Um das Wort für eine Zwischenbemerkung hat Frau Kollegin Ackermann gebeten. Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege Unterländer, wenn wir Informationen hätten, dann müssten wir nicht – wie Sie es genannt haben – Orgien zur Informationsbeschaffung veranstalten. Dazu haben Sie uns gebracht.
Die erste Frage: Warum haben wir dann bei den Kinderkrippen nur einen Deckungsgrad von sieben Prozent, und warum haben wir so lange Wartelisten für Kinderkrippen, wenn Bayern so gut ist? Warum führen Sie kein Recht auf einen Kinderkrippenplatz ein, wenn Bayern so gut ist?
Zweite Frage: Warum wurde der Sozialbericht über zwei Perioden hinweg nicht fortgeschrieben; denn jede Zahl ist besser als keine Zahl?
Die dritte Frage: Bei Ihrer Logik können wir nicht fortschreiben, wenn immer wieder Reformen anstehen. Daraus folgt, dass Sie den Bericht aufgrund der Wirkungen der Gesundheitsreform und der Pfl egereform weiterhin nicht fortschreiben können.
Die vierte Frage: Wie lange wollen Sie noch warten? – Die letzte Frage beantworte ich gleich selbst: Offensichtlich wollen Sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.
Liebe Frau Kollegin Ackermann, Sie haben Ihre Geschichtsklitterung bei der Erhebung der Zahl der Krippenplätze fortgesetzt. Wir sind nicht bei 7 %, sondern bei über 9 %.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, genau das ärgert mich maßlos. Sie tun immer ab, was an Kinderbetreuung für Unter-Dreijährige in den Familien und in der Tagespfl ege geschieht. Ich weiß nicht, wer diesen Zwischenruf gemacht hat. Aber das ist schändlich, weil die Familien hier eine wesentliche Kompetenz haben.
(Beifall bei der CSU – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Das ist doch nicht der Punkt! Wenn Sie von Kinderkrippen sprechen, müssen Sie sich an der Zahl der Kinderkrippen messen lassen! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!)
Es gibt nicht nur eine Form der Kinderbetreuung für UnterDreijährige. Sie sind mit Ihrem veralteten ideologischen Bild auf dem Holzweg.
Die Frage der bedarfsgerechten Erfüllung der Ansprüche von Eltern in der Betreuung von Kindern unter drei Jahren
wird gerade in der Landeshauptstadt München unzureichend beantwortet, obwohl die Landeshauptstadt München zugegebenermaßen Überdurchschnittliches leistet. In München ist die Nachfrageliste erheblich länger.
(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Die Landeshauptstadt München hat Kinderkrippen eingeführt, als das Land noch nichts getan hat!)
Die Landeshauptstadt München mit ihrer rot-grünen Mehrheit entspricht gerade nicht den Ansprüchen, die Eltern und Familien bezüglich Krippen und Nachmittagsplätzen stellen. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Nehmen Sie auf Ihre Genossen Einfl uss.
Es ist falsch, dass jede Zahl besser als keine ist. Sie wissen genau, dass Hartz IV einen erheblich stärkeren Einfl uss auf die Zahlenanalyse im Sozialbereich hat als die Gesundheitsreform oder die Pfl egereform.
Ihre Argumentation wird nicht besser, indem Sie sie wiederholen. Sie beschränken sich lediglich auf Gesetze und auf ein starres Verfahren. Wesentlich besser ist es, die Sozialberichterstattung fortzuschreiben. Ich verstehe auch nicht, warum Sie sich so aufregen. Wir wollen in dieser Frage doch das Gleiche. Damit habe ich Ihre Fragen beantwortet.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Unterländer, Sie haben sich reichlich gequält. Man könnte diese Diskussion überschreiben „Die Geschichte der Sozialberichterstattung“ oder „Warum die CSU keinen Sozialbericht will“. Herr Kollege Unterländer, bevor ich in die Sachdiskussion einsteige gleich eines vorneweg: Sie sagten, die CSU wolle keine Fortschreibung des Sozialberichts, weil ständige Reformen die Sozialgesetzgebung veränderten. Wenn wir überall so handeln würden, säßen wir noch in den Höhlen und das Rad wäre noch nicht erfunden. Es kann doch nicht sein, dass wir immer auf irgendetwas warten, was vielleicht noch kommen könnte.
Darauf komme ich auch noch zu sprechen. Was im Haushalt steht, ist ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Herr Unterländer, Sie sagten, wir hätten Anfragen- oder Interpellations-Orgien gestartet. Die vornehmste Aufgabe der Opposition ist es, darauf zu achten, wie die Staatsregierung zum Beispiel einen einstimmigen Landtagsbeschluss umsetzt.
Es ist die vornehmste Aufgabe der Opposition, die Arbeit der Staatsregierung zu beobachten und zu bewerten. Es ist nicht Ihre Aufgabe, zu reglementieren, zu bewerten
Herr Kollege Unterländer, die CSU hat sich im Jahr 2004 geweigert, einen Sozialbericht neu aufzulegen. Die Begründung lautete, 500 000 Euro seien für einen Bericht einfach zu teuer. Sie müssen aber zugestehen, dass es noch eine weitere Ursache für die Zögerlichkeit der vergangenen Jahre gibt: Die Ergebnisse des ersten und bisher einzigen Sozialberichts waren so brisant, dass sie nicht im Jahre 1997, als sie von den Wissenschaftlern erhoben wurden, sondern erst mit einjähriger Verspätung nach der Wahl im Jahre 1998 vorgelegt worden sind.
Der Sozialbericht geht auf eine Initiative der SPD zurück. Am 19. März 1996 hat der Landtag einstimmig beschlossen, in jeder Legislaturperiode einen Sozialbericht vorzulegen, der sich insbesondere mit den Lebenslagen von arbeitslosen Menschen, von kinderreichen Familien, von Alleinerziehenden, von älteren Menschen und vor allem von älteren Frauen sowie von Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigt. Er sollte außerdem die Lebenssituation der Menschen in ganz Bayern aufzeigen, insbesondere im Hinblick auf die im Landesentwicklungsprogramm festgeschriebene Gleichwertigkeit der Lebens- und Arbeitsbedingungen in diesem Freistaat.
Dieser Bericht sollte in der 13. Legislaturperiode vorgelegt werden. Die 14. Legislaturperiode ist inzwischen vorbei. Die 15. Legislaturperiode liegt nahezu in den letzten Zügen. In knapp anderthalb Jahren wird diese Legislaturperiode vorbei sein. Herr Kollege Unterländer, Sie haben erklärt, jetzt sei der richtige Zeitpunkt für die Vorlage eines Sozialberichts. Dazu kann ich nur sagen: Das ist wie so oft. Kaum wartet man zehn Jahre, kaum stellt man zehn Jahre lang Anträge, Geldmittel in den Haushalt einzustellen und den Sozialbericht neu aufzulegen bzw. fortzuschreiben, schon ist die CSU so weit und sagt: Jetzt machen wir es vielleicht doch.
Ich möchte auf die Ergebnisse des Landessozialberichts eingehen; denn diese Ergebnisse spiegelten nicht das Credo der Bayerischen Staatsregierung wider, wonach Bayern überall spitze sei. Das vorgestellte Lebenslagenkonzept hat einen großen Handlungsbedarf aufgezeigt, vor allem bei Frauen, bei Alleinerziehenden, bei kinderreichen Familien, bei jungen Erwachsenen, bei Arbeitslosen, bei älteren Menschen, bei Pfl egebedürftigen, bei Menschen mit Behinderung, bei Ausländern und Ausländerinnen und auf den Feldern Einkommen, Arbeitsmarkt, Bildung, Wohnen und Gesundheit.
Bei der Gesundheit und der Verschuldung ergaben sich große Unterschiede in den einzelnen Regierungsbezirken Bayerns. Die Schere zwischen Nord- und Süd
bayern hat sich geöffnet. Es wäre gut gewesen, wenn die Konsequenzen aus diesem Sozialbericht gezogen und Maßnahmen ergriffen worden wären. Das ist aber nicht geschehen. Herr Kollege Unterländer, Sie haben mit den Krippenplätzen eine schöne Vorlage geliefert. Frage eins: Worüber reden wir, und worüber reden Sie, wenn es um Krippenplätze geht? – Krippenplätze sind Krippenplätze und nicht Tagespfl ege, Mütterinitiativen oder Sonstiges. Das ist etwas anderes.
Es ist interessant, wie sich innerhalb eines Vierteljahres die Anzahl der Krippenplätze explosionsartig vermehrt hat. Im Dezember waren es noch 5,7 %. Vor 14 Tagen waren es schon 7 %, jetzt sind es 9 %.
Das sind aber nicht nur Krippenplätze, sondern das bezieht sich auf den gesamten Bereich Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern unter drei Jahren. Die Hälfte dieser Plätze wurde in der Stadt München geschaffen. Der Rest verteilt sich auf den übrigen Freistaat Bayern. Das kann es nicht sein. Hier haben Sie noch viel zu tun.
Herr Kollege Unterländer, nach der Erstellung des Bayerischen Sozialberichts – des ersten und einzigen – gab es drei Armutskonferenzen der freien Wohlfahrtspfl ege.
Der Appell und die Forderung der freien Wohlfahrtspfl ege, der Kirchen, der Sozialverbände und aller anderen war jedes Mal unisono, gerade in einer Zeit, in der es gesetzliche Änderungen gibt, die Sozialberichterstattung fortzuschreiben. Die Bundesregierung hat es vorgemacht: Gerade in der Zeit der vielen Änderungen in der Sozialgesetzgebung hat sie einen neuen Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt.
Es gibt genug zu tun. Nach allem, was die wissenschaftliche Berichterstattung im Rahmen des Sozialberichts ergeben hat, haben Sie viel zu tun. Da ist das Wort von der Bildungsarmut gefallen. Sie haben aufgeschrien. Nach zehn Jahren kommen Sie nun endlich darauf, das andeutungsweise umzusetzen, was seinerzeit schon schnell in Angriff genommen hätte werden sollen. Es geht um den Ausbau von Kindertagesstätten, die Betreuung von Kindern unter drei Jahren, Horte, die Ganztagsschule, kleinere Klassen, Jugendsozialarbeit an Schulen, die Stärkung des ländlichen Raums, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf usw., usw. Wie gesagt, schon nach zehn Jahren kommen Sie langsam darauf.
Man muss wissen, wie man das Geld zielgenau einsetzen und wie man zielgenau Hilfen und Strukturen schaffen kann. In diesem Punkt sind wir uns einig. Man kann das aber nur wissen, wenn man über aktuelle Zahlen und Informationen verfügt.
Noch eines: Wenn Sie sagen, veränderte Bedingungen bedürften einer Überprüfung und daraus seien Konsequenzen zu ziehen, dann muss ich sagen, genau so ist
es. Die Überprüfung ist der Sozialbericht. Diesen hätten wir in der letzten Legislaturperiode haben müssen; denn dann gäbe es nicht ständig die Diskussion darüber, was nötig ist.
Noch etwas muss ich Ihnen sagen. Wenn mit dem unerträglichen Kürzungshaushalt 2004 die Jugendsozialarbeit eingeschränkt wird und die Insolvenzberatung nahezu an die Wand gefahren wird, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was der Sozialbericht indiziert.