Protokoll der Sitzung vom 20.03.2013

Wir fahren in der Debatte fort. Kollegin Christine Kamm vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht bereit. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man Ihnen zuhört, bekommt man den Eindruck, dass einige hier noch nicht begriffen haben, wie es den Mieterinnen und Mietern in Bayern mittlerweile geht.

(Beifall der Abgeordneten Claudia Stamm (GRÜ- NE))

Sicherlich, die Mehrheit hier im Haus wohnt in einem Eigenheim irgendwo draußen; aber Realität ist, dass die Hälfte unserer Bevölkerung zur Miete wohnt und dass ein großer Teil dieser Mieter Bevölkerungsschichten angehört, die wichtige Arbeiten für uns leisten, die gleichwohl nicht so gut bezahlt werden wie manch andere Jobs, und wirklich auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind. Die Zahl der Menschen, die mehr als 40 % ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen, steigt. Da sind einfach Grenzen erreicht, und da muss an vielen Stellschrauben entschieden gedreht werden. Man kann auch nicht so tun, als seien die Mieterinnen und Mieter Ausfallbürgen für die nicht ausreichende Regionalpolitik dieses Landtags. So kann man das Problem nicht angehen. Wir müssen die Not der Mieterinnen und Mieter ernster nehmen und wirklich etwas tun, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Heute liegt der Gesetzentwurf über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vor. Dass man überhaupt etwas tut, ist schon ein kleiner Schritt, und es ist auch positiv, dass man den Kommunen die Möglichkeit gibt, zu handeln, allerdings mit dem schalen Beigeschmack, dass wieder eine Befristung angestrebt wird, die völlig unrealistisch ist, und dass Sie auch nichts gegen die Zweckentfremdung und Nutzung von Mietraum als Hotelräume und Ferienwohnungen tun wollen. Ich wünsche niemandem von Ihnen, in einem Mehrfamilienhaus zu wohnen, in dem zwei, drei oder vier Wohnungen zu Billighotels umfunktioniert worden sind. Ich hoffe wirklich, dass Ihnen das nicht passiert, und würde mir wirklich wünschen, dass Sie sich jetzt doch besinnen und dem Änderungsantrag gegen die Befristung und gegen die Umnutzung von Wohnraum in hotelähnliche Nutzungen zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Kommunen brauchen weit mehr Kompetenzen, um etwas gegen die Mietraumnot zu tun. Sie brauchen auch die Möglichkeit, die Umwandlung von Wohnraum in Eigentumswohnungen zu begrenzen, zu beschränken, zu reglemen

tieren. Wir haben einen drastischen Schwund an bezahlbarem Wohnraum zu verzeichnen. Warum? Weil Investoren nur daran interessiert sind, Eigentumswohnraum zu errichten − sie wollen nämlich schnell ihr Geld wiederhaben und nicht über zwanzig Jahre vermieten − und weil aus Geldanlageinteresse sehr viel ehemals preisgünstiger Wohnraum in Eigentumswohnraum umgewandelt wird. Bezahlbarer Wohnraum schmilzt wie Schnee in der Sonne. Die Wohnraumfördermittel des Freistaats insbesondere im Bereich des sozialen Wohnraums und auch des Studentenwohnraums sind absolut unzureichend.

(Zuruf von der CSU: Das stimmt nicht!)

Das stimmt! − Die Folge dessen ist, Frau Kollegin, dass die Mieten in allen Universitätsstädten in den letzten fünf Jahren deutlich angestiegen sind. Wir haben die doppelten Studienjahrgänge, wir haben einen deutlichen Zuwachs an Studierenden zu verzeichnen und damit eine steigende Nachfrage nach Studentenwohnraum. Was passiert? In den Studentenstädten steigen die Mieten, in Nürnberg, Würzburg und Augsburg von 2008 bis jetzt um über 10 %, letztendlich verursacht durch falsche Politik, durch eine unzureichende Politik dieser Landesregierung.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, angemessener Wohnraum ist Menschenrecht. Das sagt schon die Bayerische Verfassung. Wir sollten uns bemühen, diesem Verfassungsanspruch näherzutreten, und mehr tun, als lediglich ein Verbot über die Zweckentfremdung von Wohnraum erlassen. Wir müssen wesentlich mehr tun!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Julika Sandt das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Eine Horde Gorillas stürmt eine Wohnung mitten in München, bewaffnet mit Pinseln und Baumaterialien. Schauplatz ist die Müllerstraße. Irgendwann nehmen die Gorillas ihre Masken ab. Darunter stecken Luise Kinseher, Dieter Hildebrandt, die Sportsfreunde Stiller, Mehmet Scholl und viele andere Prominente. − Das Ganze war ein Video, das unter dem Namen der fiktiven Firma Goldgrund im Internet kursierte und hohe Aufmerksamkeit erregt hat, und das war gut so; denn damit wurde angeprangert, dass hier ein Wohnungsnotstand herrscht. Das Haus in der Müllerstraße ist ein Haus der Stadt München. Die Stadt lässt ihre Wohnungen leer stehen.

(Beifall bei der FDP)

Liebe SPD, liebe GRÜNE, Leerstand ist auch eine Form der Zweckentfremdung. Aber bei stadteigenen Wohnungen legt das rot-grün regierte München den Genehmigungsvorbehalt sehr weit aus. Sie genehmigt sich selbst viel zu viel und so ziemlich alles.

Auch folgende Wohnungen stehen leer: in der Eversbuschstraße 155 eine Wohnung seit 1985 und eine Wohnung seit 2001, in der Gollierstraße 84 bis 86 19 städtische Wohnungen. Die Milchstraße 11, das Haus in der Au steht mindestens seit 2010 leer. Genauere Daten teilt die Stadt nicht mit. Die Schussenrieder Straße 3 steht leer. Im schönsten Giesing verfällt das Haus Obere Grasstraße 6. Die Aribonenstraße 22 steht leer. In der Thierschstraße 10, mitten hier im Lehel, in der teuersten Wohnlage, stehen sechs Wohnungen leer; seit wann, ist unbekannt. Weinbauernstraße 19, Westendstraße 151, Isoldenstraße 19. Da beklagen Sie, dass der Wohnraum in München teuer wird? Das ist klar. Natürlich ist es schwer, Wohnraum in Großstädten und insbesondere in München zu finden. Das trifft übrigens nicht nur für Menschen mit geringem Einkommen zu, sondern mittlerweile auch für die Mittelschicht.

Die hohen Mietpreise sind Symptome. Die eigentliche Diagnose lautet: Wir haben zu wenig Wohnraum in den Ballungszentren. Aber die Therapie kann doch nicht darin bestehen, den Investoren Tranquilizer zu geben, sondern wir müssen sie aktivieren, damit sie Wohnraum schaffen. Mehr Wohnraum ist das einzig wirksame Mittel gegen Mietsteigerungen. Die Vorschlagskataloge der SPD bestehen nur aus Bürokratie und Verboten. Der Gipfel besteht in der Fahrradabstellsatzung. Sie ist ein echtes Hindernis für Investoren. Ich fahre täglich mit dem Rad durch München. Man braucht keine Fahrradabstellsatzung. Das ist blanker Unsinn.

(Beifall bei der FDP)

Das Ergebnis Ihrer Bürokratie- und Verbotspolitik ist immer mehr Druck auf den Mietmarkt sind, immer höhere Preise. Das ist rot-grüne Wohnungspolitik speziell in München.

(Beifall bei der FDP)

Politik bedeutet immer das Abwägen von Interessen. Hier besteht Wohnungsnot, dort gelten Eigentumsrechte, die wir hochhalten. Denn wer Wohnungen schafft, der trägt Verantwortung und hat Pflichten zu erfüllen, aber er braucht natürlich auch Rechte. Wir wollen, dass Menschen Verantwortung übernehmen, aber sie brauchen auch Freiheit, um Verantwortung übernehmen zu können.

Der Genehmigungsvorbehalt bei Zweckentfremdung ist mit Vorsicht zu genießen, weil die Wohnungsmarktsituation Schwankungen unterliegt. In Gebieten, in denen sich die Wohnungsmarktsituation zwischenzeitlich wieder entspannt hat, waren Zweckentfremdungsmaßnahmen rechtswidrig. So musste das Oberverwaltungsgericht in Berlin 2002 eine einschlägige Zweckverordnung aufheben. Der Senat konnte nämlich keine Mangellage auf dem Mietmarkt mehr feststellen. Die Verordnung trat − man höre und staune − wegen Verfassungswidrigkeit außer Kraft. Auch Niedersachsen und Hessen haben 2004 Zweckentfremdungsverordnungen aufgehoben. In Hessen kam es zu völlig absurden Prozessen. Es wurde verhindert, dass sich junge Menschen als Unternehmer niederließen und selbstständig machten. Zum Teil wurden sogar Mieter über die Tätigkeiten ihrer Nachbarn befragt. Sie wurden gefragt, ob die Nachbarn ihren Wohnraum gewerblich nutzen. Solche Auswüchse gab es.

Wir haben in der Fraktion eine sorgfältige Abwägung vorgenommen. Wir sehen einerseits die vorhandene Wohnungsnot, wir sehen andererseits auch die Eigentumsrechte. Wir haben uns dafür ausgesprochen und uns in der Verhandlung dafür eingesetzt, dass die bestehende Zweckentfremdungsverordnung zeitlich befristet wird. Ich bitte Sie, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das ist eine Regelung mit Augenmaß, stimmen Sie ihr zu!

(Beifall bei der FDP)

Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin. Es gibt zwei Zwischenbemerkungen. Zuerst hat sich Herr Kollege Pfaffmann für die SPD gemeldet. Bitte schön.

Liebe Frau Kollegin Sandt! Wer jahrelang Umwandlungsverbote und somit günstige Mieten verhindert, wer jahrelang die Schaffung gerechter Mietspiegel verhindert, wer jahrelang Kappungsgrenzen verhindert und jetzt, kurz vor der Wahl, eine Kappungsgrenze einführen will, allerdings auf zwei Jahre befristet, und wer am liebsten die GBW-Wohnungen der Landesbank verscherbeln und privatisieren möchte, von dem brauchen wir hier keine Ratschläge in der Mietpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben die pfiffige Aktion der Gorillas in der Müllerstraße angesprochen.

(Karsten Klein (FDP): Neue Heimat, sage ich nur!)

Ist Ihnen denn bekannt, liebe Frau Kollegin Sandt, dass die Häuser, von denen Sie sprechen, teilweise baufällig sind? Wollen Sie denn wirklich und ernsthaft baufällige Häuser sozusagen auf die Schnelle renovieren und dann vermieten? Das ist doch ein Witz. Ist Ihnen bekannt, dass die Landeshauptstadt München anstelle der baufälligen Häuser in der Müllerstraße mehr soziale Wohnungen bauen will, keine einzige Eigentumswohnung oder private Wohnung, sondern Sozialwohnungen, und zwar mehr, als es dort jetzt gibt? Ist Ihnen das alles bekannt? Wenn ja, sollten Sie aufhören, hier populistische Äußerungen anzuführen, und stattdessen die Wohnungspolitik der Landeshauptstadt München objektiv bewerten. Es gibt keine einzige Stadt in Deutschland, die über 60.000 Wohnungen im Eigenbesitz hat. Darauf gehen Sie nicht ein, während Sie Landesbankwohnungen verscherbeln wollen. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, zur Erwiderung, bitte.

Erstens. Die Aussage, dass wir Wohnungen verscherbeln wollen, ist purer Populismus.

(Beifall bei der FDP und bei der CSU − Wider- spruch bei der SPD)

Sie wissen um die Vorgaben der EU-Kommission, Sie wissen, dass es eine Sozialcharta gibt. Sie ignorieren das alles.

Zweitens. Wunderbar fand ich Ihren Katalog: Umwandlungsverbot etc. Durch all diese Maßnahmen, durch all diese Regulierungen, durch all diese Einschränkungen für Investoren verhindern Sie, dass Wohnraum geschaffen wird. Ich sage es noch einmal: Das ist rote Wohnungsbaupolitik!

(Beifall bei der FDP)

Drittens. Sie sagen, die Häuser seien baufällig.

(Zuruf der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))

− Schön, dass Sie sich so freuen, Frau Zacharias, dass Sie so brüllen vor Begeisterung.

(Unruhe − Glocke des Präsidenten)

Sie sagen, die Häuser in der Müllerstraße sind baufällig.

(Isabell Zacharias (SPD): Das hat keiner gesagt!)

- Ihr Kollege Pfaffmann hat gesagt, dass diese Häuser baufällig sind. Hören Sie sich hinterher die Aufzeichnung an, schauen Sie das Protokoll an, statt hier herumzuschreien.

(Unruhe − Glocke des Präsidenten)

Ziehen Sie sich eine Gorillamaske auf, aber schreien Sie nicht herum.

Ihr Schreien hin oder her: Herr Pfaffmann hat selbst gesagt, dass mindestens ein Haus in der Müllerstraße baufällig gewesen sei. Darauf erwidere ich Ihnen: Ich habe nicht gesagt, dass es stehen bleiben soll. Ich habe nur gesagt, dass darauf aufmerksam gemacht wurde, dass dieses baufällige Haus seit Jahren leer steht. Darin besteht doch der eigentliche Skandal. Ob es baufällig ist oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen.

(Beifall bei der FDP)

Sanieren Sie es, oder bauen Sie neu, aber schaffen Sie Wohnraum. Lassen Sie nicht Bauruinen verfallen, Herr Pfaffmann.

(Beifall bei der FDP und der CSU)