Protokoll der Sitzung vom 25.05.2011

Seit ich hier im Landtag bin - das halte ich Ihnen gern entgegen -, haben Sie eine Niederlage nach der anderen vor dem Verfassungsgericht erleben müssen, weil Sie entweder die Verfassung nicht einhalten oder von sich aus schlicht und einfach nicht auf die Idee kommen - ich erinnere dabei an das Versammlungsrecht -, etwas zu modernisieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Stahl, wir reden über das Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Ich habe darauf hingewiesen, dass es unter den 16 Bundesländern kein einziges Land gab und gibt, das eine Gesetzeslage hatte, die diesem Urteil des Europäischen Gerichtshofes entsprochen hat, und zwar egal, ob das jeweilige Landesdatenschutzgesetz von Schwarz oder Gelb oder Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot oder Rot-Grün oder Schwarz-Gelb-Grün oder sonst von wem beschlossen worden ist. Kein einziges Land finden Sie.

Deshalb erlaube ich mir die Bemerkung, dass es wenig Anlass gibt, was dieses EuGH-Urteil angeht von anderen Dingen habe ich gar nicht geredet -, hier so selbstgerecht zu sagen, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir sozusagen keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Das ist Unfug, und das habe ich angesprochen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Damit ist die Aussprache geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen (Drs. 16/8084) - Zweite Lesung

Eine Aussprache findet hierzu nicht statt. Wir kommen deshalb sofort zur Abstimmung.

Der Abstimmung liegen der Gesetzentwurf und die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit auf Drucksache 16/8686 zugrunde. Der federführende Ausschuss empfiehlt die unveränderte Annahme. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen! Stimmenthaltungen? - Bei einer Stimmenthaltung der Kollegin Dr. Pauli (fraktionslos) ist der Gesetzentwurf ansonsten einstimmig so beschlossen.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Ich schlage vor, sie in einfacher Form durchzuführen. - Widerspruch erhebt sich erkennbar nicht. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Danke schön. Gegenstimmen bitte ich, auf die gleiche Weise anzuzeigen. - Stimmenthaltungen? - Das ist diesmal einstimmig. Das Gesetz ist damit so angenommen. Es hat den Titel "Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen".

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Hans Joachim Werner, Franz Schindler u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Bayerischen Petitionsgesetzes (Drs. 16/2430) - Zweite Lesung

Ich darf bekannt geben, dass die SPD-Fraktion hierfür namentliche Abstimmung beantragt hat. Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart.

Erster Redner ist Herr Kollege Joachim Werner. Bitte schön, Herr Kollege Werner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nicht verhehlen, dass ich etwas enttäuscht bin, und ich kann auch nicht verhehlen, dass ich jetzt nicht gerade eine Sternstunde des Parlaments erwarte. Diese Feststellung bezieht sich auf den Verlauf der Beratungen unseres Gesetzentwurfs in den Ausschüssen.

Wir können feststellen, dass wir uns mit diesem Gesetzentwurf sehr viel Mühe gemacht haben. Als ich zum Vorsitzenden des Petitionsausschusses gewählt wurde, war das erklärte Ziel, das Petitionsrecht in Bayern fortzuentwickeln. Wir haben vor eineinhalb Jahren diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Es war, weiß Gott, kein Schaufensterentwurf. Wir haben versucht, die Behandlung nicht über das Knie zu brechen, sondern alle Fraktionen in diesem Parlament in einen gründlichen Prozess einzubeziehen. Während der gesamten Beratungszeit gab es von allen Seiten immer wieder positive Signale, die mich hoffnungsfroh gestimmt haben, dass der Wurf gelingen wird, den Bürgern etwas mehr lebendige Demokratie zu bieten und sie wirklich mitreden zu lassen. In der heutigen Zeit kommt es darauf an, die Bürger mitreden zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben uns bei den Erfindern des Systems in Schottland umgeschaut. Wir haben uns auch beim Deutschen Bundestag angeschaut, wie das dort praktisch läuft. Nach dieser Reise des Petitionsausschusses wurde ich von mehreren Seiten angesprochen, das sei eine tolle Sache, mit dem Instrument könne es uns gelingen, die Bürger besser an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, ohne die Aufgabe des Parlaments, Entscheidungen zu fällen, und seinen Anspruch, das letzte Wort zu haben, preiszugeben.

Trotz dieser positiven Rückmeldungen ist es in den Beratungen in den Ausschüssen anders gekommen. Die Argumente, die ich dort gegen die öffentliche Petition gehört habe, können mich in keiner Weise überzeugen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Heiterkeit)

Brauchen Sie aber nicht schon zehn Minuten für die Frage!

Die Zeit wird angehalten. - Bitte schön.

Herr Kollege, ich hoffe, das kommt bei Ihnen richtig an: Sie haben gerade davon gesprochen, dass wir die Bürger mitnehmen und sie mitreden lassen wollen. Von Kollegen Ihrer Fraktion höre ich immer: Ihr FREIEN WÄHLER diskutiert wenigstens noch, wir bekommen alles von oben verordnet.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Wie passt das zusammen?

Bitte schön.

Herr Kollege, Sie können sich wirklich nicht darüber beklagen, wie wir Sozialdemokraten, insbesondere ich, Sie in den zweieinhalb Jahren, in denen Sie diesem Parlament angehören, einbezogen haben. Sie waren uns herzlich willkommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben Sie als belebendes Element empfunden. Ich weiß, dass das nicht alle Fraktionen dieses Hauses so sehen.

Zurück zu den Beratungen des Gesetzentwurfs in den Ausschüssen. Dort hat es geheißen, wir könnten die Sphäre, in der das Volk diskutiert, und die Sphäre, in der das Parlament diskutiert, nicht miteinander vermischen. Meine Damen und Herren, wir alle sind Vertreter des Volkes!

(Beifall bei der SPD - Maria Noichl (SPD): Jawohl!)

Es gibt keinen Gegensatz zwischen Abgeordneten und dem Volk. Wir haben nur eine Sphäre, und zwar die, in der das Volk diskutiert. Wir wollen den Bürgern eine bescheidene Möglichkeit geben, hier im Parlament mitzureden. Ich glaube, das ist der Sache angemessen. Wir leben im 21. Jahrhundert, nicht mehr im 20.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

In den Ausschüssen hat es geheißen, wir würden schon jetzt alles öffentlich diskutieren. - Klar, jeder der 12 Millionen Bayern hat theoretisch die Möglichkeit, zu uns in den Ausschuss zu kommen und zuzuhören. Aber das ist doch unrealistisch. Stellen Sie sich das

doch einmal in der Praxis vor. Und jetzt stellen Sie sich einmal vor, wie einfach es ist, seinen Computer einzuschalten, die Internetseite "www.bayern.landtag.de" aufzurufen und dort die Sache zu verfolgen mit der Möglichkeit, mitzudiskutieren. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, mit dem Argument, wir würden schon öffentlich tagen, dieses Instrument der öffentlichen Petition abzulehnen.

Dann wurde noch das Argument gebracht - da habe ich mir gedacht: Hoppla, das muss ich ernst nehmen, darüber muss ich gründlich nachdenken -, wenn wir das einführten, bestünde die Gefahr, dass der Anspruch auf das individuelle Petitionsrecht verloren ginge. Ich könnte noch drei Jahre lang darüber nachdenken und könnte dieses Argument dann immer noch nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der SPD)

Das individuelle Petitionsrecht bleibt erhalten; die Art und Weise, wie wir die Petitionen in den Ausschüssen behandeln, bleibt erhalten; das letzte Wort bleibt bei den Abgeordneten und den Ausschüssen. Am individuellen Petitionsrecht würde sich überhaupt gar nichts ändern.

Meine Damen und Herren, ich kann kein Argument aus den Ausschüssen nachvollziehen. Noch viel weniger kann ich nachvollziehen, was ich vor acht Tagen in der "Welt am Sonntag" gelesen habe. Dort hat Herr Kollege Bocklet für die CSU erklärt, dass es sich hier um ein "großes Palaver" handle. Meine Damen und Herren, Sie entlarven sich, wenn Sie bei allem, was die Menschen zur Politik zu sagen haben, von einem "Palaver" sprechen.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Ich komme jetzt zu den eigentlichen Ursachen für Ihre Ablehnung. Offensichtlich haben Sie Bedenken, dass die Opposition dieses Instrument missbrauchen könnte, um die Regierungsfraktionen unter Druck zu setzen. Meine Damen und Herren, sehen Sie sich bitte einmal das Verfahren im Bundestag an. Das läuft hervorragend. Niemand muss deshalb Angst haben. Wir alle miteinander sollten ein Interesse daran haben, den Menschen diese Möglichkeit einzuräumen und sie auf diesem Weg mitzunehmen. Für die vielen positiven Anregungen, die in diesem Diskussionsforum geäußert werden, bin ich als Politiker dankbar; ich fürchte mich nicht davor.

Ich möchte noch einen letzten Versuch starten. Natürlich wird dies nicht der letzte Versuch sein, selbst wenn dieser Gesetzentwurf heute abgelehnt wird. Wir werden nicht umhin kommen, dieses Instrument ein

zuführen. Ich bin bereit zu wetten: Früher oder später wird es dieses Instrument auch in Bayern geben. Ich hoffe nur, dass wir nicht wie bei der Härtefallkommission das allerletzte Bundesland sein werden. Die Einführung muss uns früher gelingen. Wir haben mehrfach die Einrichtung einer Härtefallkommission beantragt. Damals habe ich von Ihnen nichts als Gegenargumente gehört. Schließlich wurde auch in Bayern als letztem Bundesland eine Härtefallkommission eingeführt. Heute sind alle einschließlich der CSU froh, dass wir sie haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, dies wird auch bei den öffentlichen Petitionen der Fall sein.

Ich mache mir Sorgen über die Entwicklung des Petitionsrechts in Bayern. Es hieß, dieses Instrument wäre eine Gefahr für das individuelle Petitionsrecht. Diese Gefahr würde allerdings bereits unter den jetzigen Voraussetzungen bestehen. Als ich in diesem Landtag angefangen habe, hatten wir 4.000 Petitionen im Jahr. Jetzt sind es gerade noch 2.800 Petitionen im Jahr, Tendenz weiter sinkend. Als ich im Landtag angefangen habe, lag die Zahl der Berücksichtigungsbeschlüsse bei 2 %. Jetzt liegt sie bei 0,8 %. Wer sagt, wir hätten das allerbeste Petitionsrecht, lebt in einem anderen Parlament. Wir haben einen Verbesserungsbedarf.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte heute noch einmal an Sie appellieren und denjenigen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, die mir signalisiert haben, dass sie diesem Gesetzentwurf gern zustimmen würden, die Gelegenheit dazu geben. Wir haben zu diesem Gesetzentwurf namentliche Abstimmung beantragt. Hier geht es um keine Frage, die eine Regierung berührt. Hier geht es einzig und allein um das Parlament. Es geht auch nicht um einen Koalitionsvertrag, sondern um das Recht des Parlaments. In dieser Frage sollte jeder einzelne Abgeordnete seiner Verantwortung gerecht werden. Wenn ihr meint, die öffentliche Petition sei eine gute Sache, dann stimmt bitte zu. Heute habt ihr Gelegenheit dazu.