Protokoll der Sitzung vom 14.02.2012

Herr Kollege, Sie wissen: Der Begriff "Schwerpunkt der Lebensbeziehungen" hat eine riesige Rechtsprechung und Auslegung erzeugt. Da gibt es eine relativ hohe Hürde. Der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen gilt derzeit für das Wahlrecht.

(Zuruf des Abgeordneten Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER))

Wir sagen: Erstwohnsitz oder Zweitwohnsitz. Dass ich für den Zweitwohnsitz keinen Schwerpunkt der Lebensbeziehungen brauche, ist wohl logisch. Ich halte es aber für praktikabel, dass dies als Anknüpfungspunkt genügt. Sie werden sehen, dass es da keinen massenhaften Missbrauch geben wird. Sie können

sich als Jurist stunden- und tagelang mit abstrusen Konstruktionen beschäftigen. Aber das Leben ist nicht so abstrus, wie Sie es immer darstellen.

(Beifall bei der CSU - Alexander König (CSU): Sehr gut!)

Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schmitt-Bussinger. Bitte schön, Frau Kollegin Schmitt-Bussinger.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selten wurden Änderungen im Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz über Monate hinweg so intensiv und leidenschaftlich diskutiert wie beim vorliegenden Gesetzentwurf.

(Alexander König (CSU): Das ist freundlich ausgedrückt!)

Selten gab es so eindringliche und an Deutlichkeit nicht zu überbietende Appelle von Kommunalpolitikern, in wesentlichen Punkten dem Gesetzentwurf der Staatsregierung nicht zu folgen. Selten gab es bei den Beratungen eines Gesetzentwurfs so offensichtliche gegenseitige Schuldzuweisungen in der Regierungskoalition: Man hätte den Wünschen der kommunalen Spitzenverbände gerne entsprochen, aber der Koalitionspartner hat nicht mitgemacht. So hört man immer wieder aus beiden Regierungsfraktionen. Die Rede ist dabei von einem einzigen Punkt, nämlich von der Altersgrenze zur Wahl zum berufsmäßigen Bürgermeister und Landrat.

Der Gesetzentwurf der Staatsregierung sieht, wie wir gehört haben, eine Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre vor, jedoch erst zur übernächsten Wahl im Jahr 2020.

(Jörg Rohde (FDP): Planungssicherheit!)

Die SPD-Fraktion hat bei dieser Frage eine klare Haltung, die bereits frühzeitig und auf Initiative des verehrten Herrn Kollegen Professor Dr. Peter Paul Gantzer bereits 2009 eingebracht wurde, nämlich eine völlige Freigabe der Altersgrenze. Argumente dafür gibt es mehr als genug. Ehrenamtlicher Bürgermeister, Minister oder gar Ministerpräsident kann man jenseits des 65. oder 67. Lebensjahres werden. Auch für die Wählbarkeit in den Landtag, in den Bundestag oder in das Europäische Parlament gibt es keine Altersgrenze. Der Ausschluss der Wählbarkeit aufgrund des Alters stellt für uns eine Altersdiskriminierung dar. Er ist damit eindeutig ein Verstoß gegen Grundrechte und die Menschenwürde.

Seitens der Kommunalpolitik gab es bis zur letzten Minute, also bis heute, gewisse Hoffnungen, dass Ministerpräsident Seehofer seine Zusage an die kommunalen Spitzenverbände doch noch einhält; denn dort hat er vollmundig versprochen, dass dieser Vorschlag von der Staatsregierung übernommen werde, wenn sich die kommunale Familie einige. Bekanntlich hat sich die kommunale Familie geeinigt: Sie fordert die völlige Aufhebung der Altersgrenze. Aber was tut unser Herr Ministerpräsident? - Nach dem Motto "Was stört mich mein Geschwätz von gestern" und "Die werden sich schon wieder beruhigen" wird die Zusage, wie nicht anders zu erwarten war, nicht eingehalten.

Unserer Meinung nach ist das für die kommunalen Spitzenverbände eine schallende Ohrfeige. Hier werden Rat und Meinung der kommunalen Vertreter offensichtlich überhaupt nicht ernst genommen.

(Beifall bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es bleibt dabei: Die zur Verhinderung einer erneuten Amtsperiode von Christian Ude als Münchner Oberbürgermeister erdachte Regelung soll umgesetzt werden. Herr Innenminister Herrmann, Sie begründen das damit - Herr Kollege Dr. Herrmann hat das vorhin auch deutlich gemacht -, dass Sie mit dieser Regelung verhindern wollen, dass der Eindruck entstehen könnte, diese neue Regelung erfolge, nur weil der eine oder andere zur Wahl steht.

Aber ich sage Ihnen eines: Dieser Eindruck entsteht tatsächlich. Die von Ihnen vorgesehene Regelung ist nichts anderes als ein Verhinderungsinstrument für offensichtlich unliebsame oder zu selbstbewusste Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Herrmann, pragmatisch ist daran gar nichts. Sie betreiben eine ganz klare Verhinderungspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der zweite Knackpunkt dieses Gesetzentwurfes ist für uns die beabsichtigte Abschaffung der bisherigen Regelung zur Wählbarkeit, nämlich des Schwerpunktes der Lebensbeziehungen. Dieser soll als Kriterium wegfallen. Wir haben es von den Vorrednern bereits gehört. In Zukunft soll der Zweitwohnsitz genügen. Begründet wird das damit, dass es Problemfälle gab, die in Zukunft vermieden werden sollen. In einigen Fällen - das gestehe ich Ihnen gern zu - gab es Probleme, aber das rechtfertigt unserer Meinung nach nicht, dass das

Kriterium des Schwerpunktes der Lebensbeziehungen nun vollkommen wegfallen soll.

Wenn man in diesem Zusammenhang berücksichtigt, dass das Mandat ohne Angabe von Gründen zurückgegeben werden kann, dann, meinen wir, wird das kommunale Ehrenamt vollends entwertet und der Beliebigkeit preisgegeben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wollen wir nicht. Deshalb werden wir die vorgeschlagene Regelung nicht akzeptieren. Das sehen im Übrigen viele Kommunalpolitiker genauso. Es gab dazu eine Reihe von Eingaben von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die ähnlich argumentieren.

Ich will hierzu Frau Bürgermeisterin Pongratz aus Miesbach nennen, die in der Beratung im Innenausschuss Folgendes deutlich gemacht hat: Sie sagte, sie sei mit einer beliebten und bekannten bayerischen Schauspielerin eng befreundet. Wenn sie diese bitten würde, für den Gemeinderat in Miesbach zu kandidieren, müsste sie das Mandat gar nicht annehmen, denn ohne Angabe von Gründen könnte sie dieses Mandat zurückgeben. Ein Zweitwohnsitz würde ausreichen, um in Miesbach kandidieren zu können. Dann hätte sie aber zumindest eines erreicht: Diese bekannte, beliebte Schauspielerin bringt mindestens zwei bis drei Mandate für den Gemeinderat mit, und damit hätte sie ihren Zweck erfüllt.

Frau Bürgermeisterin Pongratz will das letztlich nicht, aber sie hat deutlich vor Augen geführt, welcher Missbrauch mit diesen beiden Regelungen betrieben werden kann. Ich sage auch ganz klar: Hierbei können sich die Wählerinnen und Wähler zu Recht betrogen fühlen. Der Politikverdruss wird damit noch verstärkt. Das wollen wir nicht. Deshalb glauben wir, dass dies ein Vorschlag in die falsche Richtung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt im Gesetzentwurf der Staatsregierung ein paar Regelungen, die unsere Zustimmung finden: Erleichterung der Briefwahl, Herabsetzung der Altersgrenze für die Wählbarkeit auf 18 Jahre, Abschaffung von Rücktrittsmöglichkeiten bei der Stichwahl, Mindestaufenthaltsdauer im Wahlkreis - das alles sind Regelungen, die in Ordnung und richtig sind. Aber das ist es dann schon mit den Gemeinsamkeiten.

Wir haben einige Punkte in unserem Gesetzentwurf aufgeführt, die mehr Mitsprache, mehr direkte Demokratie und mehr Transparenz zulassen. Wenn man die Erkenntnisse unseres Ministerpräsidenten bei seinem erst kürzlich stattgefundenen Besuch in der Schweiz berücksichtigt, mit denen er deutlich ge

macht hat, dass in Deutschland jetzt eine Tradition der Bürgerbeteiligung begründet werden solle, dann sage ich nur: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Damit wären Sie ein Stück weiter bei mehr Demokratie, mehr Mitsprache und mehr Transparenz.

Wir haben in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen, dass zur Erörterung bestimmter lokaler Themen sachkundige Bürger heranzuziehen sind, dass Kommissionen und Beiräten, wie diesen sachkundigen Bürgern, ein Antragsrecht eingeräumt werden soll und dass plebiszitäre Instrumente, wie wir sie haben, verbessert werden, indem das Zustimmungsquorum bei Bürgerentscheiden in Kommunen bis zu 50.000 Einwohnern von derzeit 20 % auf 15 % gesenkt wird.

Darüber hinaus wollen wir Informationsfreiheitssatzungen gesetzlich verankern und das Wahlalter für Kommunalwahlen auf 16 Jahre senken. Das ist im Übrigen in sechs Bundesländern bereits der Fall, was in Bremen für gute Erfolge gesorgt hat.

Einen Vorschlag im Gesetzentwurf der SPD möchte ich besonders hervorheben, weil er aus aktuellem Anlass an Brisanz gewonnen hat. Sie kennen sicherlich alle den Fall aus München, als ein Stadtrat bei seiner Vereidigung die Hand anstatt zum Schwur zum Hitlergruß erhoben hat. Wir wollen - das haben wir in unserem Gesetzentwurf geregelt -, dass bei Missbrauch dieser Eidesleistung rechtliche Konsequenzen gezogen werden. Hierbei muss die von Ihnen, Herr Innenminister Herrmann, oft proklamierte Nulltoleranz gelten. Wir wollen, dass diese Art von Provokation als Verweigerung des Eides angesehen und damit als Amtsantrittshindernis dargestellt wird. Das wäre in der heutigen Zeit ein gutes Zeichen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die eingebrachten Änderungsanträge von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Gesetzentwurf der Staatsregierung tragen wir mit, denn es sind Forderungen, die auch unser Gesetzentwurf enthält bzw. die wir in der Vergangenheit schon beantragt haben.

Ich bedauere es sehr, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU- und der FDP-Fraktion, dass Sie bei Ihren Gesetzentwürfen keinerlei Bewegung mehr gezeigt haben. Sie verpassen damit gute Chancen, mehr Bürgerbeteiligung zu gewährleisten. Sie verpassen damit aber auch die Chance, ein modernes und bürgerorientiertes Kommunalwahlrecht auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der SPD und der GRÜNEN)

Vielen Dank. Bevor ich Frau Kollegin Tausendfreund das Wort er

teile, möchte ich ankündigen, dass wir nach der Aussprache drei namentliche Abstimmungen haben werden. Zu einem der Änderungsanträge der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, nämlich dem Antrag auf Drucksache 16/10200, ist ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt worden. - Jetzt bitte Frau Kollegin Tausendfreund.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schmitt-Bussinger hat bereits gesagt, dass sehr intensiv über diese Gesetzentwürfe gesprochen worden ist. Aber die Koalitionsfraktionen sind in die Verhandlungen bereits mit einem festgeschnürten Ergebnis hineingegangen, von dem sie auch nicht mehr abgerückt sind - trotz aller Argumente, trotz aller Diskussionen. Das heißt, die Diskussionen hätten wir uns eigentlich sparen können. So wie es von der Staatsregierung vorgegeben worden ist, soll es heute hier abgenickt werden. Das ist nicht unbedingt eine Sternstunde der Demokratie.

Das bayerische Kommunalwahlrecht ist grundsätzlich sehr demokratisch ausgestaltet. Es kann jedoch - und das sollte es auch - deutlich fortentwickelt werden, damit mehr Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können und damit die Entscheidungsspielräume für die Wählerinnen und Wähler erweitert werden. Denn die Wählerinnen und Wähler können sehr wohl unterscheiden, wen sie wählen wollen. Sie wissen, wo diese Person herkommt, ob sie ihren Wohnsitz in der Ortschaft hat oder nicht und sie wissen auch, wie sehr diese Person ihre Interessen vertreten wird oder auch nicht.

Wir haben mit unseren Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf der Staatsregierung drei Schwerpunkte gesetzt, die uns besonders wichtig sind. Ein Schwerpunkt ist die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre. Außerdem soll es nicht nur Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, sondern auch Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern ermöglicht werden, Bürgermeister und Landräte zu werden. Darüber hinaus soll die Altersgrenze für Bürgermeister und Landräte komplett gestrichen werden. Der vierte Antrag stellt einen Kompromissvorschlag dar, mit dem wir fordern, die Altersgrenze schon zur nächsten Kommunalwahl auf 67 Jahre anzuheben. Eine Übergangszeit bis zum Jahre 2020, bis zur übernächsten Kommunalwahl, ist absurd. In erster Linie wollen wir die Altersgrenze jedoch komplett abschaffen.

Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre fordern wir schon lange. In diesem Hause haben wir schon häufig über die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre nicht nur bei den Kommunalwahlen, sondern auch bei den Landtagswahlen diskutiert. Wir müssen

dafür sorgen - das ist unser Auftrag -, dass jüngere Menschen frühzeitig am demokratischen Prozess beteiligt werden. Dazu gehört einfach das Wahlrecht. Sie sollten in politische Entscheidungsabläufe einbezogen werden. Dadurch wollen wir der Politikmüdigkeit entgegenwirken. Demokratie ist ein Bildungsauftrag. Dieser sollte stärker im Rahmen des Sozialkundeunterrichts an den Schulen einfließen. Alle wissenschaftlichen Untersuchungen, die uns vorliegen, belegen, dass Jugendliche bzw. junge Erwachsene im Alter von 16 Jahren sehr wohl entscheiden können, wen sie wählen und für welche Politikrichtung sie sich entscheiden wollen. Ein Bundesland nach dem anderen geht in diese Richtung. Das fängt bei den Kommunalwahlen an. Österreich hat es auch schon vorgemacht. Diesen Beispielen sollten wir folgen und uns nicht zum Schlusslicht machen. In diesem Zusammenhang ist es nur ein schwacher Trost, dass das passive Wahlalter für Bürgermeister und Landräte jetzt von 21 Jahre auf 18 Jahre herabgesetzt worden ist. Diese Regelung ist noch ein Relikt aus den Zeiten, als die Volljährigkeit erst mit 21 Jahren erreicht war.

Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sollten ebenfalls Bürgermeister und Landräte werden können. Es war eine große Errungenschaft, dass auf kommunaler Ebene das Wahlrecht für EU-Ausländerinnen und EUAusländer trotz aller Widerstände, die es seitens der CSU in Bayern gegeben hat, eingeführt worden ist. Diese Regelung hat die EU vorgegeben. Auf die Leitungsfunktionen in den Landkreisen und Gemeinden wurde diese Regelung jedoch nicht übertragen. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum das Amt des Bürgermeisters oder des Landrates nur von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern ausgeübt werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir leben in einem vereinten Europa. Dazu gehört, dass diese Ämter allen Menschen in Europa offenstehen sollen.

Bürgermeister und Landräte dürfen derzeit die Altersgrenze von 65 Jahren bei Amtsantritt nicht überschritten haben. Wir sind der Auffassung, dass die Altersgrenze vollständig entfallen sollte. Zu diesem Punkt findet später die namentliche Abstimmung statt. Niemand konnte mir bisher erklären, warum die Altersgrenze besteht. Die Ämter werden von gewählten Politikern ausgeübt. Diese Position hat wenig mit der von Beamten zu tun, für die eine Altersgrenze gilt. Niemand hat mir den Widerspruch erläutern können, warum ein hauptamtlicher Bürgermeister im Gegensatz zu einem ehrenamtlichen Bürgermeister an die Altersgrenze gebunden ist. In manchen Gemeinden

hat dies zu merkwürdigen Konstellationen geführt. Wenn man einen Bürgermeister loswerden will, wird das Amt, sofern er alt genug ist, als hauptamtlich ausgewiesen. Wenn ein hauptamtlicher Bürgermeister in einer Gemeinde wieder kandidieren soll, obwohl er die Altersgrenze schon überschritten hat, wird das Amt als Ehrenamt ausgewiesen. Die kleineren Gemeinden bis zu einer Einwohnerzahl von 10.000 können selber entscheiden, ob das Amt des Bürgermeisters hauptamtlich oder ehrenamtlich ausgeführt werden soll. In meinem Landkreis hat es zwei derartige Fälle gegeben, die absurde Züge angenommen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)