Protokoll der Sitzung vom 19.10.2010

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen! "… An den öffentlichen Schulen

besteht Lernmittelfreiheit. Das Nähere wird durch Gesetz geregelt." So steht es in Ihrem Gesetzentwurf 16/4614 "Verfassungsrechtliche Verankerung der Lernmittelfreiheit an Bayerns Schulen". Sie haben eines richtig erkannt: Wenn wir die Lernmittelfreiheit in der Verfassung verankern, müssen wir sie erst durch ein Gesetz konkretisieren; das hat auch der Verfassungsgerichtshof so bestätigt. Im Grunde genommen brauchen wir diesen Antrag gar nicht. Das Ganze ist im Grunde genommen viel Lärm um nichts.

Zu Ihrem Gesetzentwurf 16/4615 "Umfassende Lernmittelfreiheit an Bayerns Schulen": Interessant ist Ihre Problemstellung. Es heißt dort wörtlich: "Nach Berechnungen entstehen Familien pro Schüler bzw. Schülerin bis zu 1.000 Euro an Kosten pro Schuljahr." Wenn irgendwo in der Zeitung steht "nach Berechnung" bzw. "nach Angaben", muss irgendwo auch stehen, nach wessen Berechnungen. Ich kann mir vorstellen, wie Herr Pfaffmann da saß mit seinem Taschenrechner, den er noch aus der Schule oder von seinen Kindern hat, und losgerechnet hat. Sie hätten aber vielleicht einmal genauer hinsehen können, denn der Betrag von 1.000 Euro erscheint mir ausgesprochen willkürlich. Sie haben da vielleicht ein paar Tasten verwechselt.

(Zuruf: Dann waren Sie wirklich nicht mehr lange in der Schule!)

- Wieso? Gibt es dort keine Taschenrechner mehr? Warum regen Sie sich so auf?

(Eva Gottstein (FW): Sie müssen schauen, was das Zeug heute kostet!)

Zu den Kosten habe ich noch gar nichts gesagt. Dazu werde ich gleich einiges sagen. Es gibt dafür auch Fonds etc.

Ich sage nur, dass wir wahrscheinlich noch alle unsere Taschenrechner aus der Schule haben, aber der von Herrn Pfaffmann scheint nicht mehr ganz so gut zu funktionieren. Die 1.000 Euro erscheinen mir, wenn er nicht etwas verwechselt hat, ausgesprochen willkürlich. Wenn es stimmen würde und es tatsächlich bis zu 1.000 Euro pro Schüler wären und Sie tatsächlich die umfassende Lernmittelfreiheit an Schulen wollen, wie es in der Überschrift heißt - Sie schränken das später selber wieder ein -, würde das bei 1,8 Millionen Schülern - das finden Sie auch mit Ihrem Taschenrechner heraus - bis zu 1,8 Milliarden Euro kosten, wenn wir das Problem lösen wollten. Das können Sie ja wohl selber nicht wollen. Das ist Wolkenkuckucksheim.

Es ist schön, wenn es an einigen Schulen Möglichkeiten gibt, dass Kinder reiten können - darüber freue ich

mich -, ich weiß aber, dass das an den meisten Schulen nicht so ist. Ich denke, damit ist das Problem aber im Kern nicht erfasst. Sie kritisieren in Ihrer Problembeschreibung, dass die Eltern Sportkleidung, Mittagessen und Schullandheimaufenthalte bezahlen. In Ihrem Gesetzentwurf nehmen Sie diese Dinge aber wieder heraus, also Sportbekleidung, Schulranzen etc. Sie definieren dafür wieder andere Dinge wie Schutzkleidung und Schulveranstaltungen, die vom Staat bezahlt werden sollen. Eine klare Logik, eine Stringenz ist darin nicht enthalten. Der Gesetzgeber soll nach Ihrer Auffassung alles den Schulen verordnen. Die Schulen haben keine Entscheidungsfreiheit, weil ihnen der Gesetzgeber genau sagt, was geht und was nicht. Wenn der Gesetzgeber jedes Detail vorschreibt, hat dies mit Freiheit und Eigenverantwortung nichts zu tun.

(Beifall bei der FDP)

Noch viel schlimmer ist, dass in Ihrem Gesetzentwurf jeder Anreiz für die Schulen fehlt, wirtschaftlich zu handeln. Solche Elemente sind nicht in dem Gesetzentwurf enthalten. Nach Ihrem Entwurf sollen die Schulen das anschaffen, was vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist und bezahlt wird.

Wir wissen, dass bereits heute alle Schulbücher für die Schüler kostenfrei sind. Das unterstützen wir auch. Dafür hat der Freistaat im Schuljahr 2008/2009 Zuweisungen in Höhe von knapp 43 Millionen Euro geleistet. Diese Zuschüsse decken laut einer Befragung des Kultusministeriums rund zwei Drittel dieses Sachaufwands. Die staatlichen Zuweisungen sind - da haben Sie recht - ausschließlich für die Versorgung mit Schulbüchern und digitalen Medien zu verwenden. Diese stehen dann im Eigentum der Sachaufwandsträger. Anders ist das bei Atlanten und Taschenrechnern. Sie kaufen sie, aber nur einmal in ihrem Leben, behalten sie die ganze Schullaufbahn und vielleicht noch darüber hinaus. Hoffentlich gehen sie richtig damit um. Fast jeder hat noch seinen Atlas und seine Formelsammlung sowie seinen Taschenrechner zu Hause. Ich halte es auch für rückwärts gewandt vorzuschreiben, dass jeder Schüler einen Atlas haben muss und jeder Schüler einen Taschenrechner haben muss.

(Eva Gottstein (FW): Das steht nirgends!)

- Nein, aber es steht dort, dass der Staat diese Dinge bezahlt. In Ihrem Gesetzentwurf steht, dass Atlas und Formelsammlung enthalten sind.

Wenn der Staat das finanzieren muss -

(Eva Gottstein (FW): Kann! Er kann es finanzieren!)

Laut diesem Gesetzentwurf soll der Staat das zu 100 % finanzieren.

Es wäre doch sehr viel sinnvoller, den Schulen die Freiheit zu lassen, zu entscheiden, was finanziert wird und was vor Ort gebraucht wird. Sie könnten dann entscheiden, das Geld lieber für Computer zu verwenden. Darin sind der Atlas und die Formelsammlung sowie der Taschenrechner als Programme enthalten. Dann ist auch Schluss mit dem vielen Kopiergeld, denn dann brauchen sie keine Kopien mehr. Es gibt wunderbar funktionierende Beispiele in Bayern, wo das heute bereits gut funktioniert. Der Umgang mit neuen Medien wird mittlerweile zu Recht Pisa-relevant. Es geht dabei nicht nur um technische Kompetenz. Medienkompetenz beinhaltet vielmehr auch eine soziale und kulturelle Kompetenz, die wir alle brauchen.

Fragwürdig finde ich übrigens an Ihrem Gesetzentwurf nicht nur die Abgrenzung des Begriffs Lernmittelfreiheit in der etwas unlogischen Definition, sondern auch den Kreis der begünstigten Personen. Ihre Forderungen schließen nicht nur Kinder aus Hartz-IV-Familien ein, sondern auch den Millionärssprössling. Sie sollen vom Steuerzahler finanziert werden - vom Millionär ebenso von der Reinigungskraft. Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten zu recherchieren, dann hätten Sie auch gesehen, dass zum Beispiel bei Atlanten und Formelsammlungen heute schon Bedürftige von den Kosten befreit sind. Das regelt § 21 Absatz 3 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes.

(Unruhe)

Ich bitte, den Geräuschpegel etwas abzusenken. Man versteht die Frau Kollegin Sandt kaum.

Taschenrechner werden in vielen Fällen über einen Fonds finanziert. Bei Klassenfahrten regelt eine Verordnung, dass alle Möglichkeiten auszuschöpfen sind, Kinder aus schlechter gestellten Familien die Teilnahme zu ermöglichen. Es gibt auch eine weitgehende Unterstützung durch die öffentliche Hand; das sehen auch die Sozialgesetzbücher vor. Darüber hinaus können Schulen in Eigenverantwortung Zuschüsse geben.

Apropos Eigenverantwortung: Entmündigen Sie die Schulfamilien nicht. Die Schulfamilie vor Ort weiß am besten, was sie braucht.

(Eva Gottstein (FW): Die Schulen haben kein Geld!)

- Der Sachaufwandsträger hat Geld.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die Schule, bestimmte Maßnahmen zu finanzieren. Es gibt Schulen, bei denen das hervorragend läuft. In den Fällen, in denen Kinder sozial benachteiligt sind, gibt es Hilfen und Unterstützung. Ich halte Ihr Drücken auf die Tränendrüse für scheinheilig.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Montesquieu hat gesagt: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen. Handeln wir so!

(Beifall bei der FDP und der CSU - Unruhe)

Es hat auch mit Wertschätzung von Kolleginnen und Kollegen zu tun, wenn man nicht ständig laut spricht. Es geht gar nicht um die Zwischenrufe, aber es gibt einen Grundlärmpegel, der langsam unerträglich wird.

Nächster Redner ist Herr Kollege Ländner für die CSU.

Herr Präsident, Hohes Haus! Die zwei Anträge zur Lernmittelfreiheit haben schon etliche Diskussionen durchlaufen - Erste Lesung, Diskussion in den Ausschüssen. Zur Aufnahme in die Verfassung hat Herr Kollege Heike qualifiziert und ausführlich Stellung genommen. Ich stelle für meine Person fest, dass die heutige Debatte, anschließend an Erste Lesung oder Ausschusssitzung, nichts wesentlich Neues ergeben hat. So gestatten Sie auch mir, dass ich meinen Beitrag auf wenige Kernsätze beschränke.

Zunächst einmal darf ich feststellen, dass sich das bisherige System der Lernmittelfreiheit bewährt hat. Die Investition für einen Ausbau der Lernmittelfreiheit ist zu befürworten. In diesem Punkt gehe ich mit Ihnen konform. Das ist eine schöne Sache. Wenn wir es machen könnten, sollten wir es auch tun. Herr Pfaffmann, wir haben uns schon ausführlich im Ausschuss darüber unterhalten, dass die in der Antragsbegründung genannten 1.000 Euro, also die insgesamt 1,8 Milliarden, nicht in dieses Gesetz einfließen sollen. Trotzdem hätte ich erwartet, dass Sie zur Finanzierung und zu den Kosten Ihres Antrages Stellung nehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie für das, was Sie beantragen, in die Umsetzung und vielleicht sogar in die Regierungsverantwortung gehen wollen - Sie werden nie müde, dies in der Presse immer wieder zu erklären -, dann wäre es wichtig, zu sagen, wie Sie dies bezahlen.

(Beifall bei der CSU)

Das an sich Beschämende und Unerträgliche hier im Hohen Hause ist nicht das, was Sie uns vorwerfen, sondern Ihre Forderungen nach Millionen, Abermillionen und Milliarden Euro an Plenartagen, egal ob für Bildung, die Städtebauförderung, das Sozialsystem, den kommunalen Finanzausgleich oder die Unterstützung der Kommunen. An jedem Plenartag löst eine Milliarde die andere Milliarde ab. Jedoch sagt niemand, wie dies bezahlt werden soll.

(Beifall bei der CSU - Harald Güller (SPD): Was ist mit den Schadenersatzforderungen an eure Verwaltungsräte?)

Die Vorlage von Finanzierungsvorschlägen wäre eine Möglichkeit, Kompetenz unter Beweis zu stellen.

Die Freien Wähler ziehen sich in diesem Punkt ganz leicht aus der Affäre. Sie stellen einen Antrag und sagen, er koste nichts. Frau Gottstein, ich gebe Ihnen sogar recht. Das kostet dann nichts, wenn man kein Geld einsetzt, sondern die Anschaffung von Büchern der Schulfamilie überlässt. Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist, wenn in jeder Schule die Lernmittelfreiheit anders gehandhabt wird.

(Eva Gottstein (FW): Doch, weil es dann passgenau ist!)

Abschließend möchte ich auf das Gleichsetzen von Geld und Bildung eingehen. Wenn man sich um Bildungsgerechtigkeit und Bildung in unserer Gesellschaft bemüht - Ihnen, Herr Kollege Gehring, bin ich sehr dankbar für die Beiträge im zweiten Teil Ihrer Rede -, sollte man die Bildungsdiskussion nicht immer nur auf Geld verkürzen. Geld ist wichtig. Das wissen wir. Bildung ist jedoch keine Wurstmaschine: hinten Geld rein, vorne Bildung raus. Das wird nicht funktionieren.

Wenn man die Bildungsprobleme der Schwächeren in unserer Gesellschaft lösen möchte, kann dies nur erreicht werden, wenn die Reicheren genauso von Gesetzesänderungen profitieren wie die Ärmeren. Der Ansatz - selbst wenn Sie diesen nicht für richtig halten -, Kinder aus sozial schwächeren Familien durch besondere Zuweisungen, wie jetzt im Bundessozialministerium geprüft, finanziell besser auszustatten, um Bildungsteilhabe zu ermöglichen, ist richtig. Dieser Ansatz verdient Ihre Häme nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, Bildung - Herr Heike hat darauf hingewiesen - hat mehrere Facetten. Wenn wir nicht lernen, in diesem Hohen Hause alle Facetten der Bildung zu benennen, werden wir in der Bildungsdiskussion immer zu kurz greifen.

(Eva Gottstein (FW): Dann fangt eben an!)

Bildung ist nicht nur Geld. Frau Gottstein, Bildung ist ebenfalls Bereitschaft zur Bildung. Bildung ist nicht zuletzt der Wille, ein Bildungsangebot anzunehmen. Bildung ist nicht zuletzt Freude an der Bildung. Wenn es uns nicht gelingt, Kindern aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund zu vermitteln, dass es wichtig ist, in die Schule zu gehen, es Freude macht, in die Schule zu gehen, und dass eine Teilhabe an der Schulfamilie Befriedigung bringt, werden wir in der Bildungsdiskussion, wenn wir immer alles auf das Geld reduzieren, den Kürzeren ziehen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Pfaffmann für die SPD.

Lieber Herr Ländner, Sie singen immer das gleiche Lied: Wer etwas fordert, soll gleichzeitig über die Finanzierung sprechen. Vielleicht - Herr Kollege Güller hat das schon angesprochen - langt der Schadenersatz Ihrer Aufsichtsratsmitglieder der Landesbank, um das zu bezahlen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie keine Antwort auf Ihre Sonntagsreden haben - Bildung ist das höchste Gut, aber wie sollen wir dies finanzieren? -, überlassen Sie die Sache uns. Wir können das. Herr Ländner, Sie sagen, man solle Freude an der Bildung haben. Das finde ich toll. Wir befürworten alle Freude an der Bildung. Diese Freude müssen die Familien aber auch bezahlen können. Wenn Alleinerziehende nicht mehr in der Lage sind, die Kopierkosten zu bezahlen, können sie sich die Bildung nicht mehr leisten.

(Beifall bei der SPD)