Protokoll der Sitzung vom 15.12.2010

Für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Kollege Rohde das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegen uns zwei Gesetzentwürfe vor. Wie auch in der Debatte deutlich wird, gibt es zu den verschiedenen Punkten unterschiedliche Statements.

Ich beginne mit dem Mitspracherecht für Nicht-EUBürger und Jugendliche auf Bürgerversammlungen. Es wurde schon gesagt, dass eigentlich kein großer Regelungsbedarf vorhanden ist und wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, dieses Rederecht den Nicht-EU-Bürgern einzuräumen. Eigentlich sollten die Bürgerversammlung und der Bürgermeister souverän sein und nicht im Gesetz nachblättern bei der Frage, ob er jemandem, der sich zu Wort meldet, das Wort gibt. Ich bin sicher, dass es vor Ort unbürokratisch gehandhabt wird, sodass derjenige, der sich zu Wort gemeldet hat, bei einer Diskussion mitsprechen kann. Das gilt auch für die Jugendlichen.

Ich lege Wert darauf, dass sich die Jugendlichen in Jugendparlamenten engagieren und ihre Interessen gemeinsam formulieren. Dort haben die Jugendlichen die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. Selbstverständlich kann der Bürgermeister eine Bürgerversammlung durchführen. Das wird in der Praxis durchaus so gehandhabt; Herr Hanisch hat es geschildert. Wir Liberalen haben für das Begehren natürlich eine große Sympathie, weil wir uns als Europäer fühlen und der Erste Bürgermeister oder der Landrat ein Unionsbürger sein kann. Aber natürlich müssen wir die Argumente, die der Herr Lorenz vorgetragen hat, abwägen. Wir müssen genau prüfen, an welcher Stelle es eventuell hakt. Deswegen werden wir in der Koalition noch etwas Überzeugungsarbeit leisten und recherchieren müssen und können dem daher derzeit noch nicht nähertreten, Frau Kollegin Schmitt-Bussinger, aber zumindest kann ich Ihnen zu diesem Punkt von unserer Seite aus große Sympathie signalisieren.

Die Senkung des Mindestalters bei der Wählbarkeit als Erster Bürgermeister und als Landrat auf 18 Jahre stellt eine Vereinheitlichung dar. Das heißt, wir haben dann weniger Altersgrenzen, über die wir uns eben schon gestritten haben. Das wäre das Zusammenlegen der Altersgrenze beim aktiven und passiven Wahlrecht. Wir finden eine Grenze von 18 Jahren für das Wahlrecht sehr gut.

Die Forderung der GRÜNEN, das Mindestalter beim aktiven Wahlrecht auf kommunaler Ebene auf 16 Jahre zu senken, geht uns sowohl in der FDP als auch in der CSU zu weit.

Wir haben Argumente, warum wir dem Gesetzentwurf der SPD nicht nähertreten. Gegen den Gesetzentwurf der GRÜNEN gibt es noch mehr Argumente: Integrationsbeiräte für die Kommunen gesetzlich verpflichtend festzuschreiben, würde eventuell auch eine gewisse finanzielle Ausstattung seitens des Bayerischen Landtags erfordern; denn die Kommunen könnten mit Recht sagen: Wenn ihr uns vorschreibt, einen Integrationsbeirat einzurichten, dann müsst ihr uns auch Geld schicken, damit dieser arbeiten kann. Das muss dabei auch berücksichtigt werden. Ich meine, die Ausländerbeiräte leisten eine gute Arbeit, weswegen eine zusätzliche Arbeit von Integrationsbeiräten meiner Meinung nach nicht notwendig ist.

Wir werden die Diskussion über alle Punkte fortsetzen, wenn wir im Frühjahr das große Gesetzespaket zur Änderung des Kommunalwahlrechts im Landtag besprechen. Für heute muss ich für die Liberalen bei beiden Gesetzentwürfen Ablehnung signalisieren.

(Beifall bei der FDP)

Für die Staatsregierung hat Herr Staatsminister Herrmann um das Wort gebeten. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich es richtig sehe, sind wir uns in einem Punkt einig, dass das Wahlalter zum Bürgermeister auf 18 Jahre abgesenkt werden soll.

(Jörg Rohde (FDP): Die Freien Wähler wollen das nicht!)

- Jedenfalls sind sich die meisten einig. Hierzu wird es einen entsprechenden Gesetzesvorschlag geben. Dazu braucht man keinen solchen Popanz zu machen. Wir können aber nicht ohne Zustimmung der jeweiligen Antragsteller einen einzigen Artikel aus dem Gesetzentwurf herausbrechen. Ich will dies nur sagen, damit es hinterher nicht heißt, dass abgekupfert worden ist und dergleichen. In diesem Punkt sind wir uns einig. Im Zusammenhang mit dem umfassenden Gesetzentwurf zur Reform des Gemeinde- und Landkreiswahlrechts wird demnächst ein entsprechender Regelungsvorschlag in den Landtag eingebracht werden.

Bei den anderen Punkten gibt es meinerseits massive Bedenken. Ich will gar nicht auf alle Einzelheiten eingehen, sondern nur in den Vordergrund stellen, dass ich es für unbedingt notwendig halte, daran festzuhalten, dass Bürgermeister und Landräte in unserem Land deutsche Staatsangehörige sind. Sie üben wichtige rechtliche Funktionen in unserem Land aus. Sie haben einen wichtigen Anteil an unserem Staatsauf

bau. Die Kommunen sind das Fundament unseres gesamten Staatsaufbaus. Deshalb ist es wichtig, dass Bürgermeister und Landräte die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist im EU-Recht ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen, und wir wollen daran festhalten.

Ich halte es für wirklich abwegig, das aktive Wahlalter auf unter 18 Jahre abzusenken. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der unter 18 und damit noch nicht volljährig und nicht in der Lage ist, beispielsweise selbst ein Haus zu kaufen, einen wirksamen Vertrag abzuschließen, bei einem Bürgerentscheid darüber abstimmen könnte, ob die Gemeinde ein Haus kauft oder nicht. Das ist völlig unsinnig. Jemand, der ab 18 den Führerschein machen kann, soll nach Ihrer Vorstellung mit 16 schon den Bürgermeister wählen können. Meine Damen und Herren, wir wollen keine politischen Geisterfahrer produzieren. Ich meine, dass es deshalb richtig ist, dass jemand ganz wichtige politische Entscheidungen erst dann treffen kann, wenn er in jeder Hinsicht volljährig ist.

(Beifall bei der CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, dass diese Gesetzentwürfe leider eine Vielzahl von Irrungen und Wirrungen enthalten und deshalb so nicht zustimmungsfähig sind. Ich bitte Sie herzlich, die Gesetzentwürfe abzulehnen.

Herr Staatsminister, wir haben noch eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Kamm. Bitte schön.

Ihr Führerscheinvergleich provoziert mich zu einer Frage. Muss jemand, der sagt, dass er nicht mehr in der Lage ist, ein Auto zu führen, seine Wahlberechtigung zurückgeben? Wollen Sie, dass das aktive Wahlrecht an das Recht, ein Auto zu führen, gekoppelt wird?

Nein, das habe ich nicht beabsichtigt, Frau Kollegin. Das konnten Sie meinen Ausführungen aber auch nicht entnehmen.

Vielen Dank, Herr Staatsminister.

Ich bedanke mich auch. Es war mir ein Vergnügen.

(Jörg Rohde (FDP): Wir sehen uns wieder!)

Ich sage außerhalb der Tagesordnung - das gilt für alle Redner und Rednerin

nen der jeweiligen Fraktionen -, dass nach einer Rede auch Beifall gegeben werden darf.

(Dr. Paul Wengert (SPD): Nur, wenn es veranlasst ist!)

- Ich habe das ganz neutral gesagt. Ich stelle heute fest, dass im Haus Müdigkeit herrscht, egal wer spricht.

(Staatsminister Joachim Herrmann: Die Weih- nachtsfeier war so anstrengend, Frau Präsiden- tin!)

Die Rednerinnen und Redner strengen sich hier an, während wir hier dasitzen und sagen, na ja, war ganz gut. Das war es dann schon.

Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dafür werden die Tagesordnungspunkte wieder getrennt.

Ich lasse zunächst über Tagesordnungspunkt 11 abstimmen. Der Abstimmung zugrunde liegt der Initiativgesetzentwurf der SPD-Fraktion auf der Drucksache 16/2307. Der federführende Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/6679 die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dem Gesetzentwurf dagegen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Danke. Gegenstimmen? - Die CSU-Fraktion, die Fraktionen der FDP und der Freien Wähler. Stimmenthaltungen? - Keine. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Nun lasse ich über Tagesordnungspunkt 12 abstimmen. Der Abstimmung zugrunde liegt der Initiativgesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 16/2621. Der federführende Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/6680 wiederum die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dem Gesetzentwurf dagegen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. - Die Fraktionen der CSU, der FDP und der Freien Wähler. Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion ist der Gesetzentwurf ebenfalls abgelehnt.

Ich rufe gemeinsam die Tagesordnungspunkte 13 und 14 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Tanja Schweiger, Florian Streibl u. a. und Fraktion (FW)

zur Änderung der Gemeindeordnung (Drs. 16/3678) - Zweite Lesung

und

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Stärkung der direkten Demokratie Verbesserung des kommunalen Bürgerentscheids (ber. Drs. 16/3935) - Zweite Lesung

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart. Als Erstem darf ich für die Fraktion der Freien Wähler Herrn Kollegen Hanisch das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Bürgerentscheid ist eines der wichtigsten Rechte, die der Bürger im kommunalen Bereich hat. Wir sollten den Bürgerentscheid stärken. In diesem Bereich gibt es einige Schwachpunkte. Der Gemeinderat, der Stadtrat oder der Marktrat ist jeweils nur ein Jahr an den Bürgerentscheid gebunden. Wir halten diesen Zeitraum, ein Jahr, aufgrund von praktischen Erfahrungen für zu kurz. Wenn heute ein Bürgerentscheid festlegt, dass etwas zu bauen ist, muss eine Planung erfolgen. Nach dieser Planung kommt ein Genehmigungsverfahren, das in der Regel relativ lang dauert. Insofern sind wir der Auffassung, dass die Bindungswirkung von einem Jahr auf zwei Jahre verlängert werden sollte. Man sollte versuchen, die Erfahrungen, die man in der Praxis gesammelt hat, auch in das Gesetz einzubauen. Für uns ist das ein ganz wichtiger Punkt. Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf eingebracht.

Abzuwarten, bis etwas tot ist, ist auch eine Praxis, von der man ab und zu hört. Das würde den Bürgerwillen unterlaufen. Bei einer zweijährigen Bindungswirkung wäre dies nicht mehr so leicht möglich. Die meisten Bundesländer haben eine zweijährige Bindungswirkung; hier in Bayern haben wir nur ein Jahr. In vier Bundesländern beträgt die Bindungswirkung drei Jahre. Insofern sind unsere Forderung und unser Wunsch nach einer zweijährigen Bindungswirkung sicherlich nicht allzu vermessen.

Ein weiterer Punkt. Angenommen, die Bürger haben für einen Bürgerentscheid gekämpft, haben dafür mobilisiert und schließlich die Durchführung eines Bürgerentscheids durchgesetzt. Letztlich haben sie aber keine Möglichkeit, gegen die Entscheidung, dass das Ergebnis eines Bürgerentscheides nicht verwirklicht wird, gerichtlich vorzugehen. Wenn heute ein Ge

meinderatsbeschluss gefasst wird, habe ich die Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Wenn aber der Souverän - der Bürger - im Rahmen eines Volksentscheids entschieden hat, soll es diese Klagebefugnis nicht geben. Das halten wir nicht für in Ordnung.

Zum Gesetzentwurf der GRÜNEN: Volle Zustimmung. Wir halten dieses Quorum von 15 % für sinnvoll und werden dem zustimmen. Die Benachrichtigung der Bürger ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich möchte fast sagen, dass dieser Punkt überhaupt nicht aufgenommen werden muss; denn es gehört sich, dass die Bürger benachrichtigt werden, wenn ein Bürgerentscheid stattfindet. Wir werden dieser Regelung trotzdem zustimmen. Die Bindungswirkung von zwei Jahren deckt sich voll mit unserem Gesetzentwurf. Wir werden deshalb dem Gesetzentwurf der GRÜNEN zustimmen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Nächste Wortmeldung für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Frau Kollegin Tausendfreund.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Oktober konnten wir ein sehr schönes Jubiläum feiern, nämlich 15 Jahre kommunaler Bürgerentscheid in Bayern. Das ist für mich Anlass, noch einmal an die damalige Debatte zu erinnern. Die CSU hat seinerzeit vor Stimmungsdemokratie, Volksverführern und Demagogen gewarnt. Die CSU war damals eine richtige Dagegen-Partei.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Obwohl die CSU damals gegen die Einführung des Bürgerentscheids gewettert und den Bürgerinnen und Bürgern die Entscheidungskompetenz schlichtweg abgesprochen hat, hat sie dieses Instrument gleich selbst benutzt, nämlich beim Tunnel-Begehren in München. In vielen Orten nutzt sie es auch heute noch gerne. Diese Widersprüchlichkeit kann jeder bewerten, wie er mag. Das lang erkämpfte Recht, über Sachfragen selbst zu entscheiden, ist damals schnell in der Praxis angekommen. Schon am Tag der Abstimmung über den Volksentscheid zur Einführung des Bürgerentscheids, am 1. Oktober 1995, wurden die ersten Bürgerbegehren formuliert und gestartet.

1998 wäre dieses Instrument allerdings beinahe bis zur Unkenntlichkeit zusammengestutzt worden. Der Grund war, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof im Jahre 1997 entschieden hat, dass es ein zu großer Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung wäre, wenn der Bürgerentscheid zu stark ausgestaltet wäre. Diese Entscheidung war in sich widersprüch

lich, weil die kommunale Selbstverwaltung zwar einerseits vom Gemeinderat, andererseits aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern ausgeübt werden kann. Die Richter beanstandeten damals die dreijährige Bindungswirkung in der Kombination mit dem fehlenden Quorum. Die CSU hat daraufhin - wieder ganz als Dagegen-Partei - ihre früheren Pläne aus der Schublade gezogen und ein 25-prozentiges Quorum, die Abschaffung der freien Unterschriftensammlung und weitere Hemmnisse für die direkte Demokratie vorgeschlagen.