Protokoll der Sitzung vom 26.03.2009

Die Wirklichkeit ist anders. Die Kommunen sind seit Jahren in die Vorleistung gegangen. Sie haben Aufgaben vorfinanziert, die eigentlich das Land hätte übernehmen müssen. Wir haben viele Schulsozialarbeiter, die von den Gemeinden vorfinanziert werden, weil das Land sie nicht finanziert hat. Die Gemeinden hoffen, dass das Land hier nachfinanziert.

Zusätzlich sind ungefähr 400 Stellen für Schulsozialarbeiter geschaffen worden. Es handelt sich zum Teil um Stellen, die bereits besetzt sind, weil die Kommunen sie finanziert haben. Das Land wird nun endlich seinen kleinen Anteil daran einlösen.

Es wird davon gesprochen, dass 1.000 Schulsozialarbeiter nötig seien. Davon haben wir in unserem Land aber noch nicht einmal die Hälfte. Wir haben knapp 1.100 Hauptschulen. Es steht also noch nicht einmal ein Sozialarbeiter für eine Hauptschule zur Verfügung. Außerdem brauchen wir Schulsozialarbeiter auch an Grundschulen, Realschulen, Gymnasien und Förderschulen. Es ist also noch viel zu tun, und das Land ist in der Verantwortung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Veränderungsbedarf in unserem Schulsystem ist groß. Die GRÜNEN werden Ihnen Vorschläge machen, wohin wir uns bewegen müssen.

In der Bildungspolitik brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Wir brauchen eine Bildungs- und Schulpolitik,

die vom Kind her denkt und die Lerninteressen der Kinder in den Mittelpunkt stellt. Keiner wird als Hauptschulkind, Realschulkind oder Gymnasialkind geboren, sondern das Kind wird durch den Besuch der Hauptschule zum Hauptschüler und durch den Besuch der Realschule zum Realschüler.

Wir brauchen eine Schule, die sich an den Lernbedürfnissen der Kinder orientiert. Dafür brauchen wir auch ein anderes Lernklima an den Schulen, das motiviert und das natürliche Interesse der Kinder am Lernen fördert.

Wir müssen auch über das Thema "Länger gemeinsam lernen" sprechen. Ja, Herr Minister, es ist legitim, über dieses Thema zu reden. Wir werden das hier mit Ihnen tun. Wir werden es sehr unideologisch tun, aber mit großer Leidenschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen Konzepte für die Schulstandorte im Ländlichen Raum. Dazu haben Sie uns heute leider nichts gesagt. Wir brauchen eine klare Zielsetzung zur Inklusion behinderter Menschen und Kinder in Bayern an den Schulen. Wir brauchen einen Ausbau der Ganztagsschule mit Qualität mit einer fairen Kostenaufteilung zwischen Kommunen und Land.

Weiter brauchen wir eine Lehrerbildung und Lehrerweiterbildung, die auf neue Füße gestellt ist. Daher brauchen wir in Bayern eine neue Bildungspolitik statt einer neuen Rhetorik; denn eine neue Rhetorik aus dem Hause Spaenle verschleiert die alte Politik nur.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN )

Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen Eisenreich.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer sich die Regierungserklärung heute angehört hat, hat gemerkt: Bayern investiert kräftig in die Bildung und kommt bei Weiterentwicklung und Modernisierung von Schule und Unterricht zügig voran. Der Maßstab wird dabei, wie es der Minister formuliert hat, von Qualität und Gerechtigkeit bestimmt. Ich beginne mit dem Thema Qualität.

Die Substanz des bayerischen Schulsystems ist gut. Deswegen werden wir uns gegen das ständige Schlechtreden wehren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Herr Pfaffmann, Sie sind ein Meister im Schlechtreden. Vielleicht führt der Bologna-Prozess dazu, dass Sie

dafür auch noch einen Bachelor bekommen; verdient hätten Sie ihn.

(Beifall bei der CSU)

Pisa hat Handlungsbedarf aufgezeigt. Der Minister, die Staatsregierung und die CSU-Fraktion gehen zusammen mit den Kollegen der FDP diese Themen entschlossen und zügig an. Aber Pisa, Iglu und Timss haben auch gezeigt, dass wir uns insgesamt nicht verstecken müssen. Darauf werden wir immer selbstbewusst hinweisen.

Investitionen sind notwendig. Qualität braucht entsprechende Rahmenbedingungen. Es waren wirklich gute Beschlüsse, die uns hier vorangebracht haben. 1.000 zusätzliche Lehrer pro Jahr wurden versprochen. Aber es kommen viel mehr. In diesem und im nächsten Jahr wird es 2.700 neue Lehrerplanstellen geben. Die demografische Rendite von 1.300 Stellen verbleibt im Volksschulbereich. 1.000 neue Lehrerplanstellen kommen für die Aushilfslehrkräfte im Wege der Anschlussfinanzierung. Es gibt Geld für zusätzliche Verwaltungsangestellte. Es gibt zusätzliche Mittel für weitere Jungsozialarbeiter. Es kommt eine wirklich ambitionierte Dienstrechtsreform mit über 6.500 Beförderungsämtern allein im Volksschulbereich; im Realschulbereich werden es 1.750 Stellen sein.

Das kann sich doch wirklich sehen lassen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Es wird immer öffentlichkeitswirksam eine Bildungsmilliarde gefordert. Dazu muss man sagen: Die haben wir schon längst. In den letzten fünf Jahren ist der Kultusetat um über 1 Milliarde Euro gestiegen. In diesem und im nächsten Jahr wird der Kultusetat nochmals um über 1 Milliarde Euro steigen. Herr Pfaffmann, was Sie fordern, setzen wir längst um.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Sie haben einen Rückblick gemacht und uns eine kleine Märchenstunde gegeben. In den letzten neun Jahren haben wir circa 2 % mehr Schüler gehabt, aber fast 6 % mehr Mittel und Stellen für Lehrer zur Verfügung gestellt. Die Situation hat sich also insgesamt verbessert.

Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie sagen, daran müsse weiter gearbeitet werden. Dies werden wir entschlossen tun.

Das Thema Gerechtigkeit und Chancengerechtigkeit ist uns ein ganz großes Anliegen. Für die verschiedenen Begabungen und Talente müssen Chancen geschaffen werden. Zum Thema Gerechtigkeit in Verbindung mit

der Schulstrukturdebatte möchte ich hier einige grundsätzliche Anmerkungen machen.

Zunächst ist festzustellen: Es gibt weder in Bayern noch in Deutschland einen gesellschaftlichen Konsens weder unter den Bürgerinnen und Bürgern noch unter den Eltern, noch unter den Lehrern -, wie das Schulsystem aussehen muss. Statt eines Konsenses gibt es Differenzen. Für jeden Standpunkt findet man einen Wissenschaftler, auf den man sich berufen kann. Die Wissenschaft ist sich uneinig, tendiert aber dazu, dass es nicht auf die Schulstruktur ankommt, sondern es viel wichtiger ist, die Frühförderung zu intensivieren und die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Das ist die gemeinsame Aussage der Wissenschaft.

Pisa hat als Motor der gesamten Diskussion den Blick auf die leistungsschwächeren Kinder sowie auf Kinder aus bildungsfernen Schichten und Migrantenfamilien gelenkt und Handlungsbedarf aufgezeigt. Der Minister hat klar und deutlich formuliert: Hierfür muss mehr getan werden.

Aber die Diskussion gerät immer mehr in Schieflage; denn es gibt nicht nur leistungsschwächere, sondern auch viele leistungsstarke Kinder. Wir müssen aber Politik für alle machen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Es ist richtig, dass wir die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss und die Zahl der Wiederholer senken müssen. Hierbei haben wir schon einiges erreicht. Man muss sich nur das G 8 anschauen. Hier ist die Zahl der Wiederholer deutlich gesunken. Darauf dürfen wir uns jetzt nicht ausruhen, sondern müssen die Anstrengungen insgesamt weiter intensivieren, um die Zahl der Schulabbrecher und der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss weiter zu senken.

Aber auch hier ist die Debatte etwas in Schieflage geraten. Durch die öffentlichen Debatten entsteht der Eindruck, dass es keinen einzigen unmotivierten Schüler mehr gibt. Schuld an schulischen Misserfolgen ist nie der Einzelne, sondern Schuld haben immer und ausschließlich die Politik, die Lehrer, das System, und das ist unehrlich, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich unterstütze jeden, der sagt, wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern, damit Qualität stattfinden kann. Ich unterstütze jeden, der sagt, wir müssen die Klassengrößen senken. Wir unternehmen große Anstrengungen, aber das geht nur stufenweise. Wir alle in diesem Hohen Haus sollten aber auch darauf hinweisen, dass Bildungserfolg von der Bildungsmotivation in der Familie und auch von der Leistungsbereit

schaft der Schüler abhängt. Ehrlicher als alle Politiker zusammen sind die Schülerinnen und Schüler selbst, wenn man sie danach fragt, weil sie es meistens dann auch zugeben.

Was ist ein gerechtes Schulsystem? Das ist die Frage, die uns bewegt und die uns zu Recht bewegt. Das Schulsystem ist kein Selbstzweck. Es muss den Kindern dienen, und die Kinder müssen im Mittelpunkt stehen.

Bevor ich ins Detail gehe, sage ich zu den abzuwägenden Argumenten Folgendes: Das gerechteste Schulsystem ist ein qualitätsvolles öffentliches Schulsystem

(Georg Schmid (CSU): Richtig! - Beifall bei der CSU)

und nicht ein System, in dem die guten Schulen nur die Privatschulen sind,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

wie in vielen Staaten, denn damit hängt der Bildungserfolg vom Geldbeutel der Eltern ab. Deshalb sollten wir all unsere Bemühungen danach ausrichten, ein gutes öffentliches Schulsystem zu erhalten, und nichts dafür tun, um dieses oder die Qualität im öffentlichen Schulsystem zu schwächen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sehr richtig! Sehr gut!)

Gerecht ist ein Schulsystem, wenn wir - die Schülerinnen und Schüler stehen im Mittelpunkt - endlich anerkennen, dass die Schülerinnen und Schüler vielfältige Begabungen haben und dass wir deswegen vielfältige Bildungswege benötigen. Da die Begabungen der Kinder nicht gleich sind, brauchen wir auch kein Einheitssystem, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

Gerecht ist es, wenn wir die Durchlässigkeit und Kooperation zwischen den Schularten weiter erhöhen. Das Kooperationsmodell, das wir gemeinsam erarbeitet haben, ist ein Schritt dazu. Gerecht ist es, wenn wir jedem den optimalen Bildungsabschluss ermöglichen und nach dem Abschluss einen Anschluss bieten. Ungerecht ist es, wenn wir diejenigen, die sich über die berufliche Bildung weiterqualifizieren, ständig diffamieren, weil der Mensch anscheinend erst mit dem Abitur anfängt.

(Beifall bei der CSU)

Dieses elitär arrogante Gehabe, diese Diffamierung müssen wir endlich beenden.