Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Über 158.000 Kinder sind von Armut betroffen. Jedes Kind davon ist ein Kind zuviel. Sie sagen, die Steuerbefreiung würde helfen. Die meisten alleinerziehenden Frauen und die meisten Familien mit mehreren Kindern - das zeigt der Armutsbericht - haben ein Einkommen im Niedriglohnsektor. Sie zahlen gar keine Steuern mehr. Da gäbe es auf jeden Fall Potenzial.

Zum Landeserziehungsgeld. Sie mussten schon alle Einkommensgrenzen anheben, damit überhaupt noch 22,1 % der Eltern das Landeserziehungsgeld in Anspruch nehmen können. 1997 waren es noch 69 %. Sie sehen, dass sich die Familienmodelle in den vergangenen Jahren verändert haben. Sie haben aber keine Antwort darauf, außer der, das Landeserziehungsgeld zu senken, sodass die Kosten für einen Kindergarten höher sind als der Betrag, den die Eltern aus dem Landeserziehungsgeld bekommen. Die Forderung der SPD lautet daher: Die Kinderkrippe und der Kindergarten müssen kostenlos sein. Von der Kinderkrippe bis zur Uni muss die Bildung kostenlos sein. Das ist eine essentielle Forderung. Das bedeutet eine Barentlastung für die Familien.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen, das Elterngeld sei ein Erfolgsmodell. Frau Haderthauer, das Elterngeld ist eine Idee der SPD gewesen. Renate Schmidt hat diese Idee gehabt.

(Beifall bei der SPD)

Die CSU meinte damals, dies sei ein Wickelvolontariat. Das sind die Wahrheiten. Frau Haderthauer ist aber immer so geschickt, dass sie die Ideen der SPD besser verkaufen kann. Hätten Sie in den letzten zehn Jahren unsere Ideen aufgenommen, wären wir schon wesentlich weiter.

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen zu Recht, eine weitere wichtige Säule sei die Elternkompetenz. Da gebe ich Ihnen komplett recht. Ich würde mir wünschen, dass diese Aussage auch im Haushalt abgebildet wäre. Ich möchte nur ein Beispiel erwähnen, die Müttertreffs. Familienzentren sind in Bayern noch schwerer zu finden. Wir haben in Bayern 81 Müttertreffs. Davon sind 47 in Oberbayern und zwei in Niederbayern. Erklären Sie mir doch einmal, wie Sie das Netz für Familien über Bayern spannen wollen, wenn wir solche Löcher haben, wenn die Elternkompetenz nur in einigen Zentren unterstützt wird. Ich fordere Sie auf, ein Netz zu spannen, in dem sich alle Eltern in Bayern sicher fühlen und in dem ihre Elternkompetenz unterstützt wird.

(Beifall bei der SPD)

Auch hierzu möchte ich auf die Finanzen hinweisen. Gute 720.000 Euro haben Sie für die Müttertreffs eingestellt. Das sind pro Müttertreff 9.000 Euro im Jahr. Damit kann ich die Elternkompetenz nicht besonders unterstützen. Damit nütze ich nur die Mütter in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit aus. Das ist keine Unterstützung der Familien und der Kompetenz von Eltern. Das ist Missbrauch. Hier muss vernünftig investiert werden, damit die Eltern überall einen Ort finden, an dem ihre Elternkompetenz gestärkt wird. Nur dann sind die Familien sicher.

(Beifall bei der SPD)

Zu den Migranten. Sie stellten heraus, dass die Integration gelungen sei, weil Sie im Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz einen entsprechenden Faktor eingefügt haben. Das kann aber nicht funktioniert haben. 10,8 % der Migranten haben keinen Schulabschluss. Frau Haderthauer, dafür sollten Sie sich schämen. Sie können nicht von gelungener Integration sprechen, zumal wir wissen, dass das auch zehn Mal mehr Kinder sind als die, die keinen Migrationshintergrund haben.

Ich nenne Ihnen gerne auch noch eine Zahl, die deutlich macht, dass die Integration nicht funktioniert und dass wir die Vererbung von Bildungsarmut nicht verhindern und aufhalten können. In München sind 42 % der Empfänger von Leistungen nach Hartz IV Eltern mit Migrationshintergrund. Diese Zahl macht deutlich, dass deren Kinder hier immer noch keine Chance haben und dass die Bildungsgerechtigkeit immer noch weit entfernt ist. Einer der entscheidenden Schlüssel wäre es deshalb, die ganze Kinderbildung kostenlos für jeden zur Verfügung zu stellen. Dann wären wir nicht mehr gezwungen, die Kinder einfach nach unten abzuschieben, sodass sie in Armut leben müssen.

Sie haben von der engen Vernetzung zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule gesprochen. Ich gebe Ihnen recht. Ich kann Ihnen ein gutes Beispiel nennen. In München haben wir die innovative Projektschule, an der die Erzieherinnen aus dem Tagesheim mit der Grundschullehrerin zusammenarbeiten. Wir haben dort die besten Ergebnisse. Sie haben die Chance, dieses Modell auszubauen. Sie haben jedoch ein Billigmodell gewählt. Die drei Modellprojekte sind erhalten geblieben. Nichts weiter ist passiert. Frau Haderthauer, ewige Modelle können nicht wirklich eine Struktur verändern.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne Ihnen noch ein ganz schlimmes Beispiel. Herr Spaenle schließt Schüler von der Schule aus, die dann ins Nichts fallen. Nicht einmal die Kinder- und Jugendhilfe wird davon informiert. Auf meine Anfrage hieß es nur, man könne nicht sagen, wie viele Kinder ausgeschlossen worden sind. Frau Haderthauer, Sie haben hier ein breites Feld, auf dem Sie sofort Regelungen erlassen können. Fangen Sie nicht wieder damit an, auf kommunale Zuständigkeiten und Landeszuständigkeiten zu verweisen. Die Familien wollen diese Geldschieberei nicht. Die Familien wollen eine sichere Unterstützung in ihrer Bildungskompetenz. Die Kinder brauchen diese Unterstützung auch.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss möchte ich deutlich darauf hinweisen, dass Sie seit zehn Jahren von der Landtagsfraktion der SPD immer wieder Konzepte bekommen. Der Sozialbericht bestätigt uns. Seit zehn Jahren stellen wir Forderungen auf, die richtig sind, die Sie aber nicht erfüllt haben. Deswegen sind die Lücken so groß. Das Geld ist da. Bildung muss von der Krippe bis zur Universität kostenlos sein. Nur dann werden die Kinder für uns ein Reichtum sein. Sie werden dann nicht mehr arm sein. Daher fordere ich Sie auf, nicht in ewigen Modellprojekten zu verharren. Davon haben wir genügend. Wir brauchen wirkliche strukturelle Veränderungen - und

zwar nicht nur in Oberbayern, sondern flächendeckend in ganz Bayern.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächstem darf ich für die CSU-Fraktion Herrn Hermann Imhof das Wort erteilen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Verständnis für die von Ihnen aufgeführten Defizite und für Ihre Forderungen, die Sie im parlamentarischen Prozess selbstverständlich einbringen dürfen, gibt es auch viele Gemeinsamkeiten, von denen heute aber nicht in so großem Umfang die Rede war. Vieles in der Familienpolitik geschieht in Bayern im Einvernehmen.

Ich möchte aber ein paar Punkte aufführen, in denen wir uns unterscheiden. Natürlich - Frau Werner-Muggendorfer, Sie haben es am Anfang erwähnt - spielen für uns Ehe und Familie und elterliche Erziehung eine zentrale Rolle. Sie haben eine zentrale Bedeutung. Das bleibt auch so. In unserem Staat leisten die Familien zu 80 bis 85 % immer noch die ganz entscheidende Arbeit, damit die Kinder gut und gesund in unserer Gesellschaft aufwachsen können. Denken Sie an die vielen Sozialkompetenzen. Denken Sie an die Frage von Verantwortung und Toleranzbereitschaft. Denken Sie an die Frage von Solidarität und Mitgefühl, aber auch an die Frage von Leistungsbereitschaft. Da sind die Familien - zu denen rechne ich ausdrücklich auch alleinerziehende Väter und Mütter, damit es nicht wieder ein Missverständnis gibt - nicht ersetzbar. Sie sind durch keine staatliche Institution zu ersetzen.

Subsidiär ist aber auch die Vielfalt an erzieherischen Hilfsangeboten in diesem Land enorm wichtig. Sie kennen sie alle. Ich muss sie nicht aufzählen. Diese Angebote sind ergänzende Angebote. Sie bereichern, sie sind leider aber auch immer häufiger existenziell absolut notwendig, zum Beispiel für Problemfamilien, aber auch für eine normale Familie mit einem Kind. Für Kinder ist es eine Bereicherung, wenn sie in Institutionen durch Erzieherinnen individuell gefördert werden, wenn ihre Neugierde, ihre Bereitschaft und ihr Elan gefördert werden. Es geht nicht nur um den reinen formalen Bildungsaspekt. Die Kinder müssen auch soziale Kreativität entfalten können. Das schadet ihnen nicht, sondern es bereichert sie und ihre Eltern in ungemeiner Weise.

Für unsere Fraktion ist Familienpolitik eindeutig von folgenden Prämissen gekennzeichnet: Was muss im Zentrum einer Familienpolitik stehen, die den Namen wirklich verdient? - Die Bedingungen, die Eltern, Mütter und Väter, durch ihre Entscheidungen vorgeben, müssen respektiert werden, und zwar in vollem Umfang. Wir

wissen, dass sich diese Bedingungen im Laufe der Jahre verändern. Es gab gesellschaftliche Veränderungen, und oft genug wird die Politik damit konfrontiert, dass sie, an der Realität gemessen, Nachholbedarf hat. Diesen Nachholbedarf gibt es immer wieder. Trotzdem können wir nicht für die Familien vordenken, sondern wir müssen sie mitnehmen.

In besonderer Weise gilt das für Teilhabe und Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche in dem Sinne, dass niemand in dieser Gesellschaft verloren geht. Präventive Maßnahmen - das wissen wir aus vielen schlauen Reden - wirken nachweislich nachhaltig und verhindern später teure rehabilitative Maßnahmen.

Die Entscheidungen von Eltern gilt es zu respektieren und aufzunehmen. Da hat die Politik weder zu bevormunden noch sich in rechthaberischer Weise einzumischen. Daraus - das ist der Unterschied in der Politik der verschiedenen Parteien - ergibt sich die echte Wahlfreiheit. Denn echte Wahlfreiheit bedeutet für die Eltern, dass sie entscheiden, wie sie ihre Kinder erziehen. Das heißt - ich fange jetzt von hinten an -, wenn jemand sagt, ich möchte nicht nur deswegen, weil ich gut ausgebildet bin, sondern auch deswegen, weil ich entsprechend motiviert bin, ganztags oder in Teilzeit berufstätig sein, dann müssen wir ein bedarfsgerechtes Angebot unterbreiten. Frau Ackermann, weil Sie es vorhin angesprochen haben: Mit Riesenschritten in Siebenmeilenstiefeln gehen wir dieser Forderung nach und bauen die Kinderbetreuung aus, und zwar jeden erforderlichen Platz in der kleinsten Gemeinde Bayerns. Wenn der Bedarf signalisiert wird, wird der Staat ihn aufnehmen und den Ausbau fördern.

(Beifall bei der CSU)

Ebenso zählt aber auch eine andere Entscheidung. Wenn Eltern sich dafür entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu erziehen oder nur zeitweise in Institutionen zu geben, dann haben sie das Recht, vom Staat Unterstützung zu erhalten. Hier gilt für mich der Maßstab des Landeserziehungsgeldes. Das Landeserziehungsgeld hilft in verstärktem Maße und muss - Frau Kollegin Meyer, da haben Sie recht - bedarfsgerecht weiterentwickelt werden. In den letzten Jahren hat es weit mehr Bedeutung bekommen. Sehen Sie sich nur die Einkommensgrenzen von vor fünf Jahren und die Einkommensgrenzen heute an. Sie sehen, viel mehr Familien haben einen Anspruch. Das geht weiter bis zum Betreuungsgeld. Sie haben das Elterngeld genannt. In diesem Fall möchte ich den Ruhm gern teilen. Uns bricht kein Zacken aus der Krone, wenn wir sagen, Renate Schmidt war in diesem Punkt höchst motiviert und engagiert.

(Diana Stachowitz (SPD): Na wunderbar!)

- Selbstverständlich. Ich finde es grandios, dass uns das allen gelungen ist. Auch das Elterngeld muss weiterentwickelt werden. Ursula von der Leyen hat diesen Ball nicht nur aufgenommen, sondern sie hat das Elterngeld durchgesetzt. Sie hat es sicher leichter gehabt; denn zu der Zeit war das Bewusstsein für Familien ganz anders entwickelt. Frau von der Leyen konnte im Sinne von Renate Schmidt das Elterngeld mit einigen besonderen Nuancen weiterentwickeln.

Daneben gibt es noch steuerliche Entlastungen und Freibeträge. Frau Kollegin Meyer, Sie haben sie genannt. Es existiert auch eine kostenfreie Mitversicherung in der Krankenversicherung. Die muss erhalten bleiben im Sinne von Gerechtigkeit für Eltern, die nicht einem Beruf nachgehen. Wie sollen diese denn Krankenversicherungsbeiträge aufbringen? - Ich nenne noch die Kindererziehungszeiten bei der Rente, alles Stichworte, die Sie genannt haben.

Ich möchte noch einige Punkte aufgreifen, die vorhin in der Regierungserklärung angedeutet, aber in der Kürze der Zeit nicht entfaltet werden konnten. Als Beispiel nenne ich die Jugendsozialarbeit an Schulen. Mit Recht kann man hier die Frage stellen: Ist das schon genug? - Von uns allen wird die Antwort kommen: Nein! Die bundesweit höchst anerkannte, evaluierte Maßnahme zeigt, dass wir den Bedarf an den Schulen haben - zunächst an den Hauptschulen, aber darüber hinaus auch an den Förderschulen, an Brennpunktrealschulen und vielleicht auch an Gymnasien. Allerdings müssen wir die Hilfe für benachteiligte junge Menschen beim Übergang von der Schule zur Ausbildung maßgeblich dort weiterentwickeln, wo sie am nötigsten gebraucht wird. Hier geht es in erster Linie um die Hauptschule.

Wenn Sie sich den Haushalt ansehen, wissen Sie, dass die Bäume dort nicht in den Himmel wachsen. Wir setzen Prioritäten. Sie sehen, die 350 Stellen wurden zwei Jahre früher geschaffen als geplant. Sie sehen auch, dass weitere Anstrengungen für die Jahre 2011 und 2012 unternommen werden. Hier gilt es anzusetzen.

Stichwort: Armut bei Kindern. Ja, Frau Kollegin Stachowitz, Armut bei Kindern gibt es in Bayern auch. Jedes Schicksal muss uns berühren, nicht nur nachdenklich machen, sondern zum Handeln auffordern.

(Diana Stachowitz (SPD): Richtig!)

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Beschäftigungssituation in Bayern dazu beiträgt, dass Familien deutlich weniger soziale Leistungen in Anspruch nehmen müssen als anderswo, 50 % weniger als im Bundesdurchschnitt.

Herr Kollege -

Darum ist die Frage von Qualifikation, von einem Ausbildungsmarkt, der den Namen im Sinne von Ausbildungschancen für die Zukunft verdient, so wichtig.

Herr Kollege Imhof, ich war schon sehr gnädig.

Mein Schicksal, okay.

Ich will nur darum bitten, die wichtige Komponente des Arbeitsmarktes im Auge zu behalten.

Dasselbe gilt - verzeihen Sie, Herr Präsident, eine Minute noch -

Nein. Entschuldigung, Sie haben die Redezeit bereits um eine Minute und 30 Sekunden überschritten. Das liegt über der Toleranzgrenze.

Dann nur wenige Sekunden. Ich schließe mich den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen an: Das Klima für Kinder und Familien bilden wir alle, jeder einzelne von uns - der Nachbar, der Hausmeister, die Wirtschaft, die Arbeitsbedingungen.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Kriegen wir jetzt alle zwei Minuten mehr?)

Wir wollen eine zukunftsfähige Familienpolitik miteinander gestalten und weiterentwickeln. - Danke für die Nachsicht und Geduld.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege, Sie haben mehrfach angesetzt, aufzuhören; deshalb war es schwierig, einzuschätzen, wann Sie nun wirklich aufhören. Aber mit einem besseren Beispiel folgen wird Frau Kollegin Tanja Schweiger von der Fraktion der Freien Wähler.

(Tanja Schweiger (FW): Hoffentlich!)