Protokoll der Sitzung vom 15.03.2012

Es wäre unsozial, das Gebot der Demokratie "Schuldenabbau ab jetzt" zu ignorieren und damit unseren weniger werdenden Kindern und Jugendlichen Schulden statt Chancen zu hinterlassen.

Verlässliche und solidarische Sozialpolitik stellt heute die Weichen dafür, wie wir morgen leben. In diesem Sinne war, ist und bleibt gute Sozialpolitik das Markenzeichen Bayerns. Dafür stehe ich. Dafür steht

unser Ministerpräsident. Und dafür steht die Bayerische Staatsregierung.

(Anhaltender Beifall bei CSU und FDP)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Ich eröffne jetzt die allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurden 30 Minuten vereinbart. Für die, die es ganz genau nehmen, sind es 31 Minuten, damit Sie mich danach nicht ermahnen müssen. Ich darf jetzt für die SPD-Fraktion Herrn Kollegen Pfaffmann das Wort erteilen.

(Erwin Huber (CSU): Da ist ja keiner da von der SPD! Eine Schande! - Franz Maget (SPD): Wo wart ihr heute bei der Aktuellen Stunde? Drei Leute waren heute Morgen da! - Erwin Huber (CSU): Eine Regierungserklärung ist etwas anderes als die Aktuelle Stunde! - Franz Maget (SPD): Da wäre ich aber etwas vorsichtiger an Ihrer Stelle!)

Jetzt hat der Kollege Pfaffmann das Wort.

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Qualität der Zwischenrufe von Herrn Huber in diesem Hause ist bekannt. Sie bedürfen keiner weiteren Kommentierung.

(Beifall bei der SPD - Georg Schmid (CSU): Neun Leute sind von der SPD da!)

Dürfte ich jetzt darauf hinweisen, dass der Kollege Pfaffmann das Wort hat? Ich richte das an alle Seiten.

Liebe Frau Staatsministerin, ich habe Ihnen wie schon bei den letzten Sozialberichten aufmerksam zugehört, und ich muss sagen: wirklich nichts Neues. Ich weiß nicht, wie Sie es immer wieder schaffen, Redebausteine der letzten Jahre umzuschreiben und diesem Parlament erneut vorzutragen. Das einzig Neue an Ihrer Rede war, dass Sie die Lebensleistung von Menschen, das heißt Pflegezeiten und anderes, auf die Rente anrechnen wollen. Das war das einzig Neue. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie diese Maßnahme konkretisieren. Sie setzen sich damit in Widerspruch zur Politik Ihrer Bundesregierung. Wir sind sehr gespannt darauf, wie Sie diese Ankündigung in Bayern realisieren wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, soziale Gerechtigkeit ist das Thema der Gegenwart. Soziale Gerechtigkeit ist auch Auftrag der Bayerischen Verfassung. Der Anspruch an die bayerische Politik ist eindeutig: Die Bayerische Verfassung gibt der Politik den Auftrag, eine auseinanderdriftende Gesellschaft, eine immer

größer werdende Distanz von Arm und Reich, von verschämter Armut auf der einen Seite und unverschämtem Reichtum auf der anderen Seite, zu verhindern. Dieser Auftrag der Bayerischen Verfassung ist auch unsere Handlungsmaxime, die in der Programmatik der Sozialdemokratie und ihrer parlamentarischen Arbeit immer im Vordergrund steht. Das ist der Unterschied in diesem Parlament: Wir nehmen den Verfassungsauftrag ernst, liebe Frau Kollegin Haderthauer, Sie weniger.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Frau Staatsministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, der bayerische Verfassungsauftrag ist nicht erledigt, wenn die Regierung gebetsmühlenartig jährlich darauf hinweist, dass andere Bundesländer auch Probleme hätten und punktuell schlechtere statistische Werte aufwiesen als Bayern. Damit kann ein Verfassungsauftrag nicht erledigt sein. Wir haben heute wieder viele Phrasen mit wenig dahinter gehört. Es gab auch nichts Neues. Das hatten wir erwartet.

(Georg Schmid (CSU): Die ständige Kritik ist aber auch nichts Neues!)

Auch die heutige Regierungserklärung geht in die Richtung - welch riesige Überraschung -: Wir sind auch in der Sozialpolitik spitze;

(Heinrich Rudrof (CSU): Stimmt auch!)

Bayern bietet beste Chancen, und wo wir noch nicht so gut sind, sind wir immer noch besser, wohlhabender, glücklicher als die Menschen in anderen Ländern, im restlichen Deutschland, in Italien oder in Griechenland.

(Beifall bei der CSU)

Diesen Tenor bekommen wir im Freistaat von der CSU seit Jahrzehnten mit immer neuen und schönen Worten zu hören.

Ich frage Sie, Frau Staatsministerin: Ist es denn spitze, wenn 30,7 % der Frauen im Niedriglohnbereich arbeiten, im Vergleich zu den Männern mit 11,5 %? Ist das denn spitze? Ist es denn so super, wenn 43 % aller Neueinstellungen befristet erfolgen, davon wiederum 60 % Frauen? Ist das Teilhabegerechtigkeit? Und überhaupt, den 435.000 Rentnerinnen und Rentnern nützt Ihr Vergleich mit Italien nichts, wenn sie wegen Armut ihre Miete nicht mehr zahlen können. Ist Ihnen bekannt, oder wollen Sie verschweigen, dass die Altersarmut in Bayern deutlich über dem westdeutschen Durchschnitt liegt? Auch das verschweigen Sie regelmäßig in den schönen Reden, die Sie regel

mäßig abliefern. Den 1,64 Millionen Kindern, Jugendlichen, Eltern, älteren Menschen hilft Ihr Vergleich mit Griechenland nicht weiter, wenn sie nicht wissen, wie sie die nächste Heizkostenrechnung bezahlen sollen. Die regelmäßige Kritik der Wohlfahrtsverbände VdK, Arbeiterwohlfahrt, der kirchlichen Organisationen und anderer an Ihrer Sozialpolitik blenden Sie in Ihren Regierungserklärungen stets aus. Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Das ist Schönrederei auf niedrigstem Niveau.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie deuten die jeweilige Sozialberichterstattung seit Jahren als CSU-Erfolgsbilanz um. Ihre Politik beschränkt sich auf den Versuch, Erfolge herauszulesen, wo es keine gibt. Der Sozialbericht war und ist von großer Bedeutung. Die Erhebung war überfällig und muss fortgeführt werden. Entscheidend, Kolleginnen und Kollegen, ist doch, welche Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen werden. Hier liegt das Problem in Bayern. Das Problem Ihrer Politik ist, dass kaum Konsequenzen aus den Ergebnissen der Sozialberichterstattung der letzten Jahre gezogen werden.

Ich möchte einige wichtige Themen aufgreifen. Sie sagen, Sie wollten Teilhabe am Wohlstand primär durch Arbeit. Schön. Das hört sich gut an. Die Wahrheit ist, dass der Anteil der Niedriglohnbezieher in Bayern seit dem Jahr 2000 deutlich angestiegen ist. Sie sagen, Sie würden die Eigenverantwortung und Freiheit der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wie, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss dieser Satz in den Ohren der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klingen, die sich nur noch mit Leiharbeit über Wasser halten können?

(Beifall bei der SPD)

Laut einer Studie des DGB, liebe Frau Haderthauer, ist die Quote der atypischen Beschäftigungen in Bayern mittlerweile auf 45 % angestiegen. Jeder dritte Arbeitnehmer und jede dritte Arbeitnehmerin in Bayern ist befristet beschäftigt, hat einen Minijob, ist teilzeitbeschäftigt unter 20 Wochenstunden oder ist in Leiharbeit. Diese Arbeitsmarktpolitik ist nicht akzeptabel. Ihre schönen Worte ändern nichts daran, dass wir in immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse hineinsteuern, und Sie nichts, aber auch gar nichts dagegen tun.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein weiterer trauriger Mittelpunkt Ihrer Politik ist die Aussage, dass die Arbeitsmarktsituation der Älteren in Bayern besser als anderswo wäre. Das ist falsch. Lesen Sie Ihren eigenen Sozialbericht: Der bayerische Anteil der älteren Arbeitslosen ist mit 20,9 % deutlich höher als der westdeutsche Durchschnitt.

Das heißt, immer mehr ältere arbeitslose Menschen haben ein Armutsrisiko bzw. sind in Armut. Das ist kein Erfolg Ihrer Politik, liebe Frau Staatsministerin, im Gegenteil: Das ist ein Misserfolg. Das ist keine Spitzenleistung der bayerischen Politik. Trotzdem reden Sie von besten Chancen für alle. Sie finden in Bayern offensichtlich alles ganz prima, Frau Staatsministerin, ohne dabei rot zu werden. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind keine Regierung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie sind eine Regierung gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN - Thomas Hacker (FDP): Deshalb ziehen so viele aus anderen Bundesländern nach Bayern!)

In Ihrer Regierungszeit, liebe Frau Staatsministerin, lieber Herr Ministerpräsident, verkommt Arbeit trotz florierender Wirtschaft in den letzten Jahren zur Ramschware.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN - Lachen bei der CSU und der FDP)

Ihnen ist es offenbar egal, dass Sie mit dieser Arbeitsmarktpolitik die Altersarmut von morgen geradezu unterstützen.

Was wir brauchen und was Sie konsequent nach wie vor ablehnen, ist ein flächendeckender Mindestlohn, der sich an regionale Gegebenheiten anpasst. Sozialpolitischer Grundsatz muss sein: Wer Vollzeit arbeitet, muss von seiner Arbeit ohne staatliche Hilfe und Transferleistungen leben können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Pfaffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Nein)

Herr Kollege Steiner, nein.

Wer Vollzeit arbeitet, muss sich eine auskömmliche Rente sichern können, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das geht nicht auf der Basis von Minijobs und Niedriglöhnen. Damit werden Rekordgewinne subventioniert. Das muss unterbunden werden. Genau das, liebe Frau Staatministerin, tun Sie nicht.

Unser Ziel muss gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Männern und Frauen, von Festangestellten und Leiharbeitern, von ausländischen und einheimischen Beschäftigten sein. Das muss unser Ziel sein. Genau hier liegen die größten Defizite Ihrer Politik.

Ein weiteres Thema ist die Armutsgefährdung. Sie nimmt in Bayern zu, auch wenn Sie das mit schönen Worten immer wieder abstreiten wollen. Die Armutsgefährdung in Bayern ist von 13,6 % auf 13,7 % gestiegen. Vordergründig ist das nicht viel. Diesen auf den ersten Blick geringfügigen Anstieg werten Sie als Erfolg Ihrer Regierungsarbeit. Tatsache ist aber, dass die Zahl der Menschen über 65 Jahre, die von Armut bedroht sind, um über 35.000 angestiegen ist. Das heißt, 435.000 Rentnerinnen und Rentner in Bayern sind armutsgefährdet. Ist das die Vorstellung, die Sie von sozialer Gerechtigkeit und guter Sozialpolitik haben? Frau Staatsministerin, Sie sagten, die Armutsquote der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, sei ein Spiegel der Ausgangslage Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg als Agrarstaat. Wenn das so ist, dann kann ich Ihnen gerne bescheinigen, dass Sie in den letzten Jahrzehnten offensichtlich geschlafen haben. Denn wie kann es sein, dass jahrzehntelang sozusagen die Begründung für eine Armutsgefährdung der Über-65-Jährigen darin bestehen soll, dass Bayern früher einmal ein Agrarstaat war?

Diesen 435.000 Menschen nützt der prozentual niedrige Anstieg der Armutsgefährdung wenig. Von Ihrem gegenseitigen Schulterklopfen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, können die betroffenen Renterinnen und Rentner ihre Miete nicht bezahlen. Aber genau für diese Menschen müssen wir Politik machen, genau für diese Menschen brauchen wir ganz im Sinne der sozialen Gerechtigkeit eine andere, eine bessere Sozialpolitik!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Einer der Gründe für dieses Armutsrisiko ist, dass das Rentenniveau in Bayern mit durchschnittlich 670 Euro pro Monat so niedrig ist wie nirgendwo sonst in Deutschland. Auch das verschweigen Sie in Ihren Hochglanzbroschüren, in Ihren schönen Reden in diesem Parlament. Die bayerischen Renten liegen deutlich unter der Armutsschwelle, und das seit vielen Jahren. Das ist wahrlich kein Erfolg der CSU-Politik in Bayern; das ist ein Misserfolg und nichts anderes.

Hinzu kommt, dass die realen Renten in Bayern seit dem Jahr 2000 auch wegen der Preissteigerungsraten - auch das verschweigen Sie regelmäßig - um 135 Euro gesunken sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier ist Bayern auch spitze, aber negative Spitze. Auch das erwähnen Sie nie in Ihren Hochglanzbroschüren.

Dabei sind die Auswirkungen der steigenden Energiepreise noch nicht berücksichtigt. Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie so weitermachen und nicht gegensteuern, wird es bald noch viel mehr alte, aber auch

junge Menschen in Bayern geben, die nicht wissen, wie sie ihre Heizkostenrechnung bezahlen sollen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Umgang mit unseren alten Menschen ist eine Frage der Würde und des Anstands in einem wohlhabenden Land wie Bayern. Auch daran müssen wir uns messen lassen.