Protokoll der Sitzung vom 17.07.2013

Dem Umstand, dass die Opfer ausländischer Herkunft gewesen sind, wurde keine Bedeutung im Hinblick auf eine fremdenfeindliche Motivation beigemessen. Immer wieder wurde das Argument vorgetragen: Es gibt ja kein Bekennerschreiben etc. Jedenfalls hat sich dies als fataler Fehler herausgestellt.

Ich begrüße sehr, dass der Untersuchungsausschuss einen weitgehend einvernehmlichen Abschlussbericht vorlegen konnte. Das ist bei diesem Thema angemes sen. Einigkeit konnte darüber erzielt werden, dass es etliche Fehler und schwere Versäumnisse gegeben hat.

Dissens besteht bei der Frage, wie die Sicherheitsar chitektur zukünftig aufgestellt werden muss, welche Konsequenzen sich für den Verfassungsschutz erge ben, ob zukünftig noch V-Leute eingesetzt werden dürfen und welche konkreten Strategien gegen Rechtsextremismus zusätzlich ergriffen werden müs sen.

In der Ausschussdebatte über den Abschlussbericht wurde deutlich, dass viele der sonstigen Punkte aus dem Sondervotum von GRÜNEN und SPD auch von den übrigen Ausschussmitgliedern getragen werden. Aus zeitlichen Gründen – das hat Kollege Bernhard schon ausgeführt – konnten die Punkte jetzt nicht mehr mit aufgenommen werden.

Die Kernpunkte habe ich gerade genannt: Sicher heitsarchitektur, Konsequenzen für den Verfassungs schutz, Einsatz von V-Leuten und Strategien gegen Rechtsextremismus.

Nach der Sichtung von über 400 Akten und der Befra gung von mehr als 50 Zeugen und drei Sachverstän digen haben wir uns in 31 Ausschusssitzungen, in denen 90 Beschlüsse gefasst wurden, einen guten Überblick verschaffen können. Die Zeit von einem Jahr reichte nach unserer Auffassung aber nicht aus, alle Fragen zu beantworten und alle Missstände auf zuklären.

Wir sehen den heutigen Abschlussbericht deshalb eher als einen Zwischenbericht an. Wir haben Vor kehrungen getroffen, dass es in der nächsten Legisla

turperiode nahtlos mit den Untersuchungen weiterge hen kann. Wir werden die Akten aufbewahren, um es dem neuen Landtag zu ermöglichen, direkt anzu schließen. Er wird auf weitere offene Fragen, die am Rande des Prozesses vor dem Oberlandesgericht oder bei den anderen Untersuchungsausschüssen, deren Arbeit zum Teil noch läuft, auftauchen, reagie ren und eventuell eine Neubewertung vornehmen.

Nach wie vor ist es erschreckend und bei Weitem nicht vollständig aufgeklärt, wie es möglich war, dass der Nationalsozialistische Untergrund mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 13 Jahre lang unentdeckt mordend durch die Lande ziehen konnte, Sprengstoffattentate beging und Banken aus geraubt hat, ohne irgendwie aufzufallen. Diese Tatsa che hat erhebliche Mängel in der Sicherheitsarchitek tur offenbart.

Ich nenne drei Beispiele vorab. Die Gefahren, die von rechtsterroristischen Gruppen ausgehen konnten, wurden vom Verfassungsschutz, der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht für möglich gehalten und lange Zeit völlig ausgeblendet, obwohl die Strategie des führerlosen Widerstands, "Combat 18" und Vorbil der aus den anderen Ländern bekannt gewesen sein mussten und zum Teil auch waren, wie sich bei den Zeugeneinvernahmen herausgestellt hat.

"Blood and Honour" wurde im Jahr 2000 verboten. In diesem Jahr begann auch die Mordserie. Der damali ge Innenminister Günther Beckstein hatte zwar nach dem ersten Mord an Enver Simsek den richtigen Ge danken. Auf seine Nachfragen nach einem möglichen fremdenfeindlichen Hintergrund gab er sich aber wäh rend der gesamten Mordserie mit oberflächlichen Stellungnahmen seines Hauses und der Polizei zufrie den.

Justizministerin Beate Merk hat sich erst gar nicht über die Mordserie informieren lassen. Sie hat an scheinend die Dimension dieser Taten nicht gesehen. Hier besteht natürlich politische Verantwortung.

Nach dem sechsten Mord, dem Mord an Ismail Yasar in Nürnberg, gab es endlich eine konkrete Spur. Eine Zeugin hatte die Täter, die mit dem Fahrrad unter wegs gewesen sind, genau beschreiben können. Es konnte die Verbindung zu dem Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße, das genau ein Jahr zuvor stattfand, hergestellt werden. Die Zeugin erkannte auf den Videoaufnahmen jemanden als Täter, den sie schon in Nürnberg gesehen hatte. Der damals für die fünf bayerischen Morde zuständige Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth befand es nicht einmal für notwendig, seinen Staatsanwaltskollegen in Köln anzurufen oder sich anderweitig mit ihm in Ver

bindung zu setzen. Die Initiative, sich bei den Kölnern zu erkundigen, ging damals auch nicht von der BAO Bosporus aus, sondern die Kölner haben sich von sich aus gerührt und auf eventuelle Verbindungen hin gewiesen. Dennoch verlief die Spur im Sande. Es wurde nicht wirklich nachgeforscht.

Zudem ist deutlich geworden, dass die immer wieder vorgetragene Aussage, es sei in alle Richtungen er mittelt worden, nicht zutrifft. Als im Jahr 2006 - nach dem neunten Mord! - endlich in die Richtung eines oder mehrerer missionsgeleiteter Ausländerhasser im Sinne einer Arbeitshypothese ermittelt wurde, funktio nierte der Informationsaustausch zwischen dem Ver fassungsschutz und der BAO der Polizei nicht. Ob wohl der Verfassungsschutz den neuen Ermittlungsansatz genau kannte, kam von ihm keine Unterstützung. Er lieferte trotz vieler Nachfragen le diglich eine dürre Namensliste von Rechtsextremis ten, aber auch das erst gut sieben Monate später. Zwei Postleitzahlbezirke Nürnbergs – das war das einzige Kriterium.

Diese Spur wurde zwar nach und nach – teilweise bü romäßig – abgearbeitet, verlief aber ebenfalls im Sande. Es wurde nicht nachgehakt. Nur die 682 Na men wurden überprüft, 161 etwas genauer, und neun Personen wurden im Rahmen sogenannter Ge fährderansprachen angesprochen. Aber diese Spur verlief im Sande; die BAO Bosporus wurde Anfang 2008 zurückgeführt.

So weit drei herausragende Beispiele aus einer Serie von Fehleinschätzungen bzw. begangenen Fehlern.

Hinsichtlich der Gefahren durch rechte Gruppen bzw. Rechtsterroristen waren die Fehleinschätzungen gra vierend. Wir hatten im Rahmen unseres Auftrags auch zu untersuchen, wie sich die rechtsextremisti sche Szene seit 1994 in Bayern entwickelt hat, wie sie eingeschätzt worden ist und welche Kenntnisse die bayerischen Sicherheitsbehörden hatten. Erschre ckend ist, dass damals sowohl bei den zuständigen Beamten des Verfassungsschutzes als auch bei denen der Polizei die Kenntnisse ziemlich dürftig waren. Sie konnten mit vielen Begrifflichkeiten nichts anfangen und kannten radikale Strömungen nicht, ob wohl zum Beispiel das Verfahren zum Verbot von "Blood and Honour" lief.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte eine Broschüre herausgegeben, in der die Entwicklungen in der rechtsextremen Szene, insbesondere was die Gewaltbereitschaft anbelangt, für den Zeitraum 1997 bis 2004 aufbereitet wurden. Das war genau der we sentliche Zeitraum. Die wenigsten Zeugen kannten diese Broschüre, geschweige denn, dass sie sie gele

sen hatten. Am auffälligsten war für mich, dass der Beamte, der im Innenministerium lange Zeit für den Verfassungsschutz zuständig war und dann Präsident des Landesamtes wurde, in dieser entscheidenden Phase diese Broschüre ebenfalls nicht kannte bzw. nicht gelesen hatte. In dieser Broschüre – das ist be zeichnend – taucht das Neonazitrio aus Jena auf. Dass bei ihnen Waffen und Sprengstoff gefunden wurden, ist dort ebenso nachzulesen wie der Hinweis darauf, dass sie untergetaucht sind.

Dem engen Kontakt zwischen bayerischen und thürin gischen Neonazis hat der Verfassungsschutz keine große Bedeutung beigemessen, obwohl Tino Brandt als damaliger V-Mann des Thüringer Verfassungs schutzes hier sehr umtriebig war und spiegelbildlich zu dem "Thüringer Heimatschutz" den "Fränkischen Heimatschutz" aufbauen wollte. Das Landesamt hat dies nur als Thüringer Problem und nicht als baye risches Problem angesehen, obwohl sich hier auch ein bayerischer V-Mann getummelt hat.

Wie war die Reaktion? Statt sich an einer Operation mehrerer Geheimdienste zu beteiligen, rief der dama lige Verfassungsschutzpräsident seinen Kollegen aus Thüringen an und forderte ihn auf, seinen V-Mann zu rückzupfeifen.

Es ist nicht erkannt worden, dass Fremdenhass nicht an Landesgrenzen haltmacht. Das Bayerische Lan desamt für Verfassungsschutz hat nicht nachgehakt. Dort meinte man, man habe seine Rechtsextremen schon im Griff.

Es ist herausgekommen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz bei der V-Mann-Führung erhebli che Fehler gemacht hat. Man ließ einen V-Mann ein fach gewähren: Er konnte die Szene maßgeblich be einflussen bzw. steuern, das Thule-Netz aufbauen und Heß-Gedenkmärsche vorbereiten. Der Verfas sungsschutz ließ sich dann über die Anzahl der Teil nehmenden informieren und bezahlte dem V-Mann dafür wahrscheinlich ein Honorar. Die Art und Weise, wie dieser V-Mann damals geführt wurde, führte 1997 zu einem regelrechten Brandbrief des Bundeskrimina lamtes. Darin beschwert sich das BKA darüber, dass durch V-Leute ein Brandstiftereffekt in der rechtsext remistischen Szene angestoßen worden sei. Es habe Warnungen vor Strafverfolgung bzw. Verschonungen gegeben. Bei dem schon erwähnten V-Mann ist ein Verfahren nach § 129 StGB tatsächlich deshalb ein gestellt worden, weil er V-Mann war.

Der Untersuchungsausschuss brachte ans Licht, dass das NSU-Trio vor seinem Untertauchen rege Kontakte nach Bayern hatte. Für die Zeit seit 1994 sind mehre re Treffen mit anderen Neonazis dokumentiert, unter

anderem in der Kiesgrube Straubing und der "Tiroler Höhe" in Nürnberg. Beate Zschäpe war bei einer Ver anstaltung des "Volksbundes Deutsches Reich" in Nürnberg dabei, Mundlos und Böhnhardt nahmen am Münstermann-Marsch in Aschaffenburg teil.

Auf einer Liste, die der Polizeidirektion Nürnberg vor lag, waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos als be kannte Rechtsextremisten verzeichnet. Beide beteilig ten sich 1997 an einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in München. Auf der Telefon liste, die im Fluchtrucksack von Uwe Mundlos gefun den wurde, finden sich zahlreiche Namen von bayeri schen Neonazis und von diversen V-Leuten.

Der Verfassungsschutz hat auch nicht mitbekommen, wie früh die Begrifflichkeit "NSU" schon vorhanden war. In einem Neonazi-Fanzine erschien Anfang 2002 folgender Text:

Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getra gen. Der Kampf geht weiter!

Diese Zeitung hatte eine Postfachadresse in Kronach - zufällig der Ort, in dem auch der V-Mann wohnte. Der zitierte Text ging zurück auf eine Spende an den "Weißen Wolf" – so ist es zumindest heute nachvoll ziehbar –, die von dem NSU-Trio geleistet worden war.

Auch auf einem Flugblatt des "Nationalsozialistischen Untergrunds" tauchte die Abkürzung NSU recht früh auf. Dort ist zudem das Logo, das wir aus dem grau samen Bekennervideo kennen, abgebildet. In diesem Flugblatt werden die Ziele bereits unverhohlen darge stellt: "Sieg oder Tod!", "Entschlossenes, bedingungs loses Handeln ist gefordert!", "Der Worte sind genug gewechselt!" Das waren einige Zitate aus diesem Flugblatt. Dieses Flugblatt muss schon 2001 kursiert sein. Anscheinend hat dies aber niemand mitbekom men, obwohl in dem Flugblatt ausdrücklich um Ver breitung desselben gebeten wurde.

Ich habe aus den verschiedenen Informationen, die wir über Presse und sonstige Kanäle erhalten haben, eine Zusammenstellung über die Zeit des NSU-Trios vor und nach dem Untertauchen gefertigt. Danach müssen es über 20 V-Leute gewesen sein, die eine sehr problematische Rolle gespielt und auch engen Kontakt zum NSU-Trio gehabt haben. Die verschiede nen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wollen aber damals keine Kenntnis von die sem Trio gehabt haben. Wenn sie keine Kenntnis hat ten, wenn also über diese V-Leute, die dann so engen Kontakt zum NSU-Trio gehabt haben, keine Informa tionen geflossen sind, dann zeigt dies, dass das VLeute-System absolut versagt hat.

Fazit hierzu: Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Gefahr einer möglichen rechtsterroristischen Bedrohung nicht erkannt, obwohl dies damals möglich gewesen wäre. Bis einschließlich 2011 findet sich in den Verfassungsschutzberichten immer wieder der Satz, dass der Rechtsextremismus über keine gefes tigte einheitliche Ideologie verfügen würde. Das ist meines Erachtens ein Ausdruck dafür, wie stark die Szene unterschätzt wurde. Die Möglichkeit der Exis tenz einer braunen RAF wurde über die ganzen Jahre hinweg nicht für möglich gehalten – auch das ist eine fatale Fehleinschätzung. Spätestens seit dem Okto berfest-Attentat hätten diese Tendenzen aber wahrge nommen werden müssen. Dieses Oktoberfest-Atten tat war ja nicht der einzige Mordanschlag oder das einzige Attentat, der oder das in Bayern aus fremden feindlichen Gründen stattgefunden hat.

Zu den Kardinalfehlern, die es bei den Ermittlungen gegeben hat: Das BKA war frühzeitig bereit, die Er mittlungen zu übernehmen. 2004 wurde dies unter an derem von BKA-Beamten vorgeschlagen. Es wurde immer behauptet, dass das BKA 2004 nicht bereit ge wesen wäre, die Ermittlungen zu übernehmen. Das stimmt nicht. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat die Voraussetzungen nicht geschaffen, um die Verfahren an das BKA abzugeben, obwohl sie es in der Hand gehabt hätte. Der Staatsanwalt hat dies aber nicht für nötig befunden.

Trotz fehlender konkreter Anhaltspunkte wurde mit großer Intensität in die falsche Richtung ermittelt. Die Ermittlungen konzentrierten sich ja auf die organisier te Kriminalität. Es wurde immer gesagt: In fremden feindlicher Richtung konnten wir nicht ermitteln; wir haben ja keine Anhaltspunkte gehabt. Aber auch in Richtung der organisierten Kriminalität gab es keine Anhaltspunkte. Die vermeintliche Spur wurde mit gro ßer Fantasie und Hartnäckigkeit verfolgt. Als Privatde tektive getarnte verdeckte Ermittler wollten Informatio nen aus dem Umfeld der Opfer bekommen. Auch Journalisten getarnte verdeckte Ermittler waren unter wegs. Zwei Döner-Buden wurden aufgebaut, eine in Nürnberg und eine in München, die dann von V-Per sonen geführt worden sind. Damals hat man sich an scheinend überhaupt keine Gedanken darüber ge macht, dass man dadurch diese V-Personen auch in Gefahr gebracht hat. Man wusste, wie der Ablauf die ser Morde ist: Sie kommen, schießen und sind ganz schnell wieder weg. Wenn diese Personen wirklich als Lockvögel eingesetzt worden sind, hätte man sie nicht schützen können.

Das Nichtverfolgen der Fahrradfahrerspur ist ein gra vierender Fehler gewesen. Hier hat es endlich einmal eine Spur gegeben, die hätte nachverfolgt werden müssen. Man hätte auch rekapitulieren können: Bei

anderen Mordtaten sind ja auch Fahrradfahrer beo bachtet worden, die sich auffällig bewegt haben. In einem Fall sind auch zwei Männer in Fahrradhosen beobachtet worden. Man hätte das Puzzlespiel viel besser zusammenbringen können. Diese Fahrradfah rerspur in Köln ist nicht weiterverfolgt worden. Obwohl der Profiler Alexander Horn vorgeschlagen und emp fohlen hat, die Fälle in Köln mit der Mordserie intensiv zu vergleichen, ist dies ausgeblieben. Einer der Zeu gen hat uns gesagt: Na ja, diese Fälle haben ja gar nicht zusammengepasst; es waren völlig unterschied liche Täterprofile; die einen haben ein Sprengstoffat tentat verübt, die anderen haben gemordet; das kön nen doch nicht die gleichen Täter gewesen sein. Auch das war eine gravierende Fehleinschätzung.

Mit der zweiten operativen Fallanalyse ist dann erst malig im Jahr 2006 nach dem neunten Mord endlich in Richtung fremdenfeindlicher Serientäter ermittelt worden, aber eben auch nur kurzfristig.

Die Weigerung des Landesamtes für Verfassungs schutz, die gewünschten Daten an die BAO Bosporus herauszugeben, ist schon angesprochen worden. Die Unterstützung ist komplett versagt worden. Der Ver fassungsschutz wusste genau, wo die Ermittlungsan sätze sind, und hätte deutlich unterstützen können. Das Wort Arbeitsverweigerung ist hier schon genannt worden. Das Landesamt ließ die BAO praktisch auf laufen; dann kamen dürre Daten, mit denen die Poli zei wiederum nicht wirklich etwas anfangen konnte.

Die Medienstrategie, dass man nach außen hin eine mögliche fremdenfeindliche Motivation nicht themati sieren wollte, halte ich auch für fatal. Ich meine, damit hätte offensiv umgegangen werden können, um auf diesem Weg auch Hinweise aus der Bevölkerung zu bekommen. Die Motivation kann auch gewesen sein – so ergibt es sich zumindest aus einer Aktennotiz des BKA aus dem Jahr 2006 –, dass die Staatsanwalt schaft Nürnberg-Fürth auch damit vermeiden wollte, dass der Generalbundesanwalt zuständig wird.

Nicht nachvollziehbar ist, dass die Sachleitung der Staatsanwaltschaft eigentlich nicht wahrgenommen worden ist. Die Ermittlungen der Polizei sind nicht ausreichend hinterfragt worden. Es ist kein Sammel verfahren eingeleitet worden, obwohl dies die Staats anwaltschaft Nürnberg-Fürth in der Hand gehabt hätte und dies auch von anderen beteiligten Staatsanwalt schaften gewünscht gewesen ist. Somit war alles zer splittert auf fünf verschiedene Staatsanwaltschaften aufgeteilt. Sechs verschiedene Polizeien waren einge schaltet. Natürlich konnten somit Reibungsverluste entstehen und Informationen untergehen und wichtige Spuren dann nicht mehr weiterverfolgt werden.

Das Justizministerium hat sich mit periodischen Fort schreibungen der Berichte des Generalstaatsanwalts zufrieden gegeben, ohne jemals nachzufragen, ob nicht vielleicht die Einleitung eines Sammelverfahrens zu forcieren wäre. Meines Erachtens ist die Dimen sion der Mordserie nicht erkannt worden. In den ge meinsamen Bewertungen im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses, also von allen getragen, findet sich deshalb auch die Aussage: Das Baye rische Staatsministerium für Justiz ist seiner Fachauf sicht über die Staatsanwaltschaft nicht in erforderlich em Maß nachgekommen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ausblick und Forderungen: Nach unserer Sicht ist eine der notwendigen Konsequenzen, dass wir mit dieser Art des Verfassungsschutzes nicht weiterarbei ten können, dass wir einen Neustart und eine anders strukturierte Behörde brauchen, deren geheimdienstli che Mittel auf ein Mindestmaß reduziert werden, die sich auf die Beobachtung gewaltorientierter rassisti scher Bestrebungen konzentriert und die eine bessere Analysefähigkeit bekommt, indem wissenschaftlicher gearbeitet wird. Ein wissenschaftlicher Beirat wird von uns vorgeschlagen.

Wir wollen die parlamentarische Kontrolle des Lan desamts für Verfassungsschutz verstärken. Das ist hier schon häufiger diskutiert worden. So, wie die par lamentarische Kontrolle jetzt stattfindet, reicht sie nicht aus. Wir wollen, dass auf den Einsatz von VLeuten grundsätzlich verzichtet wird; denn die VLeute schaden mehr als sie nutzen. Das ist im ge samten NSU-Komplex ganz deutlich geworden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Helga Schmitt-Bussinger (SPD))

Die Verfahrens- und Entscheidungsabläufe innerhalb der Behörde müssen endlich nachvollziehbar sein. So dünne Akten, wie wir sie vom Verfassungsschutz be kommen haben, habe ich noch nie gesehen, wenn sie überhaupt vorhanden gewesen sind; vieles ist über haupt nicht dokumentiert worden.

Wir wollen, dass die Ausbildung bei der Polizei, von Richtern und Staatsanwälten verbessert wird. Die Po lizei soll verpflichtet werden, in Ermittlungsverfahren zu Straftaten, bei denen Menschen mit Migrationshin tergrund Opfer geworden sind, standardmäßig auch das Vorliegen eines fremdenfeindlichen Motivs zu überprüfen.

Wir wollen, dass rechtsextremistische Aktivitäten stär ker verfolgt und unterbunden werden und der Kontroll druck erhöht wird. Wir wollen, dass nach unterge tauchten Rechtsextremisten verstärkt gefahndet wird,

und wir wollen die Strategien gegen Rechtsextremis mus verbessern; denn diese reichen nach unserer Auffassung nicht aus.

Die Zivilgesellschaft muss stärker eingebunden wer den. Wir brauchen ein zivilgesellschaftlich organisier tes Programm für Aussteiger aus der Neonazi-Szene. Die Bilanz, dass seit dem Jahr 2001 lediglich 90 Aus stiege über das staatlich organisierte Aussteigerpro gramm erfolgreich gewesen sind, ist uns zu wenig. In anderen Bundesländern gibt es deutlich bessere Bi lanzen, höhere Zahlen von Personen, die sich von der rechtsextremistischen Szene losgesagt haben.