Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 14. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, weise ich darauf hin, dass in Absprache mit allen Fraktionen vorweg die Plenardringlichkeitsanträge, nämlich Tagesordnungspunkt 3, behandelt werden. Die Aktuelle Stunde, die zunächst zu Beginn der Plenarsitzung vorgesehen war, soll erst nach der Beratung des Einzelplans 15, Tagesordungspunkt 2, aufgerufen werden.
Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, Franz Schindler, Horst Arnold u. a. und Fraktion (SPD) Bayerisches Versammlungsgesetz (Drs. 16/745)
Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bayerisches Versammlungsgesetz aufheben! (Drs. 16/747)
Dringlichkeitsantrag der Abg. Hubert Aiwanger, Tanja Schweiger, Prof. (Univ Lima) Dr. Peter Bauer u. a. (FW) Bayerisches Versammlungsgesetz (Drs. 16/779)
Dringlichkeitsantrag der Abg. Georg Schmid, Thomas Kreuzer, Petra Guttenberger und Fraktion (CSU), Thomas Hacker, Tobias Thalhammer, Dr. Andreas Fischer und Fraktion (FDP) Bayerisches Versammlungsgesetz bürgerfreundlicher gestalten/ Versammlungsfreiheit schützen (Drs. 16/780)
Die beiden nachgezogenen Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 16/779 und 16/780 werden den Kolleginnen und Kollegen in Kürze gedruckt vorgelegt werden.
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Als Erster hat Kollege Franz Schindler das Wort. Bitte schön.
und schon gar nicht auf den bayerischen Innenminister, der sich gerade in den letzten Wochen darin gefallen hat, immer mal wieder Urteilsschelte auch in Richtung Karlsruhe zu betreiben.
Erst vor zwei Wochen, genau am 17. Februar, haben wir hier über das Bayerische Versammlungsgesetz debattiert. Damals haben wir die Frage behandelt, ob der Landtag eine Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden verschiedener Parteien, darunter SPD, GRÜNE und FDP, und Gewerkschaften gegen das Bayerische Versammlungsgesetz abgibt. Es war damals aus meiner Sicht schon etwas eigenartig, dass der Landtag mit den Stimmen der CSU und der FDP beschlossen hat, keine Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden abzugeben. Normalerweise hat der Landtag schon eine Meinung zu der Frage, ob ein von ihm beschlossenes Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht. Deswegen traut er sich normalerweise auch, eine Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abzugeben. In diesem Fall war es nicht so. Das war eigenartig, aber das wird seine Gründe wohl in irgendwelchen Koalitionsabsprachen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am gleichen Tag, an dem wir hier diskutiert haben, hat das Bundesverfassungsgericht dem Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise stattgegeben und beschlossen:
erstens, dass Artikel 21 Nummer 1, 2, 7, 13 und 14 des Bayerischen Versammlungsgesetzes einstweilen außer Kraft gesetzt werden - das betrifft insbesondere Bußgeldtatbestände -,
zweitens, dass Artikel 9 Absatz 2 Satz 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes - das betrifft die Auswertung von Übersichtsaufzeichnungen - nur noch mit
der Maßgabe angewendet werden darf, dass zugleich die Voraussetzungen des Artikels 9 Absatz 1 Satz 1 vorliegen, das heißt also, dass tatsächlich Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen müssen, dass von Teilnehmern erhebliche Gefahren ausgehen -,
drittens, dass Auswertungen von Übersichtsaufnahmen nur unverzüglich nach Beendigung der Versammlung zulässig sind und Daten grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten gelöscht oder irreversibel anonymisiert werden müssen,
viertens - zu Artikel 9 Absatz 4 des Bayerischen Versammlungsgesetzes -, dass Daten und Ton- und Bildaufzeichnungen gelöscht bzw. vernichtet werden müssen, soweit das Material weitergehende Nutzungen zulässt,
fünftens, dass Artikel 9 Absatz 2 Satz 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes weiterhin nur mit der Maßgabe angewendet werden darf, dass Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes nur dann zulässig sind, wenn sie wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich sind.
Am selben Tag hat der Herr Innenminister - Sie werden sich daran erinnern - im Brustton der Überzeugung ausgeführt, dass er das bisherige und - das gebe ich zu in weiten Teilen auch weiterhin gültige Bayerische Versammlungsgesetz "selbstverständlich" - so heißt es im Protokoll - für verfassungsgemäß halte und dass er nicht den allergeringsten Zweifel daran habe, dass es verfassungsgemäß sei. Da hat sich der Herr Minister aber geirrt.
Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal deutlich Position gegen die seit Jahren vorherrschende Tendenz bezogen, Grundrechte nicht mehr als Geschenk zu verstehen, von denen Gebrauch gemacht werden darf, ohne dass es der Staat genehmigen muss, sondern Grundrechte und deren Ausübung im Prinzip als Gefahr für den Staat zu verstehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht macht von seiner Befugnis, das Inkrafttreten eines Gesetzes zu verzögern oder ein bereits in Kraft getretenes Gesetz wieder außer Kraft zu setzen, nur mit allergrößter Zurückhaltung Gebrauch. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt nämlich stets auch einen erheblichen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers dar. Wenn es aber der Gesetzgeber so wie der letzte Bayerische Landtag übertreibt und meint, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, dann hat das Bundesverfassungsgericht wie
in diesem Fall das Recht, ja sogar die Pflicht, den Gesetzgebungsspielraum des Gesetzgebers auch wieder zurückzustutzen.
Meine Damen und Herren, das Gericht erlässt nur dann eine einstweilige Anordnung, wenn es den Ausgang des Hauptsacheverfahrens für offen ansieht und wenn die Abwägung zwischen den Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber kein Erfolg beschieden wäre, ergibt, dass der Nachteil dann, wenn keine einstweilige Anordnung erlassen wird, größer wäre. Die Folgenabwägung hat dies nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ergeben. Gerade deshalb, weil der Ausgang des Verfahrens insgesamt als offen angesehen wird, ist diese einstweilige Anordnung ergangen.
Die Entscheidung in der Hauptsache wird noch dauern. Es spricht aber einiges dafür, dass das Gericht nicht nur die außer Kraft gesetzten Vorschriften, sondern auch viele weitere Vorschriften, vielleicht sogar das gesamte Versammlungsgesetz für verfassungswidrig erklären wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Staatsregierung und die CSU-Fraktion wollten mit dem vorschnell gegen erhebliche Widerstände sowohl außerhalb dieses Hauses als auch hier herinnen mit ihrem vorschnell beschlossenen Versammlungsgesetz ein, wie sie es genannt haben, eigenständiges rechts- und ordnungspolitisches Konzept durchsetzen und haben deshalb die Anforderungen an die Durchführung von Versammlungen an die Mitwirkungspflicht und die Verantwortlichkeit von Leitern von Versammlungen erhöht, ein allgemeines Militanzverbot eingeführt, die Möglichkeiten zur Aufnahme und Aufzeichnung aller Teilnehmer einer Versammlung undifferenziert ausgeweitet und neue Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände geschaffen, die insgesamt dazu führen und wohl auch dazu dienen sollen, die Bürger einzuschüchtern und die Inanspruchnahme des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit zu beeinträchtigen.
Dieses Gesetz ist nicht nur nach unserer Meinung und nach Meinung vieler Sachverständiger, sondern auch nach der Meinung des Bundesverfassungsgerichts furchteinflößend, und genau deswegen ist diese einstweilige Anordnung ergangen.
Meine Damen und Herren, dieses eigenständige rechts- und ordnungspolitische Konzept im Geiste des Obrigkeitsstaates ist gescheitert, und gescheitert ist damit auch der Versuch der Bayerischen Staatsregierung, auch auf diesem Gebiet bundesweit Maßstäbe für ein restriktives Versammlungsrecht zu schaffen, und das ist gut so, meine Damen und Herren.
Auch in Bayern soll künftig ohne Angst demonstriert werden können. Es ist deshalb höchste Zeit, dass der Landtag ein Gesetz zum Schutz und zur Gewährleistung der Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit beschließt und bis dahin dafür Sorge getragen wird, dass im Vollzug des bestehenden Gesetzes der Beschluss vom 17. Februar und die sonstige Rechtsprechung zum Versammlungsrecht strikt beachtet werden. Wir sind gespannt auf die Novelle, die uns ursprünglich schon für Januar angekündigt worden war. Mittlerweile haben wir März. Angeblich soll es noch bis Juni/Juli dauern. Wir werden uns einer intensiven Diskussion nicht verschließen und hoffen, dass jetzt auch seitens der neuen Koalition eingesehen wird, dass ein Versammlungsrecht nicht dazu gemacht werden muss, um die Ausübung des Grundrechts zu erschweren, sondern ganz im Gegenteil, um zu gewährleisten, dass angstfrei demonstriert werden kann. In diesem Sinne hoffe ich auf fruchtbare Beratungen.
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Es war am Freitag klar, dass diese Stunde über Sie hereinbrechen wird, Herr Innenminister. So schnell wird Geschichte geschrieben. Ein gerade mal fünf Monate altes Gesetz wird in elementaren Teilen vom Verfassungsgericht ausgesetzt, weil das Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger schwer kalkulierbare Risiken einer persönlichen Sanktion beinhaltet, was zu Einschüchterungseffekten führen und damit die Inanspruchnahme des Grundrechts der Versammlungsfreiheit beeinträchtigen kann.
- Da, lieber Herr Heike, müssen Sie jetzt auf die Zwischentöne in meinem Vortrag achten und nicht schon wieder vorblöken, nachdem Sie sich so elementar geäußert haben: "Alles nicht wahr". Es ist wahr. Überall dort, wo die Staatsregierung über die bisherige Rechtslage meinte hinausgehen zu müssen, hat das Verfassungsgericht die Bremse gezogen oder verlangt eine
Modifizierung wie bei den Bild- und Tonaufzeichnungen durch die Polizei. Wir haben es im Polizeirecht leider schon häufig erlebt, dass diese anlassbezogenen Aufnahmen, überhaupt der anlassbezogene Einsatz der Polizei hier in Bayern vorangetrieben wird. Jetzt ist zum wiederholten Mal eine Schranke eingezogen worden.