Protokoll der Sitzung vom 19.10.2010

(Beifall bei der SPD)

Das Organisieren eines solchen politischen Prozesses, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der CSU, ist aber etwas ganz anderes, als das Thema permanent in Form von Schaufensterinitiativen, Schaufensteranträgen aufzugreifen; denn der politische Prozess zur Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs müsste mit anderen Ländern und mit dem Bund ernsthaft, seriös und vor allem zielführend organisiert werden. Das sehe ich bei Ihren Initiativen im Augenblick noch nicht.

(Beifall bei der SPD)

Wir machen auch deutlich, Herr Kollege Schmid, warum wir Ihrem Antrag vor der Sommerpause nicht zugestimmt haben: weil die Haltung der Staatsregierung in mindestens fünf Punkten und auch die Haltung der Koalitionsfraktionen wirklich fraglich sind.

Erstens, Sie verhalten sich widersprüchlich. Sie stimmen erst zu. Was wir im Augenblick an bundesstaatlichem Finanzausgleich haben, wurde von Ihrer Staatsregierung ab 2005 in Kraft gesetzt. Sie haben das damals noch als Erfolg der CSU gefeiert. Wenige Jahre später ist es kein Erfolg mehr, sondern Sie polemisieren dagegen. Das ist eine absolut widersprüchliche Position, die Sie hier einnehmen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Ihre Position zum Länderfinanzausgleich ist taktisch motiviert. Sie taucht immer wieder dann auf, wenn Probleme im eigenen Land bestehen. Da scheint im Augenblick eine besondere Fülle aufzutauchen,

(Heiterkeit des Abgeordneten Markus Rinderspa- cher (SPD))

weil Sie es besonders intensiv praktizieren, wenn es gerade ins politische Konzept passt. Es ist ein wunderbares Alibi, um landespolitische Defizite wie das fehlende Kindergartenjahr, die Studiengebühren zu entschuldigen sowie den bevorstehenden Kürzungsund Streichhaushalt 2011 und 2012 zu rechtfertigen und um den Skandal, dass wir 10 Milliarden Euro Steuergelder in Bayern aufbringen mussten, um die Fehlentscheidung bei der Landesbank zu finanzieren, zu überdecken und zu rechtfertigen.

(Beifall bei der SPD - Christa Naaß (SPD): Genau! - Weitere Zurufe von der SPD)

Drittens. Es ist eine unehrliche Position. Wir haben am 3. Oktober dieses Jahres 20 Jahre Wiedervereinigung gefeiert. Der hohe Ton der Reden, die dort gehalten wurden, ist berechtigt. Man muss aber deutlich sagen, worum es beim bundesstaatlichen Finanzaus

gleich vor allem geht, nämlich darum, die neuen Bundesländer in die Lage zu versetzen, an der gesamtstaatlichen Entwicklung überhaupt teilzunehmen. Ziel ist die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse auch in den neuen Bundesländern. Wir freuen uns über die Wiedervereinigung, aber das ist die Konsequenz, die wir gemeinsam daraus ziehen müssen,

(Georg Schmid (CSU): Die kriegen doch einen Extraausgleich, Herr Halbleib!)

dass wir die neuen Bundesländer bei dieser Aufgabe weiter unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Es ist eine unklare Position. Wir wissen auch heute noch nicht, was die Position der Staatsregierung und was die Position der sie tragenden Fraktionen ist. Wollen Sie gegen das eigene Ergebnis der Staatsregierung tatsächlich vor dem Bundesverfassungsgericht klagen?

(Christa Naaß (SPD): Ja oder nein?)

Ja oder nein? Dazu haben wir keine Aussage gehört.

(Georg Schmid (CSU): Erst denken, dann handeln!)

Wollen Sie tatsächlich vor 2019 eine Neuregelung auf dem Verhandlungsweg erreichen? Mit welchen Eckpunkten, mit welchen Eckdaten? Das Parlament hätte Interesse, diese Eckdaten und Eckpunkte zu erfahren. Oder arbeiten Sie für die Zeit danach, nach 2019? Es ist völlig unklar, in welche Richtung diese Staatsregierung marschiert. Jedenfalls wissen dieses Parlament und die bayerische Öffentlichkeit über diesen Weg leider noch nichts.

(Markus Rinderspacher (SPD): Es gibt keine Richtung!)

Fünftens. Das was Sie, geschätzter Herr Kollege Schmid, immer wieder vortragen, lässt letztendlich den Respekt davor vermissen, was Föderalismus ausmacht.

(Georg Schmid (CSU): Ich habe ja gesagt: Solidarität!)

Wenn wir uns auf diese Ebene begeben, dann stellen wir den bundesstaatlichen Finanzausgleich insgesamt in Frage, der ganz maßgeblich seine Basis in unserer Haltung zum Föderalismus hat.

Wenn wir tatsächlich dazu kommen, dass Länder, die am Finanzausgleich teilnehmen - positiv wie negativ -, anderen Ländern die Verwendung der Haushaltsmittel

vorschreiben, dann wird der Kern des Föderalismus ausgehöhlt. Das ist im Prinzip eine Haltung gegenüber anderen Bundesländern, die nicht zu unserer bayerischen Haltung, wie wir den Föderalismus verstehen, passt.

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Das sind aber keine bayerischen Interessen, die Sie wahrnehmen!)

Diese fünf Punkte machen es schwer, Ihnen in Ihren Initiativen zu folgen, in ihnen die notwendige Seriosität und Ernsthaftigkeit zu sehen. Aber die brauchen wir eigentlich. Ich würde auch wirklich darum bitten, weil wir uns tatsächlich in einer schwierigen Situation befinden. Die ist unstrittig. Fakt ist und bleibt: Die Staatsregierung hat sowohl dem Solidarpakt I im Jahr 1993 wie auch dem Solidarpakt II im Jahr 2001 zugestimmt. Gerade mit dem Solidarpakt II sollten die Anreize - jetzt hören Sie gut zu, denn die Worte kommen wieder! - sowohl für die Geber- als auch für die Empfängerländer im Länderfinanzausgleich verstärkt werden, um die eigenen Steuereinnahmen zu verbessern.

Ich habe heute wieder gehört, dass das die Aufgabe der Reform des Länderfinanzausgleichs sein soll: Anreiz zu sein für die Empfängerländer wie für die Geberländer, die eigenen Steuereinnahmen zu verbessern.

Wenn das damals nicht gelungen ist, dann muss man sich das tatsächlich genau ansehen und ernsthaft Initiativen für ein besseres Anreizsystem ergreifen. Es ist tatsächlich problematisch. Beim Länderfinanzausgleich stehen - so war es zumindest im vergangenen Jahr - fünf Geberländern elf Nehmerländer gegenüber, allerdings vor allem die neuen Bundesländer. Die Zahlen belegen auch, Bayern erbrachte nahezu die Hälfte der gesamten Ausgleichsleistungen. Die Belastung Bayerns - auch das will ich unmissverständlich hier deutlich machen - ist mit über 5 Milliarden Euro insgesamt und 3,3 Milliarden Euro im eigentlichen Länderfinanzausgleich einfach zu hoch.

Geschätzter Herr Kollege Schmid, lieber Herr Kollege Klein, geschätzte Mitglieder der Staatsregierung, soweit Sie jetzt im Hohen Hause sind, man muss die Staatsregierung schon fragen: Wie konnten Sie eigentlich immer wieder diesem Finanzausgleich zustimmen, wenn Bayern schon nach wenigen Jahren in dieser besonderen Form belastet wird? Das System, das die Staatsregierung selber abgesegnet hat, ist offenkundig nicht mehr tragfähig. Ich kann an dieser Stelle schon fragen: Auf welcher Einschätzung ist die seinerzeitige Zustimmung der Staatsregierung hierzu erfolgt? Irgendwie haben wir hier im Parlament das

Gefühl eines Déjà-vu, einer Wiederholung: Immer wenn der Länderfinanzausgleich neu verhandelt wird, tritt die Staatsregierung vor dieses Hohe Haus, verkündet einen riesigen Erfolg, und wenige Jahre später stellt es sich plötzlich ganz anders dar. Dieses Spiel machen wir in dieser Form nicht mehr mit.

(Beifall bei der SPD)

Ein Wort an dieser Stelle auch an die Kollegen von den GRÜNEN. Um es deutlich zu sagen: Ich bin klar gegen eine Vertikalisierung des Länderfinanzausgleichs. Ich halte es nicht für zweckmäßig, dass nur der Bund Zahlungen an finanzschwache Länder leistet. Ich glaube, es ist wirklich ein wichtiger und guter Baustein des Föderalismus, dass die Länder ihre Geschicke selber in die Hand nehmen. Ich finde es keine gute Idee, wenn finanzschwache Länder ausschließlich am Tropf des Bundes hängen und vom Bund ihr Gnadenbrot bekommen sollen. Ich glaube, selbstbewusste Bundesländer, sowohl Geber- wie Nehmerländer, können die Finanzausgleichsbeziehungen selbst regeln. Auch das ist eine Form des lebendigen Föderalismus.

(Beifall der Abgeordneten Christa Naaß (SPD))

Vielleicht noch ein Hinweis an die Staatsregierung: Mit Ihrer Politik sowohl in München wie auch in Berlin verschärfen Sie eigentlich die Probleme, die wir im bundesstaatlichen Finanzausgleich haben. Zum einen wollen Sie die Erbschaftsteuer regionalisieren. Das heißt, Sie wollen letztendlich zu einer Modifizierung kommen, die das Missverhältnis der Länder bei der Steuerkraft noch weiter auseinandertreibt. Ihre Steuersenkungspolitik schwächt im Übrigen die Länder mit strukturellen Problemen in besonderer Weise. Beides passt nicht zu dem, was Sie hier vortragen, auch dem Solidaritätsgedanken. Das passt nicht zusammen. Wenn Sie es ernst meinen beim Thema bundesstaatlicher Finanzausgleich, dann organisieren Sie einen politischen Prozess, an dessen Ende eine vernünftige Reform steht. Ergreifen Sie ernsthafte, glaubwürdige Initiativen und lassen Sie endlich das vordergründige politische Taktieren sein.

(Beifall bei der SPD - Barbara Stamm (CSU): Chance verpasst, Herr Kollege Halbleib!)

Danke schön, Herr Kollege. Nächster Redner ist Herr Kollege Pointner. Bitte schön, Herr Pointner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema - Herr Kollege Halbleib hat es mir vorweggenommen - ist erst vor Kurzem hier in diesem Hohen Hause als Dringlichkeitsantrag der CSU- und FDP-Fraktionen behandelt

worden. Wir haben am 10. Juni einen Beschluss - mit unserer Unterstützung - gefasst, dass die Staatsregierung rasch Verhandlungen wegen einer Neugestaltung des Finanzausgleichs aufnehmen soll, allerdings im Hinblick auf die Zeit nach 2019. Ich habe damals gesagt: So pressiert es eigentlich nicht, dass man einen Dringlichkeitsantrag bräuchte.

Die heutige Aktuelle Stunde - aktuell ist dabei gar nichts - ist meines Erachtens reiner Populismus; denn es gibt eigentlich keine neuen Fakten. Das Einzige könnte das Gutachten von einem Professor Dr. Hanno Kube sein, der mir nicht bekannt ist. Das Gutachten liegt uns nicht vor; vielleicht wäre es ganz gut gewesen, wenn Sie uns informiert hätten. Dann hätten wir detaillierter darüber reden können.

(Thomas Hacker (FDP): Das können Sie gerne haben!)

- Können wir haben? - Das ist nett. Vielleicht hätten Sie das ein paar Tage vorher machen können.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte nun einige Fakten anführen und sagen, warum ich Ihren Vorschlag für populistisch halte. Wie bereits gesagt worden ist, ist der jetzige Finanzausgleich bereits im Jahr 2001 ausgehandelt worden.

(Volkmar Halbleib (SPD): So dringend kann es wohl nicht sein!)

Er soll in den Jahren 2005 bis 2019 gelten. 2001 waren die Länder Hessen, Baden-Württemberg und Bayern auch schon als Geberländer beteiligt. In Hessen und Baden-Württemberg war die FDP mit an der Regierung.

(Thomas Hacker (FDP): Jetzt ist es Gott sei Dank in Bayern auch so!)

Sie waren also damals dabei, als der Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form ausgehandelt worden ist.

(Beifall bei den Freien Wählern und der SPD)

Es klingt schon eigenartig, wenn man jetzt, ein paar Jahre später, Änderungen vorschlägt. Sie haben gesagt, Herr Klein, dass sich die Zahlen verändert haben. Das mag richtig sein, was Bayern betrifft, aber insgesamt stimmt das nicht, wenn ich die Geberländer betrachte. 2001 musste Bayern 2,3 Milliarden bezahlen. Jetzt geht es nur um den eigentlichen Finanzausgleich unter den Ländern, also nicht um die Vorwegverteilung der Umsatzsteuer. 2001 musste Bayern also 2,3 Milliarden bezahlen, Baden-Württemberg