Kolleginnen und Kollegen! Die Mittagspause ist beendet. Alle, die mich hören, möchten bitte in den Plenarsaal kommen. Ich lade Sie dazu herzlich ein.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Dr. Christoph Rabenstein, Klaus Wolfrum u. a. u. Frak. (SPD) Massenentlassung bei der Rosenthal AG (Drs. 15/7783)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Markus Sackmann, Franz Josef Pschierer u. a. u. Frakt. (CSU) Umstrukturierung bei Rosenthal sozialverträglich gestalten (Drs. 15/7795)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als Erstem darf ich Herrn Kollegen Wolfrum das Wort erteilen.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Gleich zu Beginn darf ich feststellen, dass meine Fraktion auf namentliche Abstimmung Wert legt. Ich bin zwar kein Freund von hektischen Bewegungen auf Fluren und Wegen im Landtag. Der Antrag ist uns aber so wichtig, dass wir darum bitten, dazu eine namentliche Abstimmung durchzuführen.
Kolleginnen und Kollegen, die Nachricht von den Massenentlassungen bei der Rosenthal AG hat das östliche Oberfranken bis ins Mark getroffen. Das Unternehmen hat vor wenigen Wochen bekannt gegeben, dass in den Werken Selb und Speichersdorf 300 bis 380 Mitarbeiter entlassen werden. Wahrscheinlich kann man sich in vielen anderen Regionen Bayerns nicht vorstellen, was diese Nachricht für die Region bedeutet. Wieder einmal
müssen die Menschen in der Region mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Freistaat eine derartige Hiobsbotschaft hinnehmen. Damit wird der führende Porzellanhersteller in Oberfranken ebenso von massivem Arbeitsplatzabbau in der Branche erfasst wie vorher schon Hutschenreuther, Winterling und viele andere Unternehmen von Rang und Namen.
Besonders tragisch an der Situation ist die Tatsache, dass die weltweit tätige Rosenthal AG in wirtschaftlicher Hinsicht beileibe nicht schlecht dasteht. So erwartet der Vorstand für dieses Jahr ein Umsatzplus von 2 %. Nachzulesen ist das im „Handelsblatt“. Bedauerlicherweise gehört Rosenthal zu 90 % dem Waterford-WedgwoodKonzern mit Sitz im irischen Dublin. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der irische Mutterkonzern, der sich, wie man hört, in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befi ndet, sich zulasten der Rosenthal AG sanieren will.
Wir haben es hier nach meiner Ansicht mit einer besonders dramatischen Folge der Globalisierung zu tun. Kein Beschäftigter der Rosenthal AG kann verstehen, warum Hunderte von Arbeitnehmern deshalb entlassen werden sollen. Für die Menschen in unserer Region und für unseren Arbeitsmarkt ist das eine blanke Katastrophe, Kolleginnen und Kollegen.
Wie sollen wir jemals von der bayernweit höchsten Arbeitslosenquote herunterkommen, wenn uns eine Schreckensmeldung nach der anderen erreicht? Noch nicht lange ist es her, dass die Textilindustrie im Landkreis Hof, die neben dem Porzellan das zweite wirtschaftliche Standbein Hochfrankens ist, von der Entlassung vieler Beschäftigter in Münchberg und Helmbrechts erschüttert wurde.
Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenen Woche hat in Selb eine beeindruckende Demonstration stattgefunden, bei der rund 4000 Menschen ihre Solidarität mit den Betroffenen und ihre Enttäuschung über die rücksichtslose Personalpolitik der Unternehmensleitung zum Ausdruck gebracht haben. Besonders bewegt hat mich dort ein Transparent mit dem Bild von Philip Rosenthal, über dem der Satz stand: „Du warst für uns ein Held, seit deinem Tod ist Rosenthal in Not.“ Darunter stand: „Stoiber, Huber und Co., rettet Rosenthal vor dem K.o.!“
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese beiden Sätze drücken aus, was sich die Menschen in Selb und Umgebung wünschen. Zum einen sehnen sie sich nach einer menschlichen und solidarischen Unternehmensführung zurück, wie sie der überall geschätzte Philip Rosenthal praktizierte. Für ihn stand der Mensch im Mittelpunkt und nicht der Aktienkurs.
Leider werden diese Zeiten nicht mehr zurückzubekommen sein. Aber ich denke, bei dem anderen Wunsch,
der geäußert wurde, könnte geholfen werden, wenn es die Angesprochenen nur wollten. Stoiber, Huber und Co., rettet Rosenthal vor dem K.o.! – Die Staatsregierung ist gefordert. Von ihr wollen die Menschen Taten sehen. Vor diesem Hintergrund ist unser Dringlichkeitsantrag zu sehen, um dessen Zustimmung ich Sie dringlichst bitte.
Zusammen mit meinem Kollegen Dr. Christoph Rabenstein aus Bayreuth fordere ich die Staatsregierung auf, die aktuelle Situation bei der Rosenthal AG in Gesprächen mit dem Betriebsrat und der Betriebsleitung umgehend zu erörtern mit dem Ziel, den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern. In Zusammenarbeit mit den betroffenen Kommunen, also der Stadt Selb und der Gemeinde Speichersdorf, sowie der Regierung von Oberfranken muss ein mehrjähriges Sonderprogramm aufgelegt werden, um die Region wirtschaftlich zu stärken, Herr Minister, und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen zu unterstützen.
Außerdem beantragen wir, dem Ausschuss für Wirtschaft, Verkehr und Technologie umgehend Bericht zur Situation in Selb und Speichersdorf zu erstatten. Dabei ist darzulegen, welche Maßnahmen ergriffen wurden, welche künftig zu ergreifen sind und welchen Beitrag die Bayerische Staatsregierung hierbei leisten kann.
Meine Damen und Herren, ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemanden in diesem Haus gibt, obwohl nur wenige da sind, dem der Erhalt der Arbeitsplätze bei der Rosenthal AG nicht am Herzen liegt.
Wie schon bei den Massenentlassungen bei AEG in Nürnberg fordert die SPD-Landtagsfraktion auch im Fall der Rosenthal AG ein umfassendes Engagement der Staatsregierung. Wir dürfen die Menschen im östlichen Oberfranken, die vom Strukturwandel betroffen sind wie sonst niemand in Bayern, nicht alleine im Regen stehen lassen. Deshalb müssen wir dringend parteiübergreifend nach einer Lösung für die Rosenthal AG und die gesamte Region suchen.
Sehr viele Arbeitnehmer, insbesondere Frauen, werden es sehr schwer haben, eine neue Beschäftigung zu fi nden. Diese engagierten Arbeitnehmer, die an ihrem traditionsreichen Betrieb hängen, haben in der Vergangenheit schon sehr viel Verzicht geübt, Kolleginnen und Kollegen. Leider hat das nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Das eine um das andere Mal wurden sie zum Lohnverzicht aufgefordert. Sie haben mitgemacht, weil ihnen eingeredet wurde, damit könne man ihren Arbeitsplatz retten. Leider ist nichts davon eingetreten.
Es wäre besser gewesen, Rosenthal hätte sich nicht mit dem irischen Mutterkonzern eingelassen, denn so darf Globalisierung nicht aussehen und so dürfen wir uns in Europa nicht gegenseitig vernichten, Kolleginnen und Kollegen.
Gerade da jetzt in Berlin der 50. Geburtstag der Europäischen Union groß gefeiert und an die Unterzeichnung der Römischen Verträge erinnert wurde, müssten sich die irischen Partner darüber eigentlich auch einmal Gedanken machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte stimmen Sie unserem Dringlichkeitsantrag zu. Das sind wir den Betroffenen in Selb und Speichersdorf und vor allem ihren Familien schuldig. Bitte glauben Sie mir, die Verzweifl ung in Oberfranken ist groß. Die Menschen wollen endlich Taten sehen und nicht weitere wortreiche Ankündigungen von der angeblich glorreichen Zukunft Oberfrankens als Modellregion, Aufsteigerregion, Pilotregion oder Familienregion.
In der Vergangenheit ist die Staatsregierung nicht müde geworden, die Menschen mit solchen Worthülsen zu vertrösten. Leider, Kolleginnen und Kollegen, sieht die Wirklichkeit anders aus.
Helfen Sie Rosenthal, helfen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Oberfranken und sehen Sie nicht weiter zu, wie diese einst blühende Industrieregion zusehends ausblutet.
Kolleginnen und Kollegen von der CSU, zu Ihrem heute um 11.00 Uhr hier im Plenum eingegangenen Antrag kann ich leider nur feststellen, dass in diesem Antrag sehr viel Lyrik ist. Er schadet nicht, stelle ich fest, aber er hilft auch nicht.
Vielen Dank, Herr Wolfrum. – Ich darf noch einmal darauf aufmerksam machen, dass Kollege Wolfrum für die SPD-Fraktion zu diesem Antrag namentliche Abstimmung beantragt. Für die CSU-Fraktion wurde ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt. Nach den Beratungen können wir gleich die namentliche Abstimmung vornehmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von unserem Kollegen Klaus Wolfrum wurde eben dargestellt, wie die Lage bei uns ist. Er hat von Verzweifl ung gesprochen und andere Bezeichnungen gebraucht. Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich kann das nur bestätigen. Es ist so, dass die Porzellanindustrie in den letzten mehr als 100 Jahren für unsere Region die Leitindustrie war. Die Porzellanindustrie ist zu einem Markenzeichen der Region geworden. Das betrifft nicht nur die Stadt Selb, sondern die gesamte Region und auch die nördliche Oberpfalz.
Für uns ist Porzellan immer noch ein Markenzeichen. Das sieht man schon daran, dass es im Porzellanwerksverkauf bei Rosenthal über 100 000 Kassenbons pro Jahr gibt. Wir haben einen großen Porzellanfl ohmarkt mit Zehntausenden von Besuchern an einem Tag im Sommer, und wir haben das größte Porzellanmuseum Europas, das nicht nur die Geschichte der Porzellanherstellung zeigt, sondern auch die Zukunft, zum Beispiel die der technischen Keramikherstellung.
In dieser Situation ist es verständlich, dass die Ankündigung, mehr als 300 Stellen in Selb und in Speichersdorf abzubauen, die ganze Region geschockt hat. Es gab zwar schon seit einiger Zeit Gerüchte, dass so etwas möglich sein könnte, aber selbstverständlich haben alle Mitarbeiter und alle in der Region gehofft, dass es nicht so weit kommt, weil Rosenthal weltweit einen Namen hat und uns zusammen mit den Porzellanfabriken, die wir hatten und noch haben, in der Welt bekannt gemacht hat.
Klaus Wolfrum hat es gerade angesprochen: Am 17. März fand eine Veranstaltung mit, wie der Veranstalter angibt, über 3000 Menschen statt. Wir waren beide bei dieser Demonstration dabei, die zeigen sollte, dass wir in der Region die angekündigten Massenentlassungen nicht kampfl os, vor allem nicht geräuschlos und kommentarlos hinnehmen wollen. Bei dieser Veranstaltung haben Redner aus der Bundes- und Kommunalpolitik, aus Gewerkschaften und aus dem Betriebsrat und auch in den Gesprächen während des 20-minütigen Protestmarsches viele sehr berechtigte Forderungen vorgebracht. Für die Region war es unheimlich wichtig, dass so viele Menschen da waren, und zwar nicht nur aus der Region. Für uns in der Region ist es ganz, ganz wichtig, dass wir diese Unterstützung bekommen und diese Forderungen aufgestellt werden, damit man die Menschen motiviert und wieder aufbaut.
Genauso wichtig ist es aber auch, keine Forderungen aufzustellen, mit denen man unter Umständen Erwartungen oder Hoffnungen weckt, die sich vielleicht nicht erfüllen lassen. Bei der Formulierung geht es oft um Nuancen, wer was wann wie in einem Fall tun oder auch nicht tun kann. Es ist richtig, dass man klar und offen die Möglichkeiten darstellt, die sich jetzt, auf welcher Ebene auch immer, ergeben. Man muss sie aber realistisch ansprechen. Wenn man das nicht tun würde, würde es die Lage verschärfen, wenn man später herausfi ndet, dass die geweckten Erwartungen nicht erfüllt werden können.
Während dieser Demonstration wurde der Geschäftsführung von Waterford und von Rosenthal zugerufen, dass sie eine unternehmerische Initiative zugunsten dieses Qualitätsprodukts ergreifen sollen. Rosenthal gilt weltweit als ein deutsches Qualitätsprodukt. Ich habe vorhin gesagt, dass es allein in einem Jahr weit über 100 000 Kassenbons gibt. Man soll diese Möglichkeiten erkennen, anstatt sich ängstlich und defensiv auf einen Schrumpfungsweg zu begeben. Dieser Forderung wurde von allen applaudiert, weil wir alle hinter dieser Forderung stehen.
Man muss aber dazusagen, dass die Porzellanindustrie in Deutschland mit gewissen Kostenfaktoren zu kämpfen hat; als Stichworte nenne ich die Energiepreise und die Lohnnebenkosten. Ich möchte auch auf die Diskussion
über Mindestlohn und Kombilohn verweisen. Während der 20 Minuten Protestmarsch bin ich neben zwei Gewerkschaftlern gegangen, einer davon war der Vizepräsident der IG BCE Deutschlands, der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Wir haben darüber gesprochen, dass die Frage des Kombilohns im Falle vieler ungelernter Mitarbeiter schon diskutiert werden sollte. Dann hat sich unsere SPD-Bundestagsabgeordnete auf dem Podium ganz klar für den Mindestlohn eingesetzt und an die Union appelliert, ihren Widerstand dagegen aufzugeben, obwohl gerade zehn Minuten vorher die beiden Gewerkschaftler von der IG BCE mit mir über den Kombilohn als vernünftige Lösung diskutiert haben.
Man wird über diese Faktoren, die bundesweit eine Rolle spielen, weiter diskutieren müssen. Das Bundesarbeitsministerium hat zu einem Runden Tisch geladen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Porzellanindustrie zu besprechen. Der Freistaat kann natürlich auch einiges tun. Kurzfristig kann er etwas auf der beschlossenen Grundlage der Verteilung der Fördermittel tun. Die Staatsregierung hat zur Verteilung der Fördermittel des EU-Finanzrahmens von 2007 bis 2013 beschlossen, einen deutlichen Schwerpunkt zugunsten Ostbayerns zu setzen. Deswegen werden wir hier sehr kurzfristig etwas tun können. Wir sind alle mit der Regierung über die Möglichkeiten der Wirtschaftsförderung im Gespräch; bei uns gibt es dazu sehr viele Anträge. Ich bin vor allem der Regierung von Bayreuth sehr dankbar; dort wird sehr viel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze getan, und zwar sehr fl exibel.
Der Antrag der SPD und der Dringlichkeitsantrag der CSU unterscheiden sich nicht stark, lieber Klaus Wolfrum. Sie unterscheiden sich darin, dass die SPD ein mehrjähriges Sonderprogramm für Oberfranken fordert, während wir eine schnelle Hilfe für Rosenthal für sehr wichtig halten, und zwar auf der einen Seite eine politische Hilfe, die dafür sorgt, dass es bei uns keine oder so wenige Entlassungen wie möglich gibt. Auf der anderen Seite müssen bei uns neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Diskussion über ein mehrjähriges Sonderprogramm für Oberfranken würde uns viel zu viel Zeit kosten; wir brauchen eine schnelle Hilfe. Deshalb wird die CSU-Fraktion den Antrag der SPD ablehnen.