blem der Bildungspolitik in Bayern ist die Frage, wie wir die Schulstandorte und das hochwertige Bildungsangebot für die Kinder in Bayern erhalten können. Wir alle, die wir hier in diesem Raum sitzen, haben diese Hausaufgabe zu lösen. Diese Hausaufgabe sollten wir jetzt angehen. Wir sollten ehrlich sagen, dass die Lösung dieses Problems schwierig aber machbar ist. Die Lösung ist schwierig, weil das Problem noch nicht vor unserer Türe liegt, sondern noch etwas weiter weg ist. Machbar ist diese Lösung, weil uns andere bereits gezeigt haben, wie es geht. Machen wir uns an die Arbeit, dann wird etwas daraus. Dann werden wir wohnortnahe Schulen für unsere Kinder erhalten.
Herr Kollege, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Ländner. Als Polizeibeamter sollten Sie eigentlich schon hier vorne stehen, Herr Ländner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich habe natürlich zuerst auf die Aufforderung des Präsidenten gewartet. Ich habe gedacht, das gebiete die Höflichkeit.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Über das Thema "Leiser Abschied von der Hauptschule?" kann man trefflich streiten. Diese Überschrift kann eigentlich nicht stehen bleiben, wenn man die Ausführungen des Herrn Kollegen Güll und der Frau Kollegin Gottstein gehört hat. Ich freue mich, dass Sie sich am Ende Ihrer Ausführungen darauf eingelassen haben, der Hauptschule wieder eine Chance zu geben. Gerade in den letzten Jahren war leider immer wieder zu hören, dass die Kinder, die die Hauptschule besuchen, irgendwie von der Gesellschaft ausgeschlossen würden. Da waren Worte wie "Selektion" zu hören.
Es war schlimm, dass sich Eltern, die für ihre Kinder den Weg der Hauptschule gewählt und die Hauptschule als richtige Schule für ihre Kinder erkannt haben, sich dadurch ausgegrenzt gefühlt haben. Ich war erschrocken, als zu Beginn des Schuljahres diese verächtlich machenden Aussagen, insbesondere von einem Verband, wieder getroffen worden sind. Das hat mich wirklich schockiert; denn ein Drittel unserer Kinder besucht nach wie vor die Hauptschule. Für ein Drittel unserer Kinder bietet diese Hauptschule das richtige Angebot. Wir als Politiker sind aufgerufen, ein Angebot zu schaffen, das diesen Kindern gerecht wird.
Die Themenstellung "Stärkung der Hauptschule" ist absolut falsch; denn die Hauptschule lebt; und sie lebt intensiv. Das kann jeder feststellen, der die Hauptschu
len besucht. Die Hauptschule ist nach wie vor wichtig. Uns würde es gut zu Gesicht stehen, in unserem dreibzw. viergliedrigen Schulsystem alle Glieder gleich zu behandeln.
- Herr Kollege Pfaffmann, Sie brauchen hier nicht zu lachen. Gerade von Ihrer Seite werden Hauptschüler, die die fünfte Klasse besuchen, aus politischen Gründen immer wieder als Versager abgestempelt.
Frau Kollegin Gottstein, ich bin Ihnen sehr dankbar für die Feststellung, dass unsere Kinder Individuen sind. Ja, unsere Kinder sind individuelle Persönlichkeiten mit einer Vielzahl von Begabungen und unterschiedlichen Interessen. Ich bin überzeugt, dass jedes Kind stolz sein muss und stolz sein kann, wenn es einen Abschluss erreicht hat, unabhängig davon, ob dies ein Abschluss an der Hauptschule, ein M-10-Abschluss, ein Mittelschulabschluss, ein Realschulabschluss oder ein gymnasialer Abschluss ist. Wir dürfen uns in unserer Gesellschaft nicht länger angewöhnen, Eltern, Kinder, Lehrer und Bürgermeister mit einer Diskussion zu verunsichern, die meiner Meinung nach in den letzten Jahren falsch geführt worden ist. Wir haben mit unserer Reform sehr viele Möglichkeiten geschaffen. Frau Kollegin Gottstein, vieles von dem, was Sie richtigerweise gefordert haben, kann im jetzigen System realisiert werden. Wir werden das auch tun.
Ich sehe zwei Punkte, die wichtig sind: Der eine Punkt ist: Die Verantwortung nach unten geben. Die Verantwortung muss dort sein, wo die Kenntnis der Standorte, der regionalen Besonderheiten gegeben ist, wo sich die Landräte und Bürgermeister um ihre Standorte sorgen. Der zweite Punkt ist ebenso wichtig. Man muss die Verantwortung nach unten geben, damit sich die Schulfamilie einbringen kann. Unsere Schulfamilie leidet schon sehr lange darunter zu glauben, sie hätte nichts zu sagen. Wir sollten die Dialogforen wirklich nutzen, um die Verantwortung einzufordern, um die Substanz, die in unseren Lehrerinnen und Lehrern, aber auch in unserer Schulverwaltung vor Ort gegeben ist, einzubringen.
- Das sind überhaupt keine Scheindiskussionen, Herr Aiwanger! Wir machen uns ernsthaft Gedanken darüber, wie wir einem Drittel unserer Kinder in unserem Land gerecht werden.
- Wenn Sie das glauben, dann sagen Sie das den Eltern und den Kindern. Die Wahl, die wir uns vorstellen, ist nicht zwischen Erhängen und Erschießen. Wir bieten diesen Kindern einen Weg an, auf den sie stolz sein können. Wie bieten diesen Kindern an, einen Platz in ihrem Leben zu finden. Wir sagen: Ihr könnt als aufrechte Bürgerinnen und Bürger euren Platz in unserer Gesellschaft einnehmen. Ihr werdet nicht dadurch stigmatisiert, dass Ihr die Hauptschule besucht habt. - Das ist eine Botschaft, die wir rüberbringen müssen und die dann in der Bevölkerung auch akzeptiert wird.
Ich habe noch sechs Sekunden Redezeit. Wir brauchen Akzeptanz, wir wollen die Schule vor Ort gestalten. Die Hauptschule, wie sie beschrieben wurde, ist möglich. Lassen wir uns auf den Dialog ein. Hören wir auf, ein Drittel unserer Kinder, ein Drittel unserer Schulfamilie schlecht zu reden. Nehmen wir sie alle auf, damit sie einen Platz im Leben finden.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Zwischenintervention von Herrn Ländner hat nichts dazu beigetragen, die Hauptschule gesund zu beten. Der Abschied von der Hauptschule ist ein Abschied in den Tod.
Herr Güll hat bereits darauf hingewiesen, dass in den letzten 20 Jahren 700 Hauptschulen geschlossen worden sind. Schulen, die geschlossen werden, an denen das Türschild abmontiert wird, die in der Statistik des Kultusministeriums nicht mehr auftauchen und die als Teilhauptschule sogar aus dem Erziehungs- und Unterrichtsgesetz gestrichen werden, die sind tot. Da brauchen wir nicht drumherum zu reden.
Die Prognosen sind deutlich. Bis zum Jahr 2020 werden noch einmal 150.000 Schülerinnen und Schüler weniger an den Hautschulen sein als heute. Das Kultusministerium geht aber nach wie vor von den gleichen
Übertrittsquoten aus. Wir wissen jedoch, die Übertrittsquoten verändern sich jedes Jahr. In diesem Jahr sind über 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler an die Gymnasien gegangen. Die Entwicklung wird also von den Hauptschulen weggehen. Die Hauptschulen sterben trotz der guten Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, sie sterben trotz guter pädagogischer Konzepte, sie sterben, obwohl passable, sogar gute Absolventen von diesen Schulen kommen. Die Hauptschulen sterben, denn sie sind Teil eines Schulsystems, das sich in Schieflage befindet. Die Hauptschule befindet sich genau an der Kante, wo die Sache schief ist.
Die Ursachen sind das Bildungsverhalten, die Abstimmung mit den Füßen gegen die Hauptschulen und die demographische Entwicklung. Sie als Staatsregierung haben darüber hinaus an zwei Hebeln gedreht, um die Hauptschule zusätzlich zu schwächen. Sie haben das Übertrittsverfahren so geändert, dass noch mehr Kinder an die Realschulen und an die Gymnasien gehen werden und nur wenige an die Hauptschulen.
Sie sprechen jetzt von einem mittleren Abschluss an den Hauptschulen. Machen wir uns nichts vor, liebe Frau Gottstein, es wird ein mittlerer Abschluss zweiter oder dritter Klasse sein. Auch wenn Sie sagen, das ist ein Abschluss, der genauso gut ist wie der Realschulabschluss. Dieser Abschluss wird keine Wirkung haben, er wird keinen Menschen hinter dem Ofen hervorlocken.
Sie wollen die Hauptschule retten und geben ihr einen neuen Namen. Das ist eine interessante Strategie.
Sie wollen eine Mittelsschule. Sie sagen, Sie führen Neues ein. Das meiste, von dem, was Sie als neu bezeichnen, ist aber nicht neu. Den Praxisbezug gibt es schon, die Berufsorientierung gibt es schon und ebenso die Zusammenarbeit mit den Berufsschulen. Es gab auch schon den Ansatz zu einer Modularisierung und die "Initiative Hauptschulen". Das alles ist im Sand verlaufen, weil die Unterstützung und Förderung für die Hauptschulen gefehlt hat.
Ich bin nicht im Ausschuss für Fragen des öffentlichen Dienstes. Aber wenn Sie sagen, die Hauptschule sei gleichwertig und werde genauso gut behandelt wie an
dere Schulen, dann sollten Sie sich schon einmal überlegen, warum gerade die Hauptschullehrer am meisten arbeiten und doch am wenigsten verdienen. Hat das etwas mit Gleichwertigkeit zu tun?
Nun machen Sie wieder eine äußere Differenzierung in dieser Mittelschule. Deshalb brauchen Sie eine bestimmte Größe für die Schule und deshalb schaffen Sie Schulverbünde. Der Minister spricht von einer "intelligenten Vernetzung von Schulen". Wir würden uns bedanken, wenn er uns eine dumme Vernetzung von Schulen vorschlagen würde. Ich finde aber, und das werden Sie sehr bald sehen, in der Praxis wird diese "intelligente Vernetzung" den Intelligenztest nicht bestehen, denn in der Praxis wird das Konzept nicht funktionieren.
Stellen wir uns folgende Situation vor: Drei Hauptschulen vernetzen sich zu einer Mittelschule. Es sind drei Schulen, die im Umkreis von 30 Kilometern liegen und die unterschiedlich groß sind, sagen wir eine große und zwei kleine Schulen. Das wird dazu führen, wenn die Schulen ihre Zweige machen, dass die Schüler von der großen Schule an die kleinen fahren und von einer kleinen Schule an eine der beiden anderen Schulen. Es wird also einen Schülertourismus im ländlichen Raum geben. Dazu sage ich nur: Viel Spaß! - Es wird dann einen Schulleiter an dieser Mittelschule geben, der Chef der beiden anderen Schulleiter ist, quasi eine Art Oberschulleiter. Er wird irgendwann entscheiden, ob es wirklich sinnvoll ist, einen großen Teil der Schüler von der großen Schule an die kleinen Schulen zu fahren oder Stunden auszugeben, selbst dann, wenn da nur noch 16 Schüler sind. Irgendwann wird man dazu sagen, diese Schulstandorte dort draußen machen wir zu. Das ist der leise Abschied von der Hauptschule, das ist der Tod der Hauptschule. Die Dialogforen sind dabei die Sterbebegleiter, das sage ich Ihnen.
Die Staatsregierung hat das klug gemacht, sie ist gut heraus. Sie ist nicht der aktive Sterbehelfer, sie lässt das die Dialogforen machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Dialogforen sind eigentlich ein richtiger Ansatz. Schulentwicklung von unten, das haben wir immer gefordert und das ist richtig. Die Dialogforen müssen aber soviel Platz und Raum bekommen, dass sie neue Modelle entwickeln können. Sie müssen neue Arten von Schulen zulassen. Sie dürfen die Leitplanken nicht so eng machen, dass es nur eine Richtung gibt.
Sie müssen die Schullandschaft auch insgesamt ansehen und die anderen Schularten einbeziehen. Sie müssen Schulformen zulassen, bei denen längeres gemeinsames Lernen möglich ist und eine innere Differenzierung.