Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, die größte Herausforderung, vor der wir in der Bildungspolitik in diesem Land stehen, ist die Bildungsgerechtigkeit. Darin können Sie mir doch zustimmen. Vielleicht sollten Sie einmal von der anderen Seite her darüber nachdenken. Ich frage Sie: Was tragen Ihre Studiengebühren dazu bei, dass wir diese Herausforderung meistern können? Was tragen Sie dazu bei? Bekommen wir durch Studiengebühren mehr Bildungsgerechtigkeit? Jede neue Bildungsstudie - egal, ob international oder national, egal, wer sie erstellt - betont erneut, dass die soziale Selektivität unseres Bildungssystems enorm ist und dass sie in Bayern besonders hoch ist. Bildung ist in diesem Land immer noch vom Geldbeutel und vom sozialen Status der Eltern abhängig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

500 Euro sind eine finanzielle Belastung. Darin sind wir uns einig. Ich meine, wir sind uns auch noch darin einig, dass 500 Euro bei einem kleinen Geldbeutel schwerer zu verkraften sind als bei einem gut gefüllten.

(Georg Schmid (CSU): Dann kann man das Darlehen in Anspruch nehmen!)

500 Euro mehr oder weniger spielen gerade für eine Familie mit niedrigem sozialem Status eine besonders große Rolle. Um die müssten wir uns aber kümmern.

(Georg Schmid (CSU): Für die gibt es das Darlehen!)

- Jetzt kommen Sie mit Ihrem Darlehen. Ihre Kollegen kommen dann mit den Befreiungen und damit, dass alles sozial verträglich sei. Für jemand, der nichts im Rücken hat, der nichts auf der hohen Kante hat, der keine Aussicht hat, es zurückzahlen zu können, ist ein Darlehen überhaupt nicht sozial verträglich.

(Georg Schmid (CSU): Beim BAföG war es jahrzehntelang so!)

Wer den heutigen Armutsbericht kennt, kann armen Leuten kaum mehr sagen, nehmt ein Darlehen auf, das ist für euch die sozial verträgliche Lösung.

(Georg Schmid (CSU): Das war beim BAföG überhaupt kein Problem! Das habe ich auch in Anspruch genommen, auch aus einfachen Verhältnissen! Das stimmt nicht, was Sie sagen!)

Dass das Darlehen ein Problem ist, zeigt die Abstimmung mit den Füßen. Wenn das Darlehen kein Problem wäre, würden es die Leute annehmen. Sie tun es aber nicht, weil sie schlauer sind, als Sie glauben.

Jetzt möchte ich etwas zur angeblichen Sozialverträglichkeit der Gebühren aufgrund der vielen Befreiungsmöglichkeiten sagen. Dazu zitiere ich eine bayerische Studie, nämlich eine Studie unseres Hochschulentwicklungsinstituts. Die Befreiungen, die Sie anbieten, greifen sehr gut. 30 % der Studierenden werden befreit. Die allergrößte Gruppe sind die Familien mit drei Kindern oder Familien, bei denen zwei Kinder studieren und für drei Kinder Kindergeld gezahlt wird. Wissen Sie, wer von den Befreiungen profitiert? Wissen Sie das, Herr Minister? Die Studie teilt dazu die Studierendenschaften in vier Gruppen, nämlich vom Status niedrig bis ganz hoch ein. Aus den beiden unteren Gruppen profitieren 19 % von den Befreiungen. Aus der nächsthöheren Gruppe profitieren 23 %. Aus der höchsten sozialen Gruppe, also aus den Familien, die das meiste Geld mitbringen, profitieren 28 %. So zielgerichtet funktioniert Ihre sozialverträgliche Befreiung.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CSU: Die haben wenigstens Kinder!)

Die, die es nicht brauchen, profitieren am meisten von ihren Befreiungen. Das nennen Sie sozialverträglich. Ich sage, das ist ein Skandal.

(Beifall bei den GRÜNEN - Markus Rinderspa- cher (SPD): Sehr gut!)

Durch die Abschaffung der Studiengebühren, über die wir heute zu Recht noch einmal diskutieren, wird das Studium - das wird oft falsch dargestellt - auch nicht kostenlos. Keineswegs wird es dadurch kostenlos. Das sollten Sie nicht immer auf der Straße sagen, wenn Sie gegen Handwerksmeister, gegen Kindergärten oder sonst was polemisieren. Ein Studium kostet ein Heidengeld.

(Albert Füracker (CSU): Vor allen Dingen den Staat!)

- Nein, Herr Kollege, die Hälfte der Gesamtkosten eines Studiums zahlen die Familien schon jetzt. Nur die Hälfte trägt der Staat. Auch das können Sie in den Studien nachlesen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was heißt es, dass ein Studium nicht kostenfrei ist? In München müssen Studierende im Durchschnitt 360 Euro für eine Wohnung ausgeben. Können Sie sich daran erinnern, wie hoch die Hartz-IV-Sätze sind? Wissen Sie, wie viel Geld es ist, das allein für das Wohnen ausgegeben werden muss? Da habe ich noch nichts gegessen, noch kein Telefon bezahlt, noch kein Buch gekauft, keine Fahrkarte und keinen Studentenbeitrag, geschweige denn die Studiengebühren bezahlt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das eigentliche Problem, das wir zu lösen haben, wenn wir die Studiengebühren abgeschafft haben werden, ist eine für alle gerechte Studienfinanzierung. Alle sollen tatsächlich und unabhängig vom Geldbeutel der Eltern einen Zugang zum Studium haben.

Herr Minister, Sie sagten mit einem gewissen Stolz auf Ihrer letzten Pressekonferenz, die Zusammensetzung der Studierendenschaft habe sich nicht geändert. Das sagt im Prinzip auch die Studie aus. Dass Sie darauf stolz sind, dass sich die soziale Zusammensetzung nicht geändert hat, kann ich nicht verstehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In diesem Land gilt vor und nach der Einführung der Studiengebühren folgende Wahrheit: 44 % der Studierenden an bayerischen Hochschulen kommen aus der höchsten sozialen Gruppe. Aus den beiden höchsten Gruppen zusammen kommen 77 %. Gestern konnten wir in der Zeitung, wahrscheinlich auch in der "taz" lesen, dass die Reichen immer reicher, die

Armen aber immer ärmer werden und dass auch die Gruppen dazwischen immer kleiner werden. Vor diesem Hintergrund finde ich eine solche Zusammensetzung der Studierendenschaft skandalös. Wenn Sie es nicht gleich verstehen sollten, denken Sie bitte darüber nach. Das ist skandalös.

Zusätzlich gibt es in Bayern eine regionale soziale Bildungsungerechtigkeit. Kolleginnen und Kollegen, dem sollten Sie schon zuhören. Vielleicht ist Ihnen das noch gar nicht bewusst. Gerade die Münchner Kollegen sollten sich das anhören. Herr Minister, in München studieren die Kinder der Reichen - in Bayern auch, aber speziell in München. Woher weiß ich das? Ich weiß es auch aus der Studie. In München bekommen die wenigsten Studierenden BAföG-Leistungen. In München bekommen signifikant weniger Studierende BAföG-Leistungen als in Bayreuth oder Bamberg. Warum sagt die Studie das? Die meisten anderen können es sich gar nicht leisten, in einer Stadt wie in München zu studieren. Das ist soziale Ungerechtigkeit. Wer studiert in München? Die Kinder der Reichen. Die anderen, die in Bayern bleiben wollen, müssen schon nach Bayreuth oder Bamberg gehen. Das ist die Wahrheit, Herr Minister.

Für mich wäre es interessant zu wissen, wie hoch der Anteil der höchsten sozialen Gruppe an den Münchner Universitäten ist. Leider wurde das nicht untersucht. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich eine schallende Ohrfeige für Sie, die Sie hier sitzen. Betrachten Sie sich einmal die hochselektive Gruppe, wie wir sie in der Studierendenschaft in Bayern haben: 77 % haben einen hohen sozialen Status. Und da wundern Sie sich noch darüber, dass von denen die Rückmeldung kommt: Diese 500 Euro gefallen uns zwar nicht, aber sie bringen uns nicht um. Wundern Sie sich da wirklich? Damit haben Sie doch nicht diejenigen gefragt, die durch diese Gebühren wirklich belastet werden. Diese Leute erwischen Sie gar nicht, weil die gar keinen Fuß an die Universität setzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister, wir wollen doch weder in München noch in Bayern nur die klugen Köpfe der reichsten Familien, sondern wir wollen alle klugen Köpfe. Was tun Sie dafür? Gar nichts.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein paar Sätze zur Abwanderung, weil immer behauptet wird, dass eine Abwanderung in Länder ohne Studiengebühren nicht festzustellen sei. Auch hier sollte man diese Studien ein bisschen genauer lesen. Wir müssen sehen, dass die Zeitspanne bislang zu gering ist, um eine verlässliche Feststellung treffen zu können. Wir können aber sehr wohl erste Trends be

obachten. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Trends noch stärker sehen werden, wenn in BadenWürttemberg die Studiengebühren abgeschafft sind. Auch das Beispiel Hamburg zeigt, dass mehr Studierende kommen, wenn die Studiengebühren weg sind. Dies gilt trotz der Überlagerung durch den doppelten Abiturjahrgang. Die Zahlen sind ohnehin angestiegen. Sie wurden nicht bereinigt.

Trotz der Tatsache, dass die Abschaffung der Studiengebühren in Baden-Württemberg und Hamburg noch nicht hineingerechnet werden kann, stellt Ihre Studie fest, dass es eine leicht steigende Tendenz der Abwanderung aus Bayern gebe. Das steht in dieser Studie. Sehr deutlich zu erkennen ist, dass aus Ländern, in denen es keine Studiengebühren gibt, weniger Studierende zu uns kommen. Das ist die Wahrheit, die in Ihrer Studie dargestellt ist. Deshalb kann man nicht sagen, die Studiengebühren hätten überhaupt keine Auswirkungen auf das Wanderungs- und das Studierverhalten der jungen Leute.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn Sie bei diesen Zahlen noch nicht ganz durchsteigen, können Sie sie nachlesen. Wenn Sie das Ergebnis dieser Analyse einmal durchdenken, können Sie nur zu dem Ergebnis kommen: Die Studiengebühren müssen abgeschafft werden. Studiengebühren gehören abgeschafft.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Minister, ich habe auf Ihrer Pressekonferenz gehört oder in der Zeitung gelesen - ich weiß nicht, wo Sie es gesagt haben -, dass Sie die Frage gestellt hätten: Wer soll das zahlen? Diese Frage finde ich etwas merkwürdig angesichts der Tatsache, dass die Hochschulen das Geld gar nicht ausgeben können. Das haben wir schon gehört. Ich glaube aber, dass die Hochschulen das Geld brauchen könnten. Wer soll diesen Ausfall zahlen? Sollten wir das alles aus Steuern bezahlen?

(Staatsminister Dr. Wolfgang Heubisch: Wo habe ich das denn gesagt?)

- Das haben Sie gesagt. Ich muss Ihnen das noch einmal heraussuchen.

(Staatsminister Dr. Wolfgang Heubisch: Also ir- gendwo?)

- Okay. Frage: Es könnte sein, dass Sie gesagt haben: Soll das irgendjemand aus Steuern bezahlen? Herr Minister, die Antwort auf diese Frage lautet Ja. Dies soll bitte aus Steuern bezahlt werden. Das ist

genau der Punkt. Wir schaffen die Studiengebühren ab und gewähren einen Ausgleich aus Steuermitteln.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich sage Ihnen auch, warum. Selbstverständlich geben wir den Ausgleich aus Steuermitteln, weil alle in diesem Land davon profitieren. Davon profitiert der Handwerker, der gut verdient und durch geschickte Arbeit reich wird. Davon profitieren auch der Unternehmer und alle, die in Deutschland und Bayern Vermögen anhäufen. Alle profitieren davon, dass es gut ausgebildete Leute gibt. Genau diese Leute sollen dafür zahlen, dass gut ausgebildete Leute nachwachsen. Das geht nur über die Steuer.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme noch einmal auf den Armutsbericht zurück. Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Skandal, was wir gestern in der Zeitung lesen mussten. Es ist ein Skandal, wie sich die Privatvermögen in diesem Land entwickeln und dass es kaum mehr möglich ist, den sozialen Aufstieg über Bildung zu schaffen. Es ist kaum mehr möglich, aus der niedrigsten sozialen Stufe aufzusteigen. Hier müssen wir über eine Umverteilung reden und aus den großen Privatvermögen die Bildung und die Zukunft dieses Landes finanzieren. Dahin muss der Weg gehen. Wir brauchen keine Studiengebühren, sondern ein kostenfreies Bildungssystem von Anfang bis zum Ende.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen herzlichen Dank. Für die Buchführung: Es wären noch zwei Minuten Redezeit übrig für den Fall, dass Sie nachher noch einmal reden möchten.

(Georg Schmid (CSU): Nicht aufhetzen!)

Jetzt hat Frau Kollegin Dr. Annette Bulfon von der FDP das Wort.