Protokoll der Sitzung vom 07.02.2007

Wir haben nach dem Pilotversuch nur eine Evaluierung. Ich will an diesem Punkt ganz deutlich machen, dass ich mich nicht sklavisch an die Ergebnisse der Evaluierungskommission gehalten habe, die sich zum Teil auf eine eingeschränkte Datengrundlage gestützt haben. Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass wir in bestimmten Bereichen das Widerspruchsverfahren beibehalten wollen, nämlich im Wesentlichen im Landwirtschaftsrecht, in Teilen des Subventionsrechts, im Sozialrecht und neuerdings im Zusammenhang mit den Rundfunkgebühren. Wir wollen allerdings in diesen Bereichen das Widerspruchsverfahren als fakultativ vorsehen, ähnlich dem Gedanken der Sprungrevision, dass es also möglich ist, dass sich der Widerspruchsführer – also derjenige, der ein Rechtsmittel einlegt – überlegt, ob er das verwaltungsintern über einen Widerspruch geprüft haben will oder ob er gleich an das Gericht geht. In manchen Fällen – ich nenne als Stichwort die Zweitwohnungssteuer – wissen die Leute, dass sie das Verfahren in jedem Fall bis zum Bundesverwaltungsgericht – in manchen Fällen bis zum Bundesverfassungsgericht – treiben wollen. Dann sind solche Verfahren nur hinderlich. Das Bundesjustizministerium hat uns ausdrücklich erklärt, dass das fakultative Widerspruchsverfahren von der Ermächtigungsgrundlage der Verwaltungsgerichtsordnung erfasst wird.

In anderen Bereichen wird nach unseren Vorstellungen das Widerspruchsverfahren abgeschafft. Ich hoffe, dass wir das sorgfältig und auch zügig beraten. Ich habe auch dem Kollegen Welnhofer schon gesagt: Ich halte es für durchaus möglich, dass das eine oder andere Rechtsgebiet wie mit einer Schablone verändert wird. Wir nehmen jedenfalls die Anregungen der Henzler-Kommission auf und straffen das Widerspruchsverfahren, wie das im überwiegenden Teil der Bundesländer auch geschieht.

Ich habe gehört, dass der Ausschuss eine sorgfältige Anhörung durchführen will. Wenn das geschieht, kann davon ausgegangen werden, dass das alles sachgemäß beraten wird. Ich hoffe, dass die Beratung so sachgemäß, aber auch so zügig erfolgt, dass wir zum 1. Juli wissen, wie das insgesamt in der neuen Weise durchgeführt werden wird. Der Vorschlag der Staatsregierung dazu liegt auf dem Tisch.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Ich eröffne die Aussprache. Es wurde eine Redezeit von fünf Minuten pro Fraktion vereinbart. – Herr Kollege Schindler, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, Sie erwarten eine sachgemäße Beratung. Ich sichere Ihnen diese, soweit das in meinen Möglichkeiten steht, ausdrücklich zu. Ich darf darauf hinweisen, dass die SPDFraktion dem Pilotprojekt zugestimmt hat, als es hieß, dass getestet und dann vorurteilsfrei und ergebnisoffen evaluiert werden soll, wie sich die probeweise Abschaffung des Widerspruchsverfahrens im Regierungsbezirk Mittelfranken im Vergleich zum Regierungsbezirk Schwaben auswirkt. Wir haben dem zugestimmt, waren allerdings gegen die Verlängerung der Testphase um ein weiteres Jahr; wir halten sie auch nach wie vor für nicht erforderlich.

Ich möchte mich ausdrücklich für den sehr umfangreichen, detailreichen Evaluierungsbericht bedanken, der nun vorgelegt worden ist. Herr Staatsminister. Ich stelle aber fest, dass die Empfehlungen dieses Berichts nicht mit dem Inhalt Ihres Gesetzentwurfs übereinstimmen, insbesondere nicht in den Kernaussagen. Ich darf aus der Zusammenfassung des Berichts zitieren:

Beim Verwaltungsgericht Ansbach führte die probeweise Abschaffung des Widerspruchsverfahrens zu einem sprunghaften Anstieg der Klageeingänge in den vom Pilotprojekt betroffenen Rechtsgebieten … Die probeweise Abschaffung des Widerspruchsverfahrens führte bei globaler Betrachtung zu keinem spürbaren Beschleunigungseffekt … Langfristig dürfte die Laufzeit eher noch weiter steigen …

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

So heißt es in der Zusammenfassung des Berichts.

Für die Bürger/Betroffenen erhöhte sich zugleich die geschätzte Kostenbelastung … durch den Zwang zur sofortigen Klage erheblich. Auch aus Staatssicht sind insgesamt betrachtet keine wesentlichen Einsparpotenziale erkennbar.

Im Abschlussbericht heißt es daher zusammenfassend:

Das Widerspruchsverfahren erfüllt überwiegend seine Funktionen. Der Widerspruch hat sich in Schwerpunktbereichen als „bürgerfreundlicher“ und meist auch schneller

und ich füge hinzu: als kostengünstiger –

Rechtsbehelf bewährt.

Jetzt muss man erklären, warum man dennoch in vielen Rechtsgebieten das Widerspruchsverfahren abschaffen will. Wenn ich die Begründung zum Gesetzentwurf richtig gelesen habe, ist es genau die gleiche Begründung, mit der man damals den Versuch begonnen hat. Sie wollen die Vorgaben der Henzler-Kommission erfüllen, und zwar unabhängig davon, was im Pilotprojekt festgestellt worden ist. In der Testphase wurde festgestellt, dass es zum Beispiel im Städtebaurecht und in anderen

Gebieten des Baurechts sehr wohl sinnvoll ist, das Widerspruchsverfahren aufrechtzuerhalten. Dennoch heißt es im Gesetzentwurf, dass man dieser Empfehlung nicht folgen will. Aus rechtspolitischen Erwägungen will man angebliche Hemmnisse für das Wirtschaftswachstum beseitigen. Wenn das so ist, hätte man sich den Riesenaufwand, der in den vergangenen zwei Jahren betrieben worden ist, ersparen können. Wir werden aber noch Gelegenheit haben, in den Ausschüssen detailliert darüber zu beraten.

Der Vorschlag, das Widerspruchsverfahren in manchen Rechtsbereichen fakultativ aufrechtzuerhalten, ist interessant; in anderen Ländern wird auch über die Möglichkeit diskutiert, entweder Widerspruch oder Klage zu erheben. Es stellt sich aber die Frage, warum man diese fakultative Möglichkeit nicht für alle Rechtsgebiete vorsehen will. Das könnte auch eine Lösung des Problems sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles in allem sichere ich eine sachgemäße Beratung zu. Es muss aber klar bleiben, dass die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens eine Verkürzung des Rechtswegs darstellt, dass nicht bewiesen worden ist, dass das Widerspruchsverfahren irgendjemanden in seiner freien Entwicklung und Entfaltung hemmt, sondern dass ganz im Gegenteil bewiesen wurde, dass es eine notwendige Selbstkontrolle der Verwaltung ist, dass die Zahl der Widersprüche, denen abgeholfen worden ist, doch in vielen Rechtsbereichen nennenswert hoch ist. Es bedarf daher schon einer ganz guten Begründung, wenn man Widerspruchsverfahren in weiten Bereichen gänzlich abschaffen will, wie es vorgeschlagen wird.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Guttenberger.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Schindler, es ist richtig, dass wir uns im Landtag parteiübergreifend auf ein Pilotprojekt in Mittelfranken geeinigt haben und dass wir dabei untersuchen wollten, was für die Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens spricht und was dagegen. Es sollte untersucht werden, ob es damit zu einer Deregulierung kommt, die für die Bürgerinnen und Bürger günstig ist, oder nicht. Es ging nicht darum, wie Sie es jetzt darstellen, dadurch besonders viele Mitarbeiter einzusparen. Da habe ich etwas ganz anderes in Erinnerung.

Wir haben uns bei diesem Thema sehr viel Mühe gemacht und gesagt, wir wollen sehen, welche Daten in Schwaben im Vergleich zur Pilotphase in Mittelfranken erhoben werden. Wir haben damals festgestellt: Gegen das Widerspruchsverfahren wird immer wieder angeführt, dass es das Verfahren unnötig verlängert, dass es einer raschen Gerichtsentscheidung und damit auch einer raschen Schaffung von Rechtssicherheit entgegensteht. Für das Widerspruchsverfahren sprachen die Argumente der Selbstkontrolle der Verwaltung und die Tatsache, dass es ein kostengünstigeres und schnelleres Rechtsmittel ist.

Eine ganz wichtige Frage war, ob durch ein Widerspruchsverfahren Rechtsfrieden geschaffen wird, oder ob Rechtsfrieden genau durch dieses Verfahren eben nicht geschaffen wird.

Es ging darum, diese Argumente abzuwägen. Wir haben vom 01.07.2004 bis zum 30.06.2006 die Datenerhebung vonstatten gehen sehen mit den entsprechenden Zwischenberichten – vielen Dank an das Innenministerium –, und wir wollen diese konkreten Daten umfassend und ohne zeitlichen Druck ausgewertet wissen. Deshalb hat die CSU-Landtagsfraktion einer weiteren Verlängerung bis zum 30.06.2007 zugestimmt.

Die Erhebung ist abgeschlossen. Die Auswertung ist abgeschlossen. Ich begrüße die Stärkung des VG Ansbach, Herr Minister. Wir begrüßen auch, dass für die Rechtsbereiche, wo sich anhand der Zwischenberichte abgezeichnet hat, sich das Widerspruchsverfahren bewährt, im Gesetzentwurf vorgesehen ist, es in fakultativer Form zu belassen, sei es der Bereich der Kommunalabgaben, des landwirtschaftlichen Subventionsrechts oder des materiellen Sozialrechts. Denn es zeigt sich, dass Massenverfahren wie im Ausbildungs- und Förderrecht ansonsten zu einer starken Überlastung der Verwaltungsgerichte führten.

Wir sind der Ansicht, dass das ein richtiger Ansatz war. Wir sehen aber auch, dass für die Bereiche Baurecht, Wasserrecht, Immissionsrecht und viele andere die gänzliche Abschaffung vorgesehen ist.

(Zuruf von der SPD: Gewerberecht!)

Auch Gewerberecht, Herr Kollege.

Wir werden diesen Vorschlag einer eingehenden Überprüfung und Diskussion unterziehen. Der beste Weg für eine solche Überprüfung und eine Diskussionsgrundlage ist die Anhörung der Sachverständigen. Wir werden die Ergebnisse dieser Anhörung und der Anhörung der Verbände, die wir ergebnisoffen weiter verfolgen, unserer Entscheidung zugrunde legen.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Klingt gar nicht schlecht!)

Deshalb ist der Gesetzentwurf für uns ein guter wichtiger erster Schritt, aufgrund dessen wir in der Anhörung sehen werden, welche weiteren Schritte dem folgen werden.

(Beifall bei der CSU – Rainer Volkmann (SPD): Da mache ich mir keine Sorgen!)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Wir haben uns im langen Probelauf des Projekts „Abschaffung des Widerspruchsverfahrens“ auf einiges eingestellt. Wir haben aber nicht mit einem solchen Sowohl-als-auch-Gesetzentwurf gerechnet. Hier

übertreffen Sie wirklich noch Ihre Beschlussunfreudigkeit zum Ladenschlussgesetz.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich frage mich, ob Sie niemandem weh tun oder ob Sie ohne Gesichtsverlust aus dem Vorhaben aussteigen wollten, von dem Sie schon zur Halbzeit wussten - nämlich als die Zahlen zu einem Antrag der SPD und einer Schriftlichen Anfrage der GRÜNEN vorlagen -, dass es nicht so funktionieren wird, wie sich das Herr Henzler vorgestellt hat, der wirklich bar jedes internen Verwaltungswissens ist.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Woher denn auch?)

Er handelt ausschließlich nach Wirtschaftsinteressen und nimmt ansonsten weder auf die besonderen Bedingungen, noch auf die Bedürfnisse der Bürger Rücksicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Gesetzentwurf ist weder Fisch noch Fleisch. Ich bin in freudiger Erwartung auf die Stellungnahmen, die es bei der Anhörung geben wird. Ich halte diese Anhörung für sehr sinnvoll, weil Sie Beratungsbedarf haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viel Mühe hat sich die Verwaltung mit der Evaluierung des Probelaufs gegeben. Ich bedanke mich ganz herzlich bei der Verwaltung für diese Arbeit und möchte, dass das im Protokoll aufgenommen wird. Ich möchte der Verwaltung aber auch mein großes Bedauern ausdrücken, denn ihre Arbeit ist für den Kamin. Herr Kollege Schindler hat vorgelesen, dass man bereits im Voraus wusste, wie dieser Bericht auszugehen hat und der Gesetzentwurf aussehen soll. Der Probelauf plus Verlängerung hat gezeigt, dass wir in vielen Bereichen das obligatorische Widerspruchsverfahren brauchen und nicht das „Wer will, der kann“.

Meine Herren und Damen, in der letzten Ausgabe der Bayerischen Verwaltungsblätter fi nden wir eine Reihe von Aufsätzen zu dem Thema „Widerspruchsverfahren“. Den Titel eines Aufsatzes möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Er hat mich zum Schmunzeln gebracht. Er lautet: „Statistik als Wille und Vorstellung“. Für mich heißt das: Was nicht passt, wird passend gemacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach all diesen Einschätzungen werden künftig Ressourcen weder besonders geschont noch wird die Belastung abnehmen. Im Gegenteil. Mit Zahlenmaterial wird belegt, dass die Belastung der Gerichte zunehmen wird. Es handelt sich um einen „Verschiebebahnhof“, genauso wie wir es befürchtet haben.

Kürzere Verfahrenszeiten, wie hier angesprochen wurde, wird es nicht geben, weil die Verfahren unter Umständen vor den Gerichten sehr viel länger dauern werden.

Dort, wo das Widerspruchsverfahren als Alternative zur Klageerhebung bestehen bleiben soll, wird es eine Reihe von Umsetzungsproblemen geben. Auch diesen müssen wir uns in der Anhörung zuwenden. Das geht bis zu dem Punkt, wie eine wasserdichte Rechtsbehelfsbelehrung aussehen soll. Ich bin gespannt, was wir bzw. Sie sich einfallen lassen werden.

Der Gesetzentwurf ist nicht besonders bürgerfreundlich und wirkt schon aus diesem Grunde nicht deregulierend denn er wird Nachfragen ohne Ende produzieren, und er wird Unsicherheit schaffen. Wir freuen uns auf die Anhörung und auf die Regelung, Beratung und Lösung der dort sicherlich auftauchenden Fragen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen als dem federführenden Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Ich sehe keine Gegenstimmen. So beschlossen.