Protokoll der Sitzung vom 26.03.2009

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 15. Vollsitzung des Bayerischen Landtags dieser Legislaturperiode. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde selbstverständlich wie immer erteilt. Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks übertragen die Regierungserklärung zur Bildungspolitik und die Aussprache live.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie bitten, zweier ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 24. März verstarb der frühere Abgeordnete und Staatsminister a. D. Dr. Gebhard Glück im Alter von 78 Jahren. Er war von 1970 bis 1998 Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat für die Fraktion der CSU den Stimmkreis Passau-Ost. Dr. Glück gehörte zunächst dem Ausschuss für kulturpolitische Fragen an, danach den Ausschüssen für Bundes- und Europaangelegenheiten bzw. für Hochschule, Forschung und Kultur.

Von 1974 bis 1984 war er stellvertretender Vorsitzender der CSU-Fraktion. Anschließend berief ihn Ministerpräsident Franz Josef Strauß in sein Kabinett - zunächst als Staatssekretär im Ressort für Arbeit und Sozialordnung, danach als Kultusstaatssekretär und schließlich von 1988 bis 1994 als Staatsminister für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit.

Gebhard Glück engagierte sich leidenschaftlich als Anwalt der Familien, der Kranken und Pflegebedürftigen sowie der alten Menschen und der Vertriebenen und Flüchtlinge.

Vorausschauend und beharrlich prägte er nicht nur die bayerische Sozialpolitik, zum Beispiel durch den Ausbau des bayerischen Landeserziehungsgeldes und einer modernen Krankenhausstruktur. Ich durfte als Staatssekretärin sechs Jahre an seiner Seite sein, und ich habe immer gesagt, dass das meine guten Lehrjahre gewesen seien. Ich habe dabei erlebt, wie er sich immer dafür eingesetzt hat, in Bezug auf die Kranken und Alten eine wohnartnahe Struktur zu haben, und so hat er auch den Krankenhausbau im zuständigen Gremium des Krankenhausplanungsausschusses immer in seiner Verantwortung gesehen. Aber auch bundesweit setzte er Signale, vor allen Dingen durch die Absicherung des Pflegefallrisikos.

Der Parlamentarier Gebhard Glück war über die Grenzen der Fraktionen hinweg allgemein geachtet. Hoher Sachverstand und seine menschliche Integrität zeich

neten ihn ebenso aus wie seine Charakterstärke und vor allen Dingen seine Geradlinigkeit. Gebhard Glück war eine prägende Persönlichkeit des politischen Lebens in Bayern. Der Bayerische Landtag wird ihm immer ein ehrendes Gedenken bewahren.

Am 20. März verstarb der ehemalige Abgeordnete Dr. Alfons Bayerl im Alter von 85 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1965 bis 1967 an und vertrat den Wahlkreis Oberbayern für die Fraktion der SPD. Dr. Bayerl war Landessozialgerichtsrat. Im Landtag engagierte er sich in den Ausschüssen für kulturpolitische Fragen sowie für Fragen des Beamtenrechts und der Besoldung. Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag wurde er Mitglied des Deutschen Bundestages, dem er bis 1980 angehörte. Von 1969 bis 1974 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz. Der Bayerische Landtag wird Herrn Dr. Bayerl ein ehrendes Gedenken bewahren.

Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch drei Geburtstagsglückwünsche aussprechen.

Jeweils einen runden Geburtstag feierten am 9. März Herr Kollege Jürgen Heike und am 10. März Herr Kollege Prof. Dr. Peter Bauer. Den beiden Kollegen im Nachhinein herzliche Glückwünsche, alles Gute, weiterhin fröhliches und gutes Schaffen und vor allen Dingen Gesundheit!

(Allgemeiner Beifall)

- Ja, das ist schon einen Beifall wert. Einen halbrunden Geburtstag feierte am 10. März Frau Kollegin Angelika Weikert. Herzlichen Glückwunsch, Frau Weikert, alles Gute und gute Wünsche für Ihre Gesundheit!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Regierungserklärung des Staatsministers für Unterricht und Kultus zum Thema: "Qualität und Gerechtigkeit. Bayerns Schulen stark machen für die Zukunft"

Hierzu darf ich Herrn Staatsminister Dr. Spaenle das Wort erteilen. - Ich hoffe, es geht Ihnen langsam besser, Herr Staatsminister. Auch unsere guten Wünsche begleiten Sie bei Ihrer Genesung.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es fehlt nur am Fuß, nicht am Kopf.

Davon sind wir ausgegangen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Hohes Haus! Die Bayerische Staatsregierung hat Ende Oktober ihre Arbeit aufgenommen. Grundlage der Arbeit in der Koalitionsregierung ist die Koalitionsvereinbarung von CSU und FDP. Die Bildung ist darin für uns ein zentrales Handlungsfeld der Landespolitik. Die neue Bayerische Staatsregierung nimmt den Wählerauftrag vom 28. September letzten Jahres aber nicht nur einfach an, sondern versteht ihn als nachdrücklichen Gestaltungsauftrag. Als Kultusminister habe ich es mir gemeinsam mit Staatssekretär Dr. Marcel Huber deshalb sehr bewusst zur Aufgabe gemacht, die Bildungspolitik in Bayern im Dialog zu gestalten. Ein guter Dialog besteht zur Hälfte aus Zuhören. Das ist für mich politische Disziplin.

Die Bildungspolitik der Bayerischen Staatsregierung steht unter einem doppelten Anspruch: Qualität und Gerechtigkeit. Unser Bildungsverständnis ist auf das Engste mit dem personalen, christlich geprägten Menschen- und Weltbild verknüpft. Daher steht die einzelne Persönlichkeit für uns im Mittelpunkt von Politik, Staat und Gesellschaft.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal an die schrecklichen Ereignisse in Winnenden erinnern, und lassen Sie uns daraus eine Mahnung zum besonderen Engagement für Bildung und Erziehung ableiten. Bildung ist eine gesellschaftliche und politische Kernaufgabe. Bildung ist von großer Bedeutung für jeden Einzelnen. Denn sie eröffnet die Chance auf ein Leben in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

In Europa ist Bildung seit Jahrhunderten das Mittel des sozialen Aufstiegs. Bildung ist für uns alle in der solidarischen Leistungsgesellschaft von Bedeutung. Denn wenn jeder Mensch in unserem Land gut gebildet und ausgebildet ist, wird die Gesellschaft insgesamt erfolgreich sein.

Die Leitziele der bayerischen Bildungspolitik sind deshalb Qualität und Gerechtigkeit. Wir wollen allen jungen Menschen in unserem Land alle Chancen auf Bildung eröffnen. Dabei geht es uns zum Ersten um eine Bildung von höchster Qualität. Es geht um eine Bildung auf der Höhe der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Es geht uns um eine Bildung, die mehr ist als die Vermittlung von Wissen und Können. Uns geht es um eine Bildung, die immer auch Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung umfasst. Schließ

lich geht es uns um die Leistungsfähigkeit unseres differenzierten Bildungswesens. - Das ist der Gesichtspunkt der Bildungsqualität.

Zum Zweiten geht es uns darum, dass wir die Chance zu solch einer Bildung jedem jungen Menschen in unserem Land eröffnen, unabhängig von seiner kulturellen oder sozialen Herkunft. Das ist der Kern von Bildungsgerechtigkeit.

(Beifall bei der CSU und der FDP )

Bildungsgerechtigkeit bedeutet für uns Begabungsgerechtigkeit. Es ist unsere Pflicht und Aufgabe, jedem Kind eine auf sein Talent und seine Begabung zugeschnittene Bildungsantwort zu geben.

Bildungsgerechtigkeit heißt Zugangsgerechtigkeit. Alle jungen Menschen müssen gute Chancen auf Bildung haben. Deshalb müssen wir die Unterschiede bei den Startbedingungen ausgleichen.

Bildungsgerechtigkeit heißt auch: gleiche Chancen für Mädchen und Buben. Wir müssen Mädchen wie Buben entsprechend ihren jeweiligen Bedürfnissen und Fähigkeiten fördern. Deshalb stärken wir an unseren Schulen in Bayern die Gender-Gerechtigkeit. Staatssekretär Marcel Huber ist da in besonderer Weise engagiert.

Bildungsgerechtigkeit heißt schließlich Teilhabegerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass die soziale und kulturelle Herkunft eines Menschen über die Chancen seiner Bildungsbeteiligung entscheidet.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir müssen - gerade am heutigen Tag; ich werde darauf noch eingehen - besonders darauf achten, dass wir Kindern und Jugendlichen mit Behinderung und besonderem Förderbedarf optimale Bildungsteilhabe ermöglichen.

Sehr geehrte Damen und Herren, Qualität und Gerechtigkeit sind die Leitziele unserer Bildungspolitik in den kommenden Jahren. Die Bayerische Staatsregierung arbeitet mit einer Strategie der Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit daran, diese Leitziele in konkrete Maßnahmen umzusetzen, und zwar ohne Hast und übertriebenen Aktionismus. Unsere Devise lautet: Qualität geht vor Geschwindigkeit.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eines einfügen. Bei der konkreten Umsetzung unserer Bildungspolitik geht es mir auch darum, die Handlungsfähigkeit der Länder unter Ausschöpfung der Kulturhoheit auch gegenüber der Europäischen Union langfristig zu sichern.

Wir haben fünf zentrale Bereiche der bayerischen Bildungspolitik weiterentwickelt. Wir stellen die Weichen für mehr Qualität und Gerechtigkeit. Dazu verbessern wir erstens die Rahmenbedingungen für Bildungsarbeit. Im Doppelhaushalt 2009/2010 ist es uns gelungen, deutliche Akzente für die Bildung zu verankern. Der Kultushaushalt wird in den kommenden beiden Jahren um 1,3 Milliarden Euro steigen. Für den Schulbereich bedeutet das eine Steigerung der Ausgaben um 5,6 % im Jahr 2009 und 4,1 % im Jahr 2010. Deshalb werbe ich um breite Zustimmung des Hohen Hauses, auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Opposition.

Die Koalition aus CSU und FDP hält damit, was sie im Koalitionsvertrag versprochen hat. Allein in diesem und im kommenden Jahr schaffen wir rund 2.700 neue Planstellen für Lehrkräfte. An den Volksschulen wird die Schülerzahl demografiebedingt abnehmen. Die sogenannte demografische Rendite bleibt im System erhalten. Zusätzlich ist es gelungen, 1.000 Verträge in unbefristete Verträge umzuwandeln. Ein Dank dafür an Finanzminister Erwin Huber, an den damaligen natürlich!

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Durch das neue Dienstrecht können wir die Lehrkräfte entsprechend ihrer Leistung honorieren. Allein an den Volksschulen haben wir dazu 6.500 Beförderungsämter neu geschaffen. An den Realschulen sind es nicht weniger als 1.750 Beförderungsstellen. Damit bietet sich erstmals die Möglichkeit einer Beförderung für leistungsstarke Lehrkräfte ohne Funktionsamt.

Wir wissen um den Auftrag des Souveräns, der uns am 28. September die Bedeutung der Bildung für unser Land deutlich gemacht hat. Deshalb strengen wir uns an, die Rahmenbedingungen für die Bildungsarbeit an den Schulen in Bayern weiter zu verbessern. Wie Sie alle wissen, stellt das den Freistaat vor große haushaltspolitische Herausforderungen und verlangt erhebliche Anstrengungen.

Wir stellen die Weichen für mehr Qualität und Gerechtigkeit. Dazu schaffen wir zweitens eine neue Form des bildungspolitischen Dialogs in Bayern. Ich spüre aus der Mitte der Gesellschaft die wachsende Bereitschaft zu aktiver Mitwirkung an den Fragen von Bildung und Erziehung. Diese Bereitschaft begrüße ich ausdrücklich.

Ich verstehe Teilhabegerechtigkeit als ganzheitlichen Anspruch, als Anspruch der gesamten Schulfamilie auf aktive Mitwirkung am gesellschaftlichen Kernauftrag von Bildung und Erziehung. Deshalb bin ich zutiefst davon überzeugt: Wir brauchen eine neue Kommunikationskultur in Bildungsfragen. Aus diesem Grund habe ich die Einführung von Dialogforen, also "Runden

Tischen", in allen Regionen Bayerns initiiert. Ein Dialogforum soll und kann aus meiner Sicht einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung des Bildungsangebots vor Ort leisten. Hier können Schwerpunkte bei der Weiterentwicklung des regionalen Bildungsangebots erörtert werden. Hier kann die Entwicklung der Schulorganisation behandelt und kann die Entwicklung des schulischen Bildungs- und Betreuungsangebots vor Ort beobachtet und begleitet werden.

Die Dialogforen sollen sich aus Vertretern der gesamten regionalen Schulfamilie zusammensetzen. Wir haben im Kultusministerium dazu eine neue Stabsstelle, die die Organisation und Koordination der Dialogforen betreuen soll, eingerichtet. Der Startschuss soll bereits unmittelbar nach Ostern erfolgen. In einer Pilotphase werden wir das neue Verfahren dann zum neuen Schuljahr mit ausgewählten Landkreisen beginnen.

Für die Bezirksregierungen ergibt sich hier die neue Aufgabe der Moderation und des überregionalen Abgleichs von Schullandschaften. Die Weiterentwicklung der Hauptschule wird das erste zentrale Thema der Dialogforen sein.

Wir stellen die Weichen für mehr Qualität und Gerechtigkeit. Dazu stärken wir drittens das differenzierte Schulwesen und organisieren seine Durchlässigkeit. Ein Bildungswesen ist dann gerecht, wenn es unterschiedliche Begabungen fördert und unterschiedliche Angebote macht. Wenn die Qualität des differenzierten Bildungswesens die eine Seite der Medaille ist, dann ist die Frage der Durchlässigkeit und somit die Frage der Gerechtigkeit die andere Seite der Medaille.

Ich darf auf die Pisa-Studie verweisen, die Bayern in dieser wichtigen und sensiblen Frage der Bildungsgerechtigkeit seit Beginn des Erhebungszeitraums im Jahre 2000 eine Verbesserung der sozialen Durchlässigkeit um zwei Drittel bescheinigt.

(Beifall bei der CSU)

Auf diesem Weg wollen wir weitermachen. Deshalb wollen wir die Durchlässigkeit organisieren und institutionell sichern. Der Staat, die bayerische Bildungspolitik, muss hier deutlicher als bisher politische Verantwortung übernehmen. Ich bin sehr froh, dass wir uns in der Koalition in dieser wichtigen Frage mehr als einig sind. Der Staat soll dabei, wenn Sie so wollen, zum "pädagogischen Schulweghelfer" für die jungen Menschen werden. Deshalb gehen wir zielstrebig an die Schaffung neuer Kooperationsmodelle zwischen Haupt- und Realschule, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung festgelegt haben.