Protokoll der Sitzung vom 12.12.2006

Fünfter Punkt: Soziale Gerechtigkeit ist in Deutschland und in Bayern in den Augen der meisten Menschen ein ganz besonders wichtiges Gut. Das gilt gerade auch gegenüber pflegebedürftigen Menschen, ob zu Hause oder in Pflegeheimen. Bezeichnenderweise haben Sie auch dieses Thema ausgespart. Derzeit leben knapp 100 000 Menschen in Bayern in Pflegeeinrichtungen. Nicht überall sind die Pflegebedingungen menschenwürdig und dem angemessen, was wir uns selbst für unser eigenes Alter vorstellen und wünschen würden. Deshalb wollen wir Verbesserungen in der Pflege erreichen und werden dazu Vorstellungen für ein neues Bayerisches Heimgesetz vorlegen. Sie wollen offenbar keine Verbesserungen für die Pflegebedürftigen erreichen. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie sich aus der staatlichen Förderung der stationären Altenhilfe zurückziehen und dafür alle Zuschüsse des Staates streichen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist wirklich keine sozialpolitische Großtat und ein schlimmer Fehler, weil er nachhaltige Folgen haben und zur Privatisierung und Verteuerung der Pflege führen wird. Die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege kommentiert Ihre Entscheidung wie folgt:

Für die Heimträger innerhalb der Freien Wohlfahrtspflege, aber auch für die Gebietskörperschaften ist der Rückzug des Freistaates aus der Investitionskostenförderung ein massiver Vertrauensbruch. Dieser Wegfall der Förderung durch den Freistaat Bayern führt zu einer Erhöhung der Heimkosten von bis zu 130 Euro monatlich.

(Beifall bei der SPD)

Das ist Politik zulasten der schwächsten Menschen in unserem Lande.

Sechster Punkt: Auch Familien mit Kindern leben gerne in Bayern. Sie haben aber Probleme, insbesondere was die Kinderbetreuung betrifft. Sie haben diesem Thema eine erfreuliche Aufmerksamkeit gewidmet. Bayern könnte in der Tat das familienfreundlichste Land Deutschlands sein. Warum sind wir das aber bei Weitem nicht? – Wir sind es nicht, weil die Mehrheitspartei in vielen gesellschaftspolitischen Fragen, insbesondere beim Frauen- und Familienbild, immer noch nicht in der Gegenwart angekommen ist, –

(Beifall bei der SPD)

sondern an alten, völlig überholten Ideologien festhält. Für diese Rückständigkeit der CSU müssen Frauen und Familien in Bayern einen hohen Preis bezahlen. Bayern ist das Land mit dem schlechtesten Angebot an Kinderkrippen in ganz Deutschland.

(Joachim Unterländer (CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Das liegt daran, dass Sie noch vor wenigen Jahren Kinderkrippen als sozialistisches Teufelszeug verunglimpft haben, auch in diesem Haus.

(Beifall bei der SPD)

Heute, Herr Kollege Unterländer, fordert die Münchner CSU einen Versorgungsgrad mit Kinderkrippen von 60 %.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Das muss man sich einmal vorstellen. Vor Jahren haben Sie noch gesagt, Kinderkrippen kommen für uns nicht infrage; jetzt fordern Sie einen Versorgungsgrad von 60 %. Das ist ein Treppenwitz.

Wenn Sie im Doppelhaushalt – Frau Stewens, Sie sind nicht zu beanstanden, Sie haben sechs Kinder, ich

komme darauf nachher noch zu sprechen – wenigstens die Zuschussmittel des Freistaates Bayern eingestellt hätten, die Sie bräuchten, um einen Versorgungsgrad von 60 % bei den Kinderkrippen in München zu realisieren,

(Susann Biedefeld (SPD): Bayernweit!)

dann wäre das eine konsistente Politik. Weil Sie das nicht getan haben, ist es reine Wählertäuschung.

(Beifall bei der SPD)

Nein, mit jungen Familien haben Sie wenig im Sinn. Auch unserem Vorschlag, das letzte Kindergartenjahr kostenfrei zu stellen, verweigern Sie sich. Herr Söder darf das zwar fordern, weil die Menschen es wünschen; aber die CSU hält wenig davon.

(Margarete Bause (GRÜNE): Morgen fordert Söder das Gegenteil!)

Frauen sind in Bayern nach wie vor benachteiligt, wenn sie Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Wir wollen Wahlfreiheit: Es ist völlig in Ordnung, wenn ein Vater oder eine Mutter zu Hause bei seinen oder bei ihren Kindern bleibt. Es ist aber auch in Ordnung, wenn ein Vater oder eine Mutter Kinder haben und einer beruflichen Tätigkeit außer Haus nachgehen will.

(Beifall bei der SPD)

Dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen.

Die Bayerische Verfassung fordert gleiche Chancen für Frauen. Die sind in Bayern nicht gegeben. Werfen wir einen Blick in unsere Hochschulen: Mehr junge Frauen als junge Männer machen das Abitur, und junge Frauen nehmen häufiger als junge Männer ein Studium auf. An den bayerischen Hochschulen aber beträgt der Professorinnenanteil nur 9,4 %. Das ist der letzte Platz in Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

82 % der Professorinnen haben keine Kinder.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Was sagt uns das?)

Das beweist doch, dass es für Frauen, die beruflich genauso erfolgreich wie Männer sein wollten, nicht möglich war, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen. Das ist der Beweis. Das betrifft nicht nur Professorinnen – um die geht es hier nicht in erster Linie –, sondern alle Frauen in diesem Land.

(Beifall bei der SPD)

Frau Stewens, Sie haben sechs Kinder, das ist in Ordnung. Im Jahr 2005 gab es in Bayern nur noch 107 000 Geburten. Das ist der niedrigste Stand seit 1979, obwohl wir damals 1,6 Millionen Einwohner weniger hatten. Das ist das Ergebnis Ihrer Familienpolitik!

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Im Übrigen ist das auch kein Wunder, Frau Merk, Frau Müller und Frau Stewens, dass es nur drei Frauen in die Bayerische Staatsregierung geschafft haben. Drei Frauen unter 18 Kabinettsmitgliedern, das ist der schlechteste Stand von allen deutschen Regierungen. Das ist armselig, was Sie hier zustande bringen, Herr Stoiber!

(Beifall bei der SPD – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Das ist Wahnsinn und armselig!)

Jetzt haben Sie, Herr Stoiber, Ihre Zukunftskommission vorgestellt. Wie hieß das: Die 19 besten Köpfe Bayerns? Das haben Sie gesagt, Herr Stoiber. Darunter ist nicht eine einzige Frau! Herr Stoiber, so etwas gibt es doch sonst nur in muslimischen Gottesstaaten, aber nicht in einer Demokratie, in der Frauen und Männer gleiche Rechte haben.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Rettung naht aber, denn die CSU diskutiert ein neues Grundsatzprogramm. Man höre und staune: Im neuen Grundsatzprogramm versucht die CSU, in der Gegenwart anzukommen. Es kommen Frauen darin vor, Familien, sogar die Gleichstellung der Frau. Sogar Lesben und Schwule kommen darin vor.

(Alexander König (CSU): Nur kein Neid!)

Die CSU sagt, das ist keine Krankheit, sondern nur eine Lebensform. Herzlichen Glückwunsch für diese großen Anstrengungen, die Sie leidenschaftlich diskutiert haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Maget, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus Ihrer Fraktion?

Jetzt war ich gerade so schön drin, aber ich gestatte sie.

Herr Kollege, halten Sie es für richtig, dass auf der einen Seite das Handy-Verbot an den Schulen gilt, dass aber auf der anderen Seite der Herr Ministerpräsident während Ihrer Rede ständig mit dem Handy spielt?

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN – Alexander König (CSU): Das musste unbedingt gefragt werden!)

Das habe ich nicht bemerkt, aber da will ich großzügig sein. Wenn er den Frauen in unserer Gesellschaft endlich faire Chancen gibt, dann darf der Ministerpräsident mit dem Handy telefonieren. Dann ist das für mich in Ordnung.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Alexander König (CSU): Super-Frage und Super-Antwort!)

Ihr CSU-Grundsatzprogramm hat eine einzige Funktion: Sie wollen wie ein „Hobo“ auf einen fahrenden Zug aufspringen, der in Richtung Gegenwart und Zukunft fährt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie wenigstens noch den letzten Waggon erreichen.

(Beifall bei der SPD)

Siebter Punkt. Es ist mittlerweile gänzlich unbestritten, dass unser Bildungssystem unterfinanziert ist, in Bayern sogar extrem unterfinanziert ist. Dieser Befund gilt für die gesamte Bildungskette von der Kindertagesstätte über die Schulen und Hochschulen bis zur Erwachsenenbildung. Bei der Erwachsenenbildung wollten Sie sich ganz aus der Förderung zurückziehen. Unsere Hochschulen haben mit einer Überlast von 200 % bis 300 % zu kämpfen. Jetzt hätte es die Möglichkeit gegeben, unser Bildungssystem endlich besser zu finanzieren. Die Bürgerinnen und Bürger Bayerns zahlen im nächsten Jahr 900 Millionen Euro allein durch die höhere Mehrwertsteuer. Wenn man die Bürger schon zur Kasse bittet, dann sollen sie wenigstens etwas Vernünftiges dafür bekommen, nämlich ein besseres Bildungssystem.

(Beifall bei der SPD)