Protokoll der Sitzung vom 20.10.2011

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das bayerische Landtagswahlrecht ist ein sehr demokratisches. Mit dem Zuschnitt der Stimmkreise lassen sich die Wahlergebnisse aber entscheidend beeinflussen.

Nach den salbungsvollen Worten von Herrn Professor Bausback müssen wir Folgendes zur Kenntnis nehmen: Genauso, wie die Staatsregierung die Stimmkreise neu sortiert hat, sollen sie heute vom Landtag durchgewunken werden. Es hat nur eine kleine Änderung zwischen Regensburg und Regensburg-Land gegeben.

Bereits im letzten Herbst ist deutlich geworden, dass die Neuzuschnitte maßgeschneidert sind - maßgeschneidert entsprechend den personellen und strukturellen Interessen der CSU, insbesondere in Oberbayern. Ich möchte dies an drei Beispielen deutlich machen:

Erstens. Lange bevor den Landtagsfraktionen der Stimmkreisbericht offiziell zugestellt worden ist, sind

die neuen Stimmkreiszuschnitte in den diversen Parteigremien der CSU diskutiert worden. Dies konnten wir den Presseberichten entnehmen. Trotz konkreter Nachfragen wurden uns zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Basisdaten, also die maßgeblichen Entwicklungen der Einwohnerzahlen, zur Verfügung gestellt, geschweige denn die geplanten Stimmkreisveränderungen. So wie die Stimmkreisneueinteilung in die offizielle Anhörung der Fraktionen, der Parteien und der Kommunen hineingegangen ist, so kam sie auch wieder heraus. Keiner der verschiedenen Vorschläge der Opposition wurde aufgegriffen. Den diversen Bedenken, die man vor Ort hatte, ist nicht Rechnung getragen worden. Das Ergebnis war offensichtlich schon von vornherein festgeklopft.

Der Unmut an der CSU-Basis in der Oberpfalz und in Oberfranken, weil jeweils ein Stimmkreis entfällt, brachte zum Ausdruck, dass es sich dabei nur um einen Betriebsunfall gehandelt habe.

Zweitens. Warum wurde der neue oberbayerische Stimmkreis ausgerechnet in Ingolstadt vorgesehen? Es liegt doch auf der Hand, dass Ministerpräsident Seehofer hier einen eigenen Stimmkreis erhalten sollte, damit er bei der nächsten Wahl überhaupt eine Chance hat, in den Landtag gewählt zu werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD - Wider- spruch bei der CSU)

Im Moment hat er ja sozusagen nur Gaststatus.

(Alexander König (CSU): Fangen Sie nicht immer wieder von Neuem an mit Ihren Geschichten!)

Die Einwohnerzahlen und die Bevölkerungsentwicklung im Raum Ingolstadt rechtfertigen jedenfalls keinen zusätzlichen Stimmkreis. Aus den zwei Stimmkreisen Ingolstadt-Neuburg und PfaffenhofenSchrobenhausen werden drei Stimmkreise gebildet, die zum Teil sehr nah an der Abweichungsgrenze von minus 25 % von der durchschnittlichen Einwohnerzahl liegen. Außerdem fühlen sich drei Gemeinden aus dem Landkreis Pfaffenhofen vor den Kopf gestoßen, da sie dem Nachbarlandkreis zugeordnet worden sind.

Statt einen neuen Stimmkreis in Ingolstadt zu schaffen, hätte sich dieser im Südwesten Oberbayerns aufgedrängt. Dort stellen sich die Einwohnerzahlen ganz anders dar. Im Anhörungsverfahren haben wir dies anhand der Bevölkerungszahlen und der voraussichtlichen Bevölkerungsentwicklung genau vorgerechnet.

Als drittes Beispiel möchte ich den Zuschnitt Münchens nennen. Es wurde die Gelegenheit verpasst, die Stimmkreise an die städtischen Bezirke anzupas

sen. Für die Wählerinnen und Wähler ist es völlig verwirrend, wenn die Stimmkreise die Stadtbezirke durchschneiden, und dies tun sie in sehr vielen Fällen. Diese Durchschneidung läuft der zunehmenden Identifizierung mit den Stadtbezirken zuwider. Schließlich haben die direkt gewählten Bezirksausschüsse zunehmende Bedeutung erhalten, und sie sollten auch eindeutig zugeordnete Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen im Landtag haben. Wir haben vier durchgerechnete Vorschläge vorgelegt, um damit zu beweisen, dass eine Einteilung der Stimmkreise entlang der Bezirksausschussgrenzen möglich ist. Der Antrag der FREIEN WÄHLER hat einen dieser Vorschläge aufgegriffen. Dem werden wir natürlich zustimmen.

Warum sträubt sich die CSU also gegen eine solche Lösung in München? Die Parteistrukturen laufen dem zuwider; denn sie sind nach den Landtagsstimmkreisen zugeschnitten. Die jetzige Stimmkreiseinteilung in München, die jeweils eine Art Kuchenstück herausschneidet, bietet der CSU den besten Wählermix, um möglichst viele Direktmandate zu erzielen, und solch eine schöne Position will natürlich niemand aufgeben. Das ist keine Stimmkreiseinteilung nach objektiven Kriterien, sondern nach Wahlkalkül.

Zur grundsätzlichen Notwendigkeit der Stimmkreisreform, also zur Mandatsverschiebung von Oberfranken und der Oberpfalz nach Oberbayern, möchte ich mich voll und ganz den Ausführungen des Kollegen Schindler anschließen. Die rückläufige Bevölkerungsentwicklung ist tatsächlich ein Ergebnis verfehlter Strukturpolitik. Sicher kann man keine Strukturpolitik mithilfe des Wahlrechts machen, aber die Menschen müssen nicht auch noch dafür bestraft werden, indem sie zukünftig im Landtag nur noch eine reduzierte Repräsentanz haben werden.

Wir haben es in der gesamten Debatte für verfassungsrechtlich vertretbar gehalten, die Mandatsverteilung auf die Wahlkreise, also die Bezirke, trotz der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung in Oberfranken und der Oberpfalz mit je 17 beizubehalten. Wir haben ein Gutachten von Professor Wieland aus Speyer beigebracht. Die CSU in Oberfranken hat ein Gutachten von Professor Gärditz von der Universität Bonn vorgelegt. Auch Dr. Glaser hat uns in der Anhörung in unserer Meinung bestärkt.

Die Zeit bis zu den Wahlen 2018 hätte genutzt werden können, um die anstehenden Korrekturen, die durchaus wichtig sind, auf den Weg zu bringen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, es kann dann eine Zwischenbemerkung sein. - Es geht um die Mindestmandate. Sicherlich kann es sein, dass sich bei 16 Mandaten die Frage der Fünf-Prozent-Hürde noch nicht stellt, das heißt, dass eine Partei, die 5 % erhält, leer ausgeht und kein Mandat im Wahlkreis erzielt. Aber die Entwicklung wird voranschreiten, das heißt, wenn jetzt von 17 auf 16 Mandate reduziert wird, ist dennoch kein Ende abzusehen. Es muss eine angemessene Repräsentanz aus jedem Wahlkreis für die Bevölkerung im Landtag gegeben sein.

Wir haben es mit einem weiteren Problem zu tun. Das ist die zunehmende Anzahl der zu erwartenden Überhang- und Ausgleichsmandate. Es ist zu erwarten, dass sich der Landtag auf diese Art und Weise vergrößern und Oberbayern eine überproportionale Dominanz im Landtag erhalten wird, weil hier die meisten Überhang- und Ausgleichsmandate zu erwarten sind. Wir haben die Problematik der Abkoppelung der Bezirkstagswahl von der Landtagswahl, die wir für grundsätzlich erforderlich halten, weil es nicht einzusehen ist, dass die dritte kommunale Ebene mit den Landtagswahlen verknüpft wird. Sie muss zusammen mit den übrigen Kommunalwahlen durchgeführt werden, und zwar nach dem gleichen Wahlrecht wie die Gemeinde- und Landkreiswahlen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Bei der Expertenanhörung sind die Professoren überwiegend zu dem Ergebnis gekommen, dass bereits bei den nächsten Wahlen jeweils ein Mandat von Oberfranken und der Oberpfalz Oberbayern zugeschlagen werden muss, um der Verfassung und den Grundsätzen der Wahlgleichheit gerecht zu werden.

Diese Streitfrage, wie groß die Entscheidungsspielräume tatsächlich sind, wird mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes offen bleiben. Das hätte nur geklärt werden können, wenn es eine Wahlanfechtung gegeben hätte und wenn heute keine Veränderung vorgenommen würde. Wie diese Umverteilung in den einzelnen Bezirken durchgeführt wird, insbesondere in Oberfranken, ist sehr kritikwürdig und wird vor Ort abgelehnt.

Ich nenne den "Hundeknochen"-Stimmkreis. Dieser Stimmkreis aus den Landkreisen Kulmbach, Wunsiedel und Teilen Bayreuths ist ein völlig ungeeignetes Konstrukt. Regionale, strukturelle und geografische Besonderheiten und Unterschiede werden nicht berücksichtigt. Es hat Alternativvorschläge gegeben, auch wenn keine konkreten Anträge gestellt worden sind, die in die Diskussion eingebracht worden sind. Sie sind aber nicht aufgegriffen worden.

Oberfranken wird mit diesem Stimmkreis sicherlich nicht glücklich werden. Er wird vor Ort abgelehnt. Ich frage mich wirklich, warum hier nicht auf die Interessen vor Ort eingegangen worden ist.

(Zurufe von der CSU)

Ein deutlicher Hinweis darauf, wie unausgereift der Neuzuschnitt des Stimmkreises ist, zeigt die Tatsache, dass erst letzte Woche im Verfassungsausschuss plötzlich Änderungsanträge in Form einer Tischvorlage vorgelegt worden sind - diesen Antrag habe ich zu Beginn schon erwähnt -, aber noch bezeichnender ist, dass im mitberatenden Haushaltsausschuss ein Vorschlag vom Ausschussvorsitzenden Georg Winter gekommen ist. Über die Hintertür eines mitberatenden Ausschusses wollte er seinen eigenen Stimmkreis noch ein wenig arrondieren. Das war wahrscheinlich mit der eigenen Partei nicht abgesprochen, denn dieser Vorschlag hat für ziemlich viel Unruhe in der CSU gesorgt.

(Harald Güller (SPD): "Heiterkeit" wäre besser gesagt!)

Dann landete er aber wieder in der Schublade. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die ganze Sache nicht ausdiskutiert und völlig unausgereift ist und nicht objektive Kriterien, sondern, wie dieses Beispiel zeigt, eigene parteipolitische Interessen im Vordergrund stehen.

Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen und dem Änderungsantrag der FREIEN WÄHLER zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, wenn Sie hier vorn stehen bleiben, bekommen Sie vielleicht sogar noch einen zeitlichen Nachschlag. Herr Kollege Bausback, bitte.

Frau Kollegin Tausendfreund, gestatten Sie mir die Bemerkung, dass ich überzeugt davon bin, dass aus Ihrer Fraktion die Ersten kämen, die eine Nichtanpassung der Anzahl der Mandate vor dem Verfassungsgericht angreifen, wenn wir das nicht machen würden. Hier zu sagen, dass wir diese 17 Mandate ruhig belassen können, leuchtet mir nicht ein.

Wenn Sie diese Gutachten von Wieland und Gärditz so überzeugen, dann frage ich mich, warum Sie die beiden Experten für die Anhörung nicht benannt haben.

(Beifall der Abgeordneten Petra Guttenberger (CSU))

Offensichtlich waren Sie selbst nicht von den Gutachten überzeugt. Alternativvorschläge, was den konkreten Zuschnitt in Oberfranken angeht, haben Sie auch nicht eingebracht. Das ist doch durchsichtiger Populismus, genau wie beim Vertreter der FREIEN WÄHLER.

(Beifall bei der CSU - Alexander König (CSU): Genau so ist es!)

Bitte schön, Frau Kollegin.

Als Oberbayerin müsste ich dafür plädieren, dass möglichst viele Mandate nach Oberbayern kommen, und das dann populistisch verkaufen. Aber das tue ich nicht; denn mir geht es darum, dass die kleineren Bezirke im Landtag ausreichend repräsentiert sind,

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

und das möglicherweise auch zulasten von Oberbayern, wenn man dieses Gesetzesvorhaben verschoben hätte.

(Zurufe von der CSU)

Wir haben sehr wohl abgewogen, ob es erforderlich ist, diese Stimmkreisreform jetzt durchzuführen oder sie um eine Wahlperiode zu verschieben. Deshalb haben wir ein Gutachten vorgelegt. Wir haben die beiden Gutachter Wieland und Gärditz gefragt, ob sie beim Termin der Anhörung Zeit hätten und kommen könnten. Sie haben leider aus zeitlichen Gründen abgesagt. Es war nicht so, dass wir sie nicht gewollt hätten.

Ich bin in der Ausschusssitzung sehr wohl auf die Argumente eingegangen, die von den übrigen Gutachtern in der Anhörung vorgetragen wurden, und habe auch eingeräumt, dass dies Argumente sind, die dafür sprechen, die Stimmkreisreform jetzt durchzuführen. Auf der anderen Seite gab es aber auch gewichtige Argumente, dass man sie noch einmal verschieben könnte.

Ich lasse mir hier nicht unterstellen, dass ich einmal so und einmal so argumentieren würde. Wir wollen ein verfassungsrechtlich abgesichertes Wahlrecht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Tausendfreund. - Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Fischer. Bitte schön.

Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset hat gesagt: "Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Alles andere ist sekundär."

Wir sprechen also über eine "geringfügige technische Einzelheit", aber über eine von zentraler Bedeutung. Weil das so ist, war es richtig, dass wir uns ausführlich mit diesem Thema befasst haben. Die Anhörung der Experten im Rechtsausschuss und im Innenausschuss war wichtig, weil sie vor allem eine Erkenntnis klar bestätigt hat: den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Der Grundsatz, dass jede Stimme überall in Bayern den gleichen Erfolgswert haben muss, ist als Leitprinzip ganz oben anzusiedeln.

Die Banalität, dass es diese hundertprozentige mathematische Gleichheit nicht gibt - rein denklogisch, Kollege Schindler -, entbindet uns natürlich nicht von der Verpflichtung, diesem gleichen Erfolgswert möglichst nahezukommen. Die Abweichung muss nur so gering wie möglich sein. Man kann es auch anders formulieren: Je größer die Abweichung, desto größer ist das rechtliche Risiko.