Protokoll der Sitzung vom 12.12.2006

seit 1994 eine Steigerung ihrer Pro-Kopf-Verschuldung um 146 % verzeichnete, während andere vergleichbare Großstädte in der Bundesrepublik Deutschland ihre ProKopf-Verschuldung um 33 % senkten?

Herr Finanzminister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Landeshauptstadt München bis zum Jahr 2010 600 Millionen Euro ihrer Schulden abbaut, während Sie keinen Euro und keinen Cent abbauen? Ist das denn nicht ein schöner Unterschied in der Haushaltspolitik zwischen Stadt und Land, der leider nicht für Sie spricht?

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Selbstverständlich. Ich unterhalte mich immer gern mit dem Finanzminister. Er soll es ja nicht mehr lange sein, habe ich gelesen.

(Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (CSU): Das sehe ich mit Gelassenheit!)

Ich auch.

Heißt das, dass Sie die Haushaltspolitik der Landeshauptstadt München so interpretieren, dass man zunächst eine dramatische Nettoneuverschuldung aufbauen kann, um dann aus optischen Gründen ein bisschen nach unten zu gehen?

Sie haben im Jahr 2005 den höchsten Schuldenstand erreicht, den Bayern je hatte.

(Beifall bei der SPD)

2005 war der höchste Schuldenstand zu verzeichnen, den Bayern je hatte, und dafür tragen Sie die Verantwortung.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (CSU))

Sie dürfen gerne weiter fragen; das ist in Ordnung. – Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wohin versickern die 2,5 Milliarden Euro, die Sie zusätzlich einnehmen? – Sie versickern im Haushalt, in einer viel zu großen Ministerialbürokratie und in einer zu großen Staatsverwaltung in den obersten Dienstbehörden im Freistaat Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Der Oberste Rechnungshof schreibt dazu:

Die Zahl der Spitzenpositionen bei Staatskanzlei und Staatsministerien hat sich in den letzten zehn Jahren wie folgt entwickelt: bei den B-3Stellen plus 2,5%, bei den B-6-Stellen plus 14 %, bei allen Stellen zwischen A 16 und B 9 insgesamt plus 4 %.

Oben werden also die Stellen fett ausgeweitet, und unten bluten die kleinen Verwaltungsangestellten und müssen mit ihrer Arbeit die Zeche bezahlen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Schlussfolgerung war allerdings von mir und nicht vom Obersten Rechnungshof.

Auch Ihre viel gelobte Polizeireform ist Murks, meine Damen und Herren. Nach Meinung der Fachleute verschlingt sie 60 Millionen Euro ohne positives Resultat. Die Polizeipräsidenten wissen das und könnten darüber berichten, wenn Sie ihnen keinen Maulkorb umgehängt hätten. – Das Geld verschwindet also in der Bürokratie im Freistaat Bayern.

Meine Damen und Herren, im Haushalt müssen Prioritäten auf den wichtigsten Feldern gesetzt werden. Ich will Ihnen einige nennen. Ich beginne mit denen, die Sie bezeichnenderweise völlig ausgelassen haben. Bei Ihnen findet sich nichts zum Thema Umwelt, nichts zum Thema Klimaschutz, nichts zum Thema Gesundheit. Wir hätten von Ihnen auch gerne eine Antwort auf die Lebensmittelskandale in Bayern in den letzten Wochen und Monaten gehabt.

(Susann Biedefeld (SPD): Einfach ausgeblendet!)

Deswegen dazu einige Anmerkungen: Erstens. Bayern könnte Feinkostladen Europas sein.

(Lachen bei der SPD)

„Könnte“, meine Damen und Herren! Wenn man heute von der Schmankerlecke Bayern spricht, kommt schallendes Gelächter auf. Das ist doch das Problem. Sie haben mit Ihrer Nachlässigkeit in dieser Frage dem Qualitätsanspruch der bayerischen Lebensmittel und noch dazu unserer Ernährungswirtschaft massiv geschadet.

(Beifall bei der SPD)

Weil Sie so selbstgerecht und ahnungslos sind, hat Herr Herrmann den Untersuchungsausschuss als den bisher überflüssigsten bezeichnet, den wir je hatten. Was stellt sich jetzt heraus? – Jede Woche, fast jeden Tag gibt es einen neuen Lebensmittelskandal. Da werden Waren umetikettiert; da werden ekelerregende Lebensmittel in Umlauf gebracht, und das alles unter dem Etikett „Qualität aus Bayern“. Das ist ein nachhaltiger wirtschaftlicher Schaden für uns und unsere Landwirtschaft.

(Beifall bei der SPD)

In Ihrer Regierungserklärung hätte ich gerne etwas zu der Frage gehört, was Sie jetzt zu unternehmen gedenken, um unsere Landwirtschaft und unsere Ernährungswirtschaft wieder zu stärken.

Zweitens. Bayerns Landwirtschaft und Bayerns Ernährungswirtschaft brauchen gentechnikfreies Saatgut und gentechnikfreie Lebensmittel. Herr Seehofer, ein CSUMinister in Berlin, hat leider angekündigt, den Einsatz grüner Gentechnik erleichtern zu wollen. Ich halte das für einen Irrweg und für einen schweren Fehler. Mein Credo lautet: Gute Landwirtschaft ist gentechnikfrei, gute Landwirtschaft braucht keine Gentechnik.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Bayern muss Weltmarktführer auf dem Feld der erneuerbaren Energien werden. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn Sie, meine Damen und Herren, weiter an der Atomenergie festhalten.

(Beifall bei der SPD)

Ich höre von Herrn Söder, dass er dagegen ist, dass ein Endlager für abgebrannte Kernbrennstäbe in Bayern errichtet wird. Jawohl, da sind wir auf Ihrer Seite. Wir möchten auch kein Endlager für abgebrannte Kernbrennstäbe in Bayern, Herr Ministerpräsident. Wer sich aber für Atomenergie einsetzt, wer 70 % seiner Energieversorgung aus Atomenergie bezieht, wer den Ausbau der Atomenergie fordert, der wirkt nicht glaubwürdig, wenn er sagt: Aber den Dreck sollen gefälligst andere nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nicht in Ordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Unsere Chance liegt eben nicht in der Beibehaltung eines Atomkurses, sondern in der technologischen Entwicklung alternativer Energien. Bayern hat dafür die besten Voraussetzungen, weil unsere Bevölkerung umweltbewusst ist und sämtliche Bundesprogramme zur Förderung alternativer Energien in Bayern besonders stark nachgefragt werden. Sie wollen das aber nicht, sondern halten an der Atomenergie fest. Das ist aus ökonomischer und ökologischer Sicht eine katastrophale Politik.

Viertes Thema: Bayern muss ein Land der Gerechtigkeit werden und darf sein soziales Gesicht nicht verlieren. 2003 hat die CSU bei den Landtagswahlen einen großen Erfolg erzielt, weil sie den Menschen vor den Wahlen verschwiegen hat, was sie nach der Wahl an radikalen Kürzungsmaßnahmen durchsetzen wollte. Prinzessin von Thurn und Taxis, die Präsidentin des Bayerischen Roten Kreuzes, sagte über Ihre Sozialpolitik, Herr Ministerpräsident: „Mich erschreckt die Kälte, die Ministerpräsident Stoiber neuerdings in sozialen Fragen an den Tag legt.“

(Beifall bei der SPD)

Ich sage: Wenn es in Bayern gerecht zugehen soll, dann müssen wir gerade die Schwachen mitnehmen. Heute ist

es leider so, dass selbst die Schuldnerberatungen Insolvenz anmelden müssten, wenn Sie nicht in einer Notaktion gerade noch rechtzeitig eine halbe Million Euro über den Tisch geschoben hätten. Die Schuldnerberatung ist nur ein Beispiel. Kürzungen gab es über alle Bereiche hinweg: bei der Familienberatung und bei den Familienleistungen, bei der Jugendförderung, im Landesplan für Menschen mit Behinderungen, beim Blindengeld, im Landesplan für Altenhilfe, bei der Ausländerberatung und so weiter und so fort. Jetzt verkaufen Sie es als großen Erfolg und gute vorweihnachtliche Botschaft, dass Sie im Sozialetat angeblich nicht weiter kürzen. Noch vor zwei Jahren haben Sie die sozialen Einrichtungen und Dienste auf offener Straße überfallen und brutal ausgeraubt, –

(Heiterkeit der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

und jetzt sagen Sie: Seid froh, dass wir euch heuer nicht schon wieder überfallen und ausrauben.

(Beifall bei der SPD)

Sie kommen gar nicht auf die Idee, ihnen das Geraubte wieder zurückzugeben.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Thomas Beyer (SPD))

Der Präsident des Diakonischen Werkes der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern, Herr Dr. Markert, sagt dazu so einfach wie unmissverständlich – ich zitiere:

Die Streichungen der Bayerischen Staatsregierung gefährden das soziale Bayern. Das geht nicht zugunsten, sondern zulasten der kommenden Generationen.

Dem ist wenig hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD – Susann Biedefeld (SPD): Wenig zukunftsfähige Politik!)

Fünfter Punkt: Soziale Gerechtigkeit ist in Deutschland und in Bayern in den Augen der meisten Menschen ein ganz besonders wichtiges Gut. Das gilt gerade auch gegenüber pflegebedürftigen Menschen, ob zu Hause oder in Pflegeheimen. Bezeichnenderweise haben Sie auch dieses Thema ausgespart. Derzeit leben knapp 100 000 Menschen in Bayern in Pflegeeinrichtungen. Nicht überall sind die Pflegebedingungen menschenwürdig und dem angemessen, was wir uns selbst für unser eigenes Alter vorstellen und wünschen würden. Deshalb wollen wir Verbesserungen in der Pflege erreichen und werden dazu Vorstellungen für ein neues Bayerisches Heimgesetz vorlegen. Sie wollen offenbar keine Verbesserungen für die Pflegebedürftigen erreichen. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie sich aus der staatlichen Förderung der stationären Altenhilfe zurückziehen und dafür alle Zuschüsse des Staates streichen.