Protokoll der Sitzung vom 14.12.2006

(Beifall bei der SPD)

Wiederum laut „Süddeutscher Zeitung“ vom 5. Dezember 2006, das ist also gar nicht lange her, erhofft sich die Staatsregierung angesichts der veröffentlichten Zahlen vom Ausbau des Landeserziehungsgeldes – man höre und staune – und dem Ausbau der Kinderbetreuung eine Trendwende. Wir sind darauf gespannt.

Doch, meine Damen und Herren, wie sieht die Wirklichkeit aus? – Noch immer ist Bayern eines der Länder mit der schlechtesten Versorgungsquote bei Kindern unter drei Jahren im Hauptbereich. Der Bericht der Bundesregierung vom Juli dieses Jahres weist eine Quote von 5,3 % aus. Das bestreiten Sie immer; Sie selbst haben in einer Antwort von 7 % gesprochen. Selbst wenn ich 7 % zugrunde lege, ist dies aber wirklich kein Ruhmesblatt für die Staatsregierung.

Das neue Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz hat wegen der schlechten Rahmenbedingungen keinen Durchbruch für eine bessere vorschulische Bildung und Betreuung unserer Kinder gebracht.

(Beifall bei der SPD)

In mancherlei Hinsicht bedeutet es sogar einen Rückschritt gegenüber der bisherigen Förderung. Zwar sind für die Kindertagesbetreuung insgesamt 15 Millionen Euro für 2007 und 20 Millionen Euro für 2008 mehr vorgesehen, das bedeutet aber kaum eine verbesserte Förderung für das Kind. Vielmehr wird das Geld dafür gebraucht, um die nunmehr in die Förderung einbezogenen Kinderkrippen und Kinderhorte zu fi nanzieren.

Stellvertretend für all die vielen kritischen Stimmen zum Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz darf ich Ihnen einen Auszug aus dem Weltblatt „Traunreuter Anzeiger“ zitieren – Frau Kollegin Steiger, hören Sie bitte zu: Pittenhart – Kindergarten bittet um Hilfe. Zitat: Wünsche schicken wir wie Sterne. Mit diesem Lied begrüßten die Kindergartenkinder Weihbischof Dr. Franz Dietl im Rahmen seiner Visitation im Pfarrverband des Kindergartens St. Aloisius in Pittenhart. Dessen Leiterin Maria Eder nutzte die Gelegenheit, den Bischof auf die nicht ganz leichte Situation des Kindergartens aufmerksam zu machen; denn mit dem neuen Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz seien drastische Verschlechterungen für die Kindergärten im Pfarrverband Obing eingetreten. Durch die Reduzierung der Wochenarbeitszeiten für das Personal und geplante weitere Kürzungen könne kaum noch Teamarbeit stattfi nden. Es

fehle die nötige Vorbereitungszeit, und die Eltern seien zum Teil aufgebracht, weil sie trotz gestiegener Beiträge weniger Qualität bekommen würden. Auch beim Personal herrsche große Unsicherheit und Angst vor den ständig wachsenden Anforderungen. – Zitatende. Meine Damen und Herren, das ist nur eine von vielen Stimmen über das neue Bildungs- und Betreuungsgesetz. Auch darauf können Sie nicht stolz sein; denn Sie haben nicht Fortschritt, sondern Rückschritt produziert.

Frau Staatsministerin, Sie haben leider die Chance verpasst, bei der Bildung und der Betreuung einen echten Paradigmenwechsel vorzunehmen. Wir haben Ihnen vorgeschlagen – das wäre ein echter Paradigmenwechsel –, das letzte Kindergartenjahr für die Eltern beitragsfrei zu stellen, damit die Attraktivität des Kindergartens zu erhöhen und vor allen Dingen jene Kinder in den Kindergarten zu bekommen, die dieses Bildungsangebot eben in besonderer Weise notwendig haben. Frau Staatsministerin, Sie haben gesagt, das sei ein wichtiges familienpolitisches Signal. Allerdings haben Sie damit nicht unseren Vorschlag gemeint, sondern Sie haben die Ankündigung der Stadt Ansbach, das Kindergartenjahr auf kommunale Kosten beitragsfrei zu stellen, so begründet. Warum nicht auch für ganz Bayern? Warum nur in Ansbach, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD)

Wir sind der Auffassung, dass Bildung eine staatliche Aufgabe ist und frühkindliche Bildung stärker gefördert werden muss. Dieser Auffassung sind wir im Übrigen nicht alleine. Auch prominente Mitglieder Ihrer Partei und Ihrer Schwesterpartei, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, wie Herr Faltlhauser, wie Herr Söder, wie Frau von der Leyen, haben sich ebenfalls für ein beitragsfreies Kindergartenjahr ausgesprochen. Ich bin überzeugt davon, meine Damen und Herren, nachdem der Ministerpräsident vorgestern so vollmundige Erklärungen abgegeben hat: Spätestens in einem Jahr ist auch die CSU so weit, das letzte Kindergartenjahr beitragsfrei zu stellen.

(Zuruf von der SPD: So schnell nicht!)

Na ja, vielleicht. Wir stehen schließlich vor Wahlen.

Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Fördermittel für die Kinderbetreuung und für das Landeserziehungsgeld ist ja keine echte Mehrung im Landessozialhaushalt, sondern – das ist das Fatale – Sie nehmen das Geld denen, die sich am wenigsten wehren können: Das sind die Pfl egebedürftigen, und das sind die Menschen mit Behinderungen. Beim Landesplan für Altenhilfe sparen Sie knapp 30 Millionen Euro und beim Landesplan für Behinderte sogar 41 Millionen Euro ein. Es ist unseriös, Eltern mit Kindern gegen pfl egebedürftige Menschen und behinderte Menschen auszuspielen.

(Beifall bei der SPD – Joachim Unterländer (CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Das stimmt sehr genau. Im vergangenen Monat haben Sie ein neues Zeichen für das soziale Bayern gesetzt, indem Sie die Förderung für die stationäre Pfl ege völlig

eingestellt haben – ein Ruhmesblatt –, und das angesichts einer demografi schen Entwicklung, die nicht, wie Sie sagen, Herr Unterländer, eine Versorgung nach dem Motto „ambulant vor stationär“ ermöglicht, sondern die in erhöhtem Maße ambulante und stationäre Versorgung erfordert. Sie haben in einem anderen Zusammenhang und auch hinsichtlich der Förderung der Pfl ege, der Krankenhäuser und anderer sozialen Einrichtungen etwas gesagt. Dieses ist im Grunde genommen nicht ein Einmischen oder ein starker Ausdruck Ihrer Politik, sondern Sie ziehen sich mehr und mehr aus diesem Politikfeld zurück und überlassen es dem freien Markt.

Meine Damen und Herren, der freie Markt wird es nicht richten. Schließlich kann man Aufgaben der Daseinsvorsorge nicht dem freien Markt überlasse. Hier hat der Staat eine Pfl icht zur Fürsorge und zur Sicherstellung, die zum Teil sogar im Gesetz normiert ist. Daraus ziehen Sie sich zurück. Das kann man nur als neoliberal bezeichnen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie hängen sich ein soziales Mäntelchen um, in Wirklichkeit betreiben Sie aber neoliberale Politik.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, mit Ihrem Angriff auf die Fachkraftquote haben Sie ein weiteres Signal gesetzt, das nichts Gutes für ein künftiges bayerisches Heimgesetz erwarten lässt. Wir hoffen, dass mit dieser Zuständigkeit viele Dinge, die wir gemeinsam beklagt haben, verbessert werden können. Ich habe neulich bei einem gemeinsamen Besuch in einem Altenheim in München eine „dicke Schwarte“ überreicht bekommen. Das war nichts anderes als ein Heimvertrag. Wie soll ein Pfl egebedürftiger oder eine Betreuungsperson den wahren Inhalt eines solchen Vertrages ergründen? Hier kommt noch viel Arbeit auf uns zu. Das ist jedoch nur ein kleiner Aspekt. Es gibt noch eine Vielzahl anderer Punkte, die geregelt werden müssen. Ich hoffe, dass Sie sich noch eines Besseren belehren lassen.

Meine Damen und Herren, wie wenig die Nachhaltigkeit zu den Merkmalen Ihrer Sozialpolitik zählt, zeigt das Beispiel des Sozial- und Armutsberichtes. Noch am Anfang dieses Jahres haben Sie auf eine Schriftliche Anfrage der Kollegin Christa Steiger geantwortet, dass die Staatsregierung aktuell keine Erstellung oder Fortschreibung eines Berichtes zur sozialen Lage in Bayern plane, weil dies – Zitat – „keinen entscheidenden Mehrgewinn an Informationen“ bringe.

Nun, auf Druck des Forums „Soziales Bayern“ haben Sie immerhin 210 000 Euro in den Haushalt eingestellt. Ein Sozialbericht, wie ihn der Landtag diesmal beschlossen hat, ist das aber nicht. Der Beschrieb reicht dafür nicht aus; denn hier geht es nur darum, bestimmte Zahlen zur Entwicklung gemeinsamer transparenter Strukturen für einen vergleichbaren Armuts- und Reichtumsbericht zu erstellen. Das ist nicht Fisch, das ist nicht Fleisch. Wir wollen, dass der Landtagsbeschluss umgesetzt wird, und zwar 1:1. Das ist eine wichtige Grundlage dafür, dass

eine Armutsbekämpfung in Bayern überhaupt in Gang kommen kann.

(Beifall bei der SPD)

Bei der Insolvenzberatung sieht es nicht besser aus. So hat die Caritas im November 2006 berichtet, dass in Bayern immer mehr Familien mit Kindern in die Verbraucherinsolvenz abrutschen. Die Gesamtzahl der Insolvenzen sei im ersten Halbjahr 2006 um 47 % gestiegen. Was machen Sie? – Im Haushalt taten Sie bis zum 15. Dezember nichts. Sie lehnen unsere Anträge auf Erhöhung der Mittel für die Insolvenzberatung radikal ab und bringen dafür einen windigen Dringlichkeitsantrag ein, mit dem Sie für das Jahr 2006 noch Haushaltsmittel zusammenkratzen und darauf hinweisen, dass in den Jahren 2007 und 2008 die Mittel nennenswert erhöht würden. Das ist schon ein starkes Stück. Um wie viel werden die Mittel erhöht? – Um 100 000 Euro.

(Christa Steiger (SPD): Das ist eine Schande!)

Das ist ein Strohhalm für die Insolvenzberatung, es reicht aber nicht aus, damit die Beratungsstellen die Aufgaben erfüllen können, die sie erfüllen müssen. Wie wir gehört haben, werden diese Aufgaben immer dringlicher. Das wäre auch Familienpolitik im Sinne dessen, was Sie immer behaupten, was Sie jedoch letztlich nicht tun. Damit könnten Sie vielen Familien helfen, sich selbst zu helfen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, leider reicht die Zeit nicht aus, um all die Themenfelder, die wichtig sind, anzusprechen. Lassen Sie mich noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, nämlich auf das Thema Rauchverbot. Heute Vormittag hat Herr Staatsminister Dr. Schnappauf gesprochen. Ich habe von ihm zu diesem Thema nichts gehört, obwohl er der zuständige Minister für die Prävention wäre. Dies zeigt im Grunde nur, wie verfehlt die damalige Ressortaufteilung gewesen ist. Wir fordern, dass die Zuständigkeit für die gesamte Gesundheit wieder ins Sozialministerium kommt. Dann haben wir wieder ein Gesundheitsministerium. Im Augenblick haben wir zwar zwei, aber man weiß nicht, wer eigentlich wofür zuständig ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Thema Rauchverbot ist ein wichtiges Thema. Wir fordern, dass die Staatsregierung – ähnlich wie damals bei den Biergärten – schnell und vor allem radikal handelt. Hier darf es keine windigen Kompromisse geben. Wir hören jetzt, dass der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen die Federführung bei diesem Thema übernehmen soll. Wir können uns vorstellen, in welche Richtung die Reise gehen wird, nämlich in Richtung „blau lau“. Wenn Sie etwas tun wollen, dann handeln Sie bald, handeln Sie gleich und handeln Sie so, dass es die Menschen auch verstehen. Wir brauchen ein absolutes Rauchverbot in allen öffentlichen Räumen.

(Beifall bei der SPD)

Ich könnte zum Thema Arbeit heute viel sagen, aber ich darf es nicht mehr. Ich möchte aber feststellen: Dieser Sozialhaushalt hat in wesentlichen Elementen falsche Ansätze. Er ist kein Haushalt, von dem neue Impulse ausgingen. Im Gegenteil: Er verwaltet den Mangel. Er ist deshalb ein schlechter Haushalt. Wir werden ihn ablehnen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU: Jetzt übertreiben Sie aber!)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach der Regierungserklärung unseres Ministerpräsidenten vom Dienstag müsste man eigentlich annehmen, dass allgemeiner Konsens darüber herrschte, dass der Sozialhaushalt oberste Priorität habe. Wir haben gehört, Kinder stünden im Vordergrund und Familien seien der CSU das Wichtigste. Der Sozialhaushalt müsste daher eigentlich ganz vorne rangieren. Leider ist das Gegenteil der Fall.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Sozialministerium rangiert im Internet bei den Links der Staatsregierung an letzter Stelle. Auch der Newsletter des Sozialministeriums fi ndet sich unter den Newslettern der Bayerischen Staatsregierung an letzter Stelle. Damit nicht genug. Das Interesse der CSU an diesem Thema zeigt sich auch daran, dass bei der Rede des Vorsitzenden des Sozialausschusses gerade einmal zwei Mitglieder des Sozialausschusses anwesend waren. Dies beweist, dass der Stellenwert der Sozialpolitik ganz tief unten angesiedelt ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Sozialpolitik befi ndet sich in der Tiefgarage. Sie befi ndet sich im toten Winkel, dort, wo keine Kamera hinkommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Seit dem Jahr 2002 stagniert der Zuschuss. Herr Kollege Unterländer, Sozialpolitik darf eben nicht von den Steuereinnahmen abhängig sein. Die Sozialpolitik muss sich an den Bedürfnissen der Menschen und den Erfordernissen der sozialen Belange in einem Staat orientieren. Nur dann ist sie eine gute Sozialpolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb stellt sich die Frage: Was ist Bayern das Soziale wert? Was soll das Soziale in einem Staat leisten? – Das Soziale soll Teilhabemöglichkeiten für jeden Menschen schaffen. Das Soziale soll die Sicherung der Existenz garantieren. Das Soziale soll ein Leben in Würde, Hilfe in der Not, Unterstützung bei Problemen und die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens garantieren. Das alles wissen Sie; denn es kommt in Ihren Sonntagsreden und Ihren Parlamentsreden immer wieder vor.

Die Frage ist nur: Wie wird dieses Ziel verwirklicht?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte allerdings noch auf einen ganz anderen Aspekt aufmerksam machen: Sozialpolitik hat auch einen investiven Charakter. Das wird immer leicht übersehen. Es geht nicht nur darum, die Büchse der Pandora zu öffnen, es geht darum, Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Diese Investitionen in die Zukunft zahlen sich aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber das wird von Ihnen immer übersehen. Ich bringe Ihnen hierfür jetzt einige Beispiele. Beispiel 1: die frühkindliche Bildung. Ihr Stellenwert ist von allen anerkannt und absolut unumstritten. Leider folgt die Politik aber nicht dieser Erkenntnis. Wir haben bei der Betreuung der unter Dreijährigen noch immer einen Deckungsgrad von nur 4 %. Das ist miserabel und viel zu wenig. Auf das Spargesetz BayKiBiG möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, denn das habe ich in der letzten Ausschusssitzung ausführlich getan. Es ist leider so, dass ich mich zu diesem Gesetz bald selbst nicht mehr reden hören kann, weil die Kritikpunkte immer die selben bleiben, bleiben müssen, weil sich nämlich nichts verändert.