Wir wollen eine ehrliche Politik vor und nach der Wahl machen. Wir haben vor der Wahl gesagt, dass wir für die Abschaffung der Studiengebühren sind, und wir sagen nach der Wahl, dass wir gegen die Studiengebühren sind.
Ehe ich Frau Gote das Wort erteile, gebe ich das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Paul Wengert, Angelika Weikert und anderer und Fraktion der SPD zur Sicherung von Tariftreue und Mindestlohn, ökologischen Kriterien und Frauenförderung bei Auftragsvergaben des Freistaats und der Kommunen bekannt, Drucksache 16/6700. Mit Ja haben 49 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 105 Abgeordnete. Es gab keine Stimmenthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.
Da wir jetzt gesehen haben, dass nach unserem Auszählverfahren prima ausgezählt werden kann, hat die CSU-Fraktion namentliche Abstimmung zum Gesetzentwurf der SPD beantragt. Jetzt fahren wir in der Debatte fort. Frau Gote vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben noch zu Kollegen Hacker gesagt: Was soll ich denn machen? Mir fällt auch nicht jede Woche etwas Neues zu den Studiengebühren ein. Kollege Jörg hat mich gerade eines Besseren belehrt. Man kann nicht häufig genug mit Ihnen über Studiengebühren debattieren; denn aus den vorangegangenen Debatten bleibt offensichtlich immer nur wenig hängen.
Wir diskutieren über dieses Thema hier schon seit vielen Jahren. Von den Fraktionen wurden bereits einige Initiativen gegen die Studiengebühren genannt. Ich möchte nur daran erinnern, dass wir schon sehr früh, nämlich 2005, mit der Debatte angefangen haben. Wir haben in der 15. Legislaturperiode sechs parlamentarische Initiativen gegen Studiengebühren eingebracht. In der jetzt laufenden Legislaturperiode waren es bereits sieben. Den letzten Gesetzentwurf hatten wir GRÜNE vor der Sommerpause eingebracht. Selbstverständlich werden wir mit großer Freude und voller Überzeugung dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. Wir freuen uns auch schon auf den nächsten, sollte der jetzt vorliegende Gesetzentwurf heute wider Erwarten doch keine Mehrheit finden. Sie brauchen offensichtlich weitere Entscheidungshilfen, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, um endlich auf den richtigen Weg zu kommen.
Ich habe schon beim letzten Mal verschiedene Statistiken erläutert, die Sie eigentlich zum Nachdenken hätten bringen müssen. Bei Kollegen Jörg haben Sie nicht gefruchtet. Kollege Sibler hat letzte Woche auf das WZB-Positionspapier verwiesen, worüber in der "taz" am selben Tag berichtet wurde. Deshalb möchte ich heute dazu einige Erläuterungen geben; denn es wurde von Ihrer Seite wieder behauptet, zahlreiche Studien belegten, dass Studiengebühren nicht abschreckend wirken. Dem ist nicht so.
Das WZB ist ein akademischer Think Tank mit hoher Glaubwürdigkeit und gutem Renommee. Deswegen lehnen auch wir nicht alles schlichtweg ab, was dort gesagt wird, sondern wir schauen es uns genau an. Das habe ich beim letzten Mal schon gesagt. Bei dem WZB-Papier handelt es sich aber nicht um eine eigenständige Erhebung, sondern nur um die Auswertung bereits erhobener Daten, deren Schwächen im Papier selbst von den Autoren und Autorinnen benannt werden. So wird zum Beispiel darauf verwiesen, dass die Ergebnisse deshalb schwierig einzuordnen seien, weil der Vergleich über mehrere Jahrgänge wegen unterschiedlicher Untersuchungsdesigns sehr schwierig sei. Wie gesagt, es handelt sich bei diesem Papier nur um eine Zweitauswertung verschiedener Studien. Außerdem handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Veröffentlichung, die wissenschaftlich geprüft worden ist. Es handelt sich nur um eine Vorabversion, die auch noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat. Sie als Mitglieder des Hochschulausschusses sollten wissen, wie man solche Papiere zu bewerten hat.
Jetzt möchte ich darauf hinweisen, dass die Autorinnen und Autoren selber ein paar Einschränkungen zu ihren Ergebnissen ausdrücklich benennen. Dann sage ich Ihnen, was ausdrücklich nicht betrachtet wurde, was aber immer zu unseren Argumenten gegen Studiengebühren zählte.
Zur Studierneigung. Es werden keine Daten von eingeschriebenen Studierenden mit einbezogen. In diesem Zusammenhang wird in der Studie eingeräumt, dass zwischen der geplanten und der tatsächlich realisierten Studienaufnahme zwar eine hohe Übereinstimmung bestehe, dass es jedoch einen Unterschied gebe. Man kann also nicht einfach Rückschlüsse daraus ziehen, wie Sie es gemacht haben.
Nicht untersucht werden die Auswirkungen der Studiengebühren auf den Studienabbruch. Das ist ganz wichtig; denn 19 % der Studienabbrecher geben nach einer HIS-Untersuchung an, dass sie ihr Hochschulstudium aufgrund finanzieller Bedingungen abbrechen. Studiengebühren als zusätzliche finanzielle Belastung tragen dazu erheblich bei.
Nicht aufgezeigt wird, ob die Ertragserwartungen wegen der Schulden am Ende des Studiums negativer bewertet werden als vor dem Studium. Für Studierende, die ihr Studium durch Kredit finanzieren, wird das Verschuldensrisiko nach dem Studium erhöht. Das vergessen Sie immer. Gerade in den jungen Jahren, wenn das Studium zu Ende ist, hat man in der Familiengründungsphase und der Berufseinstiegsphase einen höheren Finanzbedarf, sodass man oft auf Kredite zurückgreifen muss. Wenn man dann schon mit Schulden startet, hat man natürlich einen schlechteren Stand. Durch das Verschuldensrisiko werden gesellschaftliche Kosten individualisiert. Das sollten wir beachten. Prinzipiell ist es unsinnig, Studierenden, die noch kein gesichertes Einkommen haben, für ein Studium Kredite aufzunötigen. Die Wirtschaftskrise müsste eigentlich uns allen zeigen, dass wir mit Krediten vorsichtiger umgehen sollten.
Generell bleibt zu bezweifeln, dass sich Studienberechtigte aufgrund eines Kosten-Nutzen-Kalküls in rationaler Abwägung, quasi als Homo oeconomicus, für ein Studium entscheiden. So jedenfalls hat es Kollege Jörg gerade dargestellt. Sie wissen auch aus der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, dass das Bild einer rationalen Entscheidung von Menschen einfach nicht die Wirklichkeit ist.
Wanderungsbewegungen fest. Selbst wenn es nur zwei oder vier Prozent sind, jeder, der nicht zum Studieren kommt, ist einer zuviel. Das müsste uns eigentlich Sorge machen. Solange die Studienanfängerquote in Deutschland im internationalen Vergleich so niedrig liegt und solange es um die soziale Chancengleichheit so schlecht steht, ist jeder im Diskussionspapier eingeräumte negative Anreiz durch Erhöhung der Studienkosten, damit auch durch Studiengebühren, ein Weg in die falsche Richtung.
Jetzt noch etwas zur Realität an den Hochschulen im laufenden Wintersemester, das gerade begonnen hat. Herr Minister, Sie sagen immer, mit den Studiengebühren sollten die Studienbedingungen verbessert werden. Herr Minister, die Studienbedingungen an bayerischen Hochschulen sind so schlecht wie nie zuvor.
Ein Beispiel ist Bamberg. Vielleicht haben Sie den Pressespiegel gelesen. Wegen Überfüllung wurde der Hörsaal geräumt. Der Start ins Semester endete für Hunderte von jungen Menschen an der Universität im Chaos. Rund 1.100 Studenten wollten die Einführungsvorlesung für Betriebswirtschaft im Audimax besuchen, doch dort ist nur Platz für 500 Personen. Wie der "Fränkische Tag" berichtete, herrschte heilloses Gedränge schon auf den Gängen. Im Hörsaal saßen Studenten zwischen den Stühlen, auf dem Boden, auf der Bühne und sogar hinter der Leinwand. Der Professor musste über Tische klettern, um zu seinem Vorlesungspult vorzudringen. Aus Sicherheitsgründen brach dieser die Vorlesung nach einer Viertelstunde ab. Das ist die Realität in Bamberg.
Das ist aber nicht nur ein Fall. Andere Studierende müssen in Kinosäle ausweichen, andere wiederum bekommen die Vorlesung nur auf der Leinwand übertragen. Dass die Studierenden auf dem Boden sitzen, gehört überall zur Realität. Da sagen Sie, die Studiengebühren hätten in den letzten Jahren zu besseren Verhältnissen geführt. Die Verhältnisse sind schlechter geworden.
Am meisten ärgert mich, dass der Präsident der Universität Bamberg am Tag zuvor noch erzählt hat, dass es an den Hochschulen keine Probleme gebe, dass sie alles bestens schultern würden. Deshalb sage ich an diese Herren - mit einer oder mit zwei Ausnahmen,
wenn man die Bundeswehr-Uni noch mit dazu nimmt: So kann es nicht gehen. Sagen Sie endlich, was wahr ist, und sagen Sie, was an den Hochschulen wirklich gebraucht wird.
Ich kann mir schon vorstellen, warum die Hochschulrektoren das nicht machen. Sie trauen Ihnen einfach nicht. Deshalb sagen sie auch, dass sie die Studiengebühren brauchen, dass sie nicht abgeschafft werden sollen. Sie brauchen das Geld. Wenn an den Hochschulen solche chaotischen Zustände herrschen, brauchen sie das Geld. Sie trauen Ihnen nicht zu, dass Sie für finanziellen Ausgleich sorgen, wenn die Studiengebühren abgeschafft würden. Die Beispiele in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen zeigen aber, dass durch die Gesetze, mit denen dort die Studiengebühren abgeschafft wurden, der finanzielle Ausgleich sichergestellt wurde und dass darüber hinaus sogar eine verbesserte finanzielle Grundfinanzierung der Hochschulen ermöglicht wurde. Genau diesen Weg werden wir gehen. Wenn wir es bis 2013 noch nicht geschafft haben, werden wir es nach 2013 tun. Sie werden es erleben. Studiengebühren sind jedenfalls völlig falsch, sie sind kontraproduktiv und gehören schnellstmöglich abgeschafft.
(Beifall bei den GRÜNEN - Renate Will (FDP): Es sind keine Studiengebühren, sondern Studienbeiträge!)
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Zum Ersten möchte ich darauf hinweisen, dass wir mit der Studierendenzahl nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland ein historisches Hoch erreicht haben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass der doppelte Abiturjahrgang, der jetzt an unsere Hochschulen gekommen ist, sehr geräuschlos sein Studium aufnehmen konnte.
Ich denke, dies ist ein ganz großer Erfolg unseres Wissenschaftsministers Dr. Wolfgang Heubisch. Ich möchte mir das von Ihnen in gar keiner Weise kleinreden lassen. Das ist wirklich perfekt über die Bühne gegangen.
(Beifall bei der FDP - Markus Rinderspacher (SPD): Haben Sie nicht zugehört? Was war daran denn perfekt?)
- Organisatorisch ist das hervorragend gelaufen. Deshalb tritt auch eine Beruhigung an unseren Hochschulen ein.
Frau Kollegin Gote, ich möchte eine Unterscheidung treffen. Sie sprechen immer von Kosten. Es gibt die Unterhaltskosten, und es gibt die Kosten für ein Studium. Welche Kosten meinen Sie denn? Die Kosten für ein Studium sind, wie ich bereits ausgeführt habe, enorm hoch.
- Beides kostet Geld. Das ist mir auch klar. Ich rechne auch mit Geld, das dürfen Sie mir glauben. Diese Unterscheidung hätte ich doch gerne von Ihnen gehört.
Natürlich ist es so, dass die Unterhaltskosten - dies gilt auch für Nichtstudenten - von den Eltern bezahlt werden. Das ist fast eine elterliche Aufgabe. Wenn die Studenten in eine andere Stadt gehen, erhalten sie BAföG. Bayern hat seinen Anteil, was das BAföG betrifft, geleistet. Hierfür ist aber der Bund zuständig.
Bringen Sie bitte diese Kosten nicht durcheinander. Ein Medizinstudium kostet 260.000 Euro. Wir fordern in Bayern nur einen gewissen Teilbetrag. Die Studienbeiträge in Bayern sind moderat. Das ist auch gut so. Ich möchte hier keine angelsächsischen Verhältnisse. Diese moderaten Studienbeiträge, die verfassungskonform sind, sind in meinen Augen sozial gerecht.
Ich habe bereits mehrfach gesagt, dass diese moderaten Beiträge richtig und wichtig sind, weil sie die Qualität des Studiums steigern. Sie sind eine Investition in eine bessere Zukunft. Meine Damen und Herren, ihre Abschaffung wäre keinesfalls sozial gerecht. Das wäre auch kein Zeichen für Chancengleichheit. Wir sind ebenfalls für den sozialen Aufstieg.
Uns sind die Studierenden der ersten Generation besonders wichtig. Ich wundere mich, dass Sie darauf überhaupt kein Wort verwendet haben. Das sind Menschen, die in unserem System Anerkennung verdienen. Sie erhalten keine Anerkennung von der Familie, aus der sie kommen. Sie kommen auch in ein Wertesystem, in dem sie nicht anerkannt werden. Diese Studenten der ersten Generation verdienen größte Hochachtung. Ich habe von der SPD noch kein Wort über diese Studenten der ersten Generation gehört. Sie haben für diese Gruppe bislang noch nicht einmal einen Namen gefunden.