Wir müssen vorausblicken und uns den nächsten Haushalt vorstellen. Der Haushalt 2011 wird der Haushalt sein, in dem die Wirtschafts- und Finanzkrise voll auf den bayerischen Haushalt durchschlagen wird. Dann werden die Kosten für die Landesbank zum Tragen kommen und die Rücklagen weitgehend aufgebraucht sein. Dann wird sich zeigen, ob wir die Aufgaben im Bereich der Bildung schultern können und ob wir zu einer nachhaltigen Bildungsfinanzierung kommen oder ob Sie - was zu befürchten ist - die Sparorgien des Haushalts von 2004 wiederholen und die Maßnahmen dieses Haushaltes wie ein Strohfeuer abgebrannt sind.
Die zusätzlichen Stellen stehen zunächst einmal auf dem Papier. Die Frage wird sein, ob Sie diese Stellen besetzen können. Ihre schönen Worte zur nachhaltigen Personalentwicklung, die neuen Begriffe, die wir hier hören, kann man kaum glauben, wenn man sich Ihre Einstellungspolitik der letzten Jahre, diese "Ex-undhopp-Politik" vor Augen führt.
Immerhin gibt es noch 500 bis 700 arbeitslose Grundschullehrer, die wir sofort einstellen könnten. Wenn Sie schon Personalentwicklung betreiben, dann sollten Sie Ihren Worten Taten folgen lassen.
Herr Minister Spaenle, Sie haben einige Themen richtig benannt. Der Übertritt nach der 4. Klasse der Grundschule auf die weiterführende Schule ist eines der großen Probleme in Bayerns Bildungssystem. Wir reden hier über Qualität und Gerechtigkeit an Bayerns Schulen. Der Übertritt ist nicht kindgerecht. Zu groß ist der Druck, dem die Kinder ausgesetzt sind. Die frühe Trennung nach der 4. Klasse lässt viele Talente verloren gehen und ist eine entscheidende Ursache für die soziale Ungerechtigkeit unseres Bildungswesens.
Gerade die Kinder mit Migrationshintergrund scheitern an dieser Hürde. Die Eltern akzeptieren dieses Übertrittsverfahren nicht mehr. Die Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen sehen ihre gute Arbeit durch das Übertrittsverfahren und den aufgebauten Druck ruiniert.
Das System des Sortierens der Kinder in drei Schubladen wird den Kindern nicht gerecht. Schon sehr früh bestimmen Demotivation, Scheitern, negative Selbsteinschätzung, Enttäuschung und Pessimismus das Schülerleben, wo eigentlich Lust auf Lernen und Leistung, Neugierde auf Wissen und Optimismus vorhanden sein sollten und kindgerecht sind.
Sie mussten also beim Übertritt etwas tun, aber das, was Sie jetzt wollen, verschlimmbessert das Ganze nur. Sie reduzieren den Druck in der 4. Klasse nicht, sondern verlängern ihn. Der Druck wird mehr als bisher schon in der 3. Klasse aufgebaut werden und sich in der 5. Klasse fortsetzen. Die Maßnahmen, die Sie zur Reduzierung des Zeitdruckes vorsehen - Frau Kollegin Gottstein hat es schon angesprochen -, machen es noch schlimmer. Angekündigte Termine für Leistungsnachweise - und es geht um neun- oder zehnjährige Kinder -, machen Angst. Ich mag mir die praktischen Auswirkungen - Frau Gottstein hat es geschildert - gar nicht vorstellen.
Das Vorrücken mit zwei Vieren, und zwar in Deutsch und Mathematik, als Freigabe des Elternwillens zu verkaufen, das grenzt an Hochstapelei.
Alle Praktiker aus den Schulen sagen, dass es sich hier um Einzelfälle handelt. Es geht um ein oder zwei Kinder pro Schule, bei denen das eine Rolle spielt. Nein, mit der Nahtstelle in der 4. Klasse im gegliederten, selektiven Schulsystem in Bayern wird es Ihnen nicht gelingen, einen kindgerechten Übertritt zu gestalten. Wir kommen um das Thema des längeren gemeinsamen Lernens nicht herum.
Aber bleiben wir bei pragmatischen Lösungen, über die wir jetzt nachdenken sollten. Wenn wir schon den Elternwillen stärken wollen, dann sollten wir tatsächlich folgende Dinge praktizieren: Freigabe des Elternwillens, eine Beratung zwischen Grundschullehrern und Eltern, die das Kind in seiner Gesamtheit betrachten, und dann die Entscheidung der Eltern für eine weiterführende Schule. Der mit viel Aufwand angestrebte Notendurchschnitt von 2,33 bzw. 2,66 schafft eine Scheinobjektivität, die Sie nicht aufrechterhalten können. Die Tatsache, dass wir in Erlangen Übertrittsquoten von 70 % und im Landkreis Rottal-Inn von rund 20 % haben, zeigt, dass beim Übertritt ganz andere Faktoren eine Rolle spielen als die Notenrichtlinien des Kultusministeriums.
Sie haben mit der Durchlässigkeit einen wichtigen Begriff im Bildungssystem genannt. Bislang ist die Durchlässigkeit im bayerischen Bildungssystem vor allem von oben nach unten gegeben. Schüler gelangen wesentlich häufiger vom Gymnasium zur Realschule und zur Hauptschule als umgekehrt. Meine Damen und Herren von der CSU, Sie haben die Durchlässigkeit in den letzten Jahren auch noch massiv eingeschränkt, und zwar mit Entscheidungen zur Schulstruktur. Das heißt, die Strukturfrage ist nicht tabu; Sie greifen sie ständig auf. Mit der Einführung der sechsstufigen Realschule haben Sie die Durchlässigkeit von der Hauptschule zur Realschule ganz massiv verschlechtert. Mit der Einführung des G 8, der Verdichtung des Stoffs in der sechsten Klasse und der Einführung der zweiten Fremdsprache in die Stundentafel der sechsten Klasse haben Sie die Durchlässigkeit zum Gymnasium ganz massiv verschlechtert.
Jetzt kommen Sie mit der Reform des Übertritts und mit der Gelenkklasse in der fünften Jahrgangsstufe. Sie sagen, das geschehe mit - ich zitiere - der Zielsetzung des aufsteigenden Übertritts für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler bzw. der Förderung der Schüler mit Leistungsschwächen. - Wieder ein schönes Wort: aufsteigender Übertritt. Man muss sich einmal vorstellen, wie das funktionieren soll. Empörend ist, dass Sie für die Durchlässigkeit nichts tun. Es gibt keine zusätzliche Förderung am Gymnasium und an der Hauptschule in Bezug auf die Gelenkklassen. Bei den Realschulen stellen Sie ungedeckte Schecks in Bezug auf den nächsten Haushalt aus.
Sie tun auch nichts in Bezug auf die Angleichung der Lehrpläne an die verschiedenen Schularten, bei denen Sie eine Durchlässigkeit herstellen wollen. Wie soll denn ein Realschüler den Übertritt auf die sechste Klasse Gymnasium schaffen, wenn er dort mit der zweiten Fremdsprache konfrontiert ist? Er schafft es nicht. Sie haben mit dieser Gelenkklasse ein schönes neues Wort geschaffen. Von Verschiedenen wird die Urheberschaft für dieses Wort beansprucht. Ich kann Ihnen aber sagen: Mein Diagnoseverdacht hat sich bestätigt: Diese Gelenkklasse hat schon Arthrose, bevor sie überhaupt richtig eingeführt ist.
Ein anderes Thema hinsichtlich der Durchlässigkeit sind die Kooperationsmodelle. Sie sind vor zwei Wochen verkauft worden - übrigens auf einer gesonderten Pressekonferenz seitens der FDP, wobei die FDP das, was der Minister gesagt haben könnte, noch einmal besonders hatte feiern wollen. Es kam zunächst Lob von allen Seiten - von den Lehrerverbänden, der SPD und
den Freien Wählern. Ich kam mir vor wie jemand, der auf einer Party ist, auf der alle schon ein bisschen getrunken haben, während man als Einziger nüchtern ist und sich über die allgemeine Fröhlichkeit wundert. Bei der Betrachtung der Kriterien kam dann schon die allgemeine Ernüchterung durch das, was vonseiten des Ministeriums präsentiert worden ist.
Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Sie im Kultusministerium von der Neugier auf die neuen Modelle beseelt sind. Wenn wir dann anschauen, welche Leitplanken Sie schaffen - Frau Gottstein hat es angesprochen -, dann stellen wir fest, dass es einfach enttäuschend ist. Sie haben bestimmte Modellvorgaben, zu denen ich Ihnen sage: Wenn Sie sich die Umsetzung der Modelle vor Ort anschauen - ich kann Ihnen zumindest die Modelle benennen, die für das Allgäu angedacht sind -, werden Sie feststellen, dass keines dieser Modell den Ansprüchen genügen kann. Die Verfasser haben sich viel Mühe gemacht, die Modelle zu entwickeln, und sie haben große Erwartungen, ihre Schulstandorte zu retten, während - so wie es jetzt ausschaut - Sie mit den Modellen scheitern werden.
Ich verstehe auch nicht, wie jetzt auf einmal zweizügige Realschulen neu gegründet werden sollen. Das Problem ist doch nicht, neue Schulen zu bauen. Das Problem ist, dass wir Schulen haben, die halb leer stehen, weil die Schülerzahlen zurückgehen.
Die Erwartungen sind groß, und Sie haben sich ein Hintertürchen offengehalten, indem Sie sagen, Sie könnten noch alles Mögliche genehmigen. Ich rate Ihnen: Genehmigen Sie, genehmigen Sie, genehmigen Sie! Die Erwartungen vor Ort sind groß, und die Enttäuschungen werden riesig sein, wenn die Modelle nicht greifen. Die Enttäuschungen bei Schulleitern und Bürgermeistern - auch bei Bürgermeistern der CSU - werden groß sein und zu einem Sturm der Entrüstung führen, der der CSU im ländlichen Raum ziemlich ins Gesicht blasen wird; das garantiere ich Ihnen. Da nützen Ihnen auch diese regionalen Diskussionsforen nichts mehr. Wenn die Betroffenen merken - sie merken das sehr schnell -, dass es sich um ein Forum handelt, bei dem nur geredet wird, ohne dass man etwas gestalten kann, dann werden Ihnen die Menschen sehr schnell wieder davonlaufen.
Wir müssen tatsächlich zu einer Schullandschaft kommen, in der vor Ort Bildungspolitik gestaltet werden kann - von den Kommunen und von den Schulen. Das sagen wir GRÜNEN schon lange, und die Schulforschung bestätigt uns das: Die Qualitätsentwicklung im Schulbereich hängt von der Arbeit der Menschen vor Ort und der Schulentwicklung ab. Herr Minister, ich bin
nicht Don Carlos, und Sie sind nicht der spanische König. Deshalb kann man das Zitat auch etwas abwandeln. Ich sage Ihnen einfach: Geben Sie den Schulen Gestaltungsfreiheit.
Zu den Themen Übertritt, Gelenkklassen und Kooperationsmodellen muss ich ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der FDP richten: Sie sind mit der Forderung nach einer sechsjährigen Grundschule und mit der Forderung nach größerer Eigenständigkeit der Einzelschulen angetreten. Jetzt haben Sie die Gelenkklassen und die kleinlichen Kooperationsmodelle. Wer solche Erfolge hat, braucht keine Niederlagen mehr.
Noch ein paar Sätze zu den Ganztagesschulen: Ich glaube, die Kommunen merken langsam, was bei diesem Bildungsgipfel eigentlich verhandelt worden ist, und merken, dass viele Kommunen damit einen schlechten Deal gemacht haben. Die Kosten werden hoch sein, und es ist dabei nicht so, dass die Kommunen mit 5.000 Euro aus dem Schneider sind. Sie werden noch wesentlich mehr Geld in die Ganztagesmodelle stecken müssen, wenn sie gut ausgestattet sein sollen. Deswegen glauben wir: Mit diesem Kompromiss wird der qualitätsorientierte, flächendeckende Ausbau der Ganztagsschulen in Bayern sehr, sehr zögerlich vorangehen. Das war kein Bildungsgipfel, den Sie kürzlich veranstaltet haben, das war ein Bildungsgipfelchen, dessen Erfolg umso geringer erscheint, je größer die Distanz ist, aus der man sich den Gipfel ansieht.
Jetzt kommen wir zu den Hauptschulen. Jetzt soll wieder einmal die Hauptschule gestärkt werden, und die Impulse sollen fortgeführt werden. Hören Sie auf, von der Hauptschule als der einen Schulart zu reden. Es gibt diese Hauptschule nicht mehr, wie sie einmal vor 40 Jahren gedacht war, nämlich als eine Schule, die das Gros ihrer Schüler in das duale Bildungssystem entlässt. Nach dem Bundesbildungsbericht geht weniger als die Hälfte der Schüler der Hauptschule noch in das duale Bildungssystem. Sie sagen, in Bayern sei das anders. Ich sehe das sehr differenziert. In Fürth zum Beispiel - das gehört auch zu Bayern - gehen im Unterschied zu Erlangen viele Schüler in die Hauptschule. In Fürth gehen 20 % der Hauptschulabsolventen noch in eine duale Ausbildung. Man kann nicht mehr von der Hauptschule sprechen, so wie Sie das tun. Im ländlichen Raum ist das anders. Dort gehen wesentlich mehr Hauptschüler in die duale Ausbildung. An den ländlichen Hauptschulen könnten viele Schülerinnen und Schüler, wenn es noch das Angebot einer zehnten Klasse gäbe, locker den Realschulabschluss schaffen.
Lassen Sie also unterschiedliche Modelle zu, und lassen Sie es zu, dass die Hauptschulen im ländlichen Raum unterschiedliche Modelle entwickeln, bei denen zumindest ein Realschulabschluss möglich ist. Ermöglichen Sie den anderen Hauptschulen, dass die Hauptschülerinnen und Hauptschüler in leistungsheterogenen Gruppen lernen können. Gerade die Schwachen profitieren davon, wenn die Lerngruppe heterogener ist und gleichzeitig eine individuelle Förderung erfolgt.
Ich habe eine Bitte: Unterlassen Sie es, für die Hauptschule einen neuen Namen zu finden in der Hoffnung, das Image würde dann besser.
Es kommt auf die Inhalte, die Ressourcen und die Optionen dieser Schulart an, nicht auf deren Namen. Eine leere Schachtel, die man neudeutsch als Box bezeichnet, wird nicht voller.
Lassen Sie uns über neue Schulformen reden, lassen sie uns über integrative Schulen reden, lassen Sie uns über die neunjährige gemeinsame Schule reden, und lassen Sie uns über Modelle reden, wie sie Frau Gottstein beschrieben hat. Wenn Sie diese Konzepte entwickelt haben, können wir gerne gemeinsam einen neuen Namen suchen. Wir sind dann gerne dazu bereit.
Von der Hauptschule zum Gymnasium: Der erste Jahrgang des G 8 kommt jetzt in die Oberstufe. Es handelt sich um die Fortsetzung eines Jahrgangs, deren Schüler sozusagen als Versuchskaninchen auf die Schule gehen. Grund genug für die CSU, sich noch einmal an ihre Wahlniederlage zu erinnern. Das G 8 ist das Menetekel für eine Politik, die nicht kommuniziert und ohne Konzept eine Reform vorgegeben hat, deren Folgen niemand absehen kann. Sie ist auch ein Menetekel einer Politik voll handwerklicher Fehler.
Der nächste handwerkliche Fehler wirkt sich auch bereits aus: Ich spreche das Budget für die Oberstufe an, das als Thema mittlerweile auch im Ministerium angekommen ist. Was ist passiert? Sie haben den Schulen für die Oberstufe - G 8- und G 9-Jahrgänge zusammen - ein Budget zugewiesen. Die Schulleiter haben nachgerechnet und festgestellt, dieses Budget sei zu gering. Wir haben aus allen Schulen in Bayern die Rückmeldung, dass in der Regel 20 bis 40 Stunden pro Oberstufe fehlen. Also mindestens ein Lehrer fehlt pro Oberstufe. Das bedeutet, dass die entsprechenden Kursangebote nicht mehr gemacht werden können. Wichtige Leistungskurse kommen nicht zustande, zum Beispiel ein Leistungskurs in Chemie an einem natur
wissenschaftlich-technologischen Gymnasium oder ein Leistungskurs in Latein an einem humanistischen Gymnasium. Hinzu kommt, dass die Grundkurse 30 und mehr Schülerinnen und Schüler haben. Die Schulleiter und wir haben Alarm geschlagen. Jetzt ist es an Ihnen, ein ausreichendes Angebot an Lehrerstunden zu machen.
Sie haben einen Begriff verwendet, den ich gerade suche, weil ich ihn mir nicht merken konnte. - Sie sprechen von einem "zusätzlichen Nachsteuerungspotenzial". Das klingt gut. Aber man muss den Begriff konkret besetzen. Er bedeutet: 300 Stellen bzw. entsprechende Äquivalente müssen den 308 Gymnasien zugewiesen werden. Jede Schule braucht mindestens eine Stelle und zwar sehr schnell -, damit die Oberstufen gestaltet werden können.
Sie haben die Kommunen angesprochen. Sie freuen sich über die Beteiligung der Kommunen an den inneren Schulangelegenheiten. Ich glaube, jeder Kommunalpolitiker muss sich zusammenreißen, um sein müdes Lächeln zu verbergen, wenn er solches hört.
Die Wirklichkeit ist anders. Die Kommunen sind seit Jahren in die Vorleistung gegangen. Sie haben Aufgaben vorfinanziert, die eigentlich das Land hätte übernehmen müssen. Wir haben viele Schulsozialarbeiter, die von den Gemeinden vorfinanziert werden, weil das Land sie nicht finanziert hat. Die Gemeinden hoffen, dass das Land hier nachfinanziert.