Ich denke schon, dass Sie die geschichtlichen Zusammenhänge hier in Deutschland – Stichwort: Tarifhoheit – betrachten müssen. Für mich ist ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn ein Ausstieg aus der Tarifhoheit Arbeitnehmer/Arbeitgeber, weil der Gesetzgeber den Mindestlohn festsetzt. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass das der Weg in die falsche Richtung ist. Wir werden dann vor allen Wahlen politische Forderungen haben, den gesetzlichen Mindestlohn anzuheben.
Herr Kollege Dr. Beyer, schauen wir uns doch einmal die Probleme an, die wir in Deutschland haben, gerade bei den Arbeitslosen. Denken wir nicht so sehr, wie es die Gewerkschaften immer tun, die hauptsächlich die Interessen der Beschäftigten vertreten. Was ist im Bereich der Arbeitslosigkeit in Deutschland los, bei den vier Millionen Arbeitslosen?
Wir haben es doch endlich geschafft, gerade durch das Fördern und Fordern gemäß SGB II, dass bei uns Geringqualifizierte mittlerweile eine Chance am Arbeitsmarkt bekommen, auch zu niedrigeren Löhnen. Denn wir können die Wirtschaft nicht dazu zwingen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzustellen und sie dann über deren Produktivität zu bezahlen. Wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn gerade in der von Ihnen geforderten Höhe von 7,50 Euro einführen würden, dann hieße das durchaus, dass wir zwei Millionen Arbeitsplätze gerade im Bereich der schwer vermittelbaren, der gering qualifizierten Menschen in Deutschland verlieren würden.
Sie müssen natürlich über unterschiedliche Ebenen diskutieren. Sie müssen auf der einen Seite sehen, was für Verwerfungen wir über das Arbeitnehmerentsendegesetz haben. Können wir noch zusätzliche Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen?
Da muss man feststellen, ob es Bereiche mit Lohndumping gibt, Stichwort Branchenüberprüfung, wie es übrigens auch im Koalitionsvertrag steht. Wir haben das jetzt im Baugewerbe, wir haben es im Reinigungsgewerbe, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass man noch einzelne Gewerbe zusätzlich überprüfen muss, wenn es denn tatsächlich Verwerfungen gibt. Aber dies muss auch ein Stück weit nachgewiesen werden. Vom Grundsatz her sage ich Ihnen ganz klar zu – so steht es übrigens dann auch im Koalitionsvertrag –, dass wir einzelne Branchen überprüfen müssen.
Wenn ich das viel zitierte Beispiel aufgreife, die Friseuse in Sachsen mit 3,30 Euro, und da einen gesetzlich fixierten Mindestlohn einführe
dann wird es dazu führen, dass das Friseurhandwerk, die Besitzerin, die Meisterin im Grunde keine Preise mehr erzielen kann, die auf dem Markt von den Kundinnen und Kunden bezahlt werden, dass sie ihre Arbeitnehmerinnen entlassen muss und dass die Arbeitnehmerinnen auf den Schwarzmarkt ausweichen.
Das ganz große Problem – wir wissen das und das sagt auch der Sachverständigenrat – ist ein Verdrängungswettbewerb in die Schattenwirtschaft, in die Schwarzarbeit. Genau das wollen wir bekämpfen.
Vor diesem Hintergrund geht es weniger darum, dass Dumpinglöhne zu einer Abwanderung in EU-Oststaaten führen, sondern es geht darum, dass die betroffenen Menschen in die Schattenwirtschaft und damit letztlich in die Schwarzarbeit abwandern. Gleichzeitig möchte ich Ihnen sagen, dass dieses Problem sehr differenziert betrachtet werden muss.
Abschließend kann ich Ihnen sagen, dass die Bayerische Staatsregierung – wenn wir gegen die Einführung eines Mindestlohnes eintreten – keinesfalls die Interessen der Wirtschaft vertreten würde, sondern die Interessen der gering qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Für uns ist es das vorrangige Interesse, diese Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren und die Existenz des ersten Arbeitsmarktes sicherzustellen.
Ursachen für die sicherlich nachvollziehbare Diskussion über die Einführung eines Mindestlohns sind das Wegbrechen von Dienstleistungen, ein Abdriften in die Schwarzarbeit und vor allen Dingen auch das Wegbrechen von einfachen Tätigkeiten für Ungelernte. Bei Fragestellungen zu diesen Themenkreisen
müssen wir diese Aspekte als Ursache klar aufzeigen. In diesem Zusammenhang sehe ich auch eine Verantwortung bei der einen oder anderen Tarifpartei.
Wenn wir den Handlungsbedarf berücksichtigen wollen, so ist vor diesem Hintergrund an die Frau Staatsministerin Christa Stewens die Frage zu stellen: Wie soll aus Ihrer Sicht auf die Lohnentwicklungen reagiert werden, bei denen die Löhne nicht das Existenzminimum der Arbeitnehmer decken? Hierauf eine Antwort zu finden, ist unser gemeinsames Ziel. Welche Konzepte sehen Sie als die richtigen an?
Danke schön, Herr Kollege Unterländer. Vom Grundsatz her müssen wir zwischen zwei Problembereichen unterscheiden. Wir haben auf der einen Seite für die tariflichen Mindestlöhne durch Allgemeinverbindlicherklärungen einen Mindestentgelttarif. Bei einem entsprechenden öffentlichen Interesse, zum Beispiel zur Vermeidung von Lohndumping, sind Allgemeinverbindlicherklärungen gerade für inländische Arbeitnehmer in größerem Umfang denkbar. Wir haben in Bayern 22 Tarifverträge, die wir für allgemeinverbindlich erklärt haben. Deswegen denke ich, wir sollten uns überlegen, bei Branchen, bei denen wir bezüglich der inländischen Arbeitnehmer ein Lohndumping feststellen, entsprechend dagegenzuhalten und mit tariflichen Mindestlöhnen und der Allgemeinverbindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz zu arbeiten. Man muss brachenspezifisch abklopfen, ob durch entsandte Arbeitnehmer Lohnverwerfungen oder Lohndumping entsteht, und dann diese Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen, um die entsprechenden Tariflöhne auch für entsandte Arbeitnehmer zu manifestieren.
Zum Dritten kann man generell sagen: Wir haben in Deutschland und in Bayern als sozusagen unterste Grenze des Mindesteinkommens die Leistungen aus SGB II festgelegt, die auf dem Wege der Aufstockung jedem Arbeitnehmer, der unterhalb dieser Einkommensgrenze Einkommen und Lohn bezieht, zusätzlich zu seinem Lohn zugestanden werden. Die Einkommensgrenzen liegen bei 100 Euro Grundfreibetrag für den Aufwand und zusätzlich 20 Euro aus dem Einkommen zwischen 100 und 800 Euro, sodass zum Beispiel bei einem Brutto-Einkommen von 800 Euro 240 Euro nicht auf die Hälfte angerechnet werden.
Liebe Frau Ministerin! Ihre Position hat offensichtlich den Diözesanrat der Bayerischen Katholiken im Erzbistum München-Freising nicht überzeugt. Dort hieß es:
Wir verfolgen mit Sorge, dass seit einiger Zeit die Arbeitsentgelte gerade der unteren Lohngruppen unter Druck geraten sind und immer weiter abgesenkt werden. Wenn der Lohn für eine ganztägige Arbeit unter ein Niveau sinkt, das für den Lebensunterhalt selbst eines äußerst beschei
denen Durchschnitts nicht mehr ausreicht, scheint uns der Punkt erreicht zu sein, an dem die Regularien des Marktes versagen und der Staat einzugreifen hat.
Liebe Frau Ministerin, der Diözesanrat hat völlig recht, wenn er „von seiner eigenen Arbeit“– nicht von Hartz IV oder anderen Almosen – auskömmlich leben spricht. Das berührt die Menschenwürde in ihrem Innersten.
Darin liegt eine Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, und darin liegt auch die Akzeptanz unseres marktwirtschaftlichen Systems. „Working Poor“ mit Hartz-IV-Aufstockung ist keine Alternative.
Auf der anderen Seite sind die Mindestlöhne auch nicht – das soll uns keiner erzählen – der Gottseibeiuns der linken Ideologen, vernichtend für unzählige Arbeitsplätze und verantwortlich für ein Zurückdrängen der Wettbewerbsfähigkeit.
Erstens. In einer sozialen Marktwirtschaft ist es völlig normal, dass aus sozialpolitischen Gründen Eingriffe unmittelbar in den Arbeitsmarkt vorgenommen werden. Denken Sie nur an Mindesturlaub, arbeitszeitrechtliche Regelungen und einiges andere. Warum soll nicht gerade dort, wo der Lohn zum Armutslohn verkommt, der Staat in den Arbeitsmarkt eingreifen? Zudem zeigen empirische Untersuchungen – von Kollegen Beyer wurde darauf hingewiesen –, dass Mindestlöhne keine Arbeitselastizitätenplätze kosten. Das ist empirisch belegt und hängt mit den Elastizitäten von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage im Bereich des Existenzminimums zusammen. Es hängt auch mit Nachfragewirkungen zusammen. In der Summe ist das volkswirtschaftlich nicht belegt – trotz der immer wieder zitierten sächsischen Friseurin. Mindestlöhne beschränken nicht Arbeitsmarktchancen, sondern sie stoppen Ausbeutung, und das begrüße ich ausdrücklich.
Die erste Frage: Teilen Sie als gebürtige Altöttinger Katholikin und Sozialpolitikerin die Einschätzung des Diözesanrates der Erzdiözese und der Europäischen Sozialcharta sowie – wie ich annehme – des Kollegen Beyer und von mir, dass der Punkt erreicht ist, an dem die Regularien des Marktes versagen und der Staat in den Arbeitsmarkt einzugreifen hat, und zwar nicht durch zusätzliche Almosen?
Zweitens. Was halten Sie vor diesem Hintergrund von so kindlich naiven Aussagen, wie sie mein sehr geschätzter Kollege Pschierer in der vorletzten Ausgabe der „Staatszeitung“ gemacht hat, wonach es Aufgabe der Tarifparteien und keineswegs Aufgabe des Staates sei, sich auf
entsprechende Löhne zu einigen, wenn für 30 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Tarifbindung mehr existiert? Was halten Sie davon, dass sich bei über drei Millionen Menschen als „Working Poor“ in Deutschland Pschierers Schlusscredo darin erschöpft, die Wirtschaft um sozialverantwortliches Handeln zu bitten? – Ich hoffe, die Wirtschaftsbosse haben den Artikel gelesen und verhalten sich entsprechend.
Drittens. Warten auf Godot ist offensichtlich sehr viel erfolgreicher – das geht auch an die Kollegen der SPD –, als Fortschritte beim Mindestlohn zu erreichen. Welche konkreten Initiativen – insbesondere im Bundesrat – planen Sie, um den Stillstand und die ideologischen Grabenkämpfe, die die entscheidungsunabhängige Große Koalition uns in Sachen Mindestlohn ständig präsentiert und die eine Unverschämtheit gegenüber den betroffenen Armutslohnbeziehern sind, zu überwinden, ohne dass dies zu bürokratischen und unglaubwürdigen Scheinkompromissen führt?
Danke schön, Herr Kollege Hallitzky. Vom Grundsatz her möchte ich aus dem Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 08.11.2005 zitieren: Die überproportional angehobenen oder gänzlich gestrichenen unteren Tariflohngruppen haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht unwesentlich zu dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit Geringqualifizierter beigetragen. Ein gesetzlicher Mindestlohn – soweit er eingeführt würde – würde ähnliche Effekte aufweisen. Ein Verlust von Arbeitsplätzen wäre die Folge. – So das Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Ich möchte eines sagen: Ich sehe durchaus die Probleme. Wir haben immer mehr Arbeitgeber, die ohne Tarifverträge arbeiten und Arbeitsverträge abschließen.
Ich sehe dabei durchaus die Probleme, die man in den neuen Ländern hat. Allerdings wehren sich gerade die Ministerpräsidenten der neuen Länder ganz massiv gegen gesetzliche Mindestlöhne, weil sie genau wissen, dass diese zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern führen. Man muss also die Lösung dieses Problems sehr sensibel angehen; das ist gar keine Frage. Aus Gesprächen mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wissen wir, dass es hier durchaus Probleme gibt. In einigen Branchen gibt es Tarifverträge, die einen sehr niedrigen Stundenlohn enthalten. Die Gewerkschaften sagen mir, Herr Kollege, dass sie diese Tarifverträge lediglich deshalb abgeschlossen haben, damit der Stundenlohn nicht noch weiter abrutscht. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Sittenwidrigkeit gesetzlich definieren, um dann entsprechend einschreiten zu können.
Aber wir haben doch das gleiche Ziel: Wir wollen, dass auch niedrig qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeit bekommen. Man kann aber der Wirtschaft
nicht zumuten, einen Lohn zu zahlen, der oberhalb der Produktivität der jeweiligen Arbeitnehmer liegt. Das ist doch der Kern des Problems.
Deswegen garantiert der Staat hier – hier gibt es die unterschiedlichsten Modelle – auf jeden Fall ein Mindesteinkommen, und so übernimmt der Staat die Existenzsicherung. Länder, die gesetzliche Mindestlöhne fixiert haben, haben ein ganz anderes Niveau im Bereich der Grundsicherung und der Sozialhilfe. Eine Grundsicherung in diesen Ländern findet keineswegs in der Höhe statt, wie es sie in Deutschland gibt. – Ich bin gerne bereit, mit dem Diözesanrat der Katholiken darüber zu diskutieren.