Protokoll der Sitzung vom 04.02.2009

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Problem steht auf der internationalen Agenda. Wenn Sie das nicht akzeptieren, ist das wirklich unrealistisch.

Das schließt ausdrücklich nicht aus, dass sich Bayern und Deutschland hier engagieren - ganz im Sinne dessen, was ich eben aus den Presseerklärungen der FDPLandesvorsitzenden und der CSU-Stadtratsfraktion in München zitiert habe.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege.

Ehe ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Tobias Thalhammer, Karsten Klein und anderer und der Fraktion der FDP, betreffend "Verbesserung und Sicherung der Erdgasversorgung Bayerns", Drucksache 16/338, bekannt. Mit Ja haben 100 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 73 Abgeordnete gestimmt. Es gab keine Enthaltung. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Bause für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Nach all den aufgeregten Äußerungen der letzten Tage, die häufig von der Sache

weggeführt haben, möchte ich am Anfang eines hier klarstellen: Es geht um das Schicksal von Menschen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht um Menschen, die zum Teil seit sieben Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis jenseits aller Rechtsstaatlichkeit unschuldig inhaftiert sind. Wir reden heute über 17 chinesische Uiguren in Guantánamo, die dringend des humanitären Schutzes bedürfen. Es geht nicht um Machtspielchen; es geht nicht um Koalitionsgezerre; es geht nicht darum, wer sich durchsetzt, wer recht hat und wer nachgeben muss. Es geht darum: Schaffen wir es heute im Bayerischen Landtag, ein Zeichen für Menschlichkeit, Humanität und Menschenwürde zu setzen? Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Es geht um eine Menschenrechtsfrage. Kolleginnen und Kollegen, gerade von der FDP, selbstverständlich kann ich mir vorstellen, wie sehr Sie in den letzten Tagen unter Druck gestanden sind. Ich will Ihnen aber auch sagen: Es ist eine Gewissensfrage, über die wir heute entscheiden. Das ist eine Frage der Gewissensfreiheit und keine Frage der Koalitionsdisziplin.

Um welche Menschen handelt es sich? - Ich möchte anonym, ohne einen Namen zu nennen, aus einer Zusammenstellung des Center for Constitutional Rights in den Vereinigten Staaten zitieren, einer internationalen Menschenrechtsorganisation. Diese Zusammenstellung haben meine Kollegen in Berlin Bundeskanzlerin Merkel überreicht, und ich habe sie vor Weihnachten an Ministerpräsidenten Seehofer mit der Bitte geschickt, er möge sehr genau prüfen, in welcher Verantwortung sich Bayern sieht und welches Zeichen Bayern international senden will. Ich möchte daraus einen Fall vortragen, der so ähnlich ist wie der vieler anderer unschuldig inhaftierter Menschen in Guantánamo.

N.N. ist ethnischer Uigure,

- ich sage "N.N.", weil ich keinen Namen nennen will -,

der für die Freilassung aus Guantánamo vorgesehen war. Er ist etwa 35 Jahre alt und hat eine Frau und eine kleine Tochter, die derzeit in Westchina in einer Region leben, in der die Uiguren anhaltend einer ernsthaften und hinreichend dokumentierten Unterdrückung ausgesetzt sind. Nachdem er zusammen mit anderen Uiguren, die vor der religiösen und politischen Verfolgung in China geflohen waren, in einem uigurischen Dorf in Afghanistan Zuflucht gesucht hatte, mussten er und weitere Uiguren mit ihm vor der Bombardierung durch die US-Truppen fliehen. Das führte zu einer späteren

Festnahme in Pakistan, wo er und andere von pakistanischen Kopfgeldjägern für etwa 7.000 USDollar an die Vereinigten Staaten verkauft wurden.

Diese Menschen sitzen zum Teil seit sieben Jahren dort. Die US-Regierung, noch die Bush-Regierung, hat feststellen müssen, dass diese Menschen unschuldig sind, dass nichts gegen sie vorliegt und dass sie eigentlich ausreisen könnten. Weswegen sitzen sie heute noch da? - Weil sich kein Land der Welt bereit erklärt hat, diese Menschen aufzunehmen. Nach China können sie nicht zurück; dort drohen ihnen Folter und Todesstrafe. Kein Land auf der ganzen Welt hat sich bereit erklärt, diese Menschen aufzunehmen. Ich sage Ihnen, Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Schande.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist eine Schande für die westlichen Demokratien, dass sie dazu nicht in der Lage sind.

Noch ein Zitat aus diesem Menschenrechtsbericht:

Den in Guantánamo inhaftierten Uiguren wurde bereits 2003 zugesichert, dass sie freigelassen würden. Dennoch sitzen 17 einzig wegen eines fehlenden sicheren Landes, in das sie freigelassen werden können, noch ein.

Es ist richtig: Guantánamo ist ein Schandfleck für die Vereinigten Staaten, ist aber auch ein Schandfleck für alle Länder, die sich auf die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gründen. Deswegen dürfen wir nicht sagen, die sind schuld, und die Vereinigten Staaten sollen doch schauen; deswegen ist es auch unsere Verantwortung, schnellstmöglich dazu beizutragen, diesen Schandfleck zu beseitigen. Wir müssen schnellstmöglich Hilfe anbieten und dafür sorgen, dass die Menschen, die dort einsitzen, in sichere Länder ausreisen können. Deswegen diskutieren wir das hier im Bayerischen Landtag.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Warum Bayern, warum München? - Kollege Rinderspacher hat es schon erwähnt. In München gibt es seit vielen Jahren die größte uigurische Gemeinschaft in Europa. 500 bis 600 Menschen leben hier. Ich habe seit mindestens zwei Jahren Kontakt zur uigurischen Gemeinde. Im Übrigen ist der stellvertretende Vorsitzende des Münchner Ausländerbeirats Uigure. Er wohnt heute dieser Debatte bei und tut seit vielen Jahren alles in seinen Kräften Stehende, um zum einen auf das Schicksal der Uiguren in der Welt aufmerksam zu machen und zum anderen, um den uigurischen Gefangenen in Guantánamo zu helfen, damit sie endlich eine

sichere Zuflucht finden. Es wäre ein schönes Zeichen, wenn die bayerische Politik deutlich machen würde: Wir möchten, dass diese traumatisierten Menschen aus Guantánamo nach München kommen können, wo sie aufgehoben sind, wo sie ihre Traumata verarbeiten können und wo sie eine neue Heimat finden können.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Nun komme ich zum Antrag der Koalition. Ich habe schon zu Anfang gesagt: Dieses Thema eignet sich nicht für Machtspielchen und taktisches Geplänkel. Leider ist der nachgezogene Dringlichkeitsantrag der Koalition geradezu ein Paradebeispiel für diesen aus meiner Sicht absolut nicht mehr zeitgemäßen Politikstil. Er ist auch ein Paradebeispiel für Drückebergerei und peinliches Gezerre.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Dieser Antrag wird der Verantwortung, die wir alle haben, in keiner Weise gerecht und fällt weit hinter das zurück, was wir letzte Woche im Rechtsausschuss diskutiert haben und was auch von Vertretern der Koalition geäußert wurde. Im Übrigen sehe ich hier durchaus unterschiedliche Positionen innerhalb der CSU. Im Rechtsausschuss ist deutlich geworden, dass es zwar Hardliner gibt, aber auch Menschen, die sich der Frage offen und bewusst nähern und nicht im Rahmen des üblichen Feindbildes argumentieren wollen.

Ich finde, der Antrag ist nicht nur Wischiwaschi, sondern insbesondere in seinem letzten Absatz in gewisser Weise Hohn. Hier steht: "Bayern ist ein weltoffenes, freiheitsliebendes Land, das seit jeher insbesondere aus politischen oder religiösen Gründen Verfolgten Zuflucht gewährt." - Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von der CSU, welche Wahrnehmung der Realität Sie haben. Waren es nicht Sie, die all die Jahre die rigideste Abschottungspolitik hier vertreten haben, die die rigideste Abschiebungspraxis vertreten haben, die sich damit gebrüstet haben, dass die Flüchtlinge hier hinausgeschmissen werden? - Aber jetzt wollen Sie uns hier weismachen, dass Bayern seit jeher eine offene Menschenrechts- und Flüchtlingspolitik betreibt.

(Georg Schmid (CSU): Tausende aus Jugoslawien!)

Den Anspruch, den Sie hier formulieren, müssen Sie erst einmal erfüllen, Herr Kollege Schmid.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der zweite Satz lautet: "Auf dieser Grundlage"- ich hoffe, wir können uns überhaupt auf diese Grundlage

verständigen - "wird die Staatsregierung aufgefordert, dem Landtag zu berichten, sofern die US-Regierung an die Bundesregierung oder die Staatsregierung im Rahmen einer staatenübergreifenden Lösung mit konkretem Ersuchen wegen des künftigen Aufenthalts einzelner unschuldiger Personen herantritt." Worüber soll denn berichtet werden? Nur sofern die US-Regierung herantritt, soll berichtet werden. Dass sie herangetreten ist, oder was? - Da ist kein Inhalt drin und vor allem keine politische Aussage und kein politisches Zeichen. Es geht aber heute darum, dass wir in der Lage sind, zu sagen: Wir hier im Bayerischen Landtag setzen dieses politische Zeichen. Im Rahmen einer internationalen Lösung möchten wir gern die Bereitschaft zeigen, dass die unschuldig in Guantánamo einsitzenden Uiguren hier in München aufgenommen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gerade habe ich eine dpa-Meldung erhalten mit der Überschrift: "Seehofer verhindert mit Machtwort Blamage im Landtag". Weiter heißt es, mit einem Machtwort hat Ministerpräsident Seehofer eine schwere Blamage der schwarz-gelben Koalition im Landtag abgewendet, indem ein Antrag eingereicht wurde. Ich kann mir nicht helfen, ich finde, dieser Antrag ist eine Blamage.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Machtwort, Herr Ministerpräsident, sieht aus meiner Sicht anders aus, nämlich so, dass Sie sagen, diese Frage ist eine Menschenrechtsfrage, und deutlich machen, dass Bayern in der Lage ist, international dieses Zeichen zu setzen. Das wäre wirklich ein Machtwort; dieser Antrag ist es nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber zum Glück ist kein Machtwort des Ministerpräsidenten nötig. Zum Glück müssen nur Sie, Kolleginnen und Kollegen, nach Ihrem Gewissen entscheiden. Ich fordere Sie auf, setzen Sie heute ein Zeichen nicht nur für einen neuen Stil im Bayerischen Landtag, sondern auch für eine neue Politik in Menschenrechtsfragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als nächster Rednerin für die CSU-Fraktion erteile ich Petra Guttenberger das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die neue US-Regierung bereit erklärt hat, Guantánamo zu schließen. Wir begrüßen das ausdrücklich deshalb, weil es mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit in keiner Weise in Einklang zu brin

gen ist, eine derartige Einrichtung offenzuhalten. Aber damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfte wohl die Gemeinsamkeit erschöpft sein.

Herr Kollege Rinderspacher, ich bin durchaus ein humorvoller Mensch, aber ich frage mich bei Ihrer Rede schon, wo wir eigentlich sind. Sie sagten, unsere Freunde haben uns um Hilfe gebeten. Sie haben richtigerweise auch gesagt, es gab eine gemeinsame Pressekonferenz von Bundesminister Steinmeier und Hillary Clinton. Sie wissen aber doch sicher auch, dass Hillary Clinton gesagt hat, dass es nicht an der Zeit ist und dass die USA auch nicht beabsichtigen, eine Anfrage an die Bundesrepublik Deutschland oder ein anderes Land zu richten. Von wegen "unsere Freunde sind an uns herangetreten" - das scheint wohl nicht so zu sein.

Weiter kam der Vorwurf bezogen auf Nummer 3 unseres Antrags, wir würden hier ein Szenario aufbauen, nämlich das Herantreten der US-Regierung an die Bundesregierung oder die Staatsregierung, das nie eintreten wird. Ich frage Sie schon, Herr Rinderspacher: Worüber diskutieren wir denn? Wenn Sie der festen Überzeugung sind, das tritt nie ein, muss ich schon fragen: Warum stellen Sie dann so einen Antrag? - Das ist schon ein sehr fadenscheiniges Manöver, um bestimmte Dinge im Landtag auszutesten. Ich möchte darauf gar nicht näher eingehen.

Für uns steht außer Frage, dass die Verantwortung für die Unterbringung und die Überprüfung der Gefangenen in Guantánamo in einem rechtsstaatlichen Verfahren bei den USA liegt. Da liegt die Priorität. Ich sage auch, und das möchte ich nicht missverstanden wissen: Das ist eine Chance für die neue US-Regierung, einen rechtsstaatlichen Neuanfang zu machen. Dem sollten wir nicht entgegentreten.