Protokoll der Sitzung vom 12.10.2011

Ich halte das für eine ganz wichtige gesellschaftspolitische Zielsetzung; denn die Hilfe für Menschen mit Behinderung muss mit einem eigenen Anspruch versehen werden, der einen anderen Charakter als die althergebrachte Fürsorgedenke hat. Das wäre ein Bundesleistungsgesetz.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz darstellen, wie es mit dem Aktionsplan weitergehen wird, weil das ebenfalls angesprochen worden ist. Wir hatten im Vorfeld der Erarbeitung und während der Erarbeitung des Entwurfs einen breiten Diskussionsprozess mit dem Landesbehindertenrat, aber auch mit den Teilnehmern einer Anhörung, die der sozialpolitische Ausschuss des Bayerischen Landtags im November 2010 - herzlichen Dank dafür - durchgeführt hat. Die Anregungen sind in den Entwurf dieses Aktionsplans eingeflossen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die weitere Diskussion nicht nur mit den 140 Verbänden für Menschen mit Behinderung, den Kosten- und Einrichtungsträgern, der Wirtschaft und weiteren Beteiligten führen werden, sondern mit der gesamten Öffentlichkeit. Wir haben den Entwurf in das Internet eingestellt. Jeder ist eingeladen, sich zu äußern. Ein Punkt wird dabei die Fachtagung sein, die wir in diesem Jahr im Rahmen der ConSozial in Nürnberg durchführen werden, um das Thema stärker in der allgemeinen Öffentlichkeit zu platzieren. Schließlich - das wurde heute mehrfach gesagt - ist dies kein Thema, das die Politik allein lösen kann. Es gehört in die Köpfe der Menschen. Nötig sind Maßnahmen. Das Thema muss jeden Tag gelebt werden.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch einmal auf das Thema Frühförderung eingehen, weil die Heilpädagogischen Fachdienste heute mehrfach angesprochen worden sind. Ich halte es für wichtig, dass wir Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspfleger in die Kinderbetreuungseinrichtungen bringen, wo sie direkt mit den Kindern arbeiten können. Frau Kollegin Meyer, ich danke Ihnen in diesem Punkt für Ihre Unterstützung. Das ist wesentlich zielführender als die von den Kommunen ohnehin ungeliebten Heilpädagogischen Fachdienste, die vorwiegend Erzieherinnen beraten, deren Leistung aber nicht direkt beim Kind ankommt.

Ich bitte Sie, dieses Thema im Zusammenhang zu sehen. Derzeit haben wir 7.307 Kinder mit Behinderung in unseren Kindertageseinrichtungen. Das ist eine Steigerung von 76 %, die durch unseren innovativen Ansatz im BayKiBiG seit Anfang 2006 erreicht wurde. Das ist ein echter Erfolg, den wir vorzeigen können. Deshalb setzen wir auf Weiterqualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte, die in den Kinderbetreuungseinrichtungen mit den Kindern mit Förderbedarf zu tun haben. Diese Weiterqualifizierungsmaßnahmen sollen auch aus Geldern aus dem Sozialfonds finanziert werden.

Beim Thema Inklusion sollten wir uns alle miteinander auch darüber Gedanken machen, ob es nicht dazugehört, dass Kinder ohne Behinderung in die Fördereinrichtung gehen. Dieses Petitum habe ich immer wieder von der Behindertenbeauftragten gehört. In diesen Einrichtungen sollen auch diese Kinder unterrichtet, gefördert und gebildet werden, obwohl sie bisher landläufig ausschließlich für Kinder mit Behinderung vorgesehen waren. Diese Forderung der Behindertenbeauftragten ist nur konsequent, wenn man die Inklusion als beidseitigen Prozess betrachtet. In diesem Fall müssen wir uns aber darauf einstellen, dass wir spannende Diskussionen mit den Eltern bekommen werden. Diese Diskussion müssen wir aber führen, und wir müssen sie sehr offen führen. Wir dürfen nicht nur in eine Richtung diskutieren.

Vorhin war die Schulpolitik ein Thema. Ich erlebe immer wieder, dass Eltern von Kindern mit Behinderung ein großes Interesse daran haben, dass ihre Kinder in Regelschulen gehen, während Eltern von Kindern ohne Behinderung unglaublichen Wert darauf legen, dass ihr Kind bitte, bitte, bitte ganz individuell gefördert wird. Hier gibt es immer noch Scheren im Kopf. Ich kann nicht die höchste individuelle Förderung im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit verwirklichen, wenn ich mich gleichzeitig - wie Sie das tun politisch für eine Art Gemeinschaftsschule einsetze.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): So ein Schmarrn!)

- Natürlich tun Sie das.

Ein weiterer Punkt, der mir an dieser Stelle wichtig ist, ist die Teilhabe am Arbeitsleben. Richtig ist: Das Ziel ist der erste Arbeitsmarkt. Alle staatlichen Mittel, die wir für die Eroberung des ersten Arbeitsmarkts einsetzen, sind gut investiert. Ich nenne als Beispiel unsere Maßnahme für den Übergang von der Förderschule in den Beruf, und ich nenne das neue Bund-Länder-Programm mit dem Titel "Initiative Inklusion", das aus Mitteln der Ausgleichsabgabe finanziert wird. Bayern wendet allein 15 Millionen Euro unter anderem für die berufliche Orientierung schwerbehinderter Schülerin

nen und Schüler und für die Integration älterer schwerbehinderter Menschen auf. Ich freue mich, dass der Freistaat seit Jahren seine Beschäftigungsquote als Arbeitgeber erfüllt. Die Beschäftigungsquoten bei den privaten Arbeitgebern liegen leider weit darunter - derzeit nur bei 3,7 %.

Leider sind auf dem Arbeitsmarkt viele Klischees über die Arbeit von Menschen mit Behinderung unterwegs. Allerdings ist der erste Arbeitsmarkt nicht für jeden Arbeitnehmer der geeignete Arbeitsmarkt. Deshalb glaube ich, dass wir die Wahlfreiheit als einen Bestandteil der Inklusion betrachten sollten. Daher ist es auch wichtig, dass wir die Werkstätten weiterentwickeln, neue Außenarbeitsplätze schaffen und die 86 Integrationsunternehmen, die in Bayern rund 3.300 Arbeitsplätze anbieten, unterstützen, um immer wieder Brücken zum ersten Arbeitsmarkt zu bauen.

Meine Damen und Herren, ich möchte noch kurz auf ein Thema eingehen, das ebenso die Integration am Arbeitsmarkt betrifft, nämlich auf die Mithilfe der Integrationsämter. Ich freue mich sehr, liebe Frau Kollegin Sonnenholzner, dass Sie das Integrationsamt so gelobt haben. Ich möchte an der Stelle nur sagen, dass es nicht das Integrationsamt der Stadt München ist, sondern das Integrationsamt des Freistaates Bayern, angesiedelt bei unserem Zentrum Bayern Familie und Soziales.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich nehme an, dass Ihr Lob weiterhin gilt, auch wenn Sie nun wissen, wo das Integrationsamt angesiedelt ist.

Ich möchte mich auch bei unserer Landtagspräsidentin Barbara Stamm bedanken, die ich gerade noch gesehen habe. Oliver Jörg oder Joachim Unterländer nehmen den Dank stellvertretend entgegen. Sie zeichnet zusammen mit der bayerischen Behindertenbeauftragten mit ihrer Initiative "JobErfolg" Arbeitgeber aus, die sich vorbildlich engagieren. Damit werden in ganz Bayern wichtige Zeichen gesetzt. Wenn ich in Bayern unterwegs bin, höre ich immer wieder, wie stolz Unternehmen sind, die ausgezeichnet wurden, weil sie besonderes Engagement für Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt gezeigt haben. Gerade für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen ist es wichtig, dass man öffentlich deutlich macht, wie sie sich einsetzen.

Ich möchte kurz die Frauen mit Behinderung ansprechen. Sie liegen mir besonders am Herzen, weil sie in unserer Gesellschaft gelegentlich doppelt diskriminiert werden. Sie sind der Gefahr von Armut und sozialer Ausgrenzung am stärksten ausgesetzt. Ich möchte dem Netzwerk für Frauen und Mädchen mit Behinde

rung in Bayern ein Dankeschön sagen. Mit Beratungsangeboten sowie Selbsthilfe-, Fortbildungs- und Informationsangeboten leistet es hervorragende Arbeit.

Wir haben im Jahr 2010 zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden und den Bezirken - das ist zum Schluss noch das Thema Wohnen mit Behinderung neue Förderrichtlinien für die offene Behindertenarbeit in Kraft gesetzt. Wir haben - das betrifft die ambulanten Strukturen - einheitliche Standards mit einheitlichen Fachkraftquoten in Bayern. Darüber hinaus sind wir mit dem Runden Tisch zur Zukunft der Behindertenhilfe in Bayern, der hier auch schon erwähnt wurde, wichtige Schritte gegangen, um - das haben Sie angesprochen - von der stationären Einrichtung zur individuellen, wohnortnahen und inklusiven Wohnform zu kommen.

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich der Arbeitsgruppe danken, die sich um die Inklusion in Schulen verdient gemacht hat. Soweit ich weiß, ist das bundesweit einmalig. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Hier ist viel geleistet worden, auch an Koordinationsarbeit über die Ausschussgremien hinweg, was immer angefordert wird. Vielleicht kann sich das eine oder andere Haus in der Staatsregierung daran ein Beispiel nehmen. Ich sage dieser Arbeitsgruppe deswegen an dieser Stelle ein Dankeschön. Das ist eine ganz tolle Arbeit.

Ich möchte natürlich auch unserer Behindertenbeauftragten danken, die ständig Gesprächspartnerin ist, die nicht immer pflegeleicht ist - das soll sie auch nicht sein, das ist nicht ihr Amt -, sondern die wirklich eine engagierte Kämpferin für die Interessen von Frauen und Männern mit Behinderung in Bayern ist. Ich glaube, sie macht eine wunderbare Arbeit.

Wir sind auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die Diskussion über den Aktionsplan. Ihre Interpellation hat uns die Möglichkeit gegeben, diesen guten Weg noch einmal öffentlich darzustellen. Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. - Damit ist die Aussprache zur Interpellation beendet. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Abstimmung

über Verfassungsstreitigkeiten und Anträge, die gemäß § 59 Abs. 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden (s. a. Anlage 1)

Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlagen liegen Ihnen die Voten der Fraktionen auf einer Liste vor.

(Siehe Anlage 1)

Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. dem Abstimmungsverhalten seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann übernehmen alle diese Voten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Dr. Andreas Fischer, Dr. Otto Bertermann u. a. und Fraktion (FDP), Georg Schmid, Alexander König, Petra Guttenberger u. a. und Fraktion (CSU) Missbrauch von Software zur Telekommunikationsüberwachung verhindern (Drs. 16/9765)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Florian Ritter, Franz Schindler u. a. und Fraktion (SPD) Überwachungssoftware - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts strikt einhalten (Drs. 16/9767)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einsatz der verfassungswidrigen TrojanerSoftware in Bayern stoppen! (Drs. 16/9769)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Günther Felbinger u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Einsatz von Spionagesoftware durch bayerische Behörden (Drs. 16/9781)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner hierzu ist Kollege Dr. Fischer, den ich um das Wort bitte. - Bitte schön.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Datenschutzskandal erschüttert unser Land. Das Wort "Trojaner" hat zweifellos gute Chancen, zum Wort oder besser Unwort des Jahres 2011 gewählt zu werden. So unerfreulich das alles ist: Die öffentliche Debatte hat immerhin etwas Gutes; denn das, was wir Liberale immer angemahnt haben, ist eingetreten. Das Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach einer geschützten Privatsphäre, das öffentliche Bewusstsein dafür ist nun endgültig geweckt worden.

Drei Aussagen zweifelt heute niemand mehr an: "Datenschutz geht uns alle an", "Staatliche Überwachung darf es nur in klar definierten rechtsstaatlichen Grenzen geben" und, ganz wichtig: "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum". Das gilt auch für jedes staatliche Handeln.

(Beifall bei der FDP)

Der Satz "Ich habe nichts zu verbergen, man kann alles wissen", der letztlich zum gläsernen Bürger führt, landet jetzt hoffentlich dort, wo er hingehört, nämlich auf dem Müllhaufen der Geschichte.

(Beifall bei der FDP)

Die aktuellen Vorgänge sind kompliziert. Da wir teilweise eine babylonische Sprachverwirrung haben, lassen Sie mich kurz skizzieren, worum es geht. Der Einsatz von Trojanern ist das verdeckte Aufspielen einer Software auf einen fremden PC. Das ist rechtsstaatlich bedenklich, solange es dafür keine klare Grundlage gibt. Es wird völlig inakzeptabel, wenn es zum Einfallstor für weitere Angriffe wird.

Das sagt aber noch nichts über den Zweck aus, der mit dieser Software verfolgt wird: Das kann das reine Überwachen der Telekommunikation oder der vollständige Zugriff auf den Rechner sein. Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung sind etwas anderes und davon zu trennen. Die bayerische FDP hat hier eine glasklare Position: Wir haben der Online-Durchsuchung nicht die Giftzähne gezogen, um über das Hintertürchen der Quellen-TKÜ einen Zugriff auf die Festplatte zu erlauben, der noch weiter geht.

(Beifall bei der FDP)

Dass bei schweren Straftaten mit richterlichem Beschluss eine Telefonüberwachung zulässig ist, bestreitet kaum jemand. Dass im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel die Kommunikation über den PC stattfindet, ist eine Tatsache, der wir uns stellen müssen. Die Quellen-TKÜ darf aber nur dazu eingesetzt werden, wozu sie gedacht ist, zur Überwachung

der laufenden Telekommunikation, und zu sonst nichts.

(Beifall bei der FDP)