Protocol of the Session on December 15, 2010

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(Vom Red- ner nicht autorisiert) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 63. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Vorab eine kurze Mitteilung: In der Zeit von 13.15 bis 13.30 Uhr erwartet Sie heute in der Eingangshalle West eine musikalische Darbietung des polnischen Chores "Akademisches Musical Ensemble" der Schlesischen Technischen Universität Gleiwitz. Ich bitte Sie, wenn es Ihnen möglich ist, um Teilnahme.

Ich rufe erneut den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Zweite Lesung zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Tanja Schweiger, Dr. Hans Jürgen Fahn u.a. und Fraktion (FW) zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung (Drucksache 16/5130)

Die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt fand bereits gestern statt. Ich schlage vor, zunächst die Aktuelle Stunde und anschließend die Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt durchzuführen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Warum? - Ulrike Gote (GRÜNE): Warum das? Gestern haben wir etwas anderes vereinbart. - Fünfter Vizepräsident Jörg Rohde: Stimmt, ich habe gestern angekündigt, dass wir die Abstimmung direkt durchführen. - Georg Schmid (CSU): Wenn das gewünscht wird, soll abgestimmt werden.)

- Wenn es der allgemeine Wunsch ist, führen wir die Abstimmung jetzt durch.

Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf der Fraktion der Freien Wähler auf Drucksache 16/5130 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport empfiehlt auf Drucksache 16/6692 die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Mitglieder der Fraktion der Freien Wähler. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Stimmenthaltungen? - Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Damit haben wir den Tagesordnungspunkt als "left over" von gestern Abend mit Anstand erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN "Handeln statt Hetzen: Bayern braucht eine humane Flüchtlingspolitik"

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema "Handeln statt Hetzen: Bayern braucht eine humane Flüchtlingspolitik" beantragt. In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit; dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung für mehr als zehn Minuten das Wort, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.

Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Renate Ackermann. Frau Kollegin, Sie haben das Wort. Bitte schön.

(Christa Naaß (SPD): Ist die Sozialministerin nicht da?)

Guten Morgen, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Obwohl ich sehr erkältet bin, versuche ich zu Ihnen zu sprechen. Wenn mir die Stimme versagt, heißt das nicht, dass mir die Argumente ausgegangen sind, sondern das ist dann der Erkältung geschuldet.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FW): Wo ist Frau Ministerin Haderthauer?)

- Frau Ministerin Haderthauer steckt auf der A 9 im Stau. Sie hat sich entschuldigen lassen und kommt, sobald sie kann.

Ich komme gleich auf Ministerin Haderthauer zu sprechen. Vor zwei Jahren ist Frau Ministerin Haderthauer als Ministerin gestartet, die die rückständige und verkrustete CSU-Flüchtlingspolitik verbessern wollte. Sie hat wegen der unwürdigen Unterbringung von Flüchtlingen in Containerunterkünften Einsehen mit den Menschen gezeigt und kurz vor Weihnachten 2008 zwei Containerunterkünfte schließen lassen. Wir haben das damals sehr begrüßt. Sie hat sich auch an dem Halbsatz in der Asyldurchführungsverordnung gestört, der besagt, dass die Rückkehrbereitschaft der Flüchtlinge gefördert werden solle. Sie hat diesen Halbsatz damals für - ich zitiere: - "absolut inakzeptabel" gehalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

- Klatschen Sie nicht zu früh; die Meinung der Ministerin hat sich alsbald geändert.

Damals entstand Hoffnung bei Flüchtlingen, Sozialverbänden und Oppositionspolitikern und -politikerinnen. Leider war der flüchtlingspolitische Höhenflug der Sozialministerin nur von kurzer Dauer. Die Kehrtwende begann mit einem Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" vom 27.07.2009. Darin stand: "Sozialministerin Haderthauer erntete für ihre Kritik an der bayerischen Asylpolitik harsche Schelte von der eigenen Partei." - Hoppla! Die Sozialministerin hat sich wahrscheinlich zu weit vorgewagt und wurde zurückgepfiffen. Damit war die Kehrtwende eingeleitet. Plötzlich hörte man neue Töne, wie: "Wer mit den Leistungen nicht zufrieden ist, kann jederzeit zurück." Und: "Zwei Drittel der Flüchtlinge missbrauchen das Asylrecht."

Abgesehen davon, dass diese markigen Sprüche einem derzeit in der CSU grassierenden Virus namens Rechtspopulismus geschuldet sind,

(Karl Freller (CSU): Den Virus haben Sie zurzeit!)

sind die Zahlen, mit denen Frau Haderthauer operiert, schlichtweg falsch. Die Tatsache, dass sie sie gestern verteilen ließ, macht die Zahlen nicht richtiger. Ich will die falschen Zahlen, die kolportiert werden, richtigstellen. Die Zahlen, die Frau Haderthauer vorlegt, beziehen sich ausschließlich auf die Erstentscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Tatsächlich werden etwas mehr als 25 % der Flüchtlinge sofort anerkannt. Von denjenigen Flüchtlingen, die Widerspruch einlegen, weil sie unterlegen sind, werden alsbald weitere 15 % anerkannt beziehungsweise bekommen Bleiberecht. Mit den zwei Dritteln ist es vorbei. Etliche Prozent bleiben hier, weil sie hier eine Familie gründen. Sie bekommen natürlich auch eine Aufenthaltsgenehmigung. Dann gibt es Menschen um diese geht es mir heute besonders -, die aus politischen Gründen nicht zurück können, weil in ihrem Heimatland Krieg, Folter und Verfolgung herrschen, und es gibt Menschen, die aus humanitären Gründen nicht zurück können. Die Darstellung, als würden diese Menschen das Asylrecht missbrauchen, obwohl sie keine Rückkehrmöglichkeit in ihr Heimatland haben, finde ich absolut perfide.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

In der vergangenen Zeit hat die Härtefallkommission immer wieder Asylanträge von Flüchtlingen anerkannt, die bereits abgelehnt waren.

So sollte eine Familie aus Tschetschenien mit drei kleinen Kindern, die sich an uns gewandt hat, abgeschoben werden. Ist das eine Familie, die das Asylrecht missbraucht hat?

Ein junges Mädchen aus Togo saß bereits im Flugzeug und sollte in ihr Heimatland zurückgeflogen werden, obwohl ihre Mutter hier lebt. Man glaubte ihr nicht, dass diese Frau ihre Mutter ist. Sie musste dies erst per Gentest beweisen, was aber nur möglich war, weil wir die Abschiebung per Petition verhindert haben. Hat dieses Mädchen auch das Asylrecht missbraucht?

Wer zählt eigentlich zu diesen "bösen" Menschen, die das Asylrecht hier missbrauchen? Ich sage Ihnen: Die Menschen, die Flüchtlinge, die hierher kommen, verlassen ihr Heimatland ganz sicher nicht ohne Grund. Und welche Aufnahme finden sie dann hier? Sie werden in völlig überfüllte Lager gestopft, werden mit Essenspaketen zwangsversorgt, und es wird ihnen verboten zu arbeiten, obwohl sie sehr gut für ihren Lebensunterhalt sorgen könnten. Das kann man nur als absichtliche Schikane und als eine Politik des Zurückbeförderns bezeichnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das entspricht genau dem Halbsatz in der Asyldurchführungsverordnung, gegen den sich Frau Haderthauer zu Beginn ihrer Tätigkeit als Ministerin gewehrt hat.

Ich denke, dass es über all diese Zahlen und Bestimmungen hinweg eine christliche Pflicht, eine christlichabendländische Pflicht ist, Asyl zu gewähren. Mit der christlich-abendländischen Kultur brüsten Sie sich doch immer; sie ist Ihnen doch immer so wichtig. Wenden wir sie doch einmal auf die Menschen an, die Hilfe suchend zu uns kommen, beherbergen wir sie so, dass dies menschenwürdig ist,

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

bringen wir sie nicht in Lagern unter, die nach Aussage von Ärzten physisch und psychisch krank machen. Da dürfen wir nicht zuschauen und obendrein sagen: Ihr missbraucht unser Asylrecht.

Gestern Abend fand die parlamentarische Weihnachtsfeier statt. Alle haben ergriffen den Darbietungen von Volksmusikern gelauscht, und der Sprecher hat ein Gedicht rezitiert. Darin ging es um Herbergssuche. Die Herbergssuche ist ein Motiv, das sich in der Christenheit über zwei Jahrtausende gehalten hat, die Herbergssuche von Maria und Josef, die immer wieder von der Tür gewiesen wurden. Die Wirte, die sie von der Tür gewiesen haben, hatten auch gute Gründe: Ihr Haus war schon voll, und sie konnten nicht wissen, ob diese Leute ihnen wohlgesinnt sind. Es gab viele gute Gründe, diese Menschen von der Tür zu weisen. Heute feiert die Christenheit die Geburt Jesu in einer kleinen Krippe, weil die Heilige Fa

milie keinen Platz in der Herberge gefunden hat. - So viel zu einer möglichen Übertragbarkeit.

Bieten wir doch den Menschen, die heute zu uns kommen, eine Herberge. Nehmen wir sie gastlich auf, wie es der christlich-abendländischen Tradition entspräche, auf die wir immer so stolz sind. Wenden wir unsere Leitkultur einmal auf diese Menschen an, und lassen wir sie nicht in sanitär unvertretbaren, sozial unterversorgten Massenunterkünften jahrelang darben und werfen wir ihnen dann nicht noch vor, dass sie sich ihre Anwesenheit widerrechtlich erschlichen hätten. Ändern Sie endlich diese Ihre Meinung. Lassen Sie die Menschen in dezentralen Wohnungen wohnen. Heißen Sie sie willkommen. Es wird mit Sicherheit nicht zum Schaden dieser Gesellschaft sein.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, den Freien Wählern und der FDP)

Danke schön, Frau Kollegin Ackermann. Als Nächster hat der Herr Kollege Seidenath das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Asylsozialpolitik gehört zu den Dauerbrennern in den parlamentarischen Beratungen hier im Hohen Haus.

(Zuruf von den GRÜNEN: Warum denn? - Weite- re Zurufe von den GRÜNEN)

- Nach dem ersten Satz schon zu maulen, ist wirklich ein Rekord.

(Beifall bei der CSU)

Es vergeht kaum eine Plenardebatte, kaum eine Sozialausschusssitzung, die ohne dieses Thema auskäme.

(Zuruf von den GRÜNEN: Aus gutem Grund! - Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das ist auch gut so!)

Heute haben wir nun die Aktuelle Stunde mit dem Titel "Handeln statt Hetzen: Bayern braucht eine humane Flüchtlingspolitik". Sie sagen damit im Umkehrschluss, dass die aktuelle Flüchtlingspolitik Bayerns inhuman, unmenschlich ist.

(Beifall bei der CSU - Zurufe von den GRÜNEN)

Dagegen müssen wir uns auf das Eindringlichste verwahren. Das ist eine - ich nehme an - bewusste Verzerrung der Tatsachen. Mit einer solchen Aussage verstoßen Sie gegen die Maxime "Handeln statt Hetzen".

(Beifall bei der CSU - Zurufe von den GRÜNEN)

Denn Fakt ist: Kein Flüchtling, kein Asylbewerber muss in Bayern Not leiden. Gerade in diesem sensiblen Bereich des Umgangs mit den Flüchtlingen kommt es auf einen Konsens, auf möglichst einmütiges Handeln an. Schließlich müssen wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen. Verbesserungen kosten viel Geld - das wissen Sie -, das alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gemeinsam aufbringen müssen.