Protokoll der Sitzung vom 12.02.2009

Frau Präsidentin, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aussage von Max Weber, Sozialpolitik sei das Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Ausdauer zugleich, kann man in Sachen Bericht zur sozialen Lage so auslegen: Die Leidenschaft der Staatsregierung, diesen Bericht endlich vorzulegen, war bisher etwas unterentwickelt.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Leidenschaft und Ausdauer, diesen Bericht immer wieder einzufordern, war umso größer.

(Beifall bei der SPD)

Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich bitte einiges zur Historie des Berichts sagen. Wir haben zwei neue Fraktionen und viele neue Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Hause, die diese Geschichte nicht kennen.

Seit Anfang der neunziger Jahre fordern wir, die SPDFraktion, den Sozialbericht. 1996 gab es einen einstimmigen Beschluss aller Fraktionen des Landtags, dass in jeder Legislaturperiode ein Bericht vorgelegt werden müsse. 1998 lag der Bericht vor. 1999, nach der Wahl, wurde er dem Landtag offiziell vorgestellt. Ich will nur zwei Punkte nennen, die damals schon bezeichnend waren und es heute immer noch sind. Es sind die großen regionalen Disparitäten und die Bildungsarmut.

Zehn Jahre lang haben Sie sich mit fadenscheinigen Begründungen geweigert, den zweiten Bericht vorzulegen. Eine Ausrede lautete: Wegen der Umstellung der Sozialgesetzgebung im Bund erstelle Bayern keinen Sozialbericht; trotzdem hat der Bund seinen Armutsbericht vorgelegt. Die zweite Ausrede war, dass der Sozialbericht zu teuer sei. Auch das ist falsch, denn nur mit einem entsprechenden Wissen können wir handeln. Jedenfalls haben wir jetzt den Bericht. Er wurde noch im Sommer vor der Sommerpause und vor der Wahl angekündigt. Dann wurde er nach der Wahl im Herbst angekündigt. Im Koalitionsvertrag steht, dass er noch 2008 gegeben werden solle. Dann hieß es Ende Januar, jetzt haben wir Anfang Februar, und seit vorgestern Abend haben wir den Bericht.

Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht versäumen, meinen Dank an die Wissenschaftler, die Institute, die Verbände, die Sozialpartner und auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien für dieses umfangreiche Werk zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, Sie haben erst vor 40 Stunden diesen Bericht mit 800 Seiten, Daten, Fakten, Analysen und Bewertungen dem Parlament vorgelegt und geben heute dazu eine Regierungserklärung ab. Mit diesem Vorgehen haben Sie keinen guten Einstand gegeben. Das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der SPD)

Erst zögern Sie den Bericht monatelang hinaus, weil Sie noch ganz neue Daten einfügen müssten, obwohl im Koalitionsvertrag steht, dass der Bericht jährlich fortgeschrieben wird. Dann aber gibt es diese plötzliche Eile. Was ist das für ein Umgang mit den betroffenen Menschen, den Verbänden, den Organisationen, den Sozialpartnern und nicht zuletzt mit dem Parlament?

(Beifall bei der SPD)

Wenn das der neue Stil ist, den Herr Ministerpräsident Seehofer angekündigt hat, kann ich nur sagen: Das ist kein guter Stil.

(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich können Sie es so machen, wie Sie es gemacht haben. Ich beanspruche aber auch für mich die Selbstverständlichkeit, dieses Handeln zu kritisieren.

Kolleginnen und Kollegen, Bayern ist kein armes Land. Im Gegenteil, einem Teil der Bevölkerung geht es sehr gut. Ein Teil ist mit seiner Lage im Großen und Ganzen zufrieden. Ein Teil der Bevölkerung aber lebt in Armut, in relativer Armut oder ist von Armut bedroht. Diesem Teil der Bevölkerung gilt unsere besondere Aufmerksamkeit und unser besonderes Augenmerk.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, Sie vergleichen Bayern gerne mit dem Bund und mit anderen Bundesländern, natürlich mit handverlesenen Ländern, und das ist aus Ihrer Sicht auch legitim. Was hilft es aber dem von mir angesprochenen Teil der Bevölkerung, wenn Sie sagen, dass es dem Durchschnittsbayern besser geht als Menschen in anderen Ländern? Das hilft Ihnen gar nichts. Das ist genauso, wie wenn Sie eine Hand in den Kühlschrank strecken und eine Hand auf die heiße Herdplatte legen und sagen, dass Sie in der Mitte eine vernünftige Durchschnittstemperatur haben.

Wir haben ein Armutsrisiko bei 10,9 % der Bevölkerung insgesamt, bei 18 % der Rentnerinnen und Rentner, bei über 23 % der Alleinerziehenden und bei 25 % der Menschen mit Migrationshintergrund. Kann sich das ein wohlhabendes Land wie Bayern leisten? Selbstverständlich kann es sich das nicht leisten.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich mit zwei Schwerpunkten befassen, nämlich mit der regionalen Situation und mit dem vorhin angesprochenen betroffenen Personenkreis.

Wer ist von Armut bedroht? Wem müssen wir Perspektiven bieten? Wo muss dringend etwas getan werden? Es sind die Alleinerziehenden, die Familien mit mehreren Kindern und meistens nur einem Einkommen, die Menschen mit Migrationshintergrund, die Kinder und Jugendlichen aus sozial schwächeren Familien, die Rentner und vor allen Dingen Rentnerinnen, die Langzeitarbeitslosen und die Menschen, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Diese Lage ist seit zehn Jahren nahezu unverändert. Das ist der eigentliche Skandal. Seit zehn Jahren ist die Situation nahezu unverändert.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, Sie sind in keiner Weise auf die regionalen Unterschiede eingegangen.

(Erwin Huber (CSU): Doch, Sie haben nur nicht zugehört!)

- Die Petitesse zwischen Niederbayern und dem restlichen Bayern gilt hier nicht, Herr Huber.

(Beifall bei der SPD)

Die Schere zwischen den einzelnen Regionen ist weit geöffnet. Seit zehn Jahren hat sich nichts verbessert. Im Gegenteil -

(Erwin Huber (CSU): Keine Ahnung! Das ist die alte Platte, die schon lange nicht mehr stimmt!)

- Aber Sie haben eine ganze Menge Ahnung davon.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Den Sozialbericht lesen, Herr Huber! - Erwin Huber (CSU): Niederbayern ist vor München! Wir haben die geringste Arbeitslosenquote!)

Wir haben bei den Einkommen zwischen Oberbayern und Niederbayern einen Unterschied von 20 %.

(Erwin Huber (CSU): Das ist doch Unfug! Sie wissen doch nicht einmal, wo Niederbayern liegt!)

- Lesen Sie den Sozialbericht. Sie haben ihn als DVD und schriftlich bekommen.

(Erwin Huber (CSU): Sie haben keine Ahnung von Niederbayern! - Harald Güller (SPD): Sie haben keine Ahnung von den Zahlen und überspielen das noch mit Arroganz!)

Wir haben unterschiedliche Lebenserwartungen in Nordbayern und in Südbayern. Wir haben sehr unterschiedliche Arbeitslosenquoten in Oberbayern, Oberfranken und Mittelfranken. Selbst die bundesweit besten Werte helfen den Menschen in Hof, in Wunsiedel und Westmittelfranken herzlich wenig, wenn sie keine Arbeit haben.

Sie hängen den ländlichen Raum ab.

(Beifall bei der SPD)

Im Bericht steht etwas ganz interessantes: Es gibt eine strategisch ausgerichtete Politik für die ländlichen Räume. Da frage ich Sie: Wo, wie und was bitte? Meinen Sie damit das Schließen der Teilhauptschulen und der Hauptschulen? Meinen Sie damit die fehlende Infrastruktur? Meinen Sie damit ein kritikwürdiges BayKiBiG? Meinen Sie damit die fehlende Finanzkraft der Kommunen? Die soziale Lage eines Landes ist auch davon abhängig, ob eine Kommune für Familien, Kinder, Jugendliche und alte Menschen ihre Aufgaben

erfüllen kann, von familienfreundlichen freiwilligen Leistungen gar nicht erst zu reden.

(Beifall bei der SPD)

Gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Landesteilen sind ein hehres Ziel. Davon sind wir aber sehr weit entfernt. Das ist meiner Meinung nach auch ein Grund dafür, dass dieses Problem im nächsten Sozialbericht vertieft untersucht werden muss. In Bayern erhält fast eine halbe Million Menschen Leistungen nach dem SGB II, 130.000 Kinder und 100.000 Aufstocker. Es ist richtig, dass wir die wenigsten Bezieher des Arbeitslosengeldes II haben, aber wir haben auch einen deutlichen Zuwachs an Niedrigeinkommen. Kolleginnen und Kollegen, die Armutsfalle ist Realität, trotz Berufstätigkeit, trotz Vollzeitberufstätigkeit, trotz ergänzender Sozialleistungen. Deshalb steht für uns der Mindestlohn nach wie vor auf der Agenda.

(Beifall bei der SPD)

In einem Land wie Bayern müssen Menschen, die ganztags arbeiten, von ihrem Lohn leben können. Der Niedriglohn führt dann auch zu einer Niedrigrente. Ich sage hier ganz deutlich: Der Kombilohn ist der falsche Weg.

(Beifall bei der SPD)

Die Forderung des Wirtschaftsministers nach Kombilohn ist es deshalb ebenso.

(Beifall bei der SPD)

Ganz interessant ist das Zitat von Herrn Ministerpräsidenten Seehofer. Er sagte: Der Kombilohn macht aus dem Sozialstaat den Sozialhilfestaat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da hat der Ministerpräsident recht. Ich bin gespannt, wer sich bei Ihnen durchsetzt.