Protokoll der Sitzung vom 14.07.2010

(Beifall bei den GRÜNEN, Abgeordneten der SPD und der Freien Wähler)

Wir haben ein Nebeneinander der Systeme. Wir haben an den Grundschulen die flexible Mittagsbetreuung. Dafür müssen die Kommunen Gebühren verlangen. Nebenan in der Hauptschule, im offenen Ganztagsangebot, dürfen die Kommunen hingegen keine Gebühren verlangen. Wir haben die Horte. Wir haben also ein Nebeneinander von Systemen, und dieses Thema muss zwischen der kommunalen und der Landesebene angegangen werden.

Insgesamt gesehen muss man zu dem Gesetzentwurf sagen: Die Ansprüche "Qualität und Gerechtigkeit" sind gerade im Hinblick auf den ländlichen Raum nicht eingelöst worden. Es handelt sich zwar um ein sehr umfangreiches Gesetz, weshalb ich an dieser Stelle auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kultusministerium für ihre Arbeit danken will, letzten Endes aber ist dieses Gesetz ein Kompendium der vertanen Chancen, der verlorenen Zeit und letztlich Ausdruck der Mutlosigkeit der jetzigen Staatsregierung.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN und Abge- ordneten der SPD)

Für die FDP bitte ich Frau Kollegin Will an das Redepult. Bitte sehr.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Jetzt kommt der größtmögliche Unterschied zur CSU!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Der Weg zu den Gesetzesänderungen, die wir heute in Zweiter Lesung beschließen werden, war, das gebe ich zu, steinig. Im zuständigen Bildungsausschuss haben wir das Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen und das Bayerische Schulfinanzierungsgesetz immer wieder äußerst kontrovers diskutiert.

Das Herzstück des Gesetzes über das Erziehungsund Unterrichtswesen ist die Einführung der neuen bayerischen Mittelschule. Entscheidende Veränderungen sind zudem im Schulfinanzierungsgesetz hinsichtlich der künftigen Finanzierung der privaten Volksschulen geplant. Die Debatten im Ausschuss wurden, das will ich ausdrücklich betonen, sehr emotional geführt, denn meine Damen und Herren, jeder und jede von uns hat beim Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen um den besten Weg für die Zukunft unserer Hauptschulen gerungen - und das ist gut so. Wir brauchen für unsere Hauptschülerinnen und Hauptschüler die besten Bildungschancen. In dieser Frage sind wir uns alle einig. Es ist deshalb wenig hilfreich, Herr Gehring, wenn wir von "Totengräbern der Hauptschule" reden, wenn wir um ein Gesetz ringen, wie ich gerade gesagt habe, bei dessen Beratung wir uns im Bildungsausschuss wirklich nichts genommen haben. Wenn Sie heute sagen, Sie können diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, dann ist das Ihr gutes Recht. Vom "Totengräber der Hauptschule zu sprechen" ist aber unfair und unsauber. Das hilft den vielen Hauptschülerinnen und Hauptschülern nicht.

(Beifall bei der FDP und der CSU - Zuruf der Ab- geordneten Ulrike Gote (GRÜNE) - Unruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich kann mich hier auch emotional aufregen. Das Ringen um das Beste muss das Ziel sein.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Jeder hier im Saal weiß, wie es um die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt bestellt ist. Die Wirtschaft führt regelmäßig Klage: Knapp 20 % der Absolventen der Hauptschulen seien teilweise

nicht ausbildungsreif, sie könnten nicht genug lesen, schreiben und rechnen. Des Weiteren fehle es an sozialer Kompetenz. Das ist doch dramatisch. Da müssen wir Abhilfe schaffen.

(Zuruf der Abgeordneten Claudia Stamm (GRÜ- NE))

Diese Sachlage gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Den Hauptschülern wird oft unterstellt, sie hätten kein Interesse an Bildung. Das ist eine weitere Unterstellung, die ich für nicht zutreffend halte. Richtig ist vielmehr: Wir müssen die Schülerinnen und Schüler an den Hauptschulen so fördern, dass es ihnen gelingt, mögliche Startschwierigkeiten zu überwinden. Das Ziel muss sein, dass möglichst alle den berufsqualifizierenden Abschluss erwerben können.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Und das geht dann mit der Mittelschule?)

Keiner darf die Schule künftig ohne Abschluss verlassen. Das muss unser wichtigstes Ziel sein. Wir müssen den jungen Menschen den Weg zum mittleren Schulabschluss auf dem Niveau der mittleren Reife der Realschulen eröffnen. Das kann nur mit Hilfe zusätzlicher Förderung gelingen. An der neuen Mittelschule wird es deshalb zusätzliche Stunden in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch ab der fünften Klasse geben. Dank dieser Förderstunden wird es den Hauptschulabsolventen möglich sein, die Kriterien der Kultusministerkonferenz für den mittleren Schulabschluss zu erreichen. Immerhin besuchen im aktuellen Schuljahr 231.000 Schüler eine der 979 Hauptschulen. Man kann deshalb wahrlich nicht behaupten, es handle sich um einen Rest, wie oft behauptet wird. Diese jungen Menschen sind kein Rest. Das müssen Sie endlich zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Mit derartigen Äußerungen diskreditieren Sie Hauptschülerinnen und Hauptschüler und deren Leistungen.

(Claudia Stamm (GRÜNE): Das ist doch widersprüchlich, was Sie hier ausführen! Das haben Sie doch vorhin selbst erzählt!)

Diese jungen Menschen haben wie die Schülerinnen und Schüler anderer Schularten ein Recht auf die beste Förderung.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Was hat das mit der Mittelschule zu tun?)

- Das hat etwas mit der Mittelschule zu tun. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, meine Damen und Herren. Wir müssen dafür sorgen, dass

die Hauptschulen gleichzeitig für die demografischen Herausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Viele Schulen auf dem Land, darauf hat Herr Güll bereits hingewiesen, sind für das Überleben zu klein. Mit 200 Schülerinnen und Schülern an einem Standort ist auf Dauer kein attraktives Angebot möglich. Schließlich geht es darum, die Schüler mit optimalen Förder- und Wahlfachangeboten bestmöglich auf den Einstieg in das Berufsleben vorzubereiten. Das Kultusministerium hat deshalb die neue bayerische Mittelschule ins Leben gerufen. Hauptschulen mehrerer Gemeinden können künftig auch über die Sprengel- und Landkreisgrenzen hinweg im Verbund zusammenarbeiten. Zudem kann die Klassenmindestgröße von 15 Schülern unterschritten werden. Das ist doch etwas. Oder?

Das ist ein Gewinn. Deshalb nehmen 500 Hauptschulen das Angebot an. Sie werden im September zu 230 Mittelschulverbünden zusammengefasst. Im Schuljahr 2011/12 kommen weitere hinzu, zum Beispiel die Münchener Hauptschulen. Ich bin mir sicher: Im Verbund werden unsere Hauptschulen gestärkt.

Diese Reform ist eine Chance. Sie ist kein Untergangsszenario, werte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Diese Mittelschule ist eine inhaltliche Weiterentwicklung der Hauptschule. Sie ist keineswegs ein Etikettenschwindel.

Ich bin mir sicher: Durch die modulare Förderung aller Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch werden sie bessere Leistungen erreichen. Allerdings gebe ich zu: Um langfristig die Hauptschule tatsächlich zu einer echten Mittelschule aufzuwerten, muss der dort angebotene mittlere Schulabschluss künftig ganz auf dem Niveau der mittleren Reife der Realschule sein. Die verstärkte Berufsorientierung mit den drei Zweigen Wirtschaft, Technik und Soziales ist hierfür absolut der richtungweisende Schritt. Das ist der Weg zur Aufwertung des Profils der Mittelschulen.

(Zuruf von den Freien Wählern: Was wird da ge- macht?)

Natürlich brauchen wir dafür das, was Kollege Eisenreich angesprochen hat. Es ist gut, dass wir die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass es genügend Ganztagsangebote geben wird. Das ist eine mir ganz besonders wichtige Voraussetzung. Deshalb muss es in jedem Verbund ein solches Angebot geben.

Für den Erfolg maßgeblich ist auch, inwieweit die Hauptschülerinnen und -schüler in Wirtschaft und Handwerk als gut ausgebildete Nachwuchskräfte akzeptiert werden. Dies ist ganz wichtig. Damit steht und fällt alles.

Deshalb appelliere ich an die Vertreter von Handwerk und Wirtschaft: Geben Sie den Hauptschülerinnen und -schülern die Chance, die sie verdienen!

Es wäre falsch, wenn wir behaupteten, dass wir alle Hauptschulstandorte auf Dauer sichern könnten. In dieser Hinsicht will sich auch das Kultusministerium nicht festlegen lassen. Ich habe heute der Zeitung entnommen, dass die Dinge nicht sicher sind. Aber wer kann schon eine sichere Prognose für die Zukunft stellen?

Die Schwierigkeiten zeigen sich schon beim Blick auf die künftige Entwicklung der Schülerzahlen. Bis zum Jahr 2020 werden die Hauptschulen fast 80.000 Schülerinnen und Schüler verloren haben. Dies ist neben dem veränderten Bildungsverhalten der Eltern vor allem dem demografischen Wandel geschuldet, also nicht allein der mangelnden Attraktivität der Hauptschule; dies muss man betonen.

Ich sage etwas zum Vergleich. Die Realschulen werden im Jahr 2020 fast 40.000 Schüler weniger besuchen. Diesen Schwund wird hoffentlich keiner von Ihnen auf die mangelnde Akzeptanz der Realschule zurückführen. Das Gegenteil muss der Fall sein. Auch hierfür ist richtigerweise der Rückgang der Geburtenzahl verantwortlich.

Die Zahlen zeigen, dass die aktuelle Mittelschulreform nur für die nächsten Jahre tragfähig sein wird. Sicher bin ich mir auch, dass wir in diesem Hause spätestens ab Mitte des kommenden Jahrzehnts über weitere Reformen debattieren werden, die heute für viele noch ein Tabu sind. Ich spreche von der Kooperation von Haupt- und Realschule, und zwar vor allem in den ländlichen, strukturschwachen Regionen. Sie sind vom demografischen Wandel besonders hart betroffen. Ich bin mir sicher: Ab 2015 drohen Schulschließungen in großem Stil. Wenn wir sie vermeiden wollen, ist die Debatte über die vertiefte Zusammenarbeit dieser beiden Schularten unvermeidlich.

Als Liberale bin ich stolz, dass die FDP mit ihrem Eintritt in die Staatsregierung diese Debatte bereits angestoßen hat. Wir haben durchgesetzt, dass mit dem Kooperationsmodell erstmals die vertiefte Zusammenarbeit von Haupt- und Realschule unter einem Dach erprobt wird. Wir warten jetzt mit Spannung auf die ersten Ergebnisse dieses Modellprojekts. Ich bin mir sicher: Danach werden auch die Skeptiker überzeugt sein, dass die Zusammenarbeit dieser beiden Schularten längst überfällig war.

Ich sage aber auch: Wir wollen keine Schularten fusionieren, sondern den Schulen die Möglichkeit geben, passgenaue Angebote vor Ort zu machen. Passgenau heißt für mich: wohnortnahe Konzepte nach den

Wünschen der Schulfamilie. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Mittelschulreform im Dialog mit der Schulfamilie umgesetzt wurde. Diese Reform wurde nicht von oben übergestülpt. Das ist neu; und das ist gut so. Denn keine Reform kann man gegen den Willen der Menschen umsetzen. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Das ist unser politischer Auftrag. Nur so können wir auf die eben beschriebenen Herausforderungen wirklich zielgerichtet reagieren.

Ich war ein wenig enttäuscht, dass in den Dialogforen oft nur die Mittelschule beworben wurde. Unser Kooperationsmodell wurde hingegen meist verschwiegen. Meine vielen Gespräche mit Eltern haben mich auch darin bestätigt, dass das klassische Schubladendenken mit dem Verteilen der Kinder auf die drei Kästchen Hauptschule, Realschule und Gymnasium passé ist. Eltern von heute wollen Vielfalt und Wahlmöglichkeiten haben, ausgerichtet an der individuellen Situation der Familie und entsprechend den Fähigkeiten ihrer Kinder.

Die privaten Volksschulen haben in diesem System der individuellen Wahlmöglichkeiten einen ganz wichtigen Platz.

(Abgeordneter Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte sie jetzt nicht.

Ich komme jetzt zu einem anderen Part des Schulfinanzierungsgesetzes, nämlich zu den privaten Schulen. Viele Eltern wählen für ihre Kinder beim Schulstart ganz bewusst ein reformpädagogisches Konzept. Unser Ziel ist deshalb, den fairen Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Schulen zu erhalten.

Im Koalitionsvertrag haben CSU und FDP vereinbart, die Privatschulfinanzierung zu vereinfachen, zu verbessern und Transparenz herzustellen. Gerade für die privaten Volksschulen mit staatlicher Genehmigung, meist Montessorischulen, war das bisherige Finanzierungssystem sehr kompliziert. Es musste vereinfacht und verbessert werden.

Historisch bedingt gibt es für die Privatschulen zwei unterschiedliche Fördersysteme. Die privaten Volksschulen erhalten einen staatlichen Kostenersatz für den notwendigen Schul- und Personalaufwand. Das System - Herr Eisenreich hat es vorhin schon angesprochen - ist hoch kompliziert. Es ist bürokratisch und in der Verwaltung sehr aufwendig. Für die Abrechnung des Personalaufwands wurden bisher

neben den Regierungen sogar die Landesämter für Finanzen eingebunden. Wesentlich einfacher ist hingegen die Förderung der privaten Realschulen und Gymnasien einschließlich der freien Waldorfschulen ab der 5. Klasse sowie der beruflichen Schulen. Sie erhalten traditionell Förderleistungen nach schülerbezogenen Pauschalen.

Es ist daher naheliegend, dieses bewährte und unbürokratische System der pauschalierten Förderung auf die privaten Volksschulen zu übertragen. Die geplante Pauschalierung wird übrigens auch von den Montessorischulen für sinnvoll gehalten. Deren Kritik richtete sich vor allem gegen die zu kurzen Übergangsfristen und Karenzzeiten. Ich sage es ganz deutlich: Wir wollen das System angleichen, um Transparenz zu ermöglichen. Wir wollen damit den Montessorischulen nicht das Leben schwermachen oder sie gar plattmachen, weil uns angeblich ihr reformpädagogischer Ansatz nicht passt. Wer das behauptet, redet blanken Unsinn. Die Montessorischulen sind ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Bildungssystems.

Wegen der Vereinheitlichung der Förderung stimmen wir heute auch über die Änderung des Schulfinanzierungsgesetzes in Zweiter Lesung ab. Ich sage hier ganz ehrlich, dass ich mit dem ursprünglichen Entwurf des Kultusministeriums erhebliche Probleme hatte. Ich hätte diesem Entwurf nicht zustimmen können.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die Montessorischulen wären nämlich durch die anfänglichen Pläne in eine dramatische Schieflage geraten. Es gab nicht hinnehmbare Härten. Wir haben deshalb hart für Nachbesserungen bei den Volksschulen in privater Trägerschaft gekämpft. Die Verhandlungserfolge sind im Wesentlichen dem Einsatz der Abgeordneten der CSU und der FDP zu verdanken. Das ist ein großer Erfolg, den auch der Montessori-Landesverband entsprechend honoriert hat.