Protokoll der Sitzung vom 29.11.2006

Weil Sie sagen, der Staat müsse sich bei den Ausgaben immer an den Einnahmen orientieren, dürfe sich also nie neu verschulden, frage ich Sie: Wie stellen Sie sich das denn vor, wenn ein schwerer Konjunktureinbruch kommt und die Ausgaben zusammenbrechen? Das hatten wir ja schon das eine oder andere Mal. Wollen Sie dann auch, dass mit den Ausgaben dramatisch heruntergegangen und damit die Krise noch verschärft wird? Wollen Sie das dann auch?

Herr Kollege Schieder, wenn Sie so eine Staatskrise haben, wie Sie sie gerade schildern, dann werden Sie von der Bank überhaupt kein Geld mehr bekommen, weil Ihnen die Bank auch nichts mehr ausleiht. Dann haben Sie den Schwarzen Freitag.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Schieder (SPD))

Ansonsten habe ich nicht behauptet, dass es immer so ist. Der Grundsatz muss lauten: Man kann nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. So ist es nun einmal. Und Nettoneuverschuldung bedeutet, dass wir immer noch Schulden machen, um das zurückzuzahlen, was wir an Altlasten haben. Nettoneuverschuldung ist das, was wir neu aufnehmen und im Haushalt als Zuführung von Geldmitteln verwenden. Es kann doch nicht richtig sein, dass wir in dieser Weise weitermachen. Dabei darf ich nicht nur auf die anderen Länder schauen, sondern wir müssen vorangehen.

Das haben wir auch getan. Wir haben zum dritten Mal einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung vorgelegt. Das hat natürlich viel Kraft gekostet und viele Debatten in der Bevölkerung erforderlich gemacht. Aber wir sehen jetzt den Lohn dieser Arbeit, weil alle mitziehen. Und nur wenn alle mitziehen, hat so etwas einen Sinn.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Das hat damit nichts zu tun!)

Herr Dr. Beyer, wenn Sie meinen, das hat damit nichts zu tun, will ich Ihnen sagen: Wir haben – –

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Die Steuereinnahmen haben damit nichts zu tun!)

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Mit dem Kahlschlag 2004 haben die jetzigen Steuereinnahmen nichts zu tun!)

Herr Dr. Beyer, da machen wir einmal ein Privatissimum. Dann können wir uns über Finanzpolitik unterhalten.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Aber gerne! Darauf freue ich mich!)

Gut. – Ich möchte weiter zu unserem Antrag sprechen.

Es ist doch so, dass wir in den Länderfinanzausgleich sehr viel Geld stecken. Wir haben in früheren Zeiten natürlich auch Ausgleichszahlungen bekommen. Wir erklären uns auch solidarisch. Das ist keine Frage. Aber wenn ich sehe, dass allein Berlin aus dem Länderfinanzausgleich jährlich 2,4 Milliarden Euro erhält, Brandenburg 600 Millionen Euro, Mecklenburg-Vorpommern 400 Millionen Euro, Rheinland-Pfalz 300 Millionen Euro, Bremen 350 Millionen Euro, dann muss man sich fragen, was diese Länder tun, um ihre eigene Wirtschaftskraft zu stärken, um sich in diesem Solidarpakt auch solidarisch zu verhalten.

Deshalb meinen wir, dass unser Antrag genau in die richtige Richtung zielt. Wir wollen diese fünf Kriterien erfüllt wissen, damit wir bundesweit in eine Situation kommen, dass die Länder in Eigenverantwortung für schuldenfreie Haushalte einstehen. Ich glaube, die Bereitschaft dazu ist da. Der Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, kann eigentlich nur Zustimmung finden. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Der Antrag ist zukunftsweisend, er ist vernünftig und er entspricht bayerischer Finanzpolitik.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dupper.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Staatsminister! Die Dringlichkeit dieses Antrages kann sich dem unvoreingenommenen Betrachter in keinem der sechs

Absätze erschließen. Dafür aber ist das angesprochene Thema hochinteressant. Zu diesem Thema aber später mehr.

Lassen Sie mich zunächst die zentralen Aussagen in diesem Antrag, der eigentlich kein Antrag ist, sondern ein Panegyrikos auf die jüngste bayerische Haushaltspolitik, bewerten.

Eine zentrale Aussage ist, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 19. Oktober 2006 sei eine Bestätigung für die vorbildliche Politik Bayerns. Also, wissen Sie, ich habe dank Ihrem Antrag alle 62 Seiten dieses Urteils vom 19. Oktober studiert. Über die Haushaltspolitik Bayerns steht dort gar nichts drin, geschweige denn über deren Bewertung. Das geht auch gar nicht.

(Engelbert Kupka (CSU): Das ist ja Sophistik!)

Das geht gar nicht, denn sowohl Klage als auch Urteil bezogen sich einzig und allein auf die dritte Stufe des Finanzausgleichs, auf die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen, und berührte somit die Finanzbeziehungen zwischen Berlin und Bund. Die ist Ihnen in Ihrem panegyrischen Übereifer wohl entgangen.

Und noch eine kleine Anmerkung zum Thema Bundesverfassungsgericht überhaupt: Hochkomplexe Wirtschaftsfragen sollte man nicht diesen Hobbyvolkswirten überlassen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Der Chefökonom der „Financial Times Deutschland“, Fricke, hat das völlig zu Recht so formuliert: Es ist besser, ein Ökonomieverbot für Verfassungsrichter auszusprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Aber dazu an anderer Stelle mehr.

Es wird des Weiteren in Ihrem Antrag behauptet, dass Bayern Maßstäbe setze und den Abbau von Schulden betreibe. Na ja, bislang ja nicht. Und wenn ich alles über diese geheime Vereinigung 2020 glauben darf, dann geht es da ums Geld-Ausgeben. Von Schuldentilgung ist hier im Gegensatz zur Landeshauptstadt München nicht die Rede.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum Dritten – da wird es ziemlich bunt, ich zitiere wörtlich –: „Zudem haben die Bürgerinnen und Bürger Bayerns die Konsolidierungsmaßnahmen der letzten Jahre mitgetragen.“ – Also, wissen Sie, liebe Kollegen von der CSU, das ist eine unanständige Verhöhnung der Bürgerinnen und Bürger, die von schmerzlichen Kürzungsmaßnahmen betroffen waren.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann mich an heftige Proteste, ja an Kundgebungen und Demonstrationen zum Beispiel der Polizeibeamten beim politischen Aschermittwoch in Passau erinnern. Ich kann mich erinnern an Proteste der Betroffenen, beispielsweise der Bezieher des Blindengeldes. Sie alle haben diese Politik keineswegs mitgetragen. Das ist schon wieder eine Legende.

Und zum Vierten kommen die altbekannten Platitüden „Nationaler Stabilitätspakt“, „Schuldenobergrenze“, „Frühwarnsystem“ und „Kontrollinstanz“. Das hilft uns doch nicht weiter.

(Engelbert Kupka (CSU): Das habt ihr doch selber geschrieben!)

Diese scheinbar großen Würfe – ich ahne allmählich, dass es Ihnen nicht um die Sache, sondern um die Rückgewinnung bundespolitischen Terrains geht.

Wenn wir in der Sache weiterkommen wollen, dann geht das wie folgt: Klarstellen darf ich auch, dass auch der Landtags-SPD der bayerische Beitrag in den Länderfinanzausgleich unbestritten zu hoch ist. Wenn wir da etwas ändern wollen, müssen wir aber an der richtigen Stelle ansetzen. Deshalb darf ich Ihnen in den Grundzügen das komplizierte Netz des Finanzausgleichs kurz erklären.

In der Fassung des Finanzausgleichs von 2001, zuletzt geändert im September 2006, werden noch drei Stufen definiert: Die erste Stufe ist die Verteilung der Umsatzsteuer, zunächst zwischen Bund und Ländern und dann zwischen den Ländern. Gerade hier gab es in den letzten Jahren viele Veränderungen und gerade hier ist vieles mit betroffen: die Arbeitslosenversicherungsbeitragssenkungen, die Rentenversicherung, der Familienleistungsausgleich oder die zuletzt geänderte Neuregelung der Finanzierung des Fonds Deutsche Einheit. All das ist in der ersten Stufe geregelt und ich würde davor warnen, dieses Fass erneut komplett aufzumachen. Das ist nicht zielführend.

Die zweite Stufe ist der Finanzausgleich im engeren Sinne. Den brauchen wir hier, wenn wir diskutieren wollen. Hierbei geht es um die Leistungen zwischen den Ländern. Dabei bitte ich Folgendes zu berücksichtigen: Maßgeblich für die Bestimmungen der Ausgleichsleistungen sind allein Finanzkraftmesszahl und Ausgleichsmesszahl. Beide bestimmen sich in allererster Linie nach den Steuereinnahmen der Länder und der Gemeinden und den Relationen der Länder untereinander. Von Schulden ist in dieser zweiten Stufe des Finanzausgleichs nicht die Rede. Es geht um die Steuereinnahmen, um die Relationen dieser Steuereinnahmen unter den Ländern und dann ins Verhältnis gesetzt zu den Einwohnerzahlen. Das heißt, bei dem für uns einschlägigen Teil des Finanzausgleichs zwischen den Ländern, zwischen Geber- und Nehmerländern, spielt eine etwaige Verschuldung keine Rolle. Insofern gehen Ihre Anregungen an den Problemen vorbei und können gar nicht zu Lösungen führen.

In der dritten Stufe – das war Gegenstand des jüngsten Urteils in Karlsruhe – geht es um die Bundesergänzungs

zuweisungen. Dabei spielen alle möglichen Dinge eine Rolle. Die Sonderlasten, die politischen Führungskosten, die Verschuldung – da gehört das hin. Aber so wie die erste Stufe ist auch diese dritte Stufe nicht der richtige Ansatzpunkt für uns; denn hier werden etwaige Hilfen des Bundes für einzelne Länder geregelt und nicht für die Gesamtheit der Länder untereinander.

Wie gesagt, Ansatzpunkt ist einzig und allein die zweite Stufe, der Finanzausgleich im engeren Sinne. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass hier der einzige Handlungsbedarf besteht. Denn SPD und CSU haben gemeinsam gesagt, dass die Solidarität als solche nicht aufgekündigt werden soll.

Außerdem haben wir gemeinsam die Auffassung, dass sie im vernünftigen Rahmen bleiben soll. Ein munteres Philosophieren oder Agitieren hilft uns nicht weiter. Was soll denn die Vorstellung, dass der Bayerische Landtag über die Nettokreditaufnahme an der Ostseeküste oder im Landkreis Saarland befindet? – Diese Entscheidungen gehören zum Budgetrecht der jeweiligen Souveräne. Dort sind sie gut angesiedelt.

(Beifall bei der SPD)

Diese Diskussion führt uns doch ins staatspolitische Nirwana. Lassen Sie uns beim Einnahmekriterium des Finanzausgleichsgesetzes ansetzen. Sie wissen, dass die SPD dieses Thema schon andiskutiert hat. Herr Kollege Kupka, Sie haben es angesprochen: Eine Begrenzung der Leistung im Finanzausgleichsgesetz – FAG – mittels einer Obergrenze der Landessteuereinnahmen. Derzeit betragen die Ausgaben Bayerns für den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne rund 8 % der bayerischen Steuereinnahmen. Warum nicht eine Zielmarke von 5 oder 6 %? Das wäre doch ein legitimes Ziel, eine verständliche Verhandlungsposition zu sagen: Ja, wir sind solidarisch, weil wir wissen, dass Staatsschulden viele Ursachen und gute Gründe haben können und weil fehlende Einnahmen sehr oft strukturelle Gründe haben. Aber wir wollen eine Obergrenze für die bayerischen Leistungen.

Natürlich kann man hier über andere Maßstäbe diskutieren und natürlich kann man hier andere Kennzahlen verwenden. Wir sind hier offen in der Diskussion, aber wenn wir der Staatsregierung helfen wollen, wie Sie dies in diesem Antrag insinuieren, um in dieser Sache auf Bundesebene weiterzukommen, dann doch nur mit ausgefeilten Vorschlägen mit einem detaillierten Konzept, das bayerische Interessen und nicht arrogante Besserwisserei in den Mittelpunkt stellt.

(Beifall bei der SPD)

Genau deshalb, weil keine erkennbare Strategie in diesem Antrag vorhanden ist, lehnen wir diese als Dringlichkeitsantrag getarnte Plenarlyrik ab.

(Beifall bei der SPD – Engelbert Kupka (CSU): Das hängt doch alles zusammen!)

Nächste Wortmeldung: Kollege Mütze.

Herr Präsident, Herr Staatsminister, Herr Staatssekretär, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kupka, am Anfang Ihrer Rede hätte man beim Zuhören fast den Eindruck haben können, es handle sich um eine Rede zu einem Antrag „Austritt aus der Bundesrepublik“.