Protokoll der Sitzung vom 17.07.2013

Die Zivilgesellschaft muss stärker eingebunden wer den. Wir brauchen ein zivilgesellschaftlich organisier tes Programm für Aussteiger aus der Neonazi-Szene. Die Bilanz, dass seit dem Jahr 2001 lediglich 90 Aus stiege über das staatlich organisierte Aussteigerpro gramm erfolgreich gewesen sind, ist uns zu wenig. In anderen Bundesländern gibt es deutlich bessere Bi lanzen, höhere Zahlen von Personen, die sich von der rechtsextremistischen Szene losgesagt haben.

Wir wollen auch die politische Bildungsarbeit und De mokratieerziehung stärken. Wir müssen die Bekämp fung des Rechtsextremismus’ als gesamtgesellschaft liche Aufgabe ansehen und wirklich ernst nehmen, damit derartige Mordtaten in Zukunft schon im Vorfeld verhindert werden können, damit Straftaten mit frem denfeindlichem, rechtsextremistischem Hintergrund schneller erkannt und aufgeklärt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abgeordneten Helga Schmitt-Bussinger (SPD))

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die FDP-Fraktion darf ich nun Herrn Dr. Andreas Fischer das Wort geben. Herr Dr. Fischer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, sehr ge ehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 4. Novem ber 2011 haben wir einen Wendepunkt in der deut schen Geschichte erlebt. Das Undenkbare ist Realität geworden: dass nämlich aus einer nationalsozialis tisch geprägten Ideologie über die Zwischenstufe einer aggressiven und gewaltbereiten rechtsextremen Kameradschaft eine Terrorzelle entstanden ist und diese über Jahre hinweg unentdeckt blieb. Die Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle des Nationalso zialistischen Untergrunds gehören zweifellos zu den schwersten Verbrechen in der Geschichte der Bun desrepublik.

Inzwischen ist klar geworden: Diese Entwicklung hat sich schrittweise vollzogen, und es handelt sich nicht um eine geschlossene Gruppe, sondern um ein Netz werk. Außerdem ist klar geworden: All dies geschah, ohne dass die Sicherheitsbehörden ein rassistisches Motiv oder die Täterschaft von Nazis ernsthaft in Er wägung zogen, zumindest viel zu spät und viel zu wenig ernsthaft. Bevölkerung, Medien und auch die Politik nahmen das fassungslos zur Kenntnis. Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden wurde stark er schüttert. Trotz größter Bemühungen konnten die menschenverachtenden und grausamen Straftaten nicht zeitnah aufgeklärt und aufgedeckt werden.

Mein Mitgefühl gilt natürlich den Hinterbliebenen, die durch diese Morde an ihren Angehörigen, aber auch durch die Ermittlungen großes Leid erfahren mussten. Eine Reihe von Fehleinschätzungen hat hier eine Rolle gespielt. Aber man muss auch sagen: Struktu relle Fehler im System und individuelle Fehlentschei dungen kann man nicht pauschal allen bei den Si cherheitsbehörden Tätigen anlasten. Mein ausdrücklicher Dank gilt deshalb an dieser Stelle all jenen, die sich engagiert und unter Einsatz ihrer Kräf te um die Aufklärung bemüht haben. Polizeiarbeit und Arbeit im Verfassungsschutz bedeuten eben auch, dass nicht jeder Fall aufgeklärt und erfolgreich abge schlossen werden kann.

Ein Jahr lang war es der Auftrag aller Fraktionen im Untersuchungsausschuss, herauszufinden, aus wel chen Gründen es nicht gelungen ist, die mutmaßli chen Täter zu ermitteln. Nach Sichtung von über 400 Akten, der Befragung von mehr als 50 Zeugen und von drei Sachverständigen wurden in 31 Aus schusssitzungen fast 90 Beschlüsse gefasst.

Ich meine, es ist ein gutes Signal, dass der Aus schuss mit einem gemeinsamen Bericht zu Ende ging. Nicht wie bisher üblich wurden ein Mehrheits- und ein Minderheitsbericht verfasst, sondern ein ge meinsamer Bericht beschlossen. Er enthält einen ge meinsamen Sachverhalts-, Bewertungs- und Schlussfolgerungsteil und Handlungsempfehlungen der einzelnen Mitglieder.

Ich möchte an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kol legen im Ausschuss für die konstruktive Zusammen arbeit und den Mitarbeitern des Landtagsamtes für die effektive Unterstützung danken.

Die Frage nach dem Warum hat aber auch dieser Un tersuchungsausschuss nicht abschließend klären kön nen. Es wird sich wohl auch nicht klären lassen, warum es möglich war, dass in unserem Land Täter so lange heimlich und kaltblütig Menschen ermorden konnten, die nicht in ihr Weltbild passten, warum die Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung letztlich ge scheitert sind und warum alle Ermittlungsansätze auch hier in Bayern letztlich ins Nichts geführt haben.

Die Sätze des damaligen Bayerischen Staatsministers des Innern, der nach einem ausländerfeindlichen Hin tergrund gefragt hat, sind heute mehrfach angespro chen worden. Man war nahe dran. Aber auch später war man nahe dran: Spur 195 wäre die richtige gewe sen. Der Profiler Horn hatte angeregt, nach einem männlichen Täter Mitte 20 zu fahnden, der möglicher weise einen Komplizen hat, aus Türkenhass mordet und in der rechten Szene aktiv gewesen war, sich aber daraus zurückgezogen hat. Das war eine sehr

präzise Beschreibung von Mundlos und Böhnhardt: Es geht kaum präziser. Auch Experten des FBI hatten diese Spur gegenüber dem BKA bekräftigt. Sie fertig ten eine Analyse, in der sie tief sitzende Animositäten gegenüber Türken als Motiv annahmen. Doch davon haben die befragten Zeugen, zum Teil nach eigenen Angaben im Untersuchungsausschuss, nichts erfah ren. So führte die Spur 195 nicht zu einem konkreten Fahndungserfolg, obwohl sie in die richtige Richtung wies. Zwei Männer wurden auf Fahrrädern beobach tet. Die Polizeibehörden sahen den Großraum Nürn berg als Verankerungsraum der möglichen Täter an. Sie forderten beim Landesamt für Verfassungsschutz eine Liste aller Rechtsextremen an. Nach monatelan gem Hin und Her erhielten sie eine Liste mit denen, die in zwei Postleitzahlenbereichen der Stadt Nürn berg wohnten.

Man kann nicht sagen, dass die Taten nicht mit dem nötigen Aufwand verfolgt worden wären. Allein in Nürnberg waren 60 Beamte mit dem Fall befasst, bundesweit fast 200. 32 Millionen Massendaten wur den erfasst und ausgewertet, und die Soko Bosporus ist 3.500 Spuren nachgegangen und hat 11.000 Per sonen überprüft, ohne heiße Spur.

Das lag auch daran, dass die Fahnder lange Zeit auf die organisierte Kriminalität festgelegt waren. Auf die zweite operative Fallanalyse, die so nah dran war, die den Täter aus dem rechtsextremen Umfeld beschrie ben hatte, folgte eine dritte, angefertigt vom LKA Ba den-Württemberg, die von dieser Annahme wieder weg und zu dem Schluss führte, dass es sich sowohl um organisierte Kriminalität als auch um einen Einzel täter gehandelt haben könnte.

Wir stehen heute vor der Aufgabe, zu analysieren, was wir aus diesen schlimmen Taten lernen können, was unsere Folgerungen sind, wo Reformbedarf be steht und wo Fehler passiert sind. Ich möchte die Rolle der einzelnen Behörden nacheinander beleuch ten und mit dem Landesamt für Verfassungsschutz beginnen.

Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Gefahr des Rechtsextremismus unterschätzt. Strategien wie das Werwolfkonzept oder führerloser Widerstand waren kaum bekannt, Kenntnisse, die notwendig ge wesen wären, waren nicht vorhanden, und neue Ent wicklungen hatte man nicht mitbekommen. Aber auch organisatorisch gab es Mängel: In der Arbeitsteilung gab es eine Zersplitterung der Aufgabengebiete. So waren bis 1995 die Bereiche Informationsbeschaffung und Informationsauswertung noch getrennt gewesen, was sich im Nachhinein für die Koordinierung der Tä tigkeiten als unpassend erwies. Diese Mängel wurden

mittlerweile erkannt und die Organisationsstruktur wurde angepasst.

Aber eine andere Änderung besteht fort. Im Jahr 1998 wurden die bis dahin bestehenden eigenen Abteilun gen Rechtsextremismus und Linksextremismus zu einer Abteilung Inlandsextremismus zusammengelegt. Sinnvoll erscheint hier - und darüber gibt es ein ge meinsames Votum aller Fraktionen - wieder eine Trennung, eine eigene Abteilung für den Rechtsextre mismus.

Auch bei der Auswahl der Quellen und der Quellen führung beim Landesamt für Verfassungsschutz haben sich Kritikpunkte ergeben. Ob eine Quelle maßgeblich steuernd tätig ist, wurde unterschiedlich behandelt, weil hierfür eben das konkrete und klare Abgrenzungskriterium fehlt.

Ich komme zu den Ermittlungsbehörden, Staatsan waltschaften und Polizei. Hier hat man sich aufgrund der bestehenden Anhaltspunkte frühzeitig auf die or ganisierte Kriminalität festgelegt und wenig Offenheit für Ermittlungen in andere Richtungen gezeigt. Zu spät wurde ein ausländerfeindliches Motiv der Morde für möglich gehalten, und zu schnell wurden die Er mittlungen in diese Richtung wieder aufgegeben. Ein Hauptproblem bestand allerdings in der Kommunika tion zwischen Polizei und Verfassungsschutz einer seits, aber auch zwischen den Verfassungsschutzbe hörden der verschiedenen Länder in Deutschland andererseits.

Damit komme ich zu den Reformen, die aus unserer Sicht notwendig sind. Die Bund-Länder-Kommission hat eine Reihe von Ergebnissen erbracht, die in die richtige Richtung weisen. Die Sicherheitsdefizite ab zudecken, erfordert aber mehr als dieser Bericht. Es darf kein "Weiter so" geben, sondern wir müssen eine Neuaufstellung der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern intensiv diskutieren.

38 Sicherheitsbehörden in diesem Land sind zu viel. Die derzeitigen Strukturen haben sich eben gerade nicht bewährt. Ein Bundesamt für Verfassungsschutz, 16 Landesämter, Kommissariate und Staatsschutz bei allen Landespolizeien, die Bundespolizei, das Bun deskriminalamt, der Militärische Abschirmdienst: Das alles erfordert viel zu viel Kommunikation. Besonders in kleinen Bundesländern ist es kaum möglich, dass solche Behörden effektiv arbeiten können. Auch wenn Bayern als Flächenstaat eine andere Rolle und ein anderes Verständnis hat und deswegen an seinem Landesamt für Verfassungsschutz festhalten sollte, müssen sowohl die Struktur und Arbeitsweise der Bundes- und Landesbehörden, aber auch die ein schlägigen Rechtsgrundlagen auf den Prüfstand. Eine

engere Zusammenarbeit ist das Mindeste, aber auch eine Fusion von Landesämtern für Verfassungsschutz erscheint unseres Erachtens als sinnvoll, zumal dann Personal und Ressourcen effektiver genutzt werden können. Das neu errichtete gemeinsame Extremis mus- und Terrorismusabwehrzentrum, an dem sich 39 Bundes- und Landesbehörden beteiligen, ist ein erster wichtiger und richtiger Schritt zur Verbesserung der bundesweiten Zusammenarbeit von Polizei und Nach richtendiensten bei der Extremismusbekämpfung.

Nur in wenigen Punkten unterscheidet sich die Ein schätzung der Fraktionen. Wenn man etwas mehr Zeit gehabt hätte, hätte man sich außer hinsichtlich der drei oder vier Punkte, die ich im Folgenden an sprechen werde, vollständig auf einen gemeinsamen Bericht einigen können. Davon bin ich überzeugt.

Ein wesentlicher Punkt besteht in der Frage des Ein satzes von V-Leuten. SPD und GRÜNE wollen künftig auf den Einsatz von V-Leuten verzichten. Doch das Argument, dass auch durch 129 Quellen im NSU-Um feld die Mordanschläge nicht verhindert werden konn ten, kann nicht überzeugen. Denn zum einen wissen wir nicht, ob und wie viele dieser V-Leute wirklich so nah dran waren, dass sie Kenntnis von den Morden hatten, und zum anderen kann man aus dem Versa gen in einem Einzelfall keine allgemeingültigen Rück schlüsse ziehen. Niemand kommt auf die Idee, die Feuerwehr abzuschaffen, wenn ein Brand nicht ge löscht werden kann, ganz im Gegenteil. Außerdem lassen sich die V-Leute nicht leicht ersetzen. Gerade die rechtsextremistische Szene ist weit verzweigt, zu ihr gehören viele kleine Gruppen und Kameradschaf ten. Verdeckte Ermittler könnten niemals die Beschaf fung von Informationen darüber leisten, ganz abgese hen von den Kosten, die für den Staat nicht finanzierbar wären. Ihr Einsatz wäre auch mit erhebli chen Gefahren für Leib und Leben für die betroffenen Beamten verbunden. V-Leute kommen aus der Szene, verdeckte Ermittler werden von außerhalb ein geschleust. Deswegen sind V-Leute auch in Zukunft nicht verzichtbar, und sie sind auch nicht durch tech nische Überwachungsmaßnahmen ersetzbar.

Gerade als Liberaler sage ich ganz bewusst: Techni sche Überwachungsmaßnahmen sind mit massiven Grundrechtseingriffen verbunden. Wohin technische Überwachungsmaßnahmen führen können, zeigt uns der aktuelle Skandal um PRISM und die NSA sehr deutlich. Diese sind auch in der Praxis kaum geeig net, das zu erbringen, was die V-Leute an Informatio nen gewinnen können. Das heißt aber nicht, dass man mit der Rolle der V-Leute zufrieden sein kann, im Gegenteil. Was wir brauchen, sind klare Rahmenbe dingungen für den Einsatz von V-Leuten in den Ver fassungsschutzgesetzen. Was wir zudem brauchen,

sind Standards und ein verlässlicher Rechtsrahmen, und diese Standards müssen bundesweit gelten. Dop pelbeauftragungen von V-Personen in verschiedenen Ländern müssen ausgeschlossen sein. Keinesfalls darf eine Bezahlung von V-Leuten dazu führen, dass beobachtete Gruppen mittelbar über den Verfas sungsschutz finanziert werden.

Der Untersuchungsausschuss hat einmal die Frage aufgeworfen, ob es denn möglich gewesen wäre, dass ein V-Mann aus Sachsen, ein V-Mann aus Thü ringen und ein V-Mann aus Bayern zusammen eine Demonstration organisieren, wobei keiner vom ande ren gewusst hätte, dass es sich um einen V-Mann handelt. Ich habe diese Frage gestellt, und die Ant wort darauf lautete: Das hätten die schon gemerkt, aber ausgeschlossen ist es nicht. Ich glaube, das zeigt uns sehr deutlich, dass wir unser Augenmerk darauf legen müssen, V-Leute durch eine bundeswei te V-Mann-Kartei und geeignete Standards besser zu kontrollieren und zu überwachen.

Der zweite Punkt, in dem sich die Haltung der Koaliti onsfraktionen von einem Entwurf von SPD und GRÜ NEN klar unterscheidet, betrifft die Struktur des Lan desamtes für Verfassungsschutz in Bayern. Ich meine nicht, dass der richtige Weg darin besteht, ein Lan desamt speziell im Hinblick auf den Rechtsextremis mus zuzuschneiden. Die Beobachtung des Rechtsext remismus ist zwar eine wichtige Aufgabe, aber wir müssen auch islamistische Tendenzen und den Links extremismus beobachten.

Des Weiteren bin ich nicht der Meinung, dass es einem Landesamt für Verfassungsschutz verwehrt sein sollte, in den Schulen die notwendige Aufklä rungsarbeit zu leisten. Denn genauso, wie man Poli zeibeamte an die Schulen schickt, um das Thema aus erster Hand den Schülern nahezubringen, ist es sinn voll, wenn aus erster Hand vom Landesamt für Ver fassungsschutz über die Gefahren der Verfassungs feinde informiert wird.

Ich gestehe aber auch zu, dass ich persönlich durch aus Sympathie dafür aufbringe, dass nicht alle Aufga benbereiche, in denen jetzt das Landesamt für Ver fassungsschutz gemäß den Regelungen tätig ist, dort verbleiben. Bei der Bekämpfung von organisierter Kri minalität und Cyber-Kriminalität ergeben sich durch die Tätigkeit der Polizei Reibungsverluste und Dop pelzuständigkeiten. Auch das sollte meines Erachtens zumindest auf den Prüfstand gestellt werden.

Ein weiterer Unterschied zwischen den Koalitionsfrak tionen und SPD und GRÜNEN besteht in der Auffas sung von der Kontrolle des Landesamtes für Verfas sungsschutz. Ich halte es nicht für angemessen, als

Lehre aus den NSU-Morden eine Schaffung von Indi vidualrechten im Parlamentarischen Kontrollgremium vorzusehen. Das Parlamentarische Kontrollgremium hat Rechte als Gremium, und das ist gut so. Das ist vor allem deshalb gut, weil das Parlamentarische Kontrollgremium auch nicht davor gefeit ist, in einer anderen Legislaturperiode zu erleben, dass jemand, der einer extremistischen Partei angehört, in diesem Gremium sitzt. Ich möchte nicht, dass jemand, der selbst rechtsextrem ist, das Landesamt für Verfas sungsschutz beobachtet. Das halte ich für nicht ange messen. Generell sollten wir bei dem Grundsatz blei ben, dass das Recht einem Gremium zustehen soll und nicht dem einzelnen Mitglied.

Schließlich bleibt als vierter Punkt die Frage der zen trale Ermittlungsführung. Natürlich ist es nicht gesagt, dass eine Bundesbehörde besser arbeitet als eine Landesbehörde. Als überzeugter Föderalist bin ich der Meinung, dass es gut ist, wenn die Polizei und die innere Sicherheit auf Landesebene angesiedelt sind. Wenn aber eine Mordserie so viele Bundesländer be trifft – sechs Bundesländer im Falle des NSU – ist es sinnvoll, Erkenntnisse zu bündeln und unnötige Rei bungsverluste zu vermeiden. Das hat gleich drei Vor teile: Es entlastet von unnötiger Kommunikation, es vermeidet Doppelarbeit, von der der jeweils andere nichts weiß, und es schafft Synergieeffekte. Deswe gen habe ich mit Bedauern festgestellt, dass bis zur Abgabe an eine zentrale Ermittlungsführung Monate, sogar Jahre, vergangen sind und sich nichts ergeben hat. Ein Zeuge hat im Ausschuss gesagt: Zuerst woll ten die es nicht nehmen, dann wollten wir es nicht ab geben.

Deshalb sollte die Stellung des Generalbundesan walts in der Sicherheitsarchitektur gestärkt werden. Wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte eine Zuständigkeit begründen, muss gesetzlich klargestellt werden, dass diese zu Ermittlungen führen, bis sich das Gegenteil herausgestellt hat. Außerdem sollte der Generalbundesanwalt ein Verfahren immer an sich ziehen können, wenn sich eine Tat gegen die Bun desrepublik Deutschland richtet und wegen länder übergreifender Taten die zentrale Ermittlungszustän digkeit geboten ist.

Diese Unterschiede täuschen aber nicht darüber hin weg, dass in vielen Fällen Gemeinsamkeiten beste hen. Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass alle Fraktionen dieses Hauses am Trennungsgebot fest halten und dass die Aufgabenbereiche von Polizei und Landesamt für Verfassungsschutz klar differen ziert bleiben müssen. Wir haben in unserer Geschich te Zeiten erlebt, in denen dieses Trennungsgebot nicht verwirklicht war. Das dürfen wir nicht wieder zu lassen. Wir haben festgestellt – das haben auch die

Befragungen der Zeugen ergeben –, dass nicht das rechtliche Trennungsgebot ein tatsächliches Problem war, sondern vielmehr das Trennungsgebot in den Köpfen.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Einigkeit be steht auch darüber, dass die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz gestärkt werden muss. Die Koordinierungsaufgabe eines Bun desamtes für Verfassungsschutz ist in einer solchen Serie, welche die Sicherheit eines ganzen Landes be trifft, stärker auszuprägen. An dieser Stelle müssen wir die notwendigen Schritte einleiten.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die Morde des NSU haben gezeigt, wie anfällig unsere Demo kratie für Angriffe von Extremisten ist. Wir können diese Angriffe nicht verhindern. Wir haben die Mords erie des NSU nicht verhindern können. Wir sind je doch aufgefordert, alles dafür zu tun und alle Reform überlegungen anzugehen, damit sich solche Mordtaten auf deutschem Boden nie mehr wiederho len.

(Beifall bei der FDP)

Weitere Wort meldungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. Zur Aussprache hat Herr Kollege Dr. Günther Beckstein nach § 112 unserer Geschäfts ordnung um eine persönliche Erklärung zur Ausspra che gebeten. Hierzu erteile ich ihm das Wort. Bitte schön.

Herr Vizepräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Verschiedene Beiträ ge haben die politische Verantwortung des Innenmi nisters herausgestellt. Ich räume ein: In sehr maßvol ler Weise. Dennoch ist die politische Verantwortung deutlich angesprochen worden. Darum ist es geboten, dass ich dazu kurz Stellung nehme.

Ja, es ist richtig, dass der Innenminister in Bayern nicht vermelden konnte: Wir haben die Täter gefasst. Der Erfolg hat sich ebenso wenig bei uns wie in den anderen fünf Bundesländern eingestellt. Die Innen- und Justizminister sowie der Bund hatten schlichtweg zu melden: Eine Unterbrechung der Mordserie ist nicht gelungen. Das ist eine schlimme Niederlage des Rechtsstaats. Das habe ich immer wieder hervorge hoben: Eine schlimme Niederlage.

Zur Frage der persönlichen Schuld und Verantwor tung: Das ist der Fall, der mich am meisten bewegt hat. Warum? Das liegt an den Opfern und deren An gehörigen. Ein Mann, Vater oder ein Verwandter ist brutalst ermordet worden. Zur türkischen Community in Nürnberg habe ich sehr enge Kontakte und weiß,

wie beunruhigend das war. Selbstverständlich hat mich ebenfalls beunruhigt, dass professionelle Mörder frei herumlaufen. Deswegen haben wir die größte Er mittlungsgruppe eingerichtet, die es je in Bayern ge geben hat. In der Spitze waren bis zu 180 Personen beauftragt, die Ermittlungen zu führen. Sie haben die größte Rasterung gemacht, die es je gegeben hat. Millionen Telefonverbindungsdaten sind abgeklärt worden. Keine dieser Verbindungen hat eine Spur zum Rechtsextremismus ergeben. Keine der Spuren hat zu den Tätern geführt, obwohl circa 100 Leute ge funden worden sind, die sich in der Nähe der Tatorte aufgehalten haben. Das waren alles harmlose Bürger. Die Videoaufnahmen von Geldautomaten, von Tank stellen und Verkehrsüberwachungsanlagen sind über prüft worden. Keine einzige der Spuren hat zu den Tätern geführt.

Ich selber habe dazu beigetragen, dass die größte Belohnung bereitgestellt worden ist, die es jemals in Bayern gegeben hat. Ich wollte eine Million Euro be reitstellen. Im Rahmen des Haushalts des Innenminis teriums konnten jedoch nur 300.000 Euro zur Verfü gung gestellt werden. Somit haben wir 300.000 Euro eingesetzt, die übrigens von den anderen Ländern mitgetragen worden sind. Im Nachhinein sage ich: Es fehlt eine Kronzeugenregelung. Vielleicht hätte es dann geklappt.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Eine Erklärung zur Aus sprache! Keine Erklärung zur Sache!)

- Ich bitte schon um Nachsicht. Es ist von Bedeutung, wenn eine persönliche Verantwortung angesprochen wird.

(Beifall bei der CSU, der FDP und den FREIEN WÄHLERN)

Der Generalbundesanwalt hat einem der Mitangeklag ten Haftverschonung angeboten, um ihn aussagewillig zu machen. Vielleicht hätte eine Kronzeugenregelung weitergeholfen.