sitzender Dr. Edmund Stoiber das Angebot von Bundeskanzler Schröder und Staatspräsident Chirac, Präsident der EU-Kommission zu werden, nicht abgelehnt hätte, sondern wenn er sich getraut hätte. Stellen Sie sich, meine Damen und Herren von der CSU, doch mal vor, wie die EU heute in Ihren CSU-Augen dastehen würde, wenn Edmund Stoiber an ihrer Spitze stünde und unseren Kontinent nach bayerischen Vorstellungen zu ordnen versuchte!
(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Dann hätte es den heutigen Antrag gar nicht gebraucht! – Prof. Ursula Männle (CSU): Das Thema ist zu ernst für Ihre Scherze, Herr Dr. Förster!)
Was für eine verpasste Chance für Europa und für uns, aus Ihrem Antrag – Papier ist geduldig – kraftvolle Wirklichkeit werden zu lassen.
Der Vorsitzende Ihrer Partei ist ja auch nicht nach Berlin gegangen, wo er jetzt als Präsident des EU-Ministerrats während der kommenden deutschen EU-Präsidentschaft im Besonderen all das hätte durchsetzen können. Nun bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Ihre Forderungen auf Papier zu schreiben und sie zu Protokoll zu geben.
Lassen Sie uns also über Ihren Antrag reden. Ihr umfangreicher Forderungskatalog enthält auch aus unserer Sicht unbestreitbar viel Richtiges. Denn es stimmt: Wer viel aufzählt, was ihm europapolitisch in den Sinn kommt, wird naturgemäß auch einige Treffer landen. Auch wenn er mir teilweise so vorkommt, will ich Ihren Antrag nicht als „Bauchladen“ von Forderungen bezeichnen. Aber ein bisschen viel ist es schon, was Sie unseren Ministerinnen und Ministern in Berlin und insbesondere unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel da für ein halbes Jahr aufbürden. Das haben Sie auch selbst schon gesagt, Herr Kollege Zeller.
Ich meine: Weniger, das aber gescheit, wäre mehr gewesen. Aber vielleicht erwarten Sie gar nicht wirklich, dass alle Ihre Forderungen erfüllt werden. Vielleicht ist Ihr Forderungskatalog gar nicht an Berlin und Brüssel adressiert, sondern für den Hausgebrauch hier im Bayerischen Landtag bestimmt. Das wäre angesichts Ihrer Lage auch gar nicht ganz unverständlich; denn wer sich in der eigenen Fraktion über so nahe liegende Dinge wie die Ladenschlussöffnungszeiten in Bayern nicht einigen kann, schweift dann vielleicht lieber in die Ferne. Da können Sie sich vielleicht auch in Ihrer Fraktion einigen.
(Walter Nadler (CSU): Herr Kollege, darf ich Sie mal fragen, welches Demokratieverständnis Sie haben?)
Ich meine, Sie verkennen ein wenig – das ist mein grundlegender Einwand –, dass eine EU-Ratspräsidentschaft nicht vorrangig dazu bestimmt und deswegen auch nicht dazu geeignet sein kann, eigene nationale und regionale Interessen besonders gut durchzusetzen; denn ange
sichts der vielen Interessengegensätze im Europa der 27 und zwischen den EU-Organen wird man schon von einem Erfolg sprechen können, wenn die Präsidentschaft als ehrlicher Makler bemüht ist, Europa als Ganzes aus seiner, wie Sie selbst schreiben, schwierigen Phase herauszuführen, wir Europa in den wichtigsten Politikfeldern neue Impulse geben können und neues Vertrauen bei seinen skeptischen Bürgern schaffen können. Denn es ist richtig: Die EU ist in einem schwierigen Fahrwasser.
Die deutsche Ratspräsidentschaft fällt in eine Zeit vielschichtiger Herausforderungen. Die Europaskepsis in vielen Mitgliedstaaten ist gewachsen, auch bei unseren Bürgerinnen und Bürgern in Bayern. Wir brauchen die dringend erforderlichen Antworten auf Fragen der Globalisierung, und zwar nicht nur auf die wirtschaftspolitischen Fragen, sondern auch auf die sozialpolitischen; darauf lege ich als Sozialdemokrat besonderen Wert. Es geht um die Bekämpfung des bedrohlichen Klimawandels und um die Gegenwart und um die Zukunft des Erweiterungsprozesses, um den Umgang mit unseren Nachbarn, um die Fragen der Vertiefung und vor allem auch um die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses, ohne den sich eine politische Union dieser Größe einfach nicht managen lässt.
Die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft sind groß. Man wird ihnen aber nicht mit einer Bauchladenpolitik gerecht werden können, sondern nur mit einer Konzentration auf wenige Schwerpunktfelder, die dem übergeordneten Ziel dienen, der EU als Bewahrer von Wohlstand in einem sozialen Europa und als global verantwortlicher Friedensmacht neue, kräftige Impulse zu geben.
Lassen Sie mich deswegen auf einige Punkte aus dem CSU-Antrag eingehen. Denn ich halte ihn sehr wohl für diskussionswürdig, wenn auch nicht für meine Fraktion für zustimmungsfähig.
Sie, meine Damen und Herren von der CSU, fordern, dass die EU die Führungsrolle beim Klimaschutz übernehmen und die umwelttechnologischen Potenziale Europas, die wirklich immens sind, nutzen soll. Das können wir nur ganz dick unterstreichen. Kollegin Paulig wäre jedoch nach der Ablehnung des Dringlichkeitsantrags sicherlich etwas überrascht und würde sozusagen ihre Stirn in Falten legen. Aber jetzt, ein paar Minuten nach Ablehnung des Dringlichkeitsantrages wird die CSU zu einer fundamental wichtigen Erkenntnis gelangt sein; sie wird hoffentlich eine andere und vernünftigere Haltung einnehmen, wenn es darum geht, die Forschung und Investitionen im Bereich der regenerativen Energien und der Energieeffi zienz staatlicherseits zu fördern, und zukünftig unsere Anträge in dieser Richtung unterstützen.
Zum Thema EU-Finanzpolitik. – Sie, lieber Kollege Zeller, treten dafür ein, dass in der Agrarpolitik eine generelle Kofi nanzierung der Beihilfen und der Strukturfonds durch die Mitgliedstaaten erfolgen soll. In der Konsequenz besteht aber doch letztlich die Gefahr, dass sie dem Bund einen Berg von Kosten aufhalsen, der seinen Haushalt
radikal und nachhaltig belasten würde. Sie können doch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU, mit gewissem Recht die Konsolidierung des Bundeshaushalts fordern und gleichzeitig die Konsolidierung, die unser Bundesfi nanzminister energisch betreibt, mit großspurigen Forderungen aktiv be- und verhindern.
Zum Thema Bürokratieabbau und Subsidiarität. – Ich glaube, dass Sie die Zustimmung aller drei Fraktionen dieses Hohen Hauses fi nden werden, wenn Sie fordern, dass das EU-Gemeinschaftsrecht im Interesse und zum Wohl aller in der EU vereinfacht und entstaubt werden muss. Es ist absolut notwendig und wichtig, dass wir, die wir hier vor Ort Verantwortung tragen, die EU-Kommission dabei unterstützen. Allerdings habe ich am Dienstag im Ausschuss mit einem gewissen Unverständnis und mit Verwunderung feststellen müssen, dass diese Kooperation in manchen Bereichen bei Ihnen nicht ganz so weit reicht, wenn es darum geht, die Steuerzahler und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, wofür die Gelder der EU vor Ort hier in Bayern verwendet werden und wer diese Mittel erhält.
Bei der Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie, die wir in unserem Antrag gefordert haben, hat bei Ihnen leider die Unterstützung gegenüber Brüssel aufgehört.
Wenn hier Transparenz und Übersichtlichkeit wirklich für jeden gewährleistet sind, wird es uns auch leichter fallen, den Menschen in Bayern gesetzliche Maßnahmen plausibler zu machen. Darüber hinaus werden viele auch erkennen, dass Deutschland nicht nur der berühmte Zahlmeister Europas ist, sondern dass hier vor Ort viele sinnvolle Projekte nur mithilfe der EU überhaupt realisiert werden können.
Da wir alle ein großes Interesse daran haben – davon gehe ich aus –, dass die EU in der Bevölkerung wieder an Vertrauen gewinnt, kann ich Sie nur noch einmal dazu auffordern – wie viele andere –, die Transparenzinitiative der Kommission aktiv zu unterstützen und zu ihrer Umsetzung beizutragen.
In der Phase der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gibt es viel zu tun. Ich möchte das in drei Schwerpunkte fassen: Die Sicherung der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zukunft Europas. Hierzu zählen insbesondere Maßnahmen für mehr Beschäftigung und nachhaltiges Wachstum, eine nennenswerte Förderung von Forschung und Innovation, eine sichere, aber auch eine umweltverträgliche Energieversorgung, Investitionen
in Umwelttechnologien und umweltschonende Mobilität. Aus unserer Sicht wäre es ein großer Erfolg, wenn es unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu nennenswerten Fortschritten in der Klimapolitik käme. Die Zeichen stehen im wahrsten Sinne auf Sturm, sodass der Handlungsbedarf allmählich von jedem eingesehen werden müsste.
Zu diesem Aufgabenfeld gehört für uns aber auch, dass das soziale Europa in den Mittelpunkt gerückt wird. Im Mittelpunkt des Europa-Verständnisses der SPD-Fraktion steht nicht der Markt, sondern der Mensch.
Das europäische Sozialmodell gehört zu unseren größten Errungenschaften. Es muss im Sturm der Globalisierung nicht nur verteidigt, sondern ausgebaut werden. So treten wir für eine verpfl ichtende, konsequent durchgeführte Gesetzesfolgenabschätzung auf soziale Auswirkungen bei neuen Gesetzgebungsverfahren und bei der Anwendung europäischen Rechts ein, die die Auswirkungen neuer Regelungen auf die Menschen im Blick hat. Wir treten für eine Festigung und Weiterentwicklung von Arbeitnehmerrechten in einer grenzüberschreitenden, sich verfl echtenden europäischen Volkswirtschaft ein. Wir fordern Maßnahmen, die einen fairen Standortwettbewerb sicherstellen. Einen Wettlauf nach unten bei den Steuern darf es nicht geben. Deshalb soll die deutsche Ratspräsidentschaft in dieser Hinsicht auf Fortschritte drängen, zum Beispiel auf eine einheitliche und gemeinsame Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung.
Ein zweiter Schwerpunkt sollten die Stärkung der inneren Sicherheit und der Ausbau der europäischen Rechtsordnung sein. Dazu haben Sie in Ihrem Antrag durchaus richtige Forderungen gestellt. Einiges davon ist bereits Realität. Unsere Bürger erwarten entschiedene Zusammenarbeit beim Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität und mehr Sicherheit trotz offener Grenzen. Unsere Stichworte sind dabei eine enge polizeiliche Zusammenarbeit und Stärkung von Europol, eine kohärente Migrations- und Asylpolitik, mehr Rechtssicherheit für Bürger und Unternehmen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, keineswegs dürfe eine generelle Vergemeinschaftung der Bereiche Justiz und Inneres erfolgen. Damit tragen Sie Eulen von München nach Berlin. Das fordert niemand; aber Papier ist geduldig.
Ein dritter Schwerpunkt der Ratspräsidentschaft wird die Fortentwicklung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sein müssen. Dazu gehören der Ausbau von Sicherheit und Stabilität in der Nachbarschaft der Europäischen Union auf dem Balkan, die Fortentwicklung der europäischen Nachbarschaftspolitik gegenüber Ländern, die wir nicht in die EU aufnehmen können, aber an deren demokratischen und wirtschaftlichen Entwicklung wir großes Interesse haben, zum Beispiel der Ukraine.
Kolleginnen und Kollegen von der CSU, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf einen wesentlichen Dissens hinweisen. Sie schreiben in einem Satz: Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei wird abgelehnt. Ihr Parteivorsitzen
der fordert den Abbruch der Beitrittsgespräche, weil sich die Türkei hinsichtlich Zyperns – wahrlich, das wollen wir nicht leugnen – nicht vertragskonform verhält. Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ist das für mich schierer Fundamentalismus. Dass Sie diesen Satz in Ihrem Dringlichkeitsantrag so salopp formulieren, reicht für mich schon, um den Antrag abzulehnen.
Dazu fällt mir eine Karikatur in der „Süddeutschen Zeitung“ ein, die in diesem Zusammenhang Edmund Stoiber treffend als „Erdogan aus Wolfratshausen“ karikierte.
Auch die SPD-Fraktion meint, Herr Kollege Zeller, dass es keine Automatismen für einen Beitritt geben darf. Die Türkei muss die Verträge erfüllen, sie muss sich in ihren Positionen bis zum Jahresende bewegen, sonst sind Konsequenzen unvermeidlich – das ist keine Frage. Sie hingegen fordern aber von vornherein und entgegen der Politik aller EU-Regierungen, einschließlich der Regierung Merkel, dass die Türkei nie und nimmer in den europäischen Schoß aufgenommen werden darf.
Wenn Ihre Parteifreundin und Bundeskanzlerin Angela Merkel den „Erdogan aus Wolfratshausen“ beim Wort nehmen würde, was sie klugerweise nicht tut, dann hätte sie schon zu Beginn ihrer EU-Ratspräsidentschaft einen wahren Scherbenhaufen vor sich.
Die Verhandlungen mit der Türkei sollen weitergehen, weil es uns allen nützt, wenn sich die Türkei im Sinne der europäischen Werte entwickelt und eine Brücke zwischen dem Westen und dem Islam sein kann, statt gefährlich ins nationalistische und islamistische Lager ihrer östlichen Nachbarn abzudriften.
Wenn schon sonst in nichts sollten sich der Erdogan aus Ankara und der „Erdogan aus dem Loisachtal“ in dieser Frage einig sein. Die EU-Ratspräsidentschaft bietet uns in Deutschland und in Bayern die Chance, den Beweis dafür anzutreten, dass wir zu Recht immer wieder – und immer noch – als Motor für eine positive Entwicklung Europas bezeichnet werden. In diesem halben Jahr sollten wir die Chance nicht verpassen, neben dem legitimen Eintritt für unsere eigenen Interessen unter schwierigen Rahmenbedingungen Impulse zu geben, dass Europa wieder angesehener, handlungsfähiger und zukunftssicherer gemacht wird. Für das Gelingen dieser großen, ambitionierten Aufgabe bedarf es aber all derer, denen Bayern, Deutschland und Europa am Herzen liegen. Lassen Sie uns deshalb nicht nur diskutieren, sondern entschlossen handeln.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Förster. Nächste Wortmeldung – er schreitet schon zum Rednerpult –: Herr Kollege Dr. Runge. Bitte schön.
Meine Damen und Herren! Die kommende Ratspräsidentschaft wirft ihr Licht bzw. ihre Schatten voraus. Die Kolleginnen und Kollegen von der CSU fordern in ihrem Dringlichkeitsantrag die Staatsregierung auf, sich gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass Themen der Europapolitik, die auch für Bayern von besonderer Bedeutung sind, vorrangig Eingang in die Arbeit der Ratspräsidentschaft fi nden. Anschließend wird in dem Antrag ein Katalog von Themen aufgezählt: nämlich der Bürokratieabbau, die Erweiterungspolitik, der Welthandel, die Energiepolitik, der Klimaschutz, die Finanzpolitik, die Beschäftigungs- und Sozialpolitik, die Justizpolitik, die Innenpolitik, die Agrarpolitik und die transeuropäischen Verkehrsnetze.
Meine Damen und Herren von der CSU, soweit wir wissen, ist Ihre Partei an der Bundesregierung beteiligt. Ihr Parteifreund Michael Glos ist Bundeswirtschaftsminister. Er hat in seinem Haus auch eine Europaabteilung. Er hat also eine gewisse Zuständigkeit für Europa. Wir fragen uns: Wo bleibt die Abstimmung mit der Bundesregierung, wo bleibt Ihre Abstimmung mit Herrn Glos?
Herr Kollege Zeller, die Agenda der Bundesregierung, die unlängst vorgestellt wurde, sieht ganz anders aus. Frau Merkel hat neulich vorgestellt, Schwerpunkte seien fünf Themen: der Verfassungsvertrag, die Nachbarschaftspolitik, die Energiepolitik – die haben Sie sogar konkret dabei –, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – mit Schrägstrich – die gemeinsame Verteidigungspolitik, und als fünfter Schwerpunkt wurde die Wachstumspolitik, die Lissabon-Strategie, genannt.
Wir machen uns die Arbeit, die einzelnen Bundesressorts zu betrachten. Ich bringe als Beispiel das Ressort von Bundesinnenminister Schäuble. Seine Vorstellungen passen überhaupt nicht mit dem zusammen, was Sie bei der Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik vorgeschlagen haben. Herr Schäuble hat auf seiner Agenda die Terrorismusbekämpfung, den Bevölkerungsschutz, die Migrationspolitik, die Verwaltungszusammenarbeit, die Doping-Bekämpfung, Datenschutz und Statistik sowie den interkulturellen Dialog. Vor dem Hintergrund, dass wir sehr wenige Schnittmengen erkennen konnten, stellen wir die Frage, wo die Abstimmung mit der Bundesregierung stattfi ndet.