Protokoll der Sitzung vom 29.11.2006

Herr Präsident, Herr Staatsminister, Herr Staatssekretär, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kupka, am Anfang Ihrer Rede hätte man beim Zuhören fast den Eindruck haben können, es handle sich um eine Rede zu einem Antrag „Austritt aus der Bundesrepublik“.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Das ging so ein bisschen nach dem Motto: Wir müssen jetzt soviel zahlen und eigentlich wollen wir das nicht mehr. Lasst uns doch aus dem Bund austreten.

(Engelbert Kupka (CSU): Der Anfang war anders!)

Aber nur der Anfang! Das Interessante an Ihren Anträgen – so kann man es schon formulieren – ist, dass Sie vorgeben, sich nüchtern und sachlich-fachlich der Probleme der Haushaltspolitik anzunehmen, in Wirklichkeit aber – mein SPD-Kollege hat das aus Ihrem Antrag gerade schon herausgefiltert – loben Sie sich über alle Maßen selbst und stürzen gleichzeitig alle anderen Ländern ins haushaltswirtschaftliche Chaos oder bringen sie zumindest in die Nähe eines solchen haushaltswirtschaftlichen Chaos, obwohl diese Länder entweder lange Jahre von Ihren konservativen Kolleginnen und Kollegen regiert wurden oder aber auch aktuell regiert werden. Berlin ist da ein wunderbares Beispiel, das beweist, wie hemmungslos konservative CDU-Politiker mit dem Geld umgingen bzw. umgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie können sich gern einmal die Zahlen ansehen, damit Sie zur Kenntnis nehmen, wie es dort ausgesehen hat, bis die rot-rote Regierung an die Macht kam, obwohl Berlin damals noch nicht Hauptstadt war. Vergessen Sie das bitte nicht. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Wir wollen uns dem Antrag aber jetzt so nähern, als ob es ein sachlich-fachlicher Antrag wäre. Fangen wir einmal mit der Forderung an, die Länder in Eigenverantwortung zu nehmen. Das klingt gut, müsste aber eigentlich nicht gesondert betont werden, denn das steht schon in Artikel 109 des Grundgesetzes. Dort hätten Sie nachschlagen können. Es heißt da in Absatz 1: „Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.“ „Unabhängig und selbständig“, das klingt schon sehr nach Eigenverantwortung, wie ich meine.

Artikel 109 Absatz 2 lautet:

Bund und Länder haben bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen.

Das müsste der Landtag heute nicht noch einmal beschließen.

Ich habe im Gegensatz zum Kollegen Dupper die 62 Seiten des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht gelesen, aber die Kurzfassung. Das Bundesverfassungsgericht hat dem – wie Sie es nennen – hemmungslosen Schuldenmachen mit dem Urteil eben keinen Riegel vorgeschoben. Das Gericht hat festgestellt, dass die Tatsache, dass das Land Berlin keine Bundesergänzungszuweisungen mehr erhält, verfassungskonform ist. Zudem hat es festgestellt, dass kein bundesstaatlicher Notstand in Berlin erkennbar ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieses Urteil aber als Lob für die eigene Haushaltspolitik umzudeuten, zeigt uns, wie verschroben Ihr Weltbild inzwischen geworden ist.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau! – Beifall bei den GRÜNEN)

Nach dem Motto: „Bayern gut, Rest schlecht. Sechs. Setzen!“ geht es schon los mit der gepriesenen Generationengerechtigkeit Ihrer Haushaltspolitik. Gibt es die in Bayern? Nehmen Sie die schlechten Bildungschancen für ganze Gruppen der Bevölkerung, die Vernachlässigung der Sanierung von Infrastruktur in Bayern oder die ungedeckten Pensionslasten in der Zukunft. Wenn das Generationengerechtigkeit ist, dann vielen Dank!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich gehe weiter in Ihrem Eigenlob. Sie sagen:

Zudem haben die Bürgerinnen und Bürger Bayerns die Konsolidierungsmaßnahmen der letzten Jahre mitgetragen und dabei in vielen Bereichen Einschnitte hingenommen.

Mitgetragen, hingenommen! Welche Ignoranz! Ich nenne noch einmal die wichtigsten Einschnitte: Kürzungen im Sozialbereich, Verlängerung der Wochenarbeitszeit für Beamte, Verwaltungsreform auf Kosten der unteren Lohngruppen, Einführung von Studiengebühren und Büchergeld und so weiter und so fort.

Sie haben anscheinend die Demonstrationen auf dem Odeonsplatz in den letzten Jahren umgedeutet. Das waren Ihrer Meinung nach wahrscheinlich Unterstützungsaktionen für Ihre Politik, oder verstehe ich Sie da falsch? Die Bürgerinnen und Bürger leiden unter Ihrer Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Den Beamtinnen und Beamten bleibt nichts anderes übrig; sie müssen es hinnehmen. Man erträgt Ihre Politik unter Protest. Das ist die Realität.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich zitiere weiter aus Ihrem Antrag: „Jedes Land muss die Folgen seiner Haushaltswirtschaft grundsätzlich selbst tragen.“ Auf den ersten Blick ist das schon einmal nicht falsch. Aber die finanziellen Probleme der Länder sind ja nicht unbedingt das Ergebnis hemmungsloser Schuldenpolitik. Nicht unbedingt und nicht immer, wie Sie uns

glauben machen wollen. Strukturprobleme hatte Bayern ja auch einmal und dafür Gelder aus dem Finanzausgleich erhalten.

(Zuruf der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Die Probleme mit den gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Bayern sind ja immer noch vorhanden. Das können Sie nicht wegdiskutieren. Diese Strukturprobleme haben andere Länder wie Nordrhein-Westfalen oder das Saarland mit Altindustrien eben auch. Das hat man bei Ihnen aber anscheinend inzwischen verdrängt.

Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Urteil genau darauf hin, wenn es die „nicht hinreichend aufgabengerechte Finanzausstattung“, in der Vergangenheit in Betracht für die aktuellen Notlagen zieht. Das vergessen Sie aber gern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Antrag hat aber auch einen sinnvollen Teil. Ein nationaler Entschuldungsfonds ist sicherlich keine Lösung. Hier würde keine Entschuldung betrieben, sondern es würden nur Schulden umverteilt. Das kann auch mit uns so nicht gehen. Aber über Schuldenobergrenzen kann man mit uns gern diskutieren. Hier greift die Festlegung des Grundgesetzes und der Länder zu kurz. Es hilft eben nicht, wenn die Neuverschuldung die Summe der Investitionen nicht übersteigen darf. Die Realität ist uns da schon weit voraus. Viele Ihrer Länderfinanzministerkollegen, Herr Minister, auch Ihrer konservativen Kollegen übrigens, setzen sich schon lange darüber hinweg. Sie haben schon jetzt keinen verfassungsgemäßen Haushalt mehr. Deshalb greift auch Ihr Ruf nach einem Frühwarnsystem zu kurz. Denn für ein Frühwarnsystem ist es schon lange zu spät. Wir sehen ja jetzt schon die nicht mehr verfassungsgemäßen Haushalte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch die viel gelobte Bayerische Haushaltsordnung ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es ist zwar dort geregelt, dass neue Schulden nur bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gemacht werden dürfen. Wann diese Schulden aber wieder zurückgeführt werden müssen, bleibt offen. Zudem: Wer beschließt diese Störung? Das ist doch hier dieses Hohe Haus mit dieser seiner Mehrheit, also wir selbst. Das ist auch keine echte Hilfe.

Viel wichtiger wäre es, ein System einzuführen, das auch den Schuldenabbau mit einbezieht. Schauen wir einmal dabei in die Schweiz. Dort gibt es seit 2001 die sogenannte Schuldenbremse. Man hat gute Erfahrungen damit gemacht. Dort definiert man eine zulässige Ausgabenhöhe, die sich nach den Einnahmen und nach der Konjunktur richtet. Steigt das konjunkturelle Wachstum, werden die Ausgaben unter die Einnahmen gedrückt. Dann werden Schulden abgebaut.

Und jetzt kommt das, worauf Kollege Schieder hingewiesen hat: Erst im Falle einer Rezession darf antizyklisch investiert werden und dürfen neue Schulden aufgenommen werden. Schauen Sie sich dieses Modell an; ich gehe davon aus, dass es im Bund in den nächsten

Monaten in die Diskussion einfließt, sicherlich auch im Bundesrat. Wir halten das für ein sehr interessantes Modell.

Sie erlauben mir bitte noch ein letztes Wort zu Ihrer Haushaltspolitik, weil gestern der Ministerpräsident wieder mit neuen Segnungen, die bald kommen sollen, vorstellig geworden ist. Die ach so vorbildliche Haushaltspolitik, die Sie in diesem Antrag so feiern, stellt sich für uns anders dar. Ich darf dies in Stichpunkten kurz darstellen: 1994 bis 2002 Privatisierungserlöse in Milliardenhöhe über das Land verteilt. 2003 wurde festgestellt, dass Privatisierungserlöse endlich sind. Brutaler Sparkurs in der Hoffnung, dass bis 2008 eh wieder alles vergessen sein wird und dass viele Bayern ihr Kreuzchen bestimmt wieder an der richtigen Stelle machen werden.

Dieser Haushaltsentwurf 2007/2008 hält den Standard; kleine Bonbons werden verteilt. Die konjunkturelle Entspannung kommt Ihnen natürlich entgegen. Und gestern kam die Ankündigung, dass es vor den nächsten Wahlen – oh Wunder – Investitionen in erklecklicher Höhe geben wird, die man sich heute natürlich noch nicht leisten kann, auch wenn sie heute nötig wären.

Herr Finanzminister, es ist offensichtlich – und darauf muss man gerade bei Ihrem Dringlichkeitsantrag hinweisen, oder besser gesagt, bei dem der Fraktion –, dass es bei der nachhaltigen bayerischen Haushaltspolitik weder um Generationengerechtigkeit noch um Nachhaltigkeit geht, sondern um Machterhalt – um nichts anderes.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür sind Sie ein Beispiel. Sie sind ein Beispiel dafür, wie man Haushaltsmittel dafür nutzt, dass ein Ministerpräsident 2008 wiedergewählt wird – sonst zu nichts. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Um das Wort für die Staatsregierung hat Prof. Dr. Faltlhauser gebeten. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die bundesrepublikanische Presse war einhellig der Auffassung, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anliegen Berlins auf Sonderergänzungszuweisungen des Bundes außerordentlich bedeutsam war. Es gab sogar Journalisten, die festgestellt haben, es sei ein historisches Urteil gewesen. Umso mehr wundert mich, Herr Dupper, dass Ihnen nichts anderes einfällt, als hier im Plenum des Bayerischen Landtags dieses Bundesverfassungsgericht pauschal zu beschimpfen mit dem Zitat eines Ökonomen der „Financial Times“, einer Zeitung, die nicht deutsch ist; mit dem Zitat eines Ökonomen, der die bundesrepublikanische Verfassungslage sicherlich nicht sehr genau analysiert, der vielleicht mit der Hemdsärmeligkeit amerikanischer Broker an die Sache herangeht, aber mit Sicherheit von den disziplinarischen, notwendigen Maßnahmen, die in unserer Verfassung stehen, keine Ahnung hat.

(Beifall bei der CSU)

Was dieser Ökonom der „Financial Times“ meint, ist mir völlig wurscht.

(Zuruf von der CSU: Sehr gut!)

Herr Dupper, es ist mir aber nicht wurscht, dass Sie sich als finanzpolitischer Sprecher der größten Oppositionspartei hier in diesem Landtag diesen Unsinn zu eigen machen. Das ist ein Skandal.

(Beifall bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Jürgen Dupper (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD)

Dies finde ich bestürzend. Herr Dupper, ich nehme den „Skandal“ zurück.

(Jürgen Dupper (SPD): Ich bin einverstanden!)

Sachverhalt ist, dass Berlin gegenwärtig, das heißt mit dem Abrechnungsjahr 2005, vom Bund und von den Ländern solidarische Leistungen in Höhe von insgesamt 5261 Millionen Euro bekommt. Hier hat Berlin gesagt, das reicht mir nicht; ich brauche deutlich mehr; ich kann meine Ausgaben nicht decken; ich brauche noch zusätzliche Bundesergänzungszuweisungen; ich bin in einer Notlage. – Sie haben richtig zitiert, dies hat das Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Berlin befindet sich nicht in einer Notlage, sondern muss sich selbst darauf einstellen, dass es seine laufenden Ausgaben mit seinen Einnahmen mittelfristig decken kann; so das Gericht. Das heißt, jedes Land – nicht nur Berlin – muss mit den knappen Steuergeldern so sparsam umgehen, dass es mit dem, was reinkommt, tatsächlich auskommt. So ist der grundlegende Appell. Man kann sich als Land, das selbstverantwortlich handelt und einen demokratisch legitimierten Senat und Landtag hat, nicht darauf verlassen, dass der Bund schon zahlen wird nach dem Motto: auf der einen Seite Großzügigkeit mit dem Champagnerglas in der Hand, auf der anderen Seite sagt man, die anderen – in dem Fall der Bund – werden es schon zahlen.

(Beifall bei der CSU)