Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Wenn sich Dänemarks Regierung von den Rechtspopulisten so unter Druck setzen lässt, dass sie die Axt an eine der europäischen Grundfreiheiten legt, dann stellt sie auch die Gretchenfrage der Mitgliedschaft Kopenhagens im Schengen-Raum.

Ausgerechnet Sie von der FDP wollen nun mit einem gemeinsam mit der CSU eingebrachten Antrag dafür sorgen, dass es auch in Zukunft möglich ist, die Axt an eine der europäischen Grundfreiheiten zu legen.

(Christine Kamm (GRÜNE): Schämen Sie sich!)

Angesichts der Probleme des 21. Jahrhunderts, die wir mit Zuwanderung und grenzüberschreitender Kriminalität haben, ist ein europaweit abgestimmtes Vorgehen genau die richtige Antwort. Hier können wir positive Ansätze und gute Erfolge, die wir in Bayern mit unserer Polizei erzielen, in eine gemeinsame europäische Idee einbringen und gemeinsam an einem Sicherheitskonstrukt arbeiten. Aber bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, steht Europa ja seit Ihrem letzten Parteitag unter dem Vorbehalt "Gauweiler und Dobrindt". So heißen die Speerspitzen Ihrer antieuropäischen Haltung, hinter die Sie sich nun zurückziehen. 48 % erhielt Gauweiler bei der Wahl eines stellvertretenden Parteivorsitzenden; aber 100 % würde Gauweiler bezüglich europapolitischer Inhalte bekommen. Eine zukunftsgewandte Politik sieht definitiv anders aus.

(Beifall bei der SPD)

Für uns ist Ihr Antrag nicht nachvollziehbar. Inhaltlich zielt er in eine völlig falsche Richtung und macht den Eindruck, als hätten Sie sich nicht ausreichend mit dem Verordnungsvorschlag auseinandergesetzt. Denn was steht in dem Papier der angeblichen Eurokraten drin, lieber Herr Herrmann? - Ich meine hier Herrn Innenminister Herrmann.

Christl Kamm hat hierzu schon einiges gesagt. Die neuen Verkehrsvorschriften sehen vor, dass die Mitgliedstaaten nach wie vor selbst Grenzkontrollen einführen können, wenn sofortiges Handeln geboten ist. Auch der neue Verordnungsvorschlag sieht vor, dass Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ausnahmsweise für einen Zeitraum von 30 Tagen erlaubt sind, und das ist auf sechs Monate verlängerbar. Sie sehen also, es gibt in echten Bedrohungssituationen nach wie vor souveräne Entscheidungen der Mitgliedsländer. Diese sind in gar keiner Gefahr. Die Kommission will allerdings solche Kontrollen im Alleingang für höchstens fünf Tage erlauben. Mit so einer Regelung verhindert sie den Missbrauch für populistische Zwecke, wie das im Falle Dänemarks war. Es soll nicht das Ziel sein, dass so etwas wie in Dänemark weiter

hin durchgeht. Ich hoffe, wenigstens in dieser Frage sind wir uns einig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kommissionsvorschlag hat auch neue Gründe für Grenzkontrollen angeführt. Christl Kamm hat dazu schon einiges gesagt. Darüber müssen wir noch diskutieren, denn es darf zu keiner Einschränkung der Reisefreiheit führen. Aber auch die Tatsache, dass es in Gefahrensituationen zu einem Mehr an Kontrollen führen könnte, sind wir gerne bereit mitzutragen. Wir diskutieren hier schließlich im Interesse einer europäischen Sicherheit. Wir sind also bereit, dies mitzutragen, allerdings nur bei echten Gefahren für Europa, nicht aber bei einer Gefahr für die Herrschaft an den Stammtischen.

Der von den GRÜNEN in der Diskussion, aber auch von Christl Kamm formulierten Angst, dass die neuen Regelungen auf Kosten unschuldiger Flüchtlinge gehen könnten, soll damit begegnet werden, dass im Kommissionsvorschlag explizit Maßnahmen zu Beseitigung solcher Problemlagen genannt werden, zum Beispiel durch Frontex und Europol. Außerdem werden auch die anderen Mitgliedsländer in die Pflicht genommen.

Wir werden dem Antrag der GRÜNEN zustimmen und bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Das ist der richtige Weg, denn wir brauchen in der gegebenen Situation ein Mehr und nicht ein Weniger an Europa, auch wenn das hinsichtlich manch anderer populistischer Themen, die man mit Europa verbindet, derzeit nicht besonders in ist.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Als nächsten Redner bitte ich Herrn Dechant nach vorne.

(Vom Redner nicht autori- siert) Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hat wieder Verstärkung erfahren, wir sind also wieder einer mehr. Eigentlich war vorhin schon ein Drittel der Fraktion im Saal, was von den anderen Fraktionen nicht immer erreicht wird. So viel zu diesem Thema.

Frau Kamm und Herr Förster, inhaltlich haben Sie mit dem, was Sie hier sagen, durchaus recht: Wir brauchen keine Grenzen, die Leute wollen keine Schlagbäume und so weiter. Mit all dem haben Sie recht, wunderbar. Trotzdem kann ich Ihren Anträgen nicht nähertreten. Wir sind genau für das, wofür Sie eintreten. Wir wollen ein Zusammenwachsen Europas und dass sich die Leute begegnen, dass wir freien Handel treiben können. Hier geht es aber darum, ob man vorübergehende Kontrollen einführt und ob wir über fünf

Tage hinaus, wie Sie das gesagt haben, Herr Förster, selbst entscheiden dürfen. Es geht um die Frage, ob wir als souveräner Staat selbst sagen dürfen: Ja, wir wollen aus diesen schwerwiegenden Gründen - denn es müssen schwerwiegende Gründe sein - wieder Grenzkontrollen einführen. Es geht darum, ob wir dieses Recht an die Europäische Union abgeben wollen oder nicht. Wir sagen dazu: Nein. Das hat aber nichts mit dem zu tun, was Sie hier angeführt haben, wenn Sie sagen: Wir wollen freie Grenzen, wir wollen keine Schlagbäume und so weiter. Damit hat das nichts zu tun. Es geht darum, ob wir dieses Recht behalten und ob wir darüber frei entscheiden oder ob wir dieses Recht an die Europäische Union abgeben.

(Beifall bei der FDP)

Ich erinnere an die Beratung, die wir gestern im Europaausschuss zum Thema "Wein und weinähnliche Getränke" geführt haben. Auch aus der SPD-Fraktion sind dazu durchaus kritische Töne gekommen im Hinblick darauf, ob jetzt eine Europäische Union darüber zu entscheiden hat oder nicht. Wir diskutieren im Europaausschuss oft darüber, ob die Europäische Union eine bestimmte Frage entscheiden soll oder nicht. Oft kommt das dann so heraus, dass festgestellt wird: Solange uns inhaltlich gefällt, was die Europäische Union entscheidet, haben wir nichts dagegen. Wenn uns die Entscheidungen aber inhaltlich nicht gefallen, dann sind auch glühende Anhänger Europas der Meinung, dass die Frage auf nationaler oder auf Länderebene besser zu regeln wäre.

Frau Kamm, sie haben auch recht im Hinblick auf die gemeinsame Flüchtlingspolitik. Sie haben viel Richtiges gesagt, vieles, hinter dem auch wir stehen. Darum geht es in diesem Antrag aber nicht. Es geht darum, ob wir uns dagegen wehren, dass zusätzliche Kompetenzen auf die europäische Ebene übertragen werden beziehungsweise, ob wir auf eine Kompetenz verzichten. Wir sprechen uns dagegen aus. In diese Richtung zielt unser Antrag.

Ich glaube, wenn wir hinausgehen und mit der Bevölkerung reden und sie fragen, ob sie will, dass wir im Notfall auch über fünf Tage hinaus an der Grenze kontrollieren dürfen, würde sie das mittragen. Im Übrigen wollen wir nicht die Reisefreiheit einschränken; die Leute können trotzdem reisen und hinfahren, wo sie wollen. Es ist nicht so wie vor ein paar Jahrzehnten an der Grenze in Richtung Osten, wo man nicht fahren durfte. Die Menschen dürfen trotzdem fahren, sie werden aber kontrolliert. Ich bin deshalb überzeugt, dass unsere Bevölkerung, wenn wir sie befragen würden, unser Anliegen mit großer Mehrheit mittragen und so entscheiden würde, wie wir das in unserem Antrag fordern.

(Beifall bei der FDP und der CSU)

Herr Dechant, es gibt eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Kamm. Bitte.

Herr Kollege Dechant, Sie haben gesagt, Sie wollen die Freiheit eines Landes, die Freiheit eines Mitgliedstaats, selbst frei zu entscheiden, wann er Grenzkontrollen errichten möchte, und das auch dann, wenn er meint, aus dem Nachbarstaat kämen zu viele Flüchtlinge. Deshalb sollte die Möglichkeit bestehen, die Grenzen wieder zu öffnen. Es gibt aber nicht die Freiheit der anderen Länder zu sagen, wir wollen freie Grenzen. Das heißt, hier gibt es nur die Freiheit, wenn Sie für die Freiheit von Grenzkontrollen plädieren, aber nicht für die Reisefreiheit.

Frau Kamm, aus meiner Sicht ist das, ich möchte fast sagen, Haarspalterei. Als souveräner Staat haben wir ein Recht. Hier geht es um temporäre Grenzkontrollen. Es geht nicht darum, dass wir unsere Grenzen dicht machen und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag kontrollieren wollen.

Die Freiheit endet immer dort, wo ich die Freiheit des anderen einschränke. Wenn ich jetzt unbedingt durch diese Türe gehen will und dort jetzt jemand sitzt, dann geht das nicht. Wenn Sie zu Hause sind, kann ich auch nicht freien Zugang zu Ihrer Wohnung einfordern, denn den können Sie mir zu Recht verwehren.

(Allgemeine Unruhe)

Hier komme ich an den Punkt, wo ich Ihre Freiheit einschränke. Das möchte ich nicht. Wenn Sie zu mir in die Wohnung wollen, Sie sind im Übrigen jederzeit herzlich willkommen, dann gilt Ähnliches. Das muss man schon mal klarstellen. Deshalb ist das, was Sie vorgebracht haben, für mich ein bisschen Haarspalterei.

(Beifall bei der FDP)

Ich bitte jetzt noch Herrn Kollegen Hanisch als letzten Redner nach vorne, bevor wir in die Abstimmung eintreten. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Grundsätzlich sind alle für Europa, und ich glaube, grundsätzlich sind auch alle für Schengen. Das ist wohl unbestritten. Der Teufel steckt wie immer im Detail. Auch in Dänemark gilt das Schengen-Abkommen. Trotzdem hat Dänemark kurzfristig seine Grenzen dichtgemacht, weil zu viele Leute über die Grenzen

gekommen sind. Wir haben auch Stimmen in der CSU, beispielsweise Manfred Weber, die sich gegen nationale Alleingänge aussprechen. Herr Dechant von der FDP behauptet das Gleiche. Wir haben auch andere Meinungen dazu. Die Situation ist etwas umstritten. Tatsache aber ist, dass die Länder nach der Vorstellung der Europäischen Kommission in Zukunft nur noch fünf Tage lang in eigener Zuständigkeit die Grenze dichtmachen können, dann entscheidet die Kommission. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte stellt sich die Frage: Wollen wir das oder wollen wir das nicht?

Meine Damen und Herren, wir haben, seitdem wir das Schengener Abkommen in Deutschland haben, zu keiner Zeit die Grenzen dichtgemacht. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Sollte es trotzdem Anhaltspunkte dafür geben, die uns dazu veranlassen, die Grenze dichtzumachen, wollen wir das in eigener Zuständigkeit tun können.

Gestern habe ich versucht, den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten von der 20-TageRegelung zu überzeugen, weil mir fünf Tage einfach zu wenig sind. Weder von der CSU noch von der SPD oder den GRÜNEN hat es hierfür Zustimmung gegeben. Fünf Tage sind uns zu wenig. Deswegen werden wir dem Dringlichkeitsantrag der CSU und der FDP zustimmen und die beiden anderen Dringlichkeitsanträge ablehnen, weil wir wissen, dass sich die Vorteile Schengens - die Reisefreiheit und die Sicherheit innerhalb Europas - bewährt haben. Wir haben große Fortschritte gemacht, meine Damen und Herren. Wir haben eine Kooperation zwischen der Polizei in Tschechien und Bayern in Schwandorf. Das hat ebenfalls dazu beigetragen, die Sicherheit zu erhöhen. Uns geht der Wunsch der Kommission derzeit jedoch zu weit. Deswegen stimmen wir dem Dringlichkeitsantrag der CSU und der FDP zu und lehnen die Dringlichkeitsanträge der GRÜNEN und der SPD ab.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Uns liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Deswegen schließen wir die Aussprache. Des Weiteren können wir zur Abstimmung schreiten. Dafür trenne ich die Anträge. Für den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/9766 der CSU- und der FDP-Fraktion wurde namentliche Abstimmung beantragt. Die Abstimmungsurnen befinden sich am gewohnten Ort. Wir setzen fünf Minuten für das Abstimmungsverfahren an. Mit der Abstimmung kann jetzt begonnen werden.

(Namentliche Abstimmung von 18.52 bis 18.57 Uhr)

Die fünf Minuten sind jetzt um. Der Abstimmungsvorgang ist geschlossen. Die Kärtchen können jetzt ausgezählt werden. Jetzt kommen wir zu zwei Abstimmungen, die nicht in namentlicher Form erfolgen, deren zugrunde liegende Dringlichkeitsanträge jedoch denselben Inhalt haben. Ich bitte Sie, sich auf Ihren Platz zu begeben, sonst kann ich die Mehrheiten nicht abzählen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 16/9782 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. - Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP und der FREIEN WÄHLER. Gibt es Stimmenthaltungen? - Ich sehe keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 16/9783 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Fraktion der SPD. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der FREIEN WÄHLER und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Enthaltungen? Keine. Damit ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. Dr. Michael Piazolo u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Abschaffung der Studienbeiträge in Bayern Grundrecht auf Bildung ernst nehmen! (Drs. 16/9768)

Ich eröffne die Aussprache. Ich bitte Herrn Professor Dr. Piazolo an das Mikrofon.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Studiengebühren sind unsozial und gehören abgeschafft.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN)

Selbstverständlich freue ich mich über den Applaus. Liebe Kollegen, Sie wissen jedoch nicht genau, wem Sie zustimmen. Diese Aussagen, die auf einer Veranstaltung in der letzten Woche in der Oberpfalz geäußert wurden, stammen von CSU-Bundestagsabgeordneten Karl Holmeier und von CSU-Landrat Franz Löffler.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Das bedeutet, Mandatsträger von der CSU gehen schon über Land und sagen: Studiengebühren sollen abgeschafft werden. Das begrüße ich. In der Zeitung steht, dass der Bundestagsabgeordnete Karl Holmeier dafür bei der Versammlung großen Beifall geerntet habe. An der gleichen Veranstaltung hat Herr Sackmann teilgenommen. Ich weiß nicht, ob er sich deutlich für Studiengebühren ausgesprochen hat. Es kann jedoch nicht angehen, dass sich die CSU im Landtag ständig für Studiengebühren ausspricht und jeden Antrag dagegen ablehnt. Draußen laufen Sie vor den Wählern herum und sagen: Studienbeiträge gehören abgeschafft. Meine Damen und Herren, das geht nicht.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen über eine andere Erfahrung berichten. Am letzten Samstag habe ich um die Mittagszeit gezappt und bin bei Phönix gelandet. Dort wurde der CSU-Parteitag übertragen.

(Beifall bei der CSU)

Es wurde ebenfalls die Rede des Ministerpräsidenten gezeigt. Ich bin noch eine Weile drangeblieben, weil es um Studiengebühren ging. Es passte ganz gut. Am Vortag hatte ich einen Bericht über Körpersprache gesehen, also dass man daraus etwas ableiten kann. Sie konnten dabei feststellen - Sie waren ja dabei -: Er hat sich wirklich gewunden. Es war so.