Protokoll der Sitzung vom 06.10.2009

Herr Kollege, darf ich auch Sie fragen, wie lange Sie noch reden wollen?

(Hubert Aiwanger (FW): So lange Sie das erlauben! - Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Nachdem Herr Taubeneder mir eine kurze Runde vorweg genommen hat, spreche ich jetzt noch 30 Sekunden. - Es geht um Folgendes: In anderen Ländern Europas, die weniger dicht besiedelt sind, hat man gesehen, dass die äußere Differenzierung nicht die richtige Antwort ist. Sie ist weder pädagogisch die richtige Antwort, noch ist sie aus sozialen Gründen die richtige Antwort. Sie ist auch aufgrund der Ressourcen nicht die richtige Antwort. Man führt sich irgendwann ad absurdum, wenn die Schulstandorte immer kleiner werden. Deshalb müssen Sie Ihr Mantra der Dreigliedrigkeit endlich einmal beenden. Es wird an der Praxis scheitern.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Abgeord- neten der SPD)

Lieber Herr Kollege, Sie haben die Redezeit jetzt schon um eine Minute überschritten. Ich bitte Sie, nun wirklich zum Schluss zu kommen.

Mein letzter Satz: Lieber Herr Taubeneder, lieber Herr Ländner, jemand, der aus dem Allgäu kommt, geht, wenn es Mensch oder Vieh schlecht geht, durchaus zum Gesundbeter. Das hilft auch ganz gut. Ich sage Ihnen aber, als Gesundbeter der Hauptschule sind Sie denkbar ungeeignet. Sie werden die Hauptschule nicht retten.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Abgeord- neten der SPD)

Herr Kollege, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Will.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren! Ich bin Ihnen, Frau Gottstein und den Freien Wählern sehr dankbar, dass Sie dieses ernste Thema heute in der Aktuellen Stunde aufgegriffen haben. Ich bin aber auch der Meinung, dieses ernste Thema darf

man nicht, wie das auch Herr Güll ausgedrückt hat, ideologisch behandeln, sondern man muss es pragmatisch angehen. Ich möchte auch gar nicht so gerne vom Sterben der Hauptschule oder vom leisen Abschied der Hauptschulen reden. Ich möchte vielmehr davon reden, was uns die Hauptschule noch bietet, wo sie im ländlichen Raum für uns noch wichtig ist. Was bedeutet es, was wir mit den Betroffenen, nämlich der Schulfamilie vor Ort vereinbart haben: Wir wollen die Mittelschule umsetzen? Umzusetzen heißt für uns, die Menschen vor Ort mitzunehmen, eben nicht überzustülpen, eben nicht eine Strukturreform durchzuführen, durch die das eine in Unterfranken so und im Allgäu anders gilt und in den Städten wiederum ganz anders. Wir wollen pragmatische, unideologische Lösungen sowohl für den ländlichen Raum als auch für die Städte.

Meine Damen und Herren, in den Städten ist die Mittelschule auf große Akzeptanz gestoßen. Ich sage Ihnen, warum. Weil die Schulen groß genug sind. Im ländlichen Raum sind sie nicht groß genug; da wird gerade erst damit begonnen zu überlegen, wie sich die Schulverbünde zusammenschließen und organisieren. Und natürlich muss der eine oder andere weiter fahren, aber das muss er auch, wenn er an die Realschule oder ans Gymnasium will, dann muss er auch einmal in der Woche fahren. Das ist nichts anderes.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Meine Damen und Herren, wir stellen fest, die demografische Entwicklung sieht so aus, dass erstens ohnehin weniger Schüler die Hauptschule besuchen werden und dass zweitens - auch das ist Fakt - die Eltern die Abstimmung mit den Füßen machen und sagen: Wir wollen unsere Kinder nicht mehr auf die Hauptschule schicken. Dann, meine Damen und Herren von der CSU, müssen wir sie nicht schönreden und nicht schönbeten, sondern dann müssen wir der Realität Rechnung tragen und uns fragen, was das Beste für unsere Schülerinnen und Schüler ist. Ich sage Ihnen, das Beste für unsere Schülerinnen und Schüler ist, wenn wir ihnen wohnortnah - das war schon immer unser Ziel - denjenigen Abschluss bieten, der zu ihnen passt, und zwar immer auch den höheren Abschluss. Und wenn wir hierzu den Spagat machen müssten, dass die Kooperationsmodelle, die von uns so gewünscht sind, in der Fläche stärker ausgebreitet, also mehr zugelassen würden. Ich hoffe, dass das in der zweiten Tranche noch der Fall sein wird. Das wäre das eine.

Frau Gottstein, Sie sagten, die Realschule und die Mittelschule würden sich widersprechen. Das stimmt nicht. Die Realschulen werden sehr gut angenommen, sie sind randvoll und allerorts wird der Bedarf ermittelt, ob es für zusätzliche Realschulen reicht. Das ist aber oftmals nicht der Fall, also wäre genau da die Kooperation

das Richtige. Und dort, wo es nur ganz kleine Hauptschulen gibt und nebenan noch eine kleine Hauptschule, da müssen wir doch auch eine Antwort für diejenigen geben, die sagen, dass sie einen hochwertigen mittleren Abschluss wollen, die Qualitätsverluste überhaupt nicht hinnehmen wollen. Wir haben bundesweite Bildungsstandards. Mindestens diese müssen bei dem mittleren Abschluss erreicht sein. Deshalb ist es keine Mogelpackung, wenn wir sagen: Der mittlere Abschluss an der Mittelschule muss mindestens in Deutsch, Mathematik und Englisch dem entsprechen, was die Standards bundesweit vorschreiben - und denen der Realschule. Dass wir darüber hinaus ein praktikables Angebot an Fächern und praktischen Angeboten haben müssen, ist selbstverständlich und entspricht durchaus dem, was die Freien Wähler vorgetragen haben, nämlich eine Berufsorientierung. Das aber müssen wir erst einmal herausfinden, das müssen wir erproben.

Das ist ein guter Weg, den wir eingeschlagen haben, um im Rahmen einer regionalen Schulentwicklung die Schulfamilie mitzunehmen und um die Schulleiter und Bürgermeister im Boot zu haben. Überall, wo ich war, habe ich erfahren, dass zwar eine gewisse Unsicherheit herrscht, aber es stößt auch auf ganz große Zustimmung, dass sich etwas bewegt und dass man etwas mitgestalten kann.

(Zuruf von der SPD: Wo waren Sie denn unter- wegs?)

Ich sage Ihnen, ich bin noch nicht zufrieden, wie es jetzt aussieht. Aber ich bin sehr zufrieden damit, wie die Wege, die aufgezeigt werden, gegangen werden können, um zu dem Ziel zu kommen; damit eines Tages das zusammenwachsen kann, was ohnehin zusammengehört; dass wir die Hauptschulen nicht abschaffen müssen, sondern dass uns die sinkenden Schülerzahlen und die geringe Akzeptanz dahin führen, dass an einer Mittelschule oder Kooperationsschule alle Abschlüsse wohnortnah gemacht werden können - unabhängig davon, dass daneben die übervollen Realschulen bestehen bleiben und natürlich die Gymnasien.

Frau Kollegin -

Was wir schaffen müssen, ist, dass die Durchlässigkeit von oben nach unten gestoppt wird, dass eine Durchlässigkeit von unten nach oben erhöht wird, dass wir

Noch zehn Sekunden, dann schalte ich Ihr Mikrofon aus, Frau Kollegin.

die Quote der Abbrecher und der Wiederholer senken. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und den Freien Wählern)

Vielen Dank für das Abbrechen. Nächste Wortmeldung: der Kollege Eisenreich. - Er verzichtet. Dann habe ich als nächste Wortmeldung Herrn Staatssekretär Dr. Huber.

Sehr geehrter Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ganz freudig überrascht: Ich bin fraktionsübergreifend umgeben von lauter Rettern der Dorfschule. Das ist gut so, das ist auch unser Ziel. Wir werden versuchen, gemeinsam einen Weg dorthin zu finden. Ich sage Ihnen aber auch, unser primäres bildungspolitisches Ziel - das ist in den Redebeiträgen unterschiedlich herausgekommen - bei der Weiterentwicklung der Hauptschule zur Mittelschule ist nicht gewesen, die Dorfschulen zu erhalten, sondern das Angebot für unsere jungen Menschen in diesem Segment der Schule zu verbessern. Qualität und Gerechtigkeit, und dann kommt die Frage: Wie schaffen wir das auch in der Fläche draußen?

Ich bedanke mich ganz herzlich dafür, dass Sie heute dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht haben; denn das dient auch dazu, dass wir einige Missverständnisse ausräumen können, die sich mit der Zeit offensichtlich eingeschlichen haben. Frau Gottstein, ich bedanke mich für das Mitdenken. Es hat gezeigt, dass einiges davon, was wir als gemeinsames Ziel haben, von unterschiedlicher Seite aus betrachtet wird, dass wir eine individuelle Förderung schaffen und die Kinder zu einem Abschluss bringen wollen, dass sie gut qualifiziert einen Lehrberuf machen können. Das ist unser gemeinsames Ziel. Wenn ich mir aber die Konzeption der Verbünde anschaue, so - das habe ich Ihren Pressemitteilungen und einigen Redebeiträgen entnommen - stört es Sie ganz besonders, dass das mit zu viel Tourismus von Kindern, die in verschiedene Schulen gefahren werden müssen, verbunden sei. Den Hauptgrund sehen Sie in der aus Ihrer Sicht unnötigen Differenzierung bei der Berufsorientierung. An dieser Stelle darf ich sagen, ich glaube schon daran, dass wir mit diesen dreizweigigen Angeboten, die sich auch direkt in den Berufsschulen abbilden, den jungen Menschen helfen, den richtigen Beruf zu finden.

(Hubert Aiwanger (FW): Erschwert die Klassenbildung!)

- Ja, natürlich. Darauf komme ich gleich zu sprechen.

Die Begründung lautet: Die Erfahrungen in der Hauptschulinitiative zeigen, dass es ein guter Weg ist, jungen Menschen eine Klarheit darüber zu geben, für welchen Bereich sie geeignet sind, wo sie sich beruflich gut orientieren können. Diese Sache wollen wir flächendeckend realisieren.

Jetzt stellt sich die Frage, wo wir das machen. Ihr Beispiel, in Dorf A den einen Zweig, in Dorf B den anderen Zweig und im dritten Dorf den dritten Zweig, ist etwas, was Sie sich so zusammengereimt haben aufgrund der Hochglanzinformationen, die Sie bisher bekommen haben.

(Hubert Aiwanger (FW): Jetzt erklären Sie uns mal, wie es wirklich ist!)

Jetzt schauen wir einmal, worüber wir reden: Wir reden von vier Stunden in den Klassenstufen 8 und 9. Wir reden also nicht davon, dass die Kinder in andere Schulen gehen müssen außer in diesen vier Stunden,

(Hubert Aiwanger (FW): Das ist schlimm genug!)

wenn diese Angebote an drei verschiedenen Schulen angeboten werden.

Natürlich gibt es Möglichkeiten, das an einer Schule zu machen. Sie gehen von der Mindestgröße aus, einer einzügigen Schule. Wenn als Beispiel an einer zweizügigen Schule in den Klassen acht und neun jeweils 20 Kinder sitzen, dann kann man das für diese vier Stunden einmal in der Woche wunderbar differenzieren in zweimal 13 und einmal 14.

(Zuruf von den Freien Wählern)

- Ich bin noch nicht fertig. Wenn Sie das sogar auf einzügige Schulen herunterbrechen, dann ist es im Einzelfall schulorganisatorisch tatsächlich möglich, alle drei Zweige in einer einzügigen Schule anzubieten. Ich kann Ihnen ein paar Beispiele dafür nennen, wo man das heute schon so macht.

Jetzt kommt natürlich die richtige Frage: wozu dann den Schulverbund? Die Mittelschule besteht nicht nur aus berufsorientierenden Zweigen, sondern sie hat auch einige andere Qualitätsmerkmale, die sie von der bisherigen Hauptschule unterscheidet. Die Modularisierung hat nichts mit Herumfahren zu tun. Berufsorientierende Zweige auch nicht. Auch der Verbund mit der Wirtschaft, also mit Berufsschulen, mit Betrieben draußen, auch das hat nichts mit Tourismus zu tun.

(Hubert Aiwanger (FW): Warum fahren Sie dann?)

Aber für die Qualität des Angebots der Mittelschule ist es unserer Meinung nach notwendig, in der heutigen

Zeit den Menschen den Zugang zu einem Ganztagesangebot zu ermöglichen. Ich bin außerdem der Meinung, dass es notwendig ist, den jungen Leuten an dieser Schule die Möglichkeit zu geben, einen mittleren Abschluss zu machen. Ein M-Zweig und ein Ganztagsangebot sind aber an einer einzelnen kleinen einzügigen Schule nicht zu machen.

(Hubert Aiwanger (FW): Drum fahren wir spazieren!)

Aus diesem Grund sage ich: Ein Schulverbund im Sinne einer guten Kooperation zwischen Schulen ist möglich, so wie es das jetzt schon an vielen Schulen gibt, die gemeinsam einen M-Zug betreiben. Es ist einfach nicht wahr, dass es so etwas nicht geben könnte. Wenn an dieser Mittelschule die Schüler auch noch ein Ganztagsangebot bekommen, dann ist für diese Mittelschule eigentlich schon alles beieinander. Dann haben wir die Berufsorientierung, die Modularisierung und die Verquickung mit der Wirtschaft. Damit ist von dem, was Sie hauptsächlich dazu veranlasst, von einem Wanderzirkus zu sprechen, nichts mehr übrig.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle sind wir nicht weit auseinander. Der Weg, über die Dialogforen eine solche Kooperation systematisch anzuregen und es nicht dem Zufall zu überlassen, ob Bürgermeister miteinander können oder nicht, ist etwas, was wir vorhaben und was sich in den Pilotlandkreisen als ganz effektiv erweist.

Unser gemeinsames Ziel, ein differenziertes, ein begabungs-, aber auch ein interessenentsprechendes Angebot zu machen, scheint mir in dieser attraktiven Schule Mittelschule machbar zu sein,

(Hubert Aiwanger (FW): Nein!)

und es scheint mir in diesem Konstrukt ohne übermäßige Fahrtaufwände auch in der Fläche haltbar zu sein.

(Hubert Aiwanger (FW): Das ist nicht organisierbar!)

Der entscheidende Punkt ist: Wenn diese Schule als attraktives Angebot in den Köpfen der Menschen, der Schüler und der Eltern, verankert ist und wenn dieses Angebot in dieser Konstruktion auch noch mittel- bis längerfristig in der Fläche existent bleibt, dann ist das etwas, was die Menschen dazu bringt, diese Schule wieder zu akzeptieren und als gleichwertige, aber halt andersartige Kernschulart genauso zu nutzen, wie wir das vor einigen Jahren noch selbstverständlich getan haben.

(Beifall bei der CSU - Hubert Aiwanger (FW): Das ist zu kompliziert! Da braucht jeder seinen Privatchauffeur!)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.