Kollege Radwan, Sie haben soeben kritisiert, dass Sozialdemokraten auf europäischer Ebene gegen Lohndumping Mindestlöhne fordern. Deshalb frage ich, ob Ihnen die Systematik der europäischen Gesetzgebung bekannt ist. Auf europäischer Ebene werden Mindeststandards festgesetzt. Das sind Standards, die in keinem der einzelnen Mitgliedstaaten unterschritten werden dürfen. Es widerspricht sich nicht, dass man dann - was die Sozialdemokraten auch fordern, was aber bisher an Ihnen in der Koalition im Bund scheiterte - die Mindestlöhne in Deutschland erhöht. Wir wollen einen Mindeststandard auf europäischer Ebene, und wir wollen bessere Standards in Deutschland. So funktioniert Europa. Ich hoffe, dass das inzwischen auch bei Ihnen angekommen ist.
Ich bedanke mich nun wirklich herzlich, dass Sie mich über die Systematik der europäischen Gesetzgebung informieren; denn im Gegensatz zu Ihnen habe ich sie neuneinhalb Jahre erfolgreich gestaltet.
Sie wissen, dass es das Prinzip der Mindestharmonisierung und insbesondere im sozialen Bereich Vorstöße der Maximalharmonisierung gibt.
Wenn Sie auf europäischer Ebene Mindestlöhne mit Zustimmung zum Beispiel von Polen, Ungarn und - wie Sie möchten - der Türkei fixiert haben
- wir müssen schon so reden, wie Sie sich äußern -, werden Sie eine muntere Diskussion in Deutschland bekommen, wieso man hier weitaus höhere Standards hat als anderswo.
Was Herr Steinbrück regelmäßig macht, ist spannend. Er ist auf europäischer Ebene zu einem einstimmigen Beschluss unterwegs. Er hätte die Regelung bezüglich des niedrigeren Mehrwertsteuersatzes verhindern können. Herr Steinbrück stimmt zu, dass andere Staaten der Europäischen Union die Mehrwertsteuer heruntersetzen können. Er lässt also rechtstechnisch zu, dass
andere Staaten einen Konkurrenzvorteil haben. Er erklärt aber gleichzeitig, dass wir diesen Vorteil für unseren Mittelstand in Deutschland nicht haben wollen. Es wird also bewusst die Schlechterstellung der deutschen Wirtschaft in Kauf genommen. Das war Ihre Entscheidung. Sie wollen das wohl weiter so machen.
Damit ist die Rednerliste geschlossen und die Aussprache beendet. Für eine zusammenfassende Stellungnahme hat sich Frau Staatsministerin Müller zu Wort gemeldet. Bitte schön.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die offene und zum Teil sehr konstruktive Diskussion. Ich möchte zusammenfassen, dass wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig sind, dass wir zum Integrationsprozess der Europäischen Union stehen, zum Friedensprozess, zum Europa der Regionen und zu einem Europa der Vielfalt. Uns ist allen bewusst, dass die Europäische Union unsere Zukunft ist. Ich habe mich übrigens gefreut, Herr Förster, dass Sie in Augsburg dabei waren und gemeinsam mit mir auf dem Rathausplatz die Europawoche eröffnet haben. Soweit zur Teilnahme der Kollegen. In den Regionen sind wir immer bereit, die Kollegen einzubinden. Wenn Sie mir sagen können, welchen SPD-Kandidaten oder welchen Kandidaten einer anderen Fraktion Sie in Schwaben haben, außer Herrn Ferber, dann bitte ich um Information.
Ich möchte kurz auf die Energiefrage eingehen, über die Sie vorhin auch gesprochen haben, insbesondere auf die Kernenergie. Wir sind für einen breiten Energiemix. Das bedeutet, dass wir alle Energien fördern wollen. Wir wissen aber genau, dass wir in Bayern beim Strom zu 60 % von der Kernenergie abhängig sind. Ich bin davon überzeugt, auch wenn wir alle Anstrengungen unternehmen, werden wir bis zum Jahr 2019 diese 60 % Stromanteil aus der Kernenergie nicht durch alternative Energien kompensieren können. Ich plädiere deshalb dafür, die Kernenergie weiter zu nutzen. Wenn Sie sich das Ausstiegsszenario näher anschauen, und wenn wir ohne ideologische Scheuklappen miteinander diskutieren, dann stellen wir fest: Wir schalten das erste Kernkraftwerk im Jahr 2011 ab und das letzte in Bayern im Jahr 2019. In dieser kurzen Zeitspanne müssen wir es schaffen, wenn wir nicht Strom aus den mittel- und osteuropäischen Ländern importieren wollen, diese Lücke zu überbrücken. Wir haben keine grenzüberschreitenden Leitungen, wir könnten das überhaupt nicht tun. Ich bitte deshalb darum, dass wir mit Vernunft über die Energieversorgung in Europa diskutieren.
Ich möchte sehr gerne darauf eingehen, was Frau Pauli gesagt hat. Frau Pauli, Sie haben in diesem Hohen Haus heute Ihre blanke europäische Inkompetenz bewiesen.
Ich finde es schon ziemlich dreist, den Europaabgeordneten ihre Kompetenz abzusprechen, und ihnen auch abzusprechen, dass sie in den Kommunen verankert sind. Die meisten Europaabgeordneten sind in den Kreistagen, viele sind auch in dem Gemeinderäten tätig. Ich habe das selbst so praktiziert. Mein ehemaliger Bürgermeister ist heute Ihr Kollege und kann das auch bestätigen. Die Europaabgeordneten haben 44 Sitzungswochen, sie leisten eine gute Arbeit. Ich gehe davon aus, dass das in der Bevölkerung auch anerkannt ist.
Was ich bei Ihren Ausführungen aber vermisst habe, das war die Tatsache, dass Sie überhaupt nichts Inhaltliches ausgesagt haben, aber auch rein gar nichts. Ich möchte Sie deshalb fragen: Warum kandidieren Sie eigentlich für das Europäische Parlament? - Ich hoffe, Sie machen das nicht ehrenamtlich, das würde nämlich sonst schnell zum Ruin führen.
Ich möchte auch klar zum Ausdruck bringen, Frau Pauli, dass ich es bedauere, wenn Sie gestern im Europäischen Parlament den falschen Informationen eines einzigen Kollegen auf den Leim gegangen sind, ohne sie zu überprüfen. Ich finde es schon etwas dreist, diese Informationen hier auch noch zu verbreiten.
Ich möchte Ihnen noch etwas mit auf den Weg geben, und ich hoffe, dass das die Bürgerinnen und Bürger heute auch mitbekommen haben. Es ist für uns wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler wissen, welche Auffassung die Spitzenkandidatin der Freien Wähler im Hinblick auf die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union hat. Sie wollen den Beitritt der Türkei aus politischen Gründen und nicht nach den allgemeingültigen Kriterien.
Ich möchte Ihnen einen kurzen Nachhilfeunterricht zum Beitritt der Mitgliedstaaten geben. Diese Staaten müssen zunächst einmal die Kopenhagener Kriterien erfüllen: Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Darüber hinaus muss die wirtschaftliche Prosperität eines Landes gewährleistet sein. Das Zweite ist der sogenannte Acquis communautaire mit über
20.000 Rechtsvorschriften auf über 80.000 Seiten, der in 35 Kapiteln zusammengefasst ist. Für die Türkei sind mittlerweile neun Kapitel der 35 Kapitel eröffnet, ein einziges ist geschlossen. Die Türkei hat über 40 Jahre die Strategie verfolgt, in die Europäische Union einzutreten. Ich muss schon einmal fragen, was ist hier passiert? - Gar nichts. Aus diesem Grund möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen, dass die CSU immer eine klare Linie verfolgt hat, nämlich kein Beitritt der Türkei in die Europäische Union. Wir sind für eine privilegierte Partnerschaft in Annäherung an die östliche Nachbarschaft, so wie wir das derzeit praktizieren. Das halte ich für den richtigen Weg.
Ich finde es großartig, dass die Kollegen konstruktive Beiträge in der Debatte geliefert haben. Ich bedanke mich bei Herrn Kollegen Runge, der die kommunale Selbstverwaltung und die Daseinsvorsorge angesprochen hat. Ich danke auch Herrn Kollegen Förster. Ich glaube, wir waren uns in der Vergangenheit einig, das wollen wir alle gemeinsam. Das war auch die Initiative der Staatsregierung, die hierauf hingewiesen hat. Deshalb ist der Passus der Staatsregierung in den Verträgen auch enthalten. Auch das ist ein richtiger Weg in die Zukunft Europas.
Wir wollen Europa positiv gestalten, dazu brauchen wir die Unterstützung aller. Ich bedanke mich bei Ihnen allen für diese offene Diskussion.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf an die Geschäftsordnung erinnern. Wir haben die Aussprache geschlossen. Frau Staatsministerin Müller hatte das Wort zu einer Zusammenfassung. Nach der Geschäftsordnung ist dann weder eine Zwischenfrage noch eine Intervention möglich. Ich bitte um Nachsicht, das ist nun einmal so. Damit ist Tagesordnungspunkt 1 abgeschlossen.
Erste Lesungen zu Gesetzentwürfen, die ohne Aussprache an die jeweils federführenden Ausschüsse überwiesen werden sollen:
Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Anpassung von Landesgesetzen an das Bayerische Beamtengesetz (Drs. 16/1153)
In der Tagesordnung sind die zur Überweisung anstehenden beiden Gesetzentwürfe mit den als federführend angesehenen Ausschüssen aufgeführt. Gibt es hinsichtlich der Zuweisungsvorschläge noch Änderungswünsche? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Beschlussfassung über die Zuweisungen. Wer mit der Überweisung an die zur Federführung vorgeschlagenen Ausschüsse einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. - Keine. Danke. Stimmenthaltungen? - Auch keine. Dann werden die Gesetzentwürfe diesen Ausschüssen zur Federführung zugewiesen.
Verfassungsstreitigkeit Schreiben des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 10. März 2009 (Vf. 32-IVa-09), betreffend die Verfassungsstreitigkeit über die Frage, ob der Beschluss des Bayerischen Landtags vom 13. November 2008 über die Mitgliederzahl der Ausschüsse, Plenarprotokoll 16/5, S.135, die Antragsteller in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 2 Art. 4, 5, 13 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 und 16 a BV verletzt PII/G-1310/09-4
Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurden fünf Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich darf als erstem Herrn Kollegen Güller das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute nicht um eine Neuauflage der Geschäftsordnungsdebatte vom Anfang der Legislaturperiode, in der wir nicht nur verfassungsrechtliche Aspekte, sondern auch allgemein das Thema Fairness zu beachten hatten und auch, wie man miteinander umgeht. Es geht heute darum, ob die Entscheidung, die von der Mehrheit in diesem Hause getroffen wurde, noch verfassungskonform ist und sich innerhalb der Regeln der Bayerischen Verfassung hält.
Wir, die Klägerinnen und Kläger, die drei Fraktionen von SPD, Freien Wählern und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sind hier der eindeutigen Auffassung, dass die Entscheidung, die Ausschüsse in einer neuen Größenordnung zu formieren, nämlich mit geraden statt ungeraden Zahlen an Mitgliedern und in der gewählten Größenordnung, nämlich 12, 16 und 22 Personen, das Mehrheitsprinzip und das Prinzip der Spiegelbildlichkeit in der Bayerischen Verfassung nicht mehr einhält. Es heißt: Mehrheit entscheidet. "Mehrheit entscheidet" heißt aber auch, dass die Minderheit nicht entscheidet. Die Minderheit in diesem Haus darf dann in den Aus
schüssen keine Blockademehrheit haben. Das heißt, aus einem Wahlergebnis von 43,4 % der Stimmen wird eine Mandatszahl von 49,2 % der Stimmen. Das ist sicherlich demokratisch in Ordnung und wird von den Klägern nicht beanstandet. Dass aber aus diesen 49,2 % in den Ausschüssen jetzt plötzlich eine Blockademehrheit wird, also eine Zahl von Abgeordneten, gegen die im Ausschuss nichts entschieden werden kann, verstößt nach unserer Auffassung gegen die Verfassung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da wird wieder argumentiert: Alles, was die Ausschüsse machen, kann das Plenum irgendwie korrigieren. Dieses Argument verkennt die Funktion unserer Ausschüsse im Bayerischen Landtag eklatant. Die Ausschüsse sind nicht ein kleines Anhängsel des Plenums, die praktisch nur etwas vorbereiten, sondern die Ausschüsse sind selbstständige Organe und selber in Teilen auch entscheidungsbefugt, insbesondere bei Themen, die eilbedürftig sind. Vorhin haben wir über das Thema Subsidiaritätskontrolle und -verstöße geredet. Wenn es dort terminliche Engpässe gibt, kann der jeweilige Ausschuss - hauptsächlich ist das der Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten - endgültig entscheiden. Wir haben die Grundstücksangelegenheiten und die Beteiligungsangelegenheiten im Haushaltsausschuss, und wir haben die Bundesratsangelegenheiten wiederum in Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Man kann also nicht sagen, dass die Entscheidungen der Ausschüsse nicht auch existenziell für die Arbeit dieses Parlaments seien.
Deshalb bitten wir, dass der Bayerische Landtag entgegen dem Votum des Verfassungsausschusses diese Klage für begründet hält und dass er zum Vertreter des Bayerischen Landtags den Kollegen Franz Schindler bestellt.