Protokoll der Sitzung vom 17.04.2007

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 91. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk, Fernsehen und Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Die Personalien rufe ich nach dem nächsten Tagesordnungspunkt auf.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich Gäste aus dem Ausland begrüßen. Im Ehrengastbereich hat auf Einladung der Deutschen Botschaft in Madrid eine Delegation von spanischen Politikern und Medienvertretern Platz genommen. Unter Ihnen befinden sich auch Abgeordnete des Kongresses und des Senats. Begleitet wird die Delegation vom deutschen Botschafter in Spanien, Herrn Dr. Wolf-Ruthart Born. Ich heiße Sie, meine Damen und Herren, herzlich hier im Bayerischen Landtag willkommen.

(Beifall)

Das Präsidium des Bayerischen Landtags war im Oktober des letzten Jahres in Madrid und besuchte dort auch das Parlament. Wir haben außerordentlich wertvolle Informationen und Einblicke mitgenommen. Ich wünsche Ihnen im Namen des ganzen Hohen Hauses einen angenehmen Aufenthalt. Ich hoffe, Sie erleben viel bayerische Gastfreundschaft und bekommen viele gute Informationen. Herzlich willkommen und guten Aufenthalt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Ministerbefragung

Die vorschlagsberechtigte Fraktion der SPD hat hierfür als Thema benannt: „Bayern aber gerechter: Für die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne auch in Bayern“.

Zuständig für die Beantwortung ist die Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Frau Kollegin Stewens. Herr Kollege Dr. Beyer hat gebeten, die erste Frage vom Rednerpult aus stellen zu dürfen. Das können wir durchaus so flexibel handhaben. Aber in der Folge geht das nur noch von den Plätzen aus, weil die Redner ständig wechseln können. Ich darf nochmals an die Modalitäten erinnern. Jeder Fraktion stehen mindestens zwei Wortmeldungen zu; es sind also mindestens zwei Fragerunden. Der einzelne Fragesteller darf nicht länger als drei Minuten reden. Als zeitlicher Rahmen ist wie immer eine Dauer von circa 30 Minuten vorgesehen.

Erster Fragesteller: Herr Kollege Dr. Beyer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Ministerin für die Bayerische Staatsregierung! Die Bayerische Verfassung sieht Mindestlöhne vor, um die Mindestlebenshaltung zu gewährleisten. Die Mehrheit der Menschen in Bayern ist der Meinung, dass der gesetzliche Mindestlohn den gerechten Lohn abbildet.

Ich bitte Sie deshalb, den Menschen in Bayern folgende Fragen zu beantworten:

Wie bewertet es die Bayerische Staatsregierung, dass 20 von 27 EU-Mitgliedstaaten einen gesetzlichen Mindestlohn haben? Hält die Staatsregierung diese Länder allesamt für wirtschaftlich unvernünftig oder für dumm? Wie bewerten Sie, meine Damen und Herren der Bayerischen Staatsregierung, dass der US-Sachverständigenrat, die britische Low Payment Commission und jüngst eine Initiative amerikanischer Wirtschaftsnobelpreisträger die Anhebung von Mindestlöhnen positiv beurteilen? Wie bewerten Sie, dass Premierminister Blair in seiner Fünfjahresbilanz zur Einführung des Mindestlohns feststellt, sowohl Beschäftigung als auch Mindestlöhne seien in Großbritannien gestiegen? Und: Arbeit lohne sich wieder.

(Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber nimmt auf der Regierungsbank Platz)

Ich begrüße den Bayerischen Ministerpräsidenten, fühle mich aber gleichwohl etwas gestört. Wenn Sie mir nachsehen wollen, dass das unser Arbeitspensum, dem wir nachkommen wollen, stört.

Ich hatte auf die positiven Erfahrungen in Großbritannien hingewiesen einschließlich der Einschätzung des Chefs des Unternehmerverbandes, der die guten Erfahrungen mit dem Mindestlohn lobt, wohlgemerkt in Großbritannien und nicht in Bayern. Ich frage die Staatsregierung: Ist Ihnen bekannt, dass der Mindestlohn in Großbritannien umgerechnet 7,96 Euro beträgt? Ist der Bayerischen Staatsregierung bekannt, dass der Mindestlohn in Frankreich 8,27 Euro beträgt?

Kann die Bayerische Staatsregierung ernsthaft behaupten, dass der französische Mindestlohn zu irgendeiner nennenswerten Abwanderung von Arbeitskräften etwa aus dem Friseur-, dem Bäcker- oder dem Fleischerhandwerk, dem Reinigungsgewerbe, dem Bewachungsgewerbe oder dem Hotel- und Gaststättengewerbe aus Frankreich nach Deutschland geführt hätte? – Wenn dem aber tatsächlich nicht so ist, warum verwendet die Staatsregierung dann dieses falsche Argument einer Abwanderung von Arbeitskräften gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Bayern?

(Beifall bei der SPD)

Wie bewertet die Staatsregierung, dass Italien, dass Österreich, dass die skandinavischen Ländern als einzige EU-Staaten ohne gesetzlichen Mindestlohn außerhalb Deutschlands eine nahezu flächendeckende Tarifbindung haben, während in Westdeutschland im Jahre 2005 nur 70 % und in Ostdeutschland 54 % der Arbeitnehmer nach Tarif bezahlt wurden?

Wenn Sie alle diese Erwägungen heute mit uns diskutieren, können Sie dann weiterhin die Forderung nach einem Mindestlohn als gerechtem Lohn mit einer ernsthaften Begründung ablehnen? Und ich frage Sie deshalb zum Abschluss stellvertretend für die Menschen in Bayern: Warum können Sie den Menschen dann nicht

bewusst und ehrlich sagen, dass die Bayerische Staatsregierung, weil sie bestimmte Interessen bestimmter Kreise der Wirtschaft schonen will, Niedrigstlöhne in Bayern weiterhin ausdrücklich beibehalten will? Haben Sie den Mut und sagen Sie uns das heute in dieser Befragung.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat die Frau Ministerin.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Beyer, Sie haben mit einem Hinweis auf die Bayerische Verfassung begonnen. In der Tat steht in der Bayerischen Verfassung – mir liegt der Artikel 169 vor – Folgendes: „Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne festgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den jeweiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie ermöglichen.“

„Für jeden Berufszweig“ übrigens, steht in der Bayerischen Verfassung.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

Die Gesamtvereinbarung zwischen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmerverbänden über das Arbeitsverhältnis ist für die Verbandsangehörigen verpflichtend und kann, wenn es das Gesamtinteresse erfordert, für allgemein verbindlich erklärt werden. Das sind die Tarifverträge mit den nachfolgenden Allgemeinverbindlichkeitserklärungen.

Wenn man sich die Bayerische Verfassung ansieht, muss man natürlich auch sagen, dass Bundesrecht Landesrecht bricht – ich glaube, darüber sind wir uns einig –, und wir reden heute über Bundesrecht im Bayerischen Landtag. Aber grundsätzlich kann man durchaus sagen, dass wir in Deutschland auch gemäß der Bayerischen Verfassung jedem Menschen ein existenzsicherndes Mindesteinkommen zukommen lassen, nämlich über SGB II oder – verständlicher ausgedrückt – über Hartz IV, 345 Euro plus – wenn ich den Schnitt nehme – Unterkunftskosten.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das sind Transferleistungen! – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das hat mit Mindestlohn nichts zu tun!)

Im Endeffekt wird jedem Bürger in Bayern ein existenzsicherndes Mindesteinkommen zugesprochen.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Aber nicht als Lohn! Darüber sind wir uns einig!)

Dies ist aber durchaus Sache des Staates. Ich bin auch der Auffassung, dass das weiterhin Sache des Staates sein muss und nicht Sache der Arbeitgeber und der Wirtschaft sein kann und sein darf.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das war ja nicht strittig! Das sind zwei Paar Stiefel!)

Vor diesem Hintergrund denke ich schon, dass wir in Bayern die Bayerische Verfassung umgesetzt haben und jedem Einzelnen ein existenzsicherndes Mindesteinkommen gerade über SGB II/Hartz IV zusichern.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Heute geht es um Lohn für Arbeit!)

Übrigens: Wir haben über eine Million Aufstocker in Deutschland,

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Ein Argument für den Mindestlohn, Frau Ministerin!)

wobei lediglich 7,8 % der Aufstocker deutschlandweit 40 Stunden im Monat arbeiten. Der überwiegende Teil sind Minijobs und Teilzeitbeschäftigungen.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Deshalb unsere Forderung nach Mindestlohn!)

Lediglich 4 % müssen von Löhnen leben, die unterhalb der SGB-II-Grenze in Deutschland liegen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau! Deswegen wollen wir Mindestlöhne!)

Der Rest – das muss man auch dazu sagen –, der überwiegende Anteil sind Rentner, sind Studenten und sind dazuverdienende Hausfrauen. Auch diese Zahlen muss man kennen. Das sind deutschlandweit insgesamt 4 %, die im Bereich der Aufstocker ein 40-Stunden-Erwerbseinkommen haben und dann eine aufstockende Grundsicherung beantragen müssen. So viel zur Bayerischen Verfassung.

Selbstverständlich ist der Bayerischen Staatsregierung bekannt, dass 20 von 27 EU-Mitgliedsstaaten einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn haben. Sie haben Frankreich zitiert. Auch da kann ich Ihnen nur sagen: Lesen Sie den OECD-Bericht. Er empfiehlt den Franzosen, den Mindestlohn abzusenken, und weist gerade auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich hin. Gleichzeitig sagt er, dass die gesetzlich festgelegten Mindestlöhne mit Ursache für die hohe Jugendarbeitslosigkeit sind.

Professor Rürup vom Sachverständigenrat empfiehlt, wenn überhaupt in Deutschland ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn zum Tragen käme, eine Höhe von 4,50 Euro. Selbst Professor Bofinger empfiehlt,

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Was heißt „selbst“? Er ist klarer Befürworter!)

wenn denn überhaupt ein gesetzlicher Mindestlohn zum Tragen käme, also beschlossen würde, 4,50 Euro. Damit sind wir weit entfernt von den Forderungen der SPD und der Gewerkschaften mit 7,50 Euro.

Sie müssen sich natürlich auch genau ansehen: Was für ein Arbeitsrecht hat zum Beispiel Großbritannien, und was für ein Arbeitsrecht haben wir in Deutschland? Großbritannien kennt so gut wie keinen Kündigungsschutz.

Dort hat man ein wesentlich flexibleres Arbeitsrecht. Vor diesem Hintergrund ist in Großbritannien „hire and fire“ durchaus gang und gäbe. Der Arbeitsschutz durch das Arbeitsrecht hat ganz niedrige Standards ebenso wie in Frankreich. Deshalb können Sie die einzelnen Situationen in den Staaten keineswegs vergleichen.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Deswegen wollen Sie beides nach unten!)

Nein, wir wollen nicht beides nach unten.

Ich denke schon, dass Sie die geschichtlichen Zusammenhänge hier in Deutschland – Stichwort: Tarifhoheit – betrachten müssen. Für mich ist ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn ein Ausstieg aus der Tarifhoheit Arbeitnehmer/Arbeitgeber, weil der Gesetzgeber den Mindestlohn festsetzt. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass das der Weg in die falsche Richtung ist. Wir werden dann vor allen Wahlen politische Forderungen haben, den gesetzlichen Mindestlohn anzuheben.