Protokoll der Sitzung vom 11.12.2012

Beispiel neun. Herr Hacker, hören Sie zu, es betrifft indirekt auch die FDP.

(Thomas Hacker (FDP): Zur Landespolitik!)

Das betrifft in erheblichem Maße auch das Land Bayern. Ich meine den Euro und die Europapolitik. Hier macht die CSU mit Dobrindt und Söder auf der einen Seite, die Griechenland aus der Eurozone heraushaben wollen, und Hasselfeldt und Ferber auf der anderen Seite, die Griechenland retten wollen, einen schmerzhaften Dauerspagat. Politisch formuliert heißt das: Die CSU ist richtungslos und nicht handlungsfähig. Peter Gauweiler bezeichnete die roten Linien von Herrn Seehofer als Wanderdüne, aber Herr Seehofer weigert sich, im Bayerischen Landtag Rechenschaft abzulegen. Trotz wiederholter Aufforderung ist er nicht bereit, eine Regierungserklärung zur bayerischen Europapolitik abzugeben. Er bleibt die Erklärung schuldig, ob er sich die Einlassungen seines Finanzministers zu eigen macht, an den Griechen sei ein Exempel zu statuieren. Herr Ministerpräsident, es würde uns interessieren, ob Sie sich dafür gestern bei Herrn Samaras entschuldigt haben und ob dies auch ein Thema war.

Die Folgen für das exportorientierte Bayern sollte der Ministerpräsident mit Blick auf die konjunkturelle Entwicklung und die Arbeitslosigkeit ebenso darstellen

wie den Ansteckungseffekt für andere Euroländer. Der Ministerpräsident ist eigentlich in der Pflicht, die unmittelbaren Kosten für deutsche und bayerische Steuerzahler vollumfänglich zu beziffern, die mit einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone verbunden wären, wie es aus seinen eigenen Reihen immer wieder gefordert wird. Noch nicht einmal seine eigene Europaministerin kann ihn bei dieser Debatte noch vertreten, denn Emilia Müller wurde von den eigenen Leuten in der Oberpfalz dermaßen abgestraft, dass sie allenfalls noch eine Ministerin auf Abruf ist.

Beispiel zehn, die zweite Stammstrecke: Fünfzehn Jahre lang war klar, dass Bund und Freistaat in der Finanzierungsverantwortung stehen. Im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Spitzenkandidatur von Christian Ude kam acht Wochen nach deren Ankündigung in der Staatskanzlei ganz plötzlich die Idee auf, die Münchner Bürgerschaft solle entgegen allen gesetzlichen Regelungen für die klammen Finanzen von Schwarz-Gelb im Bund und im Land bezahlen müssen. Der Ministerpräsident hatte zulasten der Pendler die zweite Tunnelröhre bereits im Frühjahr dieses Jahres im Alleingang per öffentliche Verlautbarung gegenüber den Medien beerdigt und für tot erklärt.

(Volkmar Halbleib (SPD): Ein Begräbnis erster Klasse war das!)

Wir haben es auch den CSU-Abgeordneten hier im Hohen Haus zu verdanken − Herr Bocklet, vielen Dank dafür -, dass dem Ministerpräsidenten das Heft des Handelns aus der Hand genommen wurde. Dafür war es höchste Zeit, denn Seehofers Spielereien mit diesem großen Projekt waren absolut unverantwortlich. Deshalb haben wir heute nicht wegen, sondern trotz dieses Ministerpräsidenten eine Perspektive, das Projekt der zweiten Stammstrecke in München endlich zu verwirklichen.

(Beifall bei der SPD)

Beispiel elf, das Amerika-Haus: Zwei Jahre lang hatte die Staatsregierung die Kulturinstitution in München aus allen Rohren beschossen. Jetzt schlägt der Ministerpräsident überraschend seinen Purzelbaum. Das Ergebnis: Gleich drei Institutionen sind beschädigt, das Amerika-Haus, die Acatech und die Staatliche Lotterieverwaltung. Kein Problem ist gelöst, sondern ein Chaos sondergleichen ist ausgelöst.

Beispiel zwölf − und damit komme ich zum eigentlichen Thema, nämlich zum Haushalt und zu Bayerns Staatsverschuldung. Auch hier waren die Positionen von Horst Seehofer vielfältigst, Herr Schmid. Zunächst lieferte er sich mit dem Bayerischen Obersten Rechnungshof ein Rededuell über die Medien und sagte, es sei nicht hinnehmbar, dass der ORH eine

höhere Entschuldung einfordere. Er als Ministerpräsident lasse sich nicht dreinreden, so der Tenor, wann, ob und wie seine Regierung Schulden auf- oder abbaue. Kurze Zeit später kam auch zur Überraschung seiner eigenen Fraktion der erste rhetorische Salto vorwärts. Bayern solle, möge oder dürfe sich bis 2030 entschulden. Herr Seehofer ist dann 81 Jahre alt. Ein Entschuldungsgesetz mit festgelegten Tilgungsraten müsse erlassen werden. Ein solches Gesetz werde Finanzminister Söder noch im Herbst 2012 im Bayerischen Landtag vorlegen. Sogleich folgt der kalkulierte Salto rückwärts. Die Überschrift ist gesetzt, das Mediengetöse ist gelungen, und damit ist die Regierungsarbeit schon getan. Das Entschuldungsgesetz kommt natürlich nicht.

(Thomas Hacker (FDP): Wir werden es am Donnerstag beschließen!)

Der angebliche Plan ist im Kern genauso schnell wieder verworfen, wie er entworfen wurde. Er ist also hinfällig.

Schauen wir uns den aktuellen Haushalt an. Die tatsächlichen Tilgungen, die nun im Doppelhaushalt vorgenommen werden, sind bei Weitem nicht mehr so üppig, wie es bei der Klausurtagung der CSU großspurig angekündigt wurde. Wie es vonstatten geht, ist auch bemerkenswert: Die Versorgungsrücklage und der Versorgungsfonds werden abgeschafft. Der bayerische Pensionsfonds wird eingeführt. In den werden jährlich aber nur noch 100 Millionen eingezahlt. Das ist etwa so, wie wenn man zwei große Festgeldkonten mit Zuwachssparen abschafft und sie durch ein klitzekleines Sparschwein ersetzt, das man auch noch zu jeder Zeit mit dem Hammer zertrümmern kann. Bis Ende 2014 beträgt die Minderzuführung gegenüber der alten Rechtslage mindestens eine Milliarde Euro.

(Zuruf von der SPD: Trickserei!)

Das ist die Milliarde. Hemmungslos bedienen Sie sich an Opa Edmunds Sparschwein. Künftige Generationen werden diese Politik zu bezahlen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn der Ministerpräsident heute von Zukunftsvorsorge und Generationengerechtigkeit spricht, ist das vor dem Hintergrund der nackten Fakten geradezu zynisch. Diese Regierung plündert die Rücklagen in einem Ausmaß, dass es einem geradezu die Sprache verschlägt. Wir Sozialdemokraten hatten im Übrigen auch einen kommunalen Entschuldungsfonds gefordert. Die Kommunen werden bei der Schuldentilgung aber nicht mitgenommen, obwohl sie innerhalb der staatlichen Organisation Teil der Länder sind. Wenn

der kommunale Schuldenanteil 28,9 % beträgt, wäre es nur recht und billig, kommunale Schulden in eben dieser Höhe zu tilgen. Dem haben Sie sich jedoch verweigert.

(Beifall bei der SPD)

Ungeachtet der Seehoferschen Überschriftenproduktionen bleiben die harten Fakten. Richtig ist: Dieser Ministerpräsident steht für Schuldenaufbau, nicht für Schuldenabbau.

(Zuruf des Abgeordneten Georg Schmid (CSU))

Keine andere Staatsregierung in der Geschichte des Freistaats Bayern seit 1945, Herr Kollege Schmid, hat in so kurzer Zeit so hohe Schulden aufnehmen müssen wie die Regierung von Horst Seehofer. Durch das Versagen der CSU bei der Landesbankaufsicht ist die Verschuldung des Freistaats um sage und schreibe 44 % gestiegen.

(Beifall bei der SPD)

Richtig ist: Insgesamt mussten 10 Milliarden Euro an neuen Kreditmarktschulden aufgenommen werden, um einen Zusammenbruch der BayernLB zu verhindern. 833 Euro an neuen Verbindlichkeiten bedeutete das für jeden Bayern, pro Kopf und auf einen Schlag, vom Kleinkind bis zum Senior. Allein im Jahr 2009 hat Bayern 8,5 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen müssen. Allein in diesem Jahr hat Bayern ein Drittel der Schulden aller Bundesländer in der Bundesrepublik aufgenommen. Das ist ein Schuldenrekord, den weder Franz Josef Strauß noch Edmund Stoiber erreicht haben. Damit kam es rein rechnerisch in jedem Haushaltsjahr von 2006 bis 2012 zu einer Neuverschuldung von mehr als 1,2 Milliarden Euro, selbst wenn die jüngsten Tilgungen eingerechnet werden.

Richtig ist also auch: Alleine an Zinsen fallen für das Landesbank-Desaster jeden Tag knapp eine Million Euro an. Die CSU-Schuldenuhr zeigt heute unter Berücksichtigung der angefallenen Zinsen 1,057 Milliarden Euro an.

(Volkmar Halbleib (SPD): Sie läuft weiter!)

- Die Schuldenuhr läuft weiter. Sie tickt Minute für Minute, Sekunde für Sekunde.

(Thomas Hacker (FDP): 2012 1 Milliarde, 2013 520 Millionen, 2014 540 Millionen!)

Und damit ist es nicht genug. Die Staatsregierung hat entgegen ihrer selbstgefälligen Darstellungen keinen Tilgungsplan für die Landesbankschulden. Das Ge

genteil ist der Fall. Der Oberste Rechnungshof hat in seinem Bericht deutlich gemacht: Es gibt erhebliche Milliardenrisiken für den Steuerzahler durch den massenhaften Ausfall von Schrottpapieren. Das Ende der Fahnenstange ist im Fall der Landesbank noch nicht erreicht. Ab 2014 wird der Steuerzahler über die Bürgschaften und Garantien mit 1,6 Milliarden Euro erneut in Anspruch genommen.

Heute erreicht uns eine weitere Meldung. Sie ist vor wenigen Minuten über den Ticker gelaufen. Das Drama um die Hypo Group Alpe Adria könnte in eine neue Runde gehen. Die Republik Österreich will den Kauf der Skandalbank möglicherweise rückgängig machen. Das berichtet die dpa. Die Finanzprokuratur habe eine entsprechende Klage gegen die BayernLB auf Rückabwicklung des Kaufs wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung vorbereitet. Wer will da ernsthaft davon sprechen, dass alle Landesbankprobleme mittlerweile gelöst seien, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Die CSU-Verwaltungsräte haben von all dem nichts gemerkt!)

Die Landesbank bringt uns nicht etwa in absehbarer Zeit Erlöse, sondern sie verursacht weitere Kosten. Sie steht für die Steuerzahler nicht auf der Haben-, sondern auf der Sollseite. Meine Damen und Herren, es gäbe wohl noch eine Reihe von Beispielen für Seehofersche Kehrtwenden, aber ich wollte bei einem Dutzend aufhören, obwohl mir noch mindestens ein weiteres Dutzend eingefallen wäre.

Atemberaubend ist es allerdings, wenn dieser Ministerpräsident heute im Hohen Hause verkündet, er habe in jedem Punkt Wort gehalten. Wer so oft seine Prinzipien verändert, sollte nicht über moralische Maßstäbe oder über eine wertgebundene Politik sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Gestatten Sie mir in der letzten Viertelstunde eine kurze Bemerkung dazu, welche Themen der Ministerpräsident heute nur angerissen oder gänzlich ausgespart hat. Ich finde es gänzlich unzureichend, Herr Ministerpräsident, dass Sie den demografischen Wandel mit schönen Worten weggewischt haben: Bayern sei eines der großartigsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Länder der Welt. Natürlich sind wir wirtschaftlich erfolgreich. Wer wollte das infrage stellen?

(Zuruf des Abgeordneten Georg Schmid (CSU))

Aber die Zahlen des Innenministers aus der vergangenen Woche beschreiben Bayern als Land der Ge

gensätze. Das, was Sie als wohlhabendste Region der Welt beschrieben haben, wird ganz differenziert dargestellt durch das, was der Innenminister letzte Woche in einer Pressekonferenz dekretiert hat. Es gibt nämlich auch eine Kehrseite der Medaille, die Sie heute nicht beleuchtet haben: Ein dramatischer Bevölkerungsschwund in manchen Landstrichen steht einem immensen Wachstum von Einwohnerzahlen an anderer Stelle gegenüber. Das bedeutet: Schulsterben versus notwendigen Schulneubau, leer stehende Kindergärten versus zu wenig Infrastruktur für die Kinderbetreuung, Wohnungsleerstand versus Mietenexplosion. Der Freistaat befindet sich ganz gewiss nicht im Gleichgewicht. Die Staatsregierung hat regionale Strukturpolitik jahrzehntelang vernachlässigt und damit die Entwicklung der regionalen Ungleichheiten beschleunigt statt gebremst. Bayerns CSU-Zentralstaat hat Leuchtturmpolitik betrieben und das Ziel gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen aus den Augen verloren. Dabei hat die CSU so ein schlechtes Gewissen, dass jetzt sogar die Verfassung geändert werden muss − wir unterstützen dies und hatten dies gefordert −, damit die Unzulänglichkeiten der letzten Jahre nicht allzu deutlich werden.

(Thomas Hacker (FDP): Wird das jetzt kritisiert oder gelobt? - Alexander König (CSU): Das ist von den Realitäten Lichtjahre entfernt!)

Meine Damen und Herren, soziale Gerechtigkeit und ökonomischer Fortschritt haben auch eine räumliche Dimension. Als SPD haben wir deshalb auch in dieser Legislaturperiode eine Reihe von Vorschlägen für ein Land im Gleichgewicht eingebracht. Eine zielgerichtete Strukturpolitik für junge Menschen und Familien als Antwort auf das deutliche Geburtendefizit außerhalb der Ballungsräume setzt zum Beispiel auf eine bessere Finanzausstattung der bayerischen Kommunen durch die Staatsregierung. Aus unserer Sicht bedarf es einer deutlichen Erhöhung des Anteils der Kommunen am allgemeinen Steuerverbund durch eine schrittweise Anhebung der Verbundquote auf 15 %. Es bedarf einer gezielten regionalen Wirtschaftsförderung und guter Arbeit für die Menschen statt einseitiger Förderung von Leuchttürmen und Prestigeprojekten der Staatsregierung. Es bedarf der Städtebauförderung und der Dorferneuerung, nicht der Kürzung entsprechender Programme durch Bundesbauminister Ramsauer, CSU.

(Beifall bei der SPD)

Immerhin: Die SPD hat bei der bayerischen Städtebauförderung den Bewilligungsrahmen um jeweils 19 Millionen Euro erhöhen wollen. Beschlossen wurde

ein Betrag von 10 Millionen Euro. Das ist gut für die Kommunen und gut für die Bürger.

Ein weiteres Thema hat der Ministerpräsident nur gestreift: die Kinderbetreuungssituation in Bayern. Er hat sie schöngeredet. Bayern hinkt hier im Vergleich der Bundesländer weiter hinterher, wie uns die vor wenigen Tagen veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts gezeigt haben. Der Freistaat liegt mit einer Betreuungsquote von nur 23 % im Bundesländer-Ranking lediglich auf einem enttäuschenden 12. Platz in der Statistik über die Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Die bundesweit niedrigsten Betreuungsquoten weisen zum Stichtag 1. März 2012 die kreisfreie Stadt Amberg und der Landkreis Berchtesgadener Land auf. Unter den bundesweiten Top Ten der auf den hinteren Plätzen bei der Kinderbetreuung liegenden Kommunen liegen auch die bayerischen Städte Straubing und Kaufbeuren. Das ist das Ergebnis einer gesellschaftspolitisch rückwärtsgewandten Politik; denn Sie haben jahrelang verhindert, dass wir die Infrastruktur der Kinderbetreuung in Bayern ausbauen.

(Beifall bei der SPD)

Eltern müssen sich darauf verlassen können, einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu bekommen. Wir brauchen eine Verbesserung der Infrastruktur der Kinderbetreuung und kein Betreuungsgeld als Prämie zur Fernhaltung von Bildungschancen.

(Beifall bei der SPD)

Statt teure Prämien für die Nichtinanspruchnahme von öffentlichen Infrastrukturleistungen mit Fehlanreizen auszuloben, müssen wir der Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen unbedingte Priorität einräumen und die Mittel hierfür gezielt einsetzen. Übrigens können wir Sozialdemokraten das besonders gut.