Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Diese Anträge beraten wir gemeinsam. Die gemeinsame Aussprache wird von Frau Kollegin Dittmar eröffnet. Bitte sehr, Frau Kollegin Dittmar.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Nach den Medienberichten in der vergangenen Woche über den Einsatz von Enzymen, mit deren Hilfe rohe Fleischstücke zu Rohschinken - ich sage jetzt einmal ganz plastisch - zusammengeklebt wurden, ist die Verunsicherung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern groß. Ich spreche hier nicht von einem erneuten Fleisch- oder Lebensmittelskandal oder gar von illegalen Verfahren; denn die Rechtslage ist in solchen Fällen in Deutschland leider nicht ganz eindeutig. Bei uns ist es nämlich durchaus möglich, Fleisch mittels eines solchen Verfahrens zusammenzukleben, ohne es entsprechend kennzeichnen zu müssen. Im Deutschen Lebensmittelbuch, das die Leitsätze für die verschiedenen Produkte enthält, die zum Ausdruck bringen sollen, wie die eigentliche Verkehrsauffassung eines Produktes sei, ist zum Beispiel zum Schinken interessanterweise zu lesen: Muskel und Muskelgruppen, die aus dem Zusammenhang

gelöst worden sind und auch isoliert als Schinken verkehrsfähig wären, können ohne besonderen Hinweis zu größeren Schinken zusammengefügt sein.

Ich muss Ihnen aber sagen: Nach Analogkäse, nach Schinkenimitat, nach ESL-Milch ist das für mich die nächste große Verbrauchertäuschung.

(Beifall bei der SPD)

Oberste Maxime im Lebensmittelverkehr sind der gesundheitliche Verbraucherschutz und der Schutz vor Täuschung. Qualität, Transparenz und Sicherheit sind die obersten Ziele. Alle drei Anforderungen werden hier deutlich missachtet. Ein Kunde, der einen Rohschinken kauft, erwartet ein edles Stück Fleisch, ein am Stück gewachsenes Muskelfleisch, nicht aber zusammengeklebte Teilstücke. Die Vermutung liegt doch nahe, dass der Grund für das Verkleben eine kostensparende, preisgünstige Produktion ist. Die Qualität bleibt dabei auf der Strecke. Preiswert ist das deshalb, weil der Einkauf von Teilstücken um die Hälfte billiger ist als der Kauf eines ganzen Schlegels, preiswerter auch deshalb, weil sich Restfleischstücke so mitverwerten lassen. Natürlich muss man auch darüber reden, dass man mit dieser neuen Technologie, die, wenn ich den Lebensmittelchemiker von der Freien Universität Berlin, Professor Hildebrandt, zitieren darf, ganz neue Wege der Produktion aufweist, die bislang nicht einmal in wissenschaftlichen Zeitschriften beschrieben wurden, um neben hochwertigem Muskelfleisch auch minderwertiges Fleisch zu verarbeiten, ohne dass dies sichtbar auffällt. Das muss nicht sein, das kann aber sein.

Nachdem ich mit Fraktionskollegen gesprochen habe, die im Untersuchungsausschuss den Gammelfleischskandal begleitet haben, muss ich sagen: Manchen Produzenten scheint es vor nichts, aber auch vor gar nichts zu grauen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Spätestens hier kommt die Sicherheit des Verbrauchers ins Spiel. Dieses Verfahren wird nämlich dann gesundheitsgefährdend, wenn minderwertiges Fleisch oder auch Fleisch von hygienisch minderwertiger Qualität zum Einsatz kommt. Das Enzym an sich, die Transglutaminase, gibt noch keinen Hinweis auf eine gesundheitsschädigende Wirkung. Allerdings spielt die Transglutaminase bei der Zöliakie, also der Glutenunverträglichkeit, eine zentrale Rolle. In der Fachwelt wird darüber diskutiert, ob eine durch die Nahrung zugeführte Transglutaminase bei Zöliakie-Patienten eine Reaktionsverstärkung oder eine Autoimmunreaktion hervorrufen kann.

Aus diesem Grunde ist in der Schweiz die Verwendung dieses Enzyms vom Bundesamt für Gesundheit zu bewilligen. In der Schweiz ist auch eine Kennzeichnung zwingend vorgeschrieben. In der EU ist das noch nicht der Fall, da die Transglutaminase immer noch als Hilfsstoff und nicht als Zusatzstoff gilt und deshalb nicht kennzeichnungspflichtig ist.

Kollegen und Kolleginnen, ich werde heute nicht über die Kennzeichnungspflicht sprechen, obwohl dieses Beispiel deutlich macht, dass es noch einen sehr großen gesetzlichen Regelungsbedarf gibt. Die Kennzeichnung von Zusatzstoffen, Hilfsstoffen und Allergenen muss noch massiv ausgebaut und verbraucherfreundlicher gestaltet werden. Das ist nach unserer Meinung unbestritten.

Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, heute möchte ich darüber sprechen, dass wir als Verbraucherinnen und Verbraucher diesen zusammengeklebten Schinken schlicht und einfach nicht brauchen. So etwas ist überflüssig.

(Beifall bei der SPD - Dr. Thomas Beyer (SPD): Jawohl!)

Im Einkauf ist ein solcher Klebeschinken für den Endverbraucher nicht preiswerter. Er ist teuer und weist eine mindere Qualität auf. Das gesundheitsgefährdende Potenzial ist nicht einzuschätzen. Im Übrigen: Wir haben gestern eine Geschmacksprobe gemacht. Dieses Produkt kann in keiner Weise mit einem Schinken konkurrieren, der nach guter handwerklicher Tradition hergestellt wurde.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Otto Bertermann (FDP))

- Herr Kollege Dr. Bertermann, Sie durften nicht mitessen. Ich kann Sie aber vielleicht einmal privat einladen.

Das Klebeverfahren ist in diesem Fall keine Innovation, wie das die CSU in ihrem Antrag schreibt. Ein solches Produkt erhöht lediglich den Profit der industriellen Produzenten und bringt kleine mittelständische handwerkliche Metzgereien in Bedrängnis. Wir fordern deshalb die Staatsregierung auf, sich umgehend über eine Bundesratsinitiative dafür einzusetzen, dass das Verkleben von Fleisch mit der Zugabe von Enzymen unzulässig wird. Am Ende soll ein Herstellungs- und Vertriebsverbot für solche Produkte erreicht werden. Wünschenswert wäre es, wenn eine solche Regelung EU-weit erreicht werden könnte.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns mit dieser Forderung in sehr guter Gesellschaft. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert ein solches Verbot. Zu den beiden nachgezogenen Anträgen

des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der CSU und der FDP werden wir uns der Stimme enthalten, da sie uns schlicht und ergreifend nicht weit genug gehen.

(Beifall bei der SPD)

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Stamm. Ihr wird Herr Kollege Pachner folgen.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Das Wort "Transglutaminase" klingt erst einmal ziemlich eklig und problematisch. Das ist es aber nicht. Die Transglutaminase ist einfach ein menschliches Enzym. Im menschlichen Organismus gibt es acht verschiedene Transglutaminasen. Ihre Funktionen sind zum Beispiel die Blutgerinnung oder der Aufbau von Haut und Haar. Vereinfacht gesagt: Transglutaminasen sind biologische Kleber. Genau dazu werden sie verwendet, zum Beispiel im Fleisch, dem so genannten Formfleisch, aber auch in Fischoder Milchprodukten.

Liebe Kollegen und Kolleginnen von der SPD, die Verunsicherung ist groß. Aber das Verbot von Transglutaminasen ist falsch; denn in diesem Fall würden morgen tierisches Eiweiß und übermorgen Algenkohlehydrate verwendet. Außerdem ist dieses Verbot einfach unnötig. Es gibt Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit. Diese Menschen wissen aber ganz genau, was sie vertragen und was nicht. Sie sind bei ihrem Einkauf sensibilisiert. Diese Menschen brauchen kein Verbot, sondern eine klare Kennzeichnung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lieber Herr Kollege Pohl von den Freien Wählern und lieber Herr Kollege Dr. Fischer von der FDP, Sie haben den GRÜNEN und mir bei anderen Verbraucherschutzdebatten vorgeworfen, dass wir die Verbraucherinnen und Verbraucher bevormunden würden. Nein, wir bevormunden sie nicht. Wir wollen eine klare Kennzeichnung und keine Irreführung.

Jetzt zu einem anderen Punkt: Es geht nicht darum, Klebemittel oder Enzyme zu kennzeichnen, es muss auch endlich Schluss damit sein, dass Begriffe verwendet werden, die die Verbraucher täuschen. In diesem Fall lautet der Begriff "Schinken". Wenn ein bisschen Fleisch zusammengepuzzelt wird, ist das meiner Meinung nach kein Schinken mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein Schinken sollte ein schönes gewachsenes Stück Muskelfleisch sein und nicht aus irgendwie zusammengesetzten Stücken bestehen. Teilweise haben diese so

genannten Schinken einen Fleischanteil von 45 %. Also nicht einmal die Hälfte dieses Schinkens besteht aus Fleisch. Das ist kein Schinken. Wichtig ist, dass der Verbraucher, der vor der Kühltheke steht, sofort weiß, was in dem Produkt drin ist, um sich entscheiden zu können, was er kaufen will. Das Motto muss lauten: keine Bevormundung, aber Klarheit und Aufklärung.

In diesem Punkt ist der Gesetzgeber bereits viel weiter als die Umsetzung. Das Bundesgesetz zur Neuordnung des Lebens- und des Futtermittelrechts regelt dies in § 11 Absatz 1 Nummer 1. Bei Kontrollen des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sind im Jahr 2008 32 % der Kochpökelwaren beanstandet worden. Früher lag diese Zahl zwar höher, aber sie ist immer noch sehr hoch. Die Industrie scheint das jedoch nicht zu beeindrucken. Sie nimmt diese hohe Zahl von Beanstandungen einfach in Kauf. Hier müssen zielgerichtetere und klarere Strafen ausgesprochen werden.

Ich fasse zusammen: Wir sagen Nein zum Verbot der Transglutaminase. Ein solches Verbot würde unserer Meinung nach zu kurz greifen. Die bestehenden Regelungen müssen angewendet werden. Außerdem muss klarer deklariert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Stamm, wenn Sie mit Ihrer Rede fertig sind, kommen wir jetzt zu einer Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Dittmar.

Frau Kollegin Stamm, ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, dass unser Antrag nicht auf ein Verbot der Transglutaminase abzielt, sondern auf ein Verbot des Klebeverfahrens bei rohem Fleisch. Zum Kleben können auch Algen verwendet werden. Die Transglutaminase wird schon seit Ewigkeiten im Joghurt und der Wurst verwendet. Das nur zu Ihrem besseren Verständnis.

(Beifall bei der SPD)

Bitte, Frau Kollegin Stamm.

Ich bleibe trotzdem bei meiner Meinung, dass es nur um eine Kennzeichnung gehen kann. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen wissen, was sie kaufen. Ich gebe Ihnen recht, dass es irreführend ist, wenn auf Lachsschinken oder Nussschinken tolle Sachen draufstehen. Der von Ihnen zitierte Professor hat zum Beispiel auch gesagt, dass er dies nicht so schlimm findet; denn manchmal hätten Enzyme auch einen Vorteil. Dieses Ferment könnte zum Bei

spiel bei der sonst so labbrigen Dosenwurst zu einer knackigen Konsistenz führen. Mir schmeckt das nicht, manchen Leuten schmeckt das aber.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Pachner. Anschließend wird Herr Kollege Dr. Herz sprechen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift des Antrags der SPD lautet: "Schutz der Verbraucher vor Klebefleisch - Verbot der Herstellung von Fleisch unter Zugabe von Transglutaminase". Als ich das gelesen habe, wurde mir ein bisschen schwindelig. Ich habe dem Wildfleisch-Untersuchungsausschuss angehört. Dort wurde Vieles untersucht und gesagt, was nicht in Ordnung war. Frau Kollegin Dittmar, Sie haben heute von neuen Technologien gesprochen. Der Pressschinken ist seit zehn Jahren bekannt. Das sind keine neuen Technologien, sondern Innovationen.

Dieses Thema ist dazu angetan, Verwirrung und Unsicherheit bei den Verbrauchern zu schüren. Das wäre das Ergebnis der Forderung eines Verbots der Herstellung von Fleisch unter Zugabe von Transglutaminase. Wenn wir einmal die verwirrenden und martialisch klingenden Begriffe austauschen und statt "Klebefleisch" sagen würden, dass es sich dabei um zusammengesetzte Fleischstücke handle, würde die Sache leichter verständlich. Das gilt auch dann, wenn wir sagen, dass es sich bei der Transglutaminase um ein Enzym handelt. Das klingt nicht gleich wieder so wüst, dass der Verbraucher sofort Angst bekommt.

Das sollte man auch verständlich machen. Es handelt sich immer um Fleisch; das muss ich dazusagen. Man sollte nicht die ganze Fleischwirtschaft über einen Kamm scheren und alles negativ darstellen - das hatten wir lange genug -, sondern man sollte darstellen, dass es sich dabei um Fleischstücke handelt, die aus hervorragenden Schlachtkörpern stammen, die zur menschlichen Ernährung zugelassen sind.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Thomas Beyer (SPD))

Sie haben zuerst gesagt, dass das Enzym Transglutaminase Schwierigkeiten bereite. Sie sollten auch wissen, dass dieses Enzym im Fertigprodukt überhaupt nicht mehr nachweisbar ist. Dann kann es diese Schwierigkeiten also auch nicht geben. Das ist genauso, wie wenn man bei Brühwurst mit Stärke arbeitet.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Sonnenholzner?

Frau Kollegin Sonnenholzner, machen wir das halt zum Schluss, dann komme ich nicht draus. Wissen Sie, ich habe das auswendig gelernt.

(Allgemeine Heiterkeit - Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich glaube, Sie können sich Ihre Frage so lange merken.

(Allgemeine Heiterkeit)

Diese Enzyme sind von der EU zugelassen. Es besteht keine Kennzeichnungspflicht, weil das Enzym im Fertigprodukt einfach nicht mehr nachweisbar ist.