Noch etwas muss ich Ihnen sagen. Wenn mit dem unerträglichen Kürzungshaushalt 2004 die Jugendsozialarbeit eingeschränkt wird und die Insolvenzberatung nahezu an die Wand gefahren wird, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was der Sozialbericht indiziert.
Wenn im Haushalt steht, 210 000 Euro werden eingestellt zur Entwicklung transparenter gemeinsamer Strukturen für eine vergleichbare Armuts- und Reichtumsberichterstattung, so ist das noch nicht das Geld für einen Armuts- und Reichtumsbericht. Transparente gemeinsame Strukturen zu schaffen, ist etwas anderes, als einen Sozialbericht zu erstellen. Ein solcher Armuts- und Reichtumsbericht ist aber notwendig. Transparente Strukturen zu schaffen, ist die Vorleistung dazu, aber noch nicht der Bericht. Was wir brauchen, ist der Bericht. Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf der GRÜNEN zu, die Forderung in das AGSGB aufzunehmen, wenn es der Sache dient.
Als nächster Rednerin darf ich Frau Staatsministerin Stewens das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Ministerin.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr vieles ist hier schon grundsätzlich dargestellt worden. Der Bayerische Landtag hat am 19.03.1996 die Staatsregierung beauftragt, in jeder Legislaturperiode einen Bericht zur sozialen Lage in Bayern zu erstellen. Berichtet werden soll über die Lebenslagen insbesondere von Arbeitslosen, kinderreichen Familien – Frau Kollegin Ackermann, denken Sie an das Landeserziehungsgeld bei kinderreichen Familien; da sollten Sie Ihre Position schon überdenken – , Alleinerziehenden, älteren Menschen, insbesondere älteren Frauen, und Ausländern.
Ich sage Ihnen ganz klar: Ich bin nicht bereit, in einer Zeit, in der wir uns in der Sozialpolitik und in der Politik insgesamt im Interesse des Steuerzahlers sehr genau überlegen müssen, wofür wir Geld ausgeben, Gelder für einen Datenfriedhof bzw. für überalterte Daten im Sozialbericht bereitzustellen. Frau Kollegin Ackermann, Sie sollten schon wissen, dass die Reformen SGB II, SGB III und SGB XII völlig andere Reformen sind als die Reform der Pfl egeversicherung, die noch nicht einmal in Angriff genommen worden ist, und als die Reform der gesetzli
chen Krankenversicherung. Im SGB II und im SGB III geht es um die Grundsicherung der Menschen. Es geht um diejenigen, die arbeitslos sind. Im SGB XII geht es um die ehemalige Sozialhilfe, also ebenfalls um die Grundsicherung. Es handelt sich um die Leistungen, die die Menschen zur Lebenshaltung benötigen. Da sollten Sie doch bitte einen gewissen Unterschied machen. Ich meine, so viel kann ich von einer Sozialpolitikerin der GRÜNEN verlangen, dass sie das unterscheiden kann.
Vor dem Hintergrund der Reformen im SGB II, SGB III und im SGB XII haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen grundlegend verändert. Die SPD knabbert doch heute noch an Hartz IV und den Auswirkungen. Deshalb will ich abwarten, wie sich die Reformen auf die einzelnen Lebenslagen, die in dem Landtagsbeschluss aufgeführt sind, auswirken. Ich will nicht mitten in der Umsetzung der Reformen einen Sozialbericht erstellen. Das ist hinausgeworfenes Geld. Das können Sie mit mir als Sozialpolitikerin nicht machen, und darum habe ich es auch nicht gemacht.
Bei der Einkommens- und Verbrauchsstatistik liegen die Daten von 2003 vor. Die Einkommens- und Verbrauchsstatistik wird alle fünf Jahre erstellt. Das Ganze wird heruntergerechnet auf die Länder. Die aktuellen Daten für die Einkommens- und Verbrauchsstatistik werden wohl im Frühjahr vorliegen. Das heißt, dann kann ich wirklich eine valide Sozialberichterstattung durchführen. Sonst hätte ich eine Sozialberichterstattung gemacht, ohne die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstatistik in Bayern für die unterschiedlichen Lebenslagen, für die Sie sie wünschen, zu haben. Ich muss wieder sagen: Tut mir leid, Sie sollten sich wirklich intensiver mit Ihrem Anliegen beschäftigen. Es wäre schlicht und ergreifend hinausgeworfenes Geld. Dazu reiche ich nicht meine Hand. Deshalb habe ich immer ganz klar gesagt, wenn ich valide Daten habe, wenn sich die Reformen bei der Sozialhilfe und der Grundsicherung in der Bevölkerung durchgesetzt haben und wir die Auswirkungen beurteilen können, dann legen wir einen Sozialbericht vor.
Vor diesem Hintergrund ist der Ministerratsbeschluss im November 2006 gefallen, mit der Sozialberichterstattung zu beginnen. Das tun wir zurzeit. Wir stehen kurz vor der europaweiten Ausschreibung in Form einer freihändigen Vergabe. Ich halte es für wichtig und notwendig, sich die unterschiedlichen Lebenslagen genau anzusehen, wobei ich Ihnen sage, dass wir in Bayern, obwohl Sie behaupten, dass wir schlecht dastehen, ausgesprochen gut dastehen. Wir haben in Bayern die niedrigste Sozialhilfequote auch bei den Familien mit Kindern und den Alleinerziehenden. Wir haben mit Baden-Württemberg die niedrigste Arbeitslosenquote. Ich könnte das weiter ausführen. Auch wenn es Ihnen wehtut: Genau deswegen fi nden wir in der Bevölkerung eine so große Zustimmung. Die Menschen wissen, wenn sie in Bayern leben, geht es ihnen dank der Bayerischen Staatsregierung ein Stück weit besser, weil wir verantwortlich sind für die Rahmenbedingungen.
Frau Kollegin Ackermann, ich will Ihnen zum Schluss noch ein Wort sagen. Wir haben keineswegs das Netz von sozialen Einrichtungen zerschlagen. Wir haben auch bei den Erziehungsberatungsstellen keine Kürzungen vorgenommen. In den Familienberatungsstellen sind Kürzungen vorgenommen worden, die wir im nächsten Haushaltsjahr wieder aufgehoben haben. Wir haben mehr Geld in die Familienberatungsstellen gegeben. Sie sollten nicht immer Dinge behaupten, die nicht stimmen. Allerdings wollen wir bei den Ehe- und Familienberatungsstellen- und das halte ich nach wie vor für richtig – bayernweit gemeinsame Beratungsstellen. Das, was wir den Menschen 2004 zugemutet haben, dass sie nämlich von einer Beratungsstelle zur nächsten laufen sollen – Drehtüreffekt –, wollen wir beenden. Wir wollen eine integrierte Beratung.
Die Träger haben sich dann auf den Weg gemacht, um integrierte Beratungsstellen anbieten zu können. Da, wo wir Synergieeffekte erzielen konnten, haben wir durchaus den fi nanziellen Druck erhöht. So konnten wir auch integrierte Beratungsstellen für Ehe und Familie schaffen – das dürfte Ihnen doch nicht entgangen sein, denn darüber haben wir ziemlich intensiv diskutiert, um verbesserte Leistungen für unsere Bevölkerung auf den Weg zu bringen.
Was die Krippenplätze anbelangt, so sollten Sie sich die Zahlen sehr genau ansehen. 7 %, so stellen sich die Zahlen am 01.01.2006 dar. Im Moment gibt es keine exakte Datenerhebung, deshalb sollte man nicht alle Zahlen in einen Topf werfen. Wir wissen aber, dass immerhin 75 % der Kommunen im Kindergartenjahr 2006/2007 – nach dem BayKiBiG sollten es eigentlich 100 % sein – eine Bedarfserhebung in die Wege geleitet haben und Bedarfspläne erstellten. Nach einer – das sage ich ehrlich – vorsichtigen Schätzung sind wir derzeit bei 9 %. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei diesen 9 % rechne ich selbstverständlich die Tagespfl egeplätze mit ein und die Plätze in den altersgemischten Gruppen, weil ich diese Gruppen für sehr wichtig halte. Ich rechne auch die Plätze in den „Häusern für Kinder“ ein, weil ich auch diese für sehr wichtig halte.
Unsere Kinderbetreuungseinrichtungen wandeln sich in „Häuser für Kinder“, in denen die Kinder von der Krippe über den Kindergarten bis zum Hort in einer Einrichtung bleiben.
(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist doch kein Thema! Aber wenn man zählt, dann sollte man ordentlich zählen!)
Ja, Frau Kollegin, ich halte das für ungeheuer wichtig! Das sind familienfreundliche Einrichtungen, und das gilt auch für die Tagespfl ege.
Vor diesem Hintergrund bin ich der festen Überzeugung, dass wir diese Plätze für die Unter-Dreijährigen mit einrechnen müssen. Wir müssen das, weil sie unseren Familien dienen. Wir müssen als Allererstes das Wohl des Kindes im Auge haben.
Vor diesem Hintergrund haben wir auch das Landeserziehungsgeld zu einer Anschlussleistung des Bundeselterngeldes erweitert.
Frau Staatsministerin, Sie haben von „rausgeschmissenem Geld“ gesprochen, wenn ein Landessozialbericht angefertigt würde. Stimmen Sie mir zu, dass auch eine verfehlte Weichenstellung aufgrund von Nichtwissen „herausgeschmissenes Geld“ sein kann? – Wenn man beispielsweise zu wenig Schulsozialarbeiter einstellt, um mit den sozialen Problemen fertig zu werden, dann bekommt man Folgekosten, die, um in der Formulierung zu bleiben, ebenfalls „rausgeschmissenes Geld“ sind. Wenn man zu wenige Betreuungsplätze einrichtet und Familien sich deswegen keine Kinder mehr leisten können, dann sind die Folgekosten unter Umständen ebenfalls „rausgeschmissenes Geld“. Wenn man schlechte Bildungspolitik macht, indem man viel zu große Klassen einrichtet und Lehrkräfte einspart, dann sind auch die Folgekosten hiervon unter Umständen „rausgeschmissenes Geld“. Wenn man bei Integration spart, und damit in Kauf nimmt, dass ausländische Mitbürger benachteiligt werden, dann sind die Folgekosten ebenfalls unter Umständen „rausgeschmissenes Geld“. Wenn man hinnimmt, dass die Lebensbedingungen in einzelnen bayerischen Bezirken schlechter sind als in den anderen, wenn man hinnimmt, dass die Menschen dort sogar eine geringere Lebenserwartung haben, dann können auch die Folgekosten hiervon „rausgeschmissenes Geld“ sein.
Um auf Ihre Behauptung einzugehen, Sie hätten bei den Beratungen nicht gespart: Erinnern Sie sich doch bitte an die Insolvenzberatungen. Diese Stellen haben so wenig Geld, dass die Beratung nur bis zur Mitte des Jahres durchgeführt werden kann. Dann sind die Stellen pleite und die Menschen, die Hilfe brauchen, stehen auf der Straße. Es wurde bei den Insolvenzberatungsstellen gespart, es wurde bei den Familienberatungsstellen gespart und es wurde bei den Integrationsberatungsstellen gespart. Dies alles wird massive Folgekosten mit sich bringen, und das ist „rausgeschmissenes Geld“!
Kollegin Ackermann, Sie zitieren mich leider falsch. Ich habe gesagt, ein Sozialbericht, der auf nicht validen Daten gründet, ist rausgeschmissenes Geld. In Deutschland haben sich Lebenslagen durch die Änderung der Sozialgesetzgebung – Stichworte Hartz IV, SGB II, SGB III und SGB XII – erheblich verändert. Das hatte zu nicht validen Daten geführt. Im Hinblick hierauf einen Sozialbericht zu erstellen, das wäre rausgeworfenes Geld. Ich würde keinen Sozialbericht in Auftrag geben, wenn ich der Auffassung wäre, Geld hierfür sei prinzipiell hinausgeworfen. Das bin ich jedoch nicht. Wir machen deshalb einen Bericht zu den Fragen, bei denen wir glauben, über valide Daten zu verfügen.
Was die Fragen der Integration anbelangt, so könnte man hierzu sehr viel sagen. Frau Kollegin Ackermann, wir sind das einzige Land, das für Kinder mit Migrationshintergrund in den Kinderbetreuungseinrichtungen eine 30 % höhere Förderung vorsieht.
Bei den Integrationsämtern haben wir noch nicht einmal stark gekürzt, wir haben lediglich insofern gekürzt, als – und das weiß jeder – wesentlich weniger Asylbewerber und Aussiedler zu uns nach Bayern gekommen sind. Ich bin deshalb durchaus der Ansicht, dass wir, wenn wesentlich weniger Menschen kommen, nicht die bisher dafür vorgesehene Summe für die Integrationsberatung ausgeben müssen. Sie sollten sich die Dinge deshalb sehr genau ansehen.
Angesichts Ihrer Behauptung, Familien könnten sich keine Kinder mehr leisten, möchte ich Sie an Ihre Haltung erinnern, die Sie heute Morgen bezüglich des Landeserziehungsgeldes zum Ausdruck gebracht haben. Diese Haltung sollten Sie überdenken!
Kurz und gut, ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen Sozialbericht benötigen. Wir haben diesen Bericht in Angriff genommen. Diesen Bericht sollten wir aber auf einer validen Datenbasis erstellen.
Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegt der Gesetzentwurf der GRÜNEN auf Drucksache 15/6809 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik empfi ehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dem Gesetzentwurf dagegen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die SPD-Fraktion und die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Ich bitte, Gegenstimmen anzuzeigen. – Das ist die CSU-Fraktion.
Wir machen jetzt Mittagspause. Die Fraktionen haben sich geeinigt, dass die Mittagspause bis 13.15 Uhr dauert. Besteht damit Einverständnis, oder sollen wir die Mittagspause doch bis 13.30 Uhr anberaumen?
Eigentlich haben sich die Fraktionen vorhin darauf geeinigt, dass die Mittagspause bis 13.15 Uhr dauert. Dann bleiben wir dabei. Ich bitte allerdings, dafür Sorge zu tragen, dass die Kolleginnen und Kollegen, die beim ersten Dringlichkeitsantrag dann sozusagen an die Arbeit müssen, dann auch wirklich hier sind. Ich wünsche eine schöne Pause.