Protokoll der Sitzung vom 11.11.2009

(Widerspruch bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich füge als einer der Jüngeren hier im Hause hinzu:

(Alexander König (CSU): Haben Sie auch eigene Vorschläge?)

Mich stimmt es nachdenklich, wenn politisches Handeln nur im Hier und Jetzt verankert ist, wenn ohne Rücksicht auf das Morgen und das Übermorgen Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für die nächsten Jahrzehnte der kurzfristigen politischen Rendite wegen getroffen werden; denn klar ist: Die Steuergeschenke von heute sind die Steuermehrbelastungen von morgen.

Die Steuergeschenke für finanzstarke Unternehmer und Besserverdienende werden von den Schwachen und den Armen, auch hier in Bayern, bezahlt.

(Beifall bei der SPD)

Das wird der Fall sein, Herr Ministerpräsident, wenn der eiserne Sparkurs Realität wird, den Sie hier heute noch einmal angekündigt haben, nachdem Sie das bereits in der vergangenen Woche dem "Münchner Merkur" erzählt haben. Klar ist: Die Menschen in Bayern werden die schwarz-gelbe Steuerpolitik in allen öffentlichen Bereichen zu spüren bekommen. Die Sanierung von Toiletten, Werkräumen und Turnhallen an bayerischen Schulen wird auf sich warten lassen. Mehr Polizisten auf Bayerns Straßen für mehr Sicherheit bleiben ein Wunschtraum. Die versprochene 40-Stunden-Woche für Beamte - woher soll dafür eigentlich das Geld kommen? Woher kommt das Geld für eine bessere Ausstattung der Hochschulen, die wir uns wünschen würden? Für die Justiz hatten Sie nicht einmal Geld, als es noch da war.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Wo Sie die Einsparungen vornehmen wollen, Herr Ministerpräsident, haben Sie uns heute verschwiegen. Kein Wort dazu.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Weil er feige ist!)

Sie sprechen von einem eisernen Sparkurs, aber kein Wort dazu, ob es Einschnitte im Sozialhaushalt geben wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Koalitionsvertrag hat keine große Leitüberschrift und keinen roten Faden, allenfalls rote Zahlen. Die Autoren waren vor allem mit Tricksen, Tarnen und Täuschen beschäftigt, mit dem Verschleiern von Ungereimtheiten und Schattenhaushalten. Probleme werden in unzähligen Prüf- und Evaluierungskommissionen auf die lange Bank geschoben: die Systemfrage in der Gesundheit, die Betreuungsorganisation von Langzeitarbeitslosen.

Doch Ihre Vernebelungsstrategien werden nichts nützen; denn sehr schnell werden die Menschen merken, "mehr Netto für alle" findet nicht statt. Der überwiegende Teil der Bürgerinnen und Bürger wird von den vermeintlichen Erleichterungen nichts spüren. Ein Drittel der Beschäftigten hat von den Steuersenkungen nichts; denn ein Drittel zahlt wegen des niedrigen Bruttoverdienstes ohnehin keine Steuern. Höhere Sozialversicherungsbeiträge sind programmiert. Der Arbeitgeberbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung wird eingefroren. Die Beschäftigten zahlen also alle künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen für den medizinisch-technischen Fortschritt selbst. Der Aufbau einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung geht voll zulasten der Beschäftigten. Das bedeutet am Ende nicht mehr, sondern weniger Netto.

(Beifall bei der SPD)

Der Einstieg in die Kopfprämie ist der Anfang vom Ende der Solidarität im Gesundheitswesen.

(Beifall bei der SPD)

Der Vorstandsvorsitzende - und das ist das, was Sie wollen - zahlt dann genauso viel wie die Sekretärin. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird damit aufgekündigt. Die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken und die Stärkeren für die Schwachen, dieses System soll ersetzt werden - das ist Ihr Ziel - durch das Prinzip: Jeder ist für sich selbst verantwortlich.

(Zuruf von der CSU: Wer sagt das?)

Im Koalitionsvertrag findet sich kein einziger Absatz zur wirksamen Armutsbekämpfung. Es steht zu befürchten, dass die Schere zwischen Arm und Reich gerade in Bayern weiter auseinandergehen wird.

(Beifall bei der SPD)

Die von den Sozialdemokraten erkämpften Mindestlöhne stehen auf dem Prüfstand. Sie sollen bis Oktober 2011 evaluiert werden. Es besteht die Gefahr, dass weitere Lohnuntergrenzen, wie wir sie beispielsweise in der Leiharbeit bräuchten, überhaupt nicht zustande kommen und dass sogar bestehende Mindestlöhne zurückgenommen werden. Ihre Antwort, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CSU und FDP, auf die prekäre Beschäftigung lautet: Wir erhöhen die Verunsicherung der Menschen. Immer mehr Menschen haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. 42% der Erwerbstätigen geben in der jüngsten Umfrage des ARD-Deutschlandtrends an, sich Sorgen um ihren Job zu machen - ein neuer Höchstwert seit Beginn der Wirtschaftskrise. Ihre Antwort darauf: die Ausweitung von Minijobs und Leiharbeit sowie die Verlängerung der Befristungsschleife bei Arbeitsverhältnissen. Das angekündigte Verbot sittenwidriger Löhne bedeutet ganz konkret, dass Stundenlöhne von vier Euro akzeptiert werden. Meine Damen und Herren, es wird deutlich: Wenn es darum geht, Menschen in Notlagen zu helfen, hat die Koalition keine Antwort.

(Beifall bei der SPD)

Weil Sie das Thema angesprochen haben, Herr Ministerpräsident, sage ich ausdrücklich: Wir begrüßen, dass das Schonvermögen für Altersrückstellungen beim Arbeitslosengeld II auf 750 Euro pro Lebensjahr angehoben wird, auch wenn dies nur einer sehr kleinen Bevölkerungsgruppe zugute kommt und den Verdacht der Symbolpolitik nahelegt. Es ist aber schon ein gewisses Maß an Heuchelei - ich wollte heute eigentlich brav sein -; denn Sie wissen doch, dass es der sozialdemokratische Arbeitsminister Olaf Scholz war, der noch im Sommer gesagt hat, wir wollen auf das Schonvermögen verzichten. Damals hat die CSU gemeinsam mit der CDU gesagt, nein, da machen wir nicht mit. Wenn Sie uns das jetzt vorhalten wollen, ist dies nichts anderes als Heuchelei, aber wir begrüßen, dass Sie Ihre Position verändert haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen, es wäre besser gewesen, wenn Sie den Hartz-IV-Regelsatz auf das Niveau, das die Wohlfahrtsverbände vorgeschlagen haben, erhöht hätten. Dass Sie hierfür noch nicht einmal eine Prüfung vorgesehen haben - und an Prüfungen mangelt es sonst im Koalitionsvertrag nicht -, dass Sie das trotz der Signale des Bundesverfassungsgerichtes nicht vorsehen, zeigt auch, dass Ihnen an der Besserstellung von Hartz-IVEmpfängern in Wahrheit überhaupt nichts gelegen ist.

(Beifall bei der SPD)

So ist auch die geplante Pauschalierung von Miet- und Unterkunftskosten für Arbeitslosengeld-II-Empfänger als eine angekündigte Leistungskürzung zu verstehen.

Klar ist auch, Familien mit Transfereinkommen haben von der angekündigten Kindergelderhöhung von 20 Euro nichts - sie wird nämlich auf die Leistungen angerechnet - und nur Familien mit hohem Einkommen profitieren von der Anhebung des Kinderfreibetrags.

(Beifall bei der SPD)

Kein Wort dazu, auch heute in Ihrer Regierungserklärung nicht, wie Sie die Kinderarmut in Deutschland und in Bayern wirksam bekämpfen wollen. 1,7 Millionen Kinder leben in Deutschland in Hartz-IV-Familien. In der Bundesrepublik landet das Geld, das für Familien und Kinder ausgegeben wird, jedoch nicht bei den Bedürftigen. Zu diesem Ergebnis kommt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Obwohl die Deutschen drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Familienförderung ausgeben, leben mehr Kinder in Armut als in den meisten anderen OECD-Staaten. Die OECD beklagt vor diesem Hintergrund auch die Effekte des geplanten Betreuungsgeldes als - ich zitiere - desaströs. Ich teile diese Auffassung. Das Geld wäre besser in Kinderkrippen investiert als in den Konsum von Familien, ganz gleich ob man damit den Konsum von Dosenbier oder den von biologischen Feinkostartikeln meint.

(Beifall bei der SPD)

Der Ausbau von Kinderkrippen hilft Alleinerziehenden, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Er gibt Kindern Chancen, die es von Haus aus schwerer haben.

Schein und Sein - das wird in allen Teilen des Koalitionsvertrages sichtbar, und auch in Ihrer Regierungserklärung ist das heute erkennbar geworden. Das gilt auch für den Bereich der Bildung. Sie definieren ein ambitioniertes Ziel, nämlich dass zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung auszugeben seien. - Wunderbar. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung müssten Bund und Länder hierfür rund 32,3 Milliarden Euro zusätzlich investieren. Doch die Länderfinanzminister - so liest man jetzt sehen überhaupt keinen Handlungsbedarf; denn das Zehn-Prozent-Ziel ist bereits erreicht, wie es heißt. Das ist nur eine Frage der Berechnung. Kurzerhand werden in die zehn Prozent fachfremde Leistungen wie zum Beispiel das Kindergeld oder Pensionen für Lehrer und Professoren mit eingerechnet. Meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als ein dreister Etikettenschwindel.

(Beifall bei der SPD)

Oder um es auf den Punkt zu bringen: Wer Ruhestandsgelder für auf Gran Canaria urlaubende Lehrerinnen als Bildungsinvestition in die Zukunft unserer Kinder vermarktet, der verkauft die Menschen schlicht für dumm.

(Beifall bei der SPD)

Eine Nebelkerze sind auch Ihre Ausführungen, Herr Ministerpräsident, was den zügigen Ausbau der Ganztagsschulen in Bayern angeht. Sie stellen nicht ausreichend pädagogisches Personal bereit und halten die Ausbauquote niedrig. Bayern ist nach dem Bildungsmonitor 2009 der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bei der ganztägigen Bildung und Betreuung Schlusslicht unter allen deutschen Ländern. Bei den Ganztagsschulen im Bereich der Grundschulen landet Bayern auf dem vorletzten Platz. Ganztagsbetrieb gibt es lediglich an 150 von 2300 Grundschulen in Bayern. Das entspricht einer Quote von 6,5%.

(Harald Güller (SPD): Ein Armutszeugnis!)

Die gebundenen Ganztagszüge an Gymnasien und Realschulen lassen weiter auf sich warten. Es bleibt bei zehn von 320 Realschulen und zwölf von 400 Gymnasien mit einer gebundenen Ganztagsklasse.

(Harald Güller (SPD): Das ist eine Leistung!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von CSU und FDP, Sie finden auf die Probleme der Bildung auch in diesem Koalitionsvertrag keine Antwort.

(Beifall bei der SPD)

Gerade in der Bildung liest sich Ihr Koalitionsvertrag wie ein großer Gemischtwarenkatalog: Unterrichtsgarantie, Hochbegabtenförderung, Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern - alles besser und viel mehr davon, doch alle wissen: Die Lieferung bleibt aus. Schwarz-Gelb setzt auf privates Bildungssparen und Stipendienprogramme. Wir brauchen jedoch ein starkes BAföG und die gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule. Wir brauchen die Beseitigung der Bildungsbarrieren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben die Folgen der Wirtschaftskrise für Deutschland beschrieben. Ich darf die Folgen für Bayern ergänzen. Das Wirtschaftswachstum brach in Bayern im ersten Halbjahr 2009 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum massiv ein und lag bei minus 6,6 %. Nur in Baden-Württemberg, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz fiel der Rückgang noch massiver aus. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosig

keit in Bayern ist in Zeiten der Krise stärker als in anderen Bundesländern angewachsen. Im Oktober 2009 gab es in Bayern fast 298.000 Arbeitslose. Das sind knapp 26 % mehr als im Vorjahr. Nur in BadenWürttemberg fiel der Anstieg der Arbeitslosenzahlen noch höher aus.

(Markus Blume (CSU): Das ist doch unseriös!)

Eine dritte Zahl: Wir haben in Bayern im ersten Halbjahr des Jahres 2009 mehr Unternehmensinsolvenzen zu verzeichnen. Der Anstieg beläuft sich auf 19,6 %.

(Alexander König (CSU): Ein Meister des Schlechtredens!)

Das Jahr 2009 ist also in der Tat ein schwieriges Jahr für Bayern. Wir wissen, dass der Ministerpräsident in seiner Doppelfunktion auch noch die Aufgabe hatte, für die CSU zwei schwierige Wahlkämpfe zu meistern, nämlich bei der Europawahl und der Bundestagswahl. Wir hätten aber in diesem Jahr auch eine kraftvolle politische Führung gebraucht.