den Hochschulen Lehrenden insgesamt einstreichen können.

Ich freue mich, dass der Freistaat Bayern einen Entwurf zu einem Bayerischen Hochschulzulassungsgesetz einbringen wird. Dieser Gesetzentwurf ist in meinen Augen überfällig, denn ohne Zwang sind die Hochschulen wohl nicht in der Lage, selbständig von diesen Auswahlmöglichkeiten Gebrauch zu machen.

Ich bitte um eine zustimmende Beratung zu diesem Staatsvertrag in den zuständigen Ausschüssen und kündige bereits jetzt für nächstes Jahr an, dass die CSU einen Antrag stellen wird, der das Ministerium bittet festzustellen, in welchen Bereichen welche Hochschulen welche Fortschritte gemacht haben. Diese Evaluierung ist notwendig und sie wird uns letztlich zu weit mehr Qualität und mehr Exzellenz führen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Gote.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister! Es ist sicherlich richtig und sinnvoll, den Hochschulzugang zu öffnen – ich betone: zu öffnen, also auch zu flexibilisieren. Es ist sicherlich auch sinnvoll, in diesem Zusammenhang die ZVS und deren Verfahren zu reformieren. Allerdings – das muss ich hier sagen – muss die Studierendenauswahl eine andere Perspektive haben, als das in Ihren Redebeiträgen durchschimmert. Es muss darum gehen, vom Studierenden auszugehen. Es muss darum gehen, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, die für sie richtige Ausbildung zu finden. Ich denke von den Studierenden und nicht von den Hochschulen her. Es geht darum, dass sich nicht die Hochschulen die Studierenden aussuchen, sondern dass die Studierenden das genau für sie Richtige finden.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Hans-Gerhard Stockinger (CSU))

Das ist eine leichte Perspektivenverschiebung, Herr Kollege, und diese wird in der Diskussion im Ausschuss sicher noch eine Rolle spielen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieser Staatsvertrag erfolgt allerdings in hochschulpolitisch unsicheren Zeiten. Es gibt in nahezu allen Ländern neue Hochschulgesetze, die die Hochschulen vor neue Herausforderungen stellen. Sie haben leider Studiengebühren eingeführt, andere Länder haben dies auch getan, aber manche Länder tun es nicht und das ist sehr gut so. Es gibt die Notwendigkeit des Hochschulausbaus. Es ist erfreulich, dass wir in den nächsten Jahren mehr Studierende haben werden, denn wir brauchen diese dringend. Deshalb betone ich auch die Notwendigkeit des Hochschulausbaus.

Zwei Punkte an dem Staatsvertrag sind diskussionswürdig. Der erste Punkt ist die Berechnung der Kapazitäten und der Normwerte. In diesem Zusammenhang werden wir sehr genau aufpassen, was Sie in dem Entwurf zum Hochschulzulassungsgesetz vorlegen werden. Es muss darum gehen, uns die Möglichkeit zu eröffnen,

Kapazitäten auszubauen. Die Frage der Normwerte spielt vor dem Hintergrund der Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse mit einer deutlich erhöhten Betreuungsintensität eine große Rolle. Hierin werden die Knackpunkte in dem neuen Gesetz, das ein Landesgesetz sein wird, liegen.

Ihr Redebeitrag, Herr Kollege, der der sonst von Ihnen viel gepriesenen Autonomie der Hochschulen widerspricht, wenn Sie sagen, die Hochschulen müssten gezwungen werden auszuwählen, hat mich etwas merkwürdig angerührt. Aber Sie werden das vielleicht noch etwas aufklären können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der zweite Punkt ist der, dass wir nach der Einführung der Studiengebühren in diesem Land sehr unterschiedliche Studienbedingungen haben werden. Wenn RheinlandPfalz dabei bleibt, keine Studiengebühren einzuführen, was passiert dann, wenn im Verteilungsverfahren ein Studierender auf ein Land bzw. eine Hochschule verteilt wird, an der Studiengebühren erhoben werden oder höhere Studiengebühren erhoben werden als von den Hochschulen, an denen sich der Studierende beworben hat, jedoch keine Chance hatte? Diese Frage wird in dem Staatsvertrag und dem Verfahren bisher überhaupt nicht angesprochen. Ich hoffe, dass wir in diesem Zusammenhang bei der Diskussion im Ausschuss eine deutliche Klärung erfahren. Ich sehe hierin eine große Problematik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Aussprache ist damit geschlossen.